Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging13.06.2006, Paul Kautz
Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging

Special:

Die Currywurst war einst Stolz und Freude der deutschen Imbissbude – ordentlich Wurst, ordentlich Curry, ordentlich Pommes, alles war gut. Dann kam der Döner, und die Wurst sah ihre Felle in Knoblaucheile davonströmen. Ganz ähnlich ging es dem klassischen Kreuzworträtsel, das Mutti seit Urzeiten den Sonntagnachmittag versüßte – doch gegen Sudoku, über dem sogar gestandene Anzugträger in der U-Bahn schwitzen, verliert es immer mehr Boden. Und um jetzt endlich eine Brücke zu Gehirn-Jogging zu bauen: Auch hier werden eure grauen Zellen gekitzelt.

Der Killer erwacht

9. Juni 2006. Deutschland, Hamburg, Deelbögenkamp, dritter Stock, 16.12 Uhr. Subjekt Kautz wird einer einfachen Versuchsreihe unterzogen: »Benenne die Farben des angezeigten Wortes – das seinerseits eine Farbe beschreibt!« - z.B. ein schwarz eingefärbtes Wort, das »Rot« zeigt. Kein Problem. Da steht »Schwarz«, aber das Wort ist gelb. »Gelb« schwatze ich in Richtung Mikro. Nix. »Gelb« betone ich mit Nachdruck. Nix. »Gelb« erhebe ich meine Stimme. Nix. Schon nach kurzer  Zeit habe ich die Schnauze voll und belle »Gelb!«, »Gelb!«, »GELB!«, »GELB!«, »GELB!«, »GELB!!! VERDAMMTE DRECKSFI%&§"*Ü**"$&!!«, ins Mikro, welches mich kalt

Dreh mich: Ihr haltet den DS vertikal - auf der einen Seite wird die Frage gestellt, auf der anderen kritzelt ihr die Antwort.
lächelnd ignoriert. Nach kurzen Hochphasen der Weißglut, in denen ich nacheinander den DS an die Wand klatschen, junge Koalabären mit den Händen ausweiden und den Präsidenten mit einem Löffel ermorden wollte, werfe ich einen Blick ins dicke Handbuch, welches mir eine tiefe, ruhige Stimmlage empfiehlt. Richtig, richtig. Also reiße ich mich zusammen und flöte mit herrlichem Honig in der Stimme »Gelb.« in Richtung DS. Nix. Ein kurzer Moment der Kontemplation, danach aktiviere ich mein Beamtendeutsch und stenografiere im selben Tonfall, in dem man »Ihre gesamte Familie in einem Feuer gestorben. Bedauerlich. Das macht dann 4.000 Euro und 17 Cent für die Beerdigung. Sie dürfen mit Karte zahlen.« sagen würde, ein einfaches »Gelb« ins Mikro. Ha, geht! Einfach. Kann ja jeder.

Blöd nur, dass jetzt die Zeit vorbei ist, das Programm mich für hirntot erklärt und mein biologisches Alter auf 80 tippt. Juhuu, die Weisheit der Stammesältesten im Körper der Blüte! Triumph! Aber wie so oft bremst das Handbuch meinen Enthusiasmus: Nee, so gut ist das dann doch nicht. Das Idealmaß des Alters beträgt 20 Jahre, danach geht’s rutschbahnmäßig bergab - demnach wäre ich auf dem geistigen Stand eines Charlton Heston. Oder die Stimmerkennung funktioniert ungefähr zu zuverlässig wie die Deutsche Bahn, wenn man es wirklich, wirklichwirklich eilig hat. Lektion gelernt, ab dem nächsten Mal klicke ich bei »Befinden Sie sich in einer ruhigen Umgebung, in der sie frei sprechen können?« wissend »Nein!« an – dann 

Kleine Runde Sudoku gefällig? Die populäre Knobelei ist ebenfalls enthalten.
muss ich nämlich nur simple Rechenaufgaben durchführen, die, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat, dass das Programm eine Eins grundsätzlich als eine Sieben und lediglich einen einigermaßen geraden Strich als tatsächliche Eins erkennt, auch ein Klacks sind.

Was ist Dr. Kawashimas Gehirn-Jogging jetzt also? Ein Spiel? Nein – oder würdet ihr ein Kreuzworträtsel als Spiel bezeichnen? Wie z.B. auch EyeToy Kinetic ist es kein Game im eigentlichen Sinne, sondern ein straff geführtes Trainingsprogramm – das merkt man spätestens daran, dass man den Alterstest nur ein Mal pro Tag machen kann, alle folgenden Resultate werden nicht gezählt. Es ist eine Ansammlung von Tests (nicht Minigames!), die das Gedächtnis trainieren, aber auch die Geduld des DSlers aufgrund der teilweise völlig unfähigen Schrift- und Spracherkennung auf eine harte Probe stellen – teilweise habe ich mich weniger als Gehirn-Jogger als vielmehr wütender Kickboxer gefühlt. Das ist auch der Grund, warum wir uns gegen einen handelsüblichen Test entschieden haben.

LAUB = CHVß

Die offensichtlichste Besonderheit des Gehirnjoggings ist, dass das Ganze um 90° gekippt gespielt wird – je nach Links- oder Rechtslastigkeit des Trägers in die eine oder andere Richtung. Ich bin ein Righty, also darf ich auf dem rechts befindlichen Touchscreen knobeln, während mir links die Aufgaben gestellt werden bzw. Dr. Ryuta Kawashima als grobes 3D-Modell grinsend rotiert. Die Aufgabengebiete, die eure vorderen Stirnlappen zu Höchstleistungen anregen sollen, umfassen 

Ich bin trainiert: Das Programm führt über eure Fortschritte akribisch Buch.
Kopfrechnen, Zahlen-Buchstaben-Kombinationen, das Zählen von Silben oder farbenbasierte Rätsel. In fast allen müsst ihr die Antwortzahl auf das Touchpad malen, was zwar besser als die Spracherkennung, aber bei weitem nicht fehlerfrei funktioniert – gerade bei zeitkritischen Aufgaben macht das Programm aus schnell hingekritzelten richtigen Antworten schön ausgewertete falsche.

Größter Nervtot im Trainingsprogramm ist das Merken. Nicht aufgrund meines löchrigen Gedächtnisses - 30 vierbuchstabige Begriffe kann ich mir innerhalb von zwei Minuten noch recht problemlos einprägen. Aber diese Wörter dann innerhalb von zwei Minuten in Zusammenarbeit mit der mistigen Schrifterkennung in meinen DS zu kratzen, ist ein ganz anderes Kaliber. Man darf um Gottes Willen nicht zu klein schreiben, dann erkennt das Programm irgendetwas, aber keinesfalls auch nur die Nähe dessen, was man eigentlich im Sinn hatte. Aus L wird C, aus H wird A aus ß wird – keine Ahnung, ich habe es bis heute nicht hinbekommen, dass mir das Programm ein kaligraphiertes »weiß« oder »heiß« abkauft, selbst wenn die Erkennung auf dem linken Bildschirm schon das korrekte Wort darstellt, das System es aber nicht akzeptiert.

Als täglicher Zeitvertreib, um die älter werdende Murmel nicht einschlafen zu lassen, ist das preiswerte Programm ganz nett – obgleich ihr mit einem Sudoku-Rätselkalender und einem handelsüblichen Intelligenztest in jedem Fall zuverlässigere Resultate erzielen dürftet. Achja, gegenwärtiges Endresultat: Biologisches Alter 21. Ich bin also wieder auf dem Status, als ich gerade meinen Zivildienst beendet habe. Spitze. Danke, Dr. Kawashima!    

 
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