Etrian Odyssey 2: Heroes of Lagaard28.08.2008, Jörg Luibl
Etrian Odyssey 2: Heroes of Lagaard

Im Test:

Im Juni begann hierzulande für viele Dungeonwühler alter Schule die etrianische Odyssee: Das Team von Atlus entführte Stylus-Abenteurer auf dem DS in ein riesiges Labyrinth voller Monster und Schätze. Das Besondere daran: Man konnte eine fünfköpfige Party erstellen und musste aktiv kartografieren! Was hat der Nachfolger an Verbesserungen zu bieten? Wir haben die US-Version getestet.

Über den Wolken...

Kulleraugen-Fantasy mit Spieltiefe: Wer ein kinderfreundliches Dungeon-Abenteuer erwartet, dürfte angesichts der knackigen Kämpfe und fiesen Monster schnell eines Besseren belehrt werden.
...müssen Sagen umwobene Geheimnisse in einer schwebenden Burg schlummern. Das vermutet jedenfalls der Fürst von Lagaard, deren mächtige Stadtmauern sich um einen noch mächtigeren Baum winden. Der heißt Yggdrasil und sein inneres Labyrinth führt in ungeahnte Höhen. In seinem Schatten fragen sich die Menschen, ob nicht sogar eine verschollene Zivilisation irgendwo über den unendlichen Zweigen zu finden ist. Und der Fürst träumt bereits vom heiligen Gral. Alles nur Legenden?

Was es trotz dieser Aussicht auf jeden Fall nicht gibt: Eine packende Story. Atlus bleibt seinem spröden Erzählstil treu und beschränkt sich auf ein paar Andeutungen, Gespräche und vage Hinweise, anstatt über Nebenfiguren oder plötzliche Zwischenfälle Spannung aufzubauen. Ja, es gibt hier und da Überraschungen, aber wenn sich das Team nur genau so gewissenhaft um die Story wie um das Leveldesign und das Kampfsystem bemühten würde, wäre hier sicher auch ein Award greifbar. Dass dennoch Stimmung aufkommt, liegt an vielen kleinen Tafeln und Monumenten, die im Dungeon versteckt liegen und Inschriften verblichener Abenteuerer wie "Weckt bloß nicht die Monster in der großen Halle auf!" enthalten.

Trotz der narrativen Sehnsüchte gibt es neben der lieblichen Musik von Yuzo Koshiro (The Revenge of Shinobi, Streets of Rage) genug Atmosphäre, genug zu entdecken und zu erkunden. Das ist ein Spiel für Haudegen alter Schulte, die Klassiker wie Bard's Tale oder Wizardry kennen und lieben gelernt haben - also rundenbasierten Kämpfe mit einer schlagkräftigen Gruppe. Dazu gibt es Monster, Schätze und Kostbarkeiten von seltenen Zutaten bis hin zu magischen Ingredenzien. Und deshalb heuern die Stadtväter regelmäßig mutige Abenteurer an, um Yggdrasils Geheimnisse zu erforschen. Eure Aufgabe ist es, wie schon in Etrian Odyssey , eine fünfköpfige Gruppe zu erstellen und der Sache auf den Grund bzw. in die mythische Baumkrone zu gehen - natürlich gegen Belohnung und Fantasykarriere all inclusive: Aufstieg, Waffen, Rüstungen, Fähigkeiten, Ruhm etc. Wer den Vorgänger gemeistert hat (Hut ab!), kann übrigens ein Passwort eingeben und mit seiner alten Gilde loslegen.

Gruppendynamik

Nach dem Kampf ist vor der Heilung: Während ihr im Hospital verstorbene Helden wiederbelebt, kännt ihr im Gasthaus bis zur vollständigen Genesung ausruhen und speichern.
Habt ihr einen Gilden-Namen? Dann kann's mit der Heldenerstellung losgehen: Insgesamt stehen euch zwölf Klassen zur Verfügung, darunter altbekannte wie Heiler, Landsknecht, Alchemist, Hexer, Paladin, Ronin, Troubadour oder Waldläufer, aber auch drei neue: Kriegsmagier, Schütze und Biest. Ersterer erweitert euer arkanes Angriffsrepertoire, Zweiterer kann Feinde bei Treffern aus Pistolen oder Büchsen lähmen und Letzteres lebt von seiner animalischen Stärke im Nahkampf, opfert sich sogar für Gruppenmitglieder auf und nimmt deren Schaden. Aber leider wird das selbstlose Biest nicht von Anfang an spielbar sein, sondern erst später freigeschaltet.

