Grand Theft Auto: Chinatown Wars20.03.2009, Paul Kautz
Grand Theft Auto: Chinatown Wars

Im Test:

Rockstar Leeds kennt sich mit großem Autodiebstahl aus: Die früher als Mobius Entertainment bekannten Briten haben schon mit den PSP-Ausflügen Liberty City Stories und Vice City Stories bewiesen, dass sie gigantische Gangster-Welten problemlos auf kleine Handheld-Bildschirme zaubern können. Chinatown Wars verfolgt einen ganz ähnlichen Ansatz: Man nehme eine bekannte Stadt, packe aber einen neuen Helden und damit eine ebenso neue Geschichte rein. In diesem Falle kommen allerdings noch eine neue Perspektive sowie ein neues Spielprinzip dazu.

Die Axt im Haus erspart den Autoklauer

Jörg ist ein ruhiger, gelassener Mensch, der zwar hin und wieder seinen Wunsch nach einem pünktlich abgegebenen Test mit einer zielsicher geworfenen Axt unterstreicht, aber normalerweise lieber am grünen Tee nippt statt sich die langen Haare auszureißen.

Wie früher, nur besser: Chinatown Wars bietet perfekte Isoperspektiven-Action.
Aber hier sitzt er mit dem DS in der Hand mir gegenüber und wir kreischen uns an wie zwei Schulmädchen, die sich nicht einig werden können, ob Bill oder Tom der schnuckeligere Kaulitz ist. Und dabei fahren wir doch nur im Mehrspielermodus ein Rennen durch Liberty City. Falls man es Rennen nennen kann: Denn zuerst habe ich seiner lahmen Familienkutsche mit einer Extraportion Uzi zu mehr Sonnenlicht verholfen, kurz darauf hat er mir an einer kniffligen Ecke aufgelauert, und mich tatsächlich mitten im Rennen aus meiner Karre rausgezogen, mir einen Kick verpasst, ist eingestiegen und mit meinem Auto weitergebraust! Mit meinem Auto! Derlei wortgewandte Racheschwüre und Mütter-Beleidigungen hingen sonst nicht mal nach den redaktionsinternen Soul Calibur-Turnieren in der Luft...

Zu schade nur, dass sich der Mehrspielermodus von Chinatown Wars auf zwei Teilnehmer (von denen jeder sein eigenes Modul braucht) beschränkt: Von den Rennen abgesehen hätten gerade die Deathmatch- und Koop-Spielvarianten von mehr Teilnehmern profitiert - gerade wenn man in Letzteren wertvolle Transporter gegen heranstürmende Gegnerwellen verteidigen muss, wünscht man sich des Öfteren, mit mehr Leuten unterwegs zu sein. Sei's drum, das Vorhandene macht tierisch viel Spaß - und dabei ist das gerade mal eine Ergänzung zum Solo-Abenteuer.

Schöne neue Comicwelt

Grundsätzlich ist das kleine Chinatown Wars (CW) ein großes GTA wie es im Buche steht: Man läuft und fährt durch Liberty City, das zum großen Teil aus GTA 4 übernommen wurde - lediglich die dritte Insel Alderney fehlt. Das Missionsdesign dreht sich hauptsächlich darum, rivalisierende Gangmitglieder zu erledigen, wichtige Fahrzeuge zu klauen oder gewinnträchtige Deals abzuwickeln; nebenher kann man sich etwas Extrageld damit verdienen, indem man Leute in Taxen zu ihren Zielorten kutschiert,

Kenner von GTA 4 werden ihre Stadt wiedererkennen - mit Ausnahme einer großen Insel ist Liberty City auch auf dem DS komplett.
China-Nudeln ausliefert, Krankenwagen fährt oder Lagerhäuser plündert. Diverse Wummen von der Pistole und der Uzi über Schrot- und Sturmgewehr bis zum Flammen- bzw. Raketenwerfer stehen zur Auswahl, um langwierige Debatten schnell und wirksam abzukürzen.

