Überraschung im Miniformat
Ich will in ein Abenteuer versinken. Ich will, dass mich Story, Figuren und Rätsel so fesseln, dass ich mich nicht mehr losreißen kann. Diesen Durst können meist nur Bücher stillen, in denen das Leserherz im Takt der Erzählung pocht. Manchmal ist die Geschichte aber auch in Spielen die treibende Kraft, die zum Weiterschießen, Weiterkämpfen oder Weiterklicken animiert.
Max Payne 2 gehört dazu.
Beyond Good & Evil (BGE) gehört dazu.
Black Mirror gehört dazu. Another Code gehört ab sofort auch dazu.
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Der Kapitän hat erste Hinweise über die Vergangenheit der Insel für euch parat. |
Das hat mich überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Spiel auf dem DS schon nach kurzer Zeit diese unwiderstehliche detektivische Neugier entfesseln könnte, die mich bisher nur am Monitor nächtelang grübeln ließ. Aber das japanische Team von
CING, das schon mit
Glass Rose (2004, PS2) morbiden Adventure-Duft verbreiten konnte, verwandelt die beiden kleinen Bildschirme in eine große Bühne, auf der ein höchst rätselfreudiger und erzählerisch glänzender Mystery-Krimi aufgeführt wird - mit knackigen Kopfnüssen und spannendem Plot.
Erzählung auf hohem Niveau
Wie viele Helden vermitteln in der Spielewelt Glaubwürdigkeit und Gefühle? Man kann sie an einer Hand abzählen, vielleicht an zweien, wenn man die lebendigen Figuren aus BioWares letzten Fantasy-Welten mitrechnet. Frauen abseits vom Bitch- und Babe-Klischee? Sind noch seltener dabei. Umso erfreulicher ist es, dass sich die dreizehnjährige Ashley mit ihrem überzeugenden Auftritt in den Kreis der Charakterdarsteller der Marke Max, Jade und Samuel spielt. Ihre Wut, ihre Freude, ihre Zicken und ihre Angst werden sowohl in den guten deutschen Texten als auch in der Mimik hervorragend zum Ausdruck gebracht. Es gibt zwar keine Sprachausgabe, aber wenn sie sauer ist, erkennt man das z.B. an ihrem giftigen Blick oder an der erhöhten Geschwindigkeit des Wortaufbaus - das ist nur eine Kleinigkeit, aber eine von vielen, die die Präsentation trotz des Miniformats so auszeichnen.
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Die Teenagerin wirkt bei ihrer Ankunft zunächst wie ein scheues Reh, das sich in eine fremde Welt wagt - voller Fragen und Unsicherheit. Das ist auch kein Wunder, denn zusammen mit ihrer Tante soll sie auf einer einsamen Insel ihre als tot geltenden Eltern treffen. Wieso schreibt ihr Vater ihr nach der langen Zeit diesen Brief? Wieso holt er sie dann aber nicht mal am Hafen ab? Ashley ist enttäuscht und verärgert. Wusste ihre Tante etwa, dass er noch lebt? Schließlich ist Ashley seit ihrem dritten Lebensjahr bei ihr aufgewachsen. Das Einzige, was ihr von ihren Eltern in Erinnerung blieb, sind bedrückende Fetzen vom Tag der Tragödie.
Gekonnte Dramaturgie
Another Code lässt euch schon beim Einstieg an diesen traumatischen Erlebnissen teilhaben: Ein Kleinkind schaut mit entsetztem Blick aus einem Schrank. Ein Mann tritt auf. Ein Schuss kracht. Blut fließt. Diese Momente werden immer wieder über schwarz-weiße Rückblenden inszeniert, die für knisterndes Hitchcock-Flair sorgen. Mitten im Spiel kann es z.B. passieren, dass Ashley plötzlich von der Vergangenheit eingeholt wird und sich an Neues erinnert. So werden Stunde um Stunde mehr Teile des tragischen Puzzles sichtbar, die man auch über die vielen Dialoge ergattern kann.
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Ashley vor dem Herrenhaus der Edwards. Sie muss die Splitter des Schildes zusammen setzen - eines der ersten Einstiegsrätsel. |
Aber Ashleys Erleben ist nur ein Faden der Story. Das Faszinierende ist, dass er mit einem zweiten verwoben wird - daher der Untertitel "Two Memories": Sehr früh trifft Ashley auf den Geist D. - ein Junge, der vor mehr als 50 Jahren auf der Insel verstarb und sich an nichts erinnern kann. Er will Ashley in das Herrenhaus der Insel begleiten, um seine Vergangenheit zu lüften. Auch er wird an bestimmten Orten von Gedanken und Bildern heimgesucht, die etwas über seine Herkunft verraten. Und während die beiden zunächst in getrennten Vergangenheiten stöbern, zeichnet sich im Laufe der Suche ab, dass sie mehr verbindet als eine von Unglück gezeichnete Kindheit.
Die Story zieht sich über sechs Kapitel, spielt mit zwei Perspektiven und webt einen Teppich aus Indizien, der euch selbst nach mehreren Stunden noch in Spekulationen und Vermutungen grübeln lässt, was damals passiert sein könnte und heute geschieht: Sind Ashley und D. etwa verwandt? Warum gab es in dem Herrenhaus Ende der 40er Jahre diese Morde? Und was hat es mit dem Another-Experiment auf sich? Immer wieder werden Köder in Form von Bildern, Tagebuchseiten oder Notizen ausgelegt, um die Neugier aufrecht zu erhalten. Die Texte sind durch die Bank gut geschrieben, auch wenn man mit kleinen Wiederholungen leben muss, die später wiederum Sinn ergeben. Denn an jedem Kapitelende gibt es einen kleinen Fragenkatalog zum bisher Erlebten, der euer Gedächtnis prüft. Leider konnten wir bisher nicht herausfinden, ob sich falsche Antworten negativ auswirken. Natürlich spielen auch herkömmliche Rätsel eine große Rolle, die aufgrund der vielen interaktiven Eingabemöglichkeiten des DS sogar ganz neue Dimensionen für Tüftler eröffnen.