Das Interessante am Aufstieg ist, dass sich jede Klasse unterschiedlich entwickeln kann, indem sie sich auf bestimmte Talente oder Waffen und Magierichtungen konzentriert. Nur, wenn der Schütze seine Beweglichkeit verbessert, öffnet sich der Talentbaum für gezielte Schüsse auf Beine, Arme oder den Kopf; nur, wenn der Alchemist seine Stärke ausbaut, kann er irgendwann die Erdanziehungskraft nutzen und Klingen fliegen lassen; und beim Ronin gibt es gleich drei Samurai-Kampfstile, in die man investieren kann.  

Mann oder Frau? Anime oder Mittelalter?

Kartografie 2.0: hervorragende Zeichensystem des Vorgängers wurde um einige Icons ergänzt, die ihr bequem in eure Karte ziehen könnt.
Vier Portraits stehen euch zur Verfügung, zwei weibliche, zwei männliche. Der Nachfolger bleibt stilistisch bei seinem märchenhaften Comiclook, der vor allem im Monsterdesign eher Pokemon- als Mittelalterflair verströmt. Das Ganze driftet aber nicht ins Kitschige ab, das man in Sachen Menüdesign und Zeichnungen durchaus edle Töne trifft. Außerdem begegnen einem in späteren Levels weniger putzige, dafür umso imposantere Kreaturen, die auch in klassischer Fantasy westlicher Prägung auftauchen könnten.

Noch mehr als im Vorgänger kommt es darauf an, dass ihr das Reihenprinzip verinnerlicht (im Ernstfall auch mal wechseln lassen) und den ganzen Pool an Klassen verwendet - also nicht nur eine gemischte Party erstellen, sondern am besten eine besonders schlagkräftige für die wandernden Bossmonster oder eine besonders fleißige mit guten Sammelfähigkeiten. Auch diesmal kann man nämlich an zahlreichen Stellen Materialien ernten, um sie zu verkaufen oder sich neue Waffen oder Rüstungen erstellen zu lassen. Quests? Gibt es hunderte. Spielzeit? Geht in die dutzenden. Der Vorgänger hat mich knapp dreißig Stunden gekostet.

Wieder ein neues Monster entdeckt? Sehr gut! Ab einer bestimmten Anzahl bekommt ihr vom Fürsten eine Belohnung - der will nämlich die Geheimnisse des Labyrinths erforschen.
Und hier ist es noch etwas kniffliger, denn Etrian Odyssey 2 ist einen Tick unberechenbarer als der Vorgänger: Obwohl das Heilen der Gruppe deutlich günstiger ist, kommt es im Labyrinth zu bösen Überraschungen. Die Monster haben einige fiese Fähigkeiten, die euch in Schlaf versetzen, bewusstlos machen, vergiften, blenden, verfluchen oder gar zu Stein verwandeln können. Aber keine Bange: Selbst wenn ihr schwer verletzt mit einem Überlebenden und vier Leichen zurück nach Lagaard kommt, kann euch der Arzt dort nicht nur heilen, sondern auch alle wiederbeleben. Dafür habt ihr auch effektive Möglichkeiten: Während des Kampfes füllt sich eine Machtleiste. Ist diese nach zig Gefechten komplett voll, könnt ihr für den betreffenden Charakter eine Spezialfähigkeit einsetzen, die keine Talentpunkte verbraucht - sprich: Auch ein ausgepumpter Magier kann dann noch mal loslegen. Der Troubadour stimmt dann z.B. das mächtige Kreuzzugslied an, das alle Angriffs- und Verteidigungswerte sowie die Lebenspunkte eurer Helden enorm steigert.

Kartografie 2.0?

Das herausragende Element des Vorgängers war die aktive Kartografie. Zwar bleibt es bei der Zweiteilung, dass oben erkundet und unten mit dem Stylus gezeichnet, gelöscht oder markiert wird, aber die Funktionen wurden ergänzt. Es gibt jetzt über ein Dutzend Symbole, die man in seine Karte einbauen kann, darunter Schatz-, Monster-, Fallgruben-, Treppen-, Monument- oder Warp-Icons. Neu sind u.a. jene, die euch eine bestimmte Richtung anzeigen lassen. Und das ist gut so, denn die Labyrinthe werden euch alles abverlangen.

Im Kampf kann man jetzt auch einen Automatismus aktivieren, um z.B. nervige Zufallsbegegnungen nach einer langen Reise schneller hinter sich zu bringen - die KI agiert hier sehr klug, man sollte diese Funktion nur nicht bei wandernden Monstern der Größe XXL einsetzen. Ansonsten bleibt es beim bekannten Interface, das euch auch eine zweiteilige Gefahrenanzeige bietet, damit ihr wisst, wie sicher ihr gerade seid.

Erleichtert wird euer Abenteuer später durch geomagnetische Felder, die euch nach ihrer Entdeckung schnelle Sprünge zurück in die Stadt sowie zurück zum gerade erkundeten Ort ermöglichen. In eurem städtischen Hauptquartier könnt ihr speichern und habt Zugriff auf die bekannten Örtlichkeiten, vom Gasthaus, der Taverne, dem Krankenhaus über den Händler bis hin zur Abenteurergilde und dem fürstlichen Palast. Außerdem dürft ihr jetzt auch Items gegen einen Aufpreis einlagern.

   

Fazit

Ja, das riecht eher nach einer Erweiterung als einem echten Nachfolger. Ja, die Story lässt zu wünschen übrig und technisch macht man auch kaum Fortschritte. Aber schon der Vorgänger hat mir mit seinem nostalgischen Charme den Sommerurlaub versüßt. Und dieser Nachfolger wird meinen DS im Herbst begleiten. Zwar hat Atlus das Spielprinzip quasi 1:1 übernommen, aber an den richtigen Stellen ergänzt und verfeinert: Es gibt mehr Auswahl an Klassen, ein etwas komfortableres Interface sowie noch mehr Anspruch im ohnehin hervorragenden rundenbasierten Kampfsystem. Trotz aller Nostalgie, sanfter Fantasyklänge und märchenhafter Kreaturen bleibt Etrian Odyssey eines der anspruchvollsten und umfangreichsten Rollenspiele auf dem DS. Ersteres liegt weniger darin begründet, dass man die Monster nicht besiegen kann, sondern eher darin, dass man sehr viel Geduld braucht, um seine Party schlagkräftig auszubauen und zu zu entwickeln. Wer zu schnell zu hoch aufsteigen will, wird nur Leichen nach Hause tragen. In der Ruhe liegt hier die Kraft. Und genau das sorgt im Gegensatz zum gewöhnlichen Hack'n Slay-Kram für eine hohe Langzeitmotivation, die mich immer wieder nach Yggdrasil führt. Und noch hab ich die schwebende Burg nicht gefunden...

Pro

Bard's Tale mit Anime-Flair
verzweigte Labyrinthe
Fallen & besondere Ereignisse
taktische Rundenkämpfe
aktives Kartographieren
freies Party-Management
gutes Rohstoff- & Warensystem inklusive Erntelimit
jederzeit in der Stadt speicherbar
Karte wird auch bei Tod gespeichert
fordernder Schwierigkeitsgrad
NEU: drei Klassen (Kampfmagier, Schütze Biest)

Kontra

eher Add-On als Neuanfang
Story, wo bist du?
Rätsel, wo seid ihr?
auf Dauer monotones Hin & Her zwischen Stadt & Dungeon
nur mittelprächtige Kulisse mit wenigen Animationen

Wertung

NDS

Ideal für Dungeonwühler alter Schule - Karte zeichnen, Party managen, Labyrinthe erforschen!

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