Klingt alles vertraut? Ist es auch. Aber da kommt ja noch mehr: Intelligenterweise hat man sich bei Rockstar Leeds dagegen entschlossen, ein gewohntes 3D-GTA auf den DS zu befördern, was aufgrund der wenig potenten Hardware wohl keine gute Idee war. Stattdessen entschlossen sich die Entwickler zu einem weiten Schritt zurück, genau genommen ins Jahr 1997 - der Geburtsstunde der GTA-Serie, als man Hare Krishnas noch aus der Vogelperspektive überrollte. Damals wie heute wird das blutige Geschehen aus einer Vogelperspektive präsentiert. Während sie vor zwölf Jahren allerdings starr war und man aus 2D-Sprites blickte, ist die Ansicht jetzt schwenkfreudig und zeigt wunderschöne 3D-Objekte: Die gesamte Kulisse besteht aus in Echtzeit berechneten Polygonen, verziert von dicken schwarzen Kanten und erfüllt von kräftigen Farben, um dem Ganzen einen einzigartigen Comiclook zu verleihen. Die Perspektive passt sich im Großen und Ganzen dem aktuellen Geschehen an, kann aber auch auf Knopfdruck jederzeit in Laufrichtung zentriert werden - bleibt aber immer eine Überkopf-Ansicht; einen Schwenk in den dritten Raum gibt es nie. Das funktioniert ganz wunderbar, allerdings gibt es hin und wieder Übersichtsprobleme: Wenn etwa große Gebäude, Brücken oder dichte Bäume den Blick auf den Protagonisten verdecken - im Normalfall werden derlei überhängende Objekte flugs transparent, gelegentlich versagt dieses System allerdings.

      

Der kleine Drogenbaron

Trotz der klassischen Perspektive haben die Entwickler all die kleinen und großen Effektspielereien auf das Modul gepackt, die man von der Serie gewohnt ist: In beschleunigter Echtzeit wird Nacht zu Tag und umgekehrt; mal strahlt eine freundliche Sonne, mal verdüstert sich der Himmel, Donner und Blitz tosen über den kleinen

Die Zwischensequenzen im Comicstil erzählen die Geschichte in Standbildern weiter - teils witzig, teils brutal.
Bildschirm, Regenfäden fallen in Strömen. Und selbst die kleinen Wagen verfügen über ein bemerkenswertes Schadensmodell: Scheinwerfer gehen einzeln zu Bruch, nach ein paar Kollisionen fängt es unter der Motorhaube mächtig zu qualmen an - und spätestens wenn aus dem Rauch fauchende Feuer werden, ist es an der Zeit auszusteigen, bevor eine wirkungsvolle Explosion des Weg in das nächstgelegene Krankenhaus weist. Das Geschehen bleibt dabei erstaunlich flüssig, nur in Momenten besonderer Aktivitätsdichte, und dabei reden wir von Gefechten gegen mehrere Gegner und blaurot rotierende Polizeikolonnen, wird's etwas langsamer - aber nie unspielbar.

Was dem Niko Bellic sein Handy, ist dem Huang Lee sein PDA: Der jugendliche Protagonist von CW geht nie ohne sein mobiles Internet aus dem Haus, was das Spielerleben erheblich erleichtert. Denn von hier aus hat man jederzeit Zugriff auf die ständig eintrudelnden E-Mails: Alte und neue Gesichter schicken immer wieder Nachrichten mit Informationen und Anfragen, meist komplettiert von einem grün leuchtenden GPS-Link - draufgeklickt und losgezischt, denn wie in GTA 4 wird daraufhin die direkte Route zum Ziel auf die Minimap projiziert. Sowie auf Wunsch direkt ins Spielfeld, was sehr praktisch und aus irgendeinem Grund standardmäßig deaktiviert ist. Selbstverständlich kann man auch jederzeit eigene Wegpunkte der Doppeltouch ins GPS setzen, außerdem gibt es eine ständig erweiterte »Points of Interest«-Liste, welche die Positionen aller Kontakte auf einen Blick bereit hält.

