Okamiden21.03.2011, Jörg Luibl
Okamiden

Im Test:

Vor knapp vier Jahren erschien auf der PlayStation 2 ein Abenteuer, das mit seiner Mischung aus künstlerischer Klasse und kreativem Spieldesign selbst Zelda übertraf. Die Mythologie des alten Japan wurde mit jedem Pinselstrich und jedem skurrilen Charakter im zauberhaften Okami lebendig. Jetzt ist der offizielle Nachfolger auf dem DS erhältlich. Kann man das Meisterwerk fortführen?

Tragischer Mythos

Okami gehört für mich zu den besten Action-Adventures aller Zeiten. Es steckt voller Kreativität und Seele, voller Erkundungsreize und Überraschungen, voller Charme und Witz, es ist auch noch episch und fordernd. Was will man mehr? Dass die Entwickler dieser Qualität belohnt werden! Dass sie nicht nur von Kritikern gefeiert, sondern auch vom finanziellen Erfolg gekrönt werden, damit sie weiter machen können. Das Tragische war damals: Schon vor (!) dem Release in Europa wurde das verantwortliche Clover Studio von Capcom im Oktober 2006 geschlossen, die späteren Verkäufe waren bescheiden.

War das zu viel der virtuellen Kunst für den Ottonormalkäufer? Wie auch immer: Auch deshalb erscheint der offizielle Nachfolger dieser Tage leider "nur" auf dem DS - nicht auf Wii, PlayStation 3 oder Xbox 360. Selbst wenn die Entwickler damals meinten, das läge an der außergewöhnlichen Touchtechnik des Handhelds, hörte sich das eher nach einer Ausrede an; schließlich funktionierte das Malen auch auf PS2 sehr gut und im Zeitalter von Remote, Move und Kinect könnte man da sicher auch dem Stylus etwas Paroli bieten.

Immerhin hat sich nach vier Jahren scheinbar der Ruhm des Abenteuers gehalten, so dass Capcom die Geschichte um das Schicksal des mythologischen Nippons fortführt. Was ist geschehen? Nicht mal ein Jahr nach der glorreichen Rettung der Welt legt sich erneut eine dämonische Finsternis über das Land. Erneut müssen die Götter eingreifen, um die Bevölkerung vor den Dämonen zu retten. Man dreht sich also erzählerisch im Kreis des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse, nur dass diesmal die kleinen Götter und die Kinder der ehemaligen Helden einspringen müssen.

Chibiterasu - die kleine Sonne

Idyllische Kirschbaumblüte: Man kann erneut über die Magie des Pinsels die Bäume erblühen lassen.
Das schwere Erbe wird künstlerisch hervorragend getragen: Okamiden (ab 95,99€ bei kaufen) ist quasi der kleine Bruder des großen Vorbilds, der das Artdesign der schwarzen Pinselstriche und der ebenso witzigen wie skurrilen Spielwelt nahtlos fortführt. Man spielt den kleinen weißen Wolf Chibiterasu, das Kind der Göttin Amaterasu, den man sofort in sein Herz schließt - er ist putzig, bissig und angenehm lebendig animiert. Es macht einfach Spaß, ihm und seinen Bewegungen zuzuschauen.

Sobald er losläuft, sprießen wie im Original hinter ihm Blumen aus der Wiese, er kann springen, einen Partner als Reiter aufnehmen und mit diversen göttlichen Waffen angreifen. Es scheint in der ersten Stunde fast so, als würde Clover Studio verantwortlich zeichnen: Egal ob Landschaft oder Soundkulisse, Kreaturen, Waffen oder Menüs - Okamiden ist wie ein einziges Déjà-vu, wenn man den Vorgänger auf PS2 oder Wii kennt. Lediglich kleine technische Macken trüben später das Bild, wenn Gegenstände verspätet ins Bild springen oder die Bildrate manchmal etwas ausgebremst wird.

       

Wolf und Reiter im Duett

Das Spiel ist komplett Englisch; nur die Anleitung ist auch auf Deutsch verfügbar.
Aber es gibt auch Unterschiede, denn die Welt ist natürlich kleiner, die Dungeons begrenzter und man ist hier als kooperatives Duo unterwegs. Es wird unterm Strich etwas mehr gerätselt und außerdem werden Charaktere gewechselt. Zu Beginn reitet z.B. Kuni, der Sohn des trinkfreudigen Samurai, auf Chibiterasu; später kommen andere Kinder bekannter Okami-Charaktere mit anderen Fähigkeiten hinzu - während Kuni ordentlich zuschlagen kann, können andere schwimmen oder musizieren, was natürlich in bestimmten Gebieten erforderlich ist.

Drücke ich X, kann der jeweilige Reiter absteigen und die Gegend erkunden. Allerdings muss ich ihm den Weg über wacklige Brücken oder an Wasserfällen vorbei mit dem Stylus vorzeichnen; dann entsteht eine rote Linie, vom ersten bis zum letzten Druckpunkt. Leider muss man das des Öfteren wiederholen, wenn der Weg nicht erkannt wird.

Sobald man eine Schultertaste drückt, wird wie gehabt die Zeit angehalten und die Spielwelt elegant vom oberen auf den unteren Bildschirm geschoben. Dann kann ich den magischen Pinsel schwingen, um die Welt zu verändern: Ein gemalter Kreis am Himmel lässt eine Sonne und damit Licht entstehen; etwas Zerstörtes kann mit geschickten Konturen wieder "ganz" gemalt werden; etwas Zerstörbares wie Baum oder Fels oder Feind kann mit einem Hieb geteilt werden.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Im Dorf bekommt man Nebenquests, indem man mit den Leuten spricht.
All das birgt theoretisch viel Potenzial für Rätsel, zumal man hier auch zu zweit unterwegs ist, sich trennen muss, damit der eine den Mechanismus bedient, während der andere weiter läuft. Und so betätigt man Schalter und Hebel, malt sich schreckliche Masken, legt Seen trocken oder schafft sich magische Brücken, sprengt Wände oder löscht Feuer. Hört sich gut an? Ist aber alles so flach wie eine Pfütze, man vermisst die Spieltiefe schmerzlich.

Denn  das kooperative Potenzial wird praktisch nicht wirklich ausgenutzt. Der Anspruch bleibt über weite Strecken des Spiels, sowohl in der Landschaft als auch und vor allem in den Dungeons, erschreckend gering. Wer Zelda auf dem DS gespielt hat, das ebenfalls das Trennen und Kooperieren eines Duos thematisierte, wird hier wirklich schwer enttäuscht. Und das kann man nicht mit dem DS als Plattform entschuldigen, denn nicht nur Nintendo hat vorgemacht, dass Action-Adventures auch im Miniformat hinsichtlich der Rätsel fordern können.

Hinzu kommt auf dem DS eine etwas fummelige Steuerung: Man bewegt seine Figur nicht mit dem Stylus, sondern mit dem Digikreuz, das oft für etwas zu ruckartige Richtungswechsel sorgt - erst auf dem 3DS kann man sich dank Analogstick etwas flüssiger bewegen. Nerviger ist, dass die Touchmalerei nicht immer auf Anhieb erkannt wird, so dass man selbst einfache Striche oder eben Kreise manchmal erneut ziehen muss; auch das ist auf dem DS schon besser gelöst worden.

    

Mythisches Knopfgehämmer

Gekämpft wird in der Arena: Wenn man pausiert, kann man mit Pinselhieben die Feinde beharken.
Der Kampf wurde ebenfalls deutlich vereinfacht: Obwohl das System der geschlossenen Arena dasselbe ist, trotz Timer und begrenztem Tuschevorrat, wirkt die Action zu eintönig und zu simpel. Meist reicht einfaches Knopfgehämmer, um die Dämonen des Landes zu besiegen. Das geschickte Ausweichen, die Partnerkombos oder der Einsatz des Pinsels als mächtige Hiebwaffe ist zunächst kaum nötig. Und wenn man später noch Feuer, Wirbelwind, Bomben und Blitze per Pinsel entfesseln kann, werden die normalen Gefechte noch leichter. Schön ist, dass man sie nicht zwingend alle bestreiten muss, denn es gibt für das Heilen der Umgebung oder Nebenquests bessere Belohnungen.

Wenn es mal kniffliger wird, dann liegt das an der wankelmütigen Kamera, denn man verliert schon mal die Übersicht und so mancher Feind attackiert aus dem Nichts. Selbst die ansehnlichen und mitunter bösartigen Bosse wie eine Hexenkönigin, sind zu schnell mit einfachen Routinen erledigt. Zwar imponieren sie auf dem DS mit ihrem Äußeren und verlangen auch etwas Taktik, aber auch hier muss man sich zu selten den Kopf darüber zerbrechen, was letztlich zum Erfolg führt.

Abenteuer mit Geheimnissen

Leider sind die Kämpfe selbst zu leicht - genau so wie die Rätsel.
Immerhin streift man die ganze Zeit über durch eine sehr ansehnliche Landschaft, durch Wälder und Pagoden, Tempel und Katakomben. Außerdem wissen einige Nebenquests zu unterhalten - es lohnt sich nicht nur, per magischem Pinsel wirklich alle Bäume zum Blühen zu bringen, hier mal Boote oder dort Aquarien zu reparieren, sondern auch kleine Kurieraufträge anzunehmen und sich überall umzuschauen. Findet man unterwegs Leute, kann man sie übrigens auf das Dorf Yakushi aufmerksam machen und einladen, sich dort anzusiedeln. Das sollte man auch beherzigen, denn es winken Belohnungen.

Man kann überhaupt sehr viele Gegenstände und Geheimnisse finden - egal ob Schriftrollen, Tierfiguren, Statuen, Münzen, Knochen, Schmuckstücke oder einfach Kreaturen für das Archiv. Und wer sucht, wird auch meist belohnt: Findet man fünf der neun Glücksmünzen, sollte man im Dorf beim Schmied vorbei schauen; mit dämonischen Überbleibseln kann man auch direkt seine Waffen verstärken, um mächtige Hiebe, magische Infernos oder alles vernichtende Bomben zu zünden. Und wer die richtigen Items ausrüstet, kann nebenbei mehr Geld bekommen.

     

Fazit

Das ist ohne Zweifel eines der schönsten Abenteuer für den DS. Capcom ist es gelungen, das großartige Artdesign, diese kreative Mischung aus Kalligraphie und Mythologie, aus skurrilen, putzigen und schrecklichen Kreaturen auf den Handheld zu übertragen. Auch das Verändern der Welt über Pinselstriche und die pausierbaren Gefechte gegen Dämonen in Arenen wurden wie vieles andere quasi kopiert. Wer das große Okami kennt, wird hier ein Déjà-vu nach dem anderen erleben, was natürlich neben der Nostalgie auch für eine gewisse Routine sorgt. Dass die Spielwelt nicht mehr so groß ist und es hier und da dennoch Slowdowns gibt, kann man aufgrund der vielen Geheimnisse verschmerzen. Aber weder die Rätsel noch die Kämpfe können auf Dauer fordern - all das ist viel zu einfach! Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil man mit der neuen kooperativen Erkundung theoretisch so viel Potenzial für clevere Teamherausforderungen in den Dungeons hatte. Warum hat man das bloß nicht genutzt? Dass man große Action-Adventures für den DS nicht auf kinderleichtes Niveau herunter entwickeln muss, hat ja nicht nur Zelda bewