4Players: Vor fast fünf Jahren haben Sie bei 4Players.de einen Gastbeitrag veröffentlicht: "Die Lust am Mogeln - Die Ästhetik von Cheats". Interessiert Sie das Thema noch?
Julian Kücklich: Ja, das Thema interessiert mich natürlich weiterhin. Ich habe ja auch meine Dissertation über das Thema "Deludologie" (von lat. deludo - mogeln) geschrieben und denke, dass es ein Forschungsgebiet ist, in dem trotz der Arbeit von Kollegen wie Mia Consalvo (Cheating, MIT Press, 2007) und meiner eigenen Arbeit noch viel zu tun ist.
4Players: Was bedeutet das konkret?
Julian Kücklich: In letzter Zeit interessiert mich insbesondere der politische Aspekt von Cheats. Ich habe zum Beispiel
Julian Raul Kücklich ist Literatur- und Medienwissenschaftler. Er hat an der University of Ulster promoviert und von Oktober 2009 bis Juli 2010 als Dozent und Professor für Gamedesign an der Mediadesign-Hochschule Berlin tätig. Mehr unter http://playability.de. |
gerade einen Text für eine Ausstellung eines australischen Games-Art-Künstlers, Baden Pailthorpe (
http://www.badenpailthorpe.com), geschrieben. Baden benutzt in seiner Arbeit Cheats, um den politischen Subtext in Spielen wie Call of Duty: Modern Warfare herauszuarbeiten.
4Players: Die Spielewelt präsentiert in Shootern ja meist den aktuellen machtpolitischen Status quo. Werden Cheats auch für gesellschaftliche Botschaften genutzt?
Julian Kücklich: Politisch engagierte Künstler wie Joseph de Lappe benutzen "deludische" Methoden. De Lappes Projekt "Dead in Iraq" (
http://www.unr.edu/art/delappe/gaming/dead_in_iraq/dead_in_iraq%20jpegs.html) besteht z.B. darin, die Namen der im Irak gefallenen Soldaten auf America's-Army-Servern in den Chat einzugeben, was einige Spieler als eine Form des Griefing betrachten.
4Players: Was versteht man genau unter Griefing?
Julian Kücklich: Griefing ist ein Begriff, der ursprünglich aus der MMORPG-Sprache kommt. Er bezeichnet Verhalten im Spiel, das von anderen Spielern als unangenehm, störend, beleidigend oder anstößig empfunden wird. Das Spektrum reicht von harmlosen Streichen bis hin zur sexuellen Belästigung und Erpressung.
4Players: Mittlerweile sind Sie angehender Professor für Gamedesign. An welcher Universität lehren Sie und wie sind Sie in diese akademische Umlaufbahn gekommen?
Julian Kücklich: Bis vor kurzem war ich Dozent für Gamedesign an der Media Design Hochschule Berlin, Anfang Juni wurde ich zum Professor berufen. Leider gibt es da eine aktuelle Änderung, zu der ich aus rechtlichen Gründen nicht weiter Stellung nehmen mächte. Mein offizielles Statement dazu finden Sie unter
http://inderst.wordpress.com/2010/07/11/zur-entlassung-julian-kucklichs.
4Players: In der Literatur oder unter Historikern gibt es Schulen, die bestimmte Weltanschauungen oder wissenschaftliche Sichtweisen vertreten. Welche Strömungen gibt es innerhalb der akademischen Spielewelt?
Julian Kücklich: Die sogenannten Game Studies haben sich ja seit Ende der 1990er Jahre geradezu explosionsartig entwickelt und ausdifferenziert. Da ich mich seit dem Jahr 2001 aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht mit Computerspielen beschäftige, konnte ich das "live" mitverfolgen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Disziplinen und Schulen, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Games beschäftigen. Der Streit zwischen "Ludologen" und "Narratologen", der in der Frühzeit der Game Studies für einige heftige Auseinandersetzungen gesorgt hat (an denen ich auch selbst beteiligt war), spielt zum Glück heute nicht mehr so eine wichtige Rolle. Wer sich näher dafür interessiert, kann sich gern meinen Artikel "Invaded Spaces" ansehen, den ich 2007 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift S.P.I.E.L. veröffentlicht habe (
http://playability.de/pub/drafts/Invaded_Spaces.pdf).
4Players: Wie wird das Kulturgut Spiel in den wissenschaftlichen Debatten beobachtet oder analysiert? Was interessiert Geisteswissenschaftler an diesem Medium?
Julian Kücklich: Wichtige Impulse kommen meines Erachtens zur Zeit insbesondere von Theoretikern, die sich bereits seit
Gamedesign in Hamburg: Wir waren an der Hochschule für angewandte Wissenschaften, wo man »Zeitabhängige Medien / Sound-Vision-Games« studieren kann. Was genau ist das? Mehr dazu im Special! |
längerer Zeit mit neuen Medien beschäftigen und das Thema Games erst jetzt für sich entdeckt haben. Dazu gehören Henry Jenkins, der sich durch seine Arbeit über Fankulturen einen Namen gemacht hat, McKenzie Wark, der sich lange Zeit mit der Hacker-Kultur beschäftigt hat und Alexander Galloway, der mit Protocol (MIT Press, 2004) ein wegweisendes Buch über Kontrolle und Macht im Internetzeitalter vorgelegt hat.
Klar ist, dass es bei all diesen Themen Überschneidungsbereiche mit der Computerspielkultur gibt und gerade diese transdisziplinäre Herangehensweise finde ich sehr spannend und fruchtbar. Aber auch die Arbeit von Wissenschaftlern aus den klassischen Game Studies, z.B. Jesper Juul, Ian Bogost und Nick Montfort, hat sich weiterentwickelt und spezialisiert, z.B auf Casual Games (Juul), Persuasive Games (Bogost) und Textadventures (Montfort). Zusätzliche Impulse kamen von Ethnologen wie TL Taylor und Celia Pearce, Ökonomen wie Edward Castronova, Juristen wie Jack Balkin und Beth Noveck und Gamedesignern wie Eric Zimmerman, Katie Salen und Celia Pearce.
Man sollte aber auch nicht vergessen, dass auch die Informatik weiterhin wichtige Grundlagenarbeit für die Computerspielentwicklung und -forschung leistet. Deshalb war ich sehr froh an der MDH in einem interdisziplinären Team mit Informatikern und einem Gamedesigner zusammenzuarbeiten. Ich habe in den neun Monaten, die ich dort war, sehr viel von den Kollegen gelernt. Sehr spannend für mich war zum Beispiel die Zusammenarbeit an The DeadLine, über das 4Players ja auch berichtet hat.