Drogenhandel leicht gemacht: Chinatown Wars bietet ein erstaunlich tiefschürfendes Warenwirtschaftssystem, mit dem man verdammt viel Zeit verbringen kann.
Darüber hinaus kommt dem PDA schon nach kurzer Zeit mehr Bedeutung zu, nämlich wenn es um den Drogenhandel geht. Uuuuh, das klingt böse, ist aber ein ebenso simples wie fesselndes Warenwirtschaftssystem aus Angebot und Nachfrage: In Liberty City wird mit sechs Arten von illegalen Drogen gehandelt, was nach dem einfachen »Billig kaufen, teuer verkaufen«-Prinzip funktioniert. Man bekommt ständig Mails mit neuen Angeboten, trifft sich danach in düsteren Ecken mit zwielichtigen Händlern, deren Einflussgebiete im PDA verzeichnet werden, und sorgt dafür, dass der Handel möglichst reibungslos über den Tisch geht. Was natürlich so gut wie nie der Fall ist, denn neben betrügerischen Partnern ist vor allem die Polizei ein Ärgernis, die vor oder nach Deals fast immer zur Stelle ist. Was zum großen Teil an den 100 Überwachungskameras liegt, die über ganz Liberty City verteilt sind. Diese Augen des Gesetzes sind nicht nur die hiesigen Sammelobjekte (über die sich im Gegensatz zu GTA 4 kein Tierschützer zu beschweren braucht), sondern haben auch spielerischen Einfluss: Ist die Kamera weg, lässt es sich leichter mit Drogen handeln. Dadurch sind aber auch mehr Dealer da, so dass es auf den Preis drückt - Dilemma, Dilemma. Und zwar eines, das tatsächlich mehr Zeit verschlingen kann als die eigentliche Story: Der Drogenhandel ist als Minispiel im Spiel ebenso bizarr wie brillant umgesetzt!

      

Schwing den Stylus!

Zahlreiche Herausforderungen und Minigames nutzen das Touchpad - hier gilt es z.B. möglichst vorsichtig eine Bombe zu entschärfen.
Apropos Minispiel: Obwohl der größte Teil der Steuerung simpel und digital gehalten ist, sollte man den Stylus nie zu weit weglegen, wird er doch an allen Ecken und Enden gebraucht. Mal gilt es Scheiben zu zerdeppern, Bomben zu entschärfen, Zündungen zu knacken, Molotow-Cocktails mittels Zapfhahn zu basteln, Tattoos auf Jungyakuza-Körper zu pinseln, Müllcontainer nach Waffen zu durchwühlen, Scharfschützengewehre zusammenzuschrauben oder Rubbellose zu rubbeln - all das dauert kaum mehr als ein paar Sekunden. Und ist daher eigentlich kaum als Minigame zu bezeichnen, sondern vielmehr als kleine Herausforderungen, die idiotensicher erklärt werden. Eine coole Idee, die allerdings dafür sorgt, dass der Stylus schnell abgekaut wird, denn viele dieser Herausforderungen steuern sich mit dem Daumen zu unpräzise.

Die Story um den verwöhnten Schnösel Huang Lee, der nach dem Mord an seinem Vater nach Liberty City kommt und dort sofort in jede Menge Ärger gerät, ist der Comic-Präsentation zum Trotz sehr erwachsen - und trotzdem unterhaltsam geschrieben. Die Geschichte ist etwa zehn bis zwölf Stunden lang; kümmert man sich noch exzessiv um den Drogenhandel, können locker 20 Stunden und mehr daraus werden! Und nicht zu vergessen all die bereits erwähnten Nebenher-Aktivitäten, die Straßenrennen, die Rampages - Chinatown Wars bietet locker den Umfang eines großen GTAs. Dazu kommen noch gelungene Komfortfunktionen wie die automatische Ausrichtung von Fahrzeugen (es gibt jede Menge Autos und Motorräder, die sich

Das Fahndungssystem setzt wie in jedem GTA auf einen bis sechs Sterne - die ihr allerdings verringern könnt, wen ihr genug Polizeiwagen aus dem Weg rammt.
spürbar unterschiedlich fahren) an der Straße, so dass man in jedem Fall sicher gerade aus fährt, wenn man das möchte - harte Hunde können das auch abschalten. Schade nur, dass es diese Funktion nicht auch für den virtuellen Fußgänger gibt, denn gerade per pedes ist die Digitalkontrolle ziemlich wackelig; bei schräger Perspektive einigermaßen gerade zu laufen ist eine echte Herausforderung.

FlatOut GTA

Die Gefechte laufen sehr simpel ab: Klick auf den Touchscreen, um eine Wumme auszuwählen, Druck auf den rechten Schulterknopf, um das nächste Ziel anzuvisieren, Feuer. Allerdings gibt es zwei Ausnahmen: Das Scharfschützengewehr verwandelt den oberen Bildschirm in ein übergroßes Fadenkreuz, in dem man die Zielperson finden muss. Und Wurfgeschosse wie Molotows oder Granaten werden »analog« geworfen, indem man Wurfrichtung und stärke mittels eines farbigen Bogens über den Stylus bestimmt - funktioniert genauso fummelig wie es sich liest und ist gerade in der Mitte eines hitziges Gefechtes sehr unpraktisch. Sehr praktisch dagegen die neue Fluchtmöglichkeit vor der Polizei: Wie gewohnt bewirken Straftaten eine mehr oder weniger enthusiastische Fahndung, die in schlimmeren Fällen nur mit dem Besuch eines »Pay'n'Spray«-Shops beendet werden kann. Vorher gibt es allerdings die Möglichkeit, die Fahndungssterne manuell loszuwerden: Indem man einfach verfolgende Cop-Kutschen schrottet! Hineingerast, in herumstehende Autos oder Häuser gedrückt, der Möglichkeiten sind viele - und weniger Verfolger bedeuten weniger Sterne, so einfach ist das. Ungewohnt pragmatisch für die Serie und actionreicher denn je.

Technisch ist Chinatown Wars der Hammer: Die Grafik bietet detaillierte Gebäude und Straßenzüge, schöne Effekte und fast immer solide 30 Bilder pro Sekunde.
Nach jeder erfolgreichen Mission wird der Spielstand automatisch gespeichert, zusätzlich kann man das auch manuell vom PDA oder vom Safehouse aus machen. Von Letzteren steht anfangs nur eines zur Verfügung, im Laufe der Zeit, und genügend Kleingeld vorausgesetzt, darf man überall in der Stadt befindliche Immobilien kaufen und von dort aus loslegen. Zusätzlich gibt es in jedem Haus ein schwarzes Brett, welches den Arcade-Charakter von CW unterstreicht - denn erstmals ist es in einem GTA möglich, bereits abgeschlossene Missionen im nachhinein wieder und wieder zu spielen, um möglichst viele Punkte zu kassieren. Während man das macht, wird das Ohr von fünf Radiostationen verwöhnt: Zwar gibt es dieses Mal aus Speicherplatzgründen keine lizenzierten Tracks zu hören, aber die variantenreiche Instrumental-Mucks geht gut ab - jederzeit nachzuhören im PDA-eigenen Musikplayer. Und eine finale Spielerei gibt es für jene, die Freude daran haben, ihren DS auf- und zu zu klappen, denn bei jedem Mal gibt es andere Sprüche zu hören:  »YEEEHAAAW!«, »Ooooh, that's wonderful!«, »My face is melting!«, »Hey, good-lookin'!«...     

Fazit

Gratulation an Rockstar Leeds: Chinatown Wars ist der MegaMan 9 der GTA-Spiele - ein mitreißender, höchst erfrischender Sprung zurück in die Serienvergangenheit, mit einem Abstecher in die Zukunft der Reihe. Denn wo auf der einen Seite verständliche Schnitte gemacht werden mussten, haben die Entwickler keine Risiken gescheut und an anderer Stelle intelligente Erweiterungen eingebaut, die der Serie sehr gut tun - allen voran der effiziente Drogenhandel, der weniger ein Minispiel als vielmehr eine komplette Alternativbeschäftigung ist! Chinatown Wars ist GTA-Arcade pur; die Rennen und Gefechte laufen problemlos ab, die gut eingeflochtenen Stylus-Anwendungen passen wunderbar auf den DS, auch wenn der dauernd Wechsel zwischen Digipad und Stylus auf Dauer ein wenig an den Nerven sägen kann. Auch die »analoge« Anwendung der Granaten ist zwar gut gemeint, aber für schnelle Erfolge dann doch etwas zu fummelig. Nichtsdestotrotz bleibt ein brillant designtes, fantastisch präsentiertes und hochmotivierendes Ballerfest für den erwachsenen DS-Besitzer, von dem wir in Zukunft hoffentlich noch mehr sehen werden.

Pro

gigantischer Umfang
fantastische Umgebungsgrafik
intuitive, aber auch herausfordernde Fahrzeugsteuerung
abwechslungsreiches Missionsdesign
cooles Retro-Spielgefühl
sehr nützliche Tools (GPS, PDA)
intelligente Erweiterung des GTA-Spielprinzips

Kontra

Multiplayermodus nur für zwei Spieler
gelegentliches Ruckeln
fummelige Granaten
und Laufsteuerung

Wertung

NDS

Ein brillant designtes, fantastisch präsentiertes und hochmotivierendes Ballerfest für den erwachsenen DS-Besitzer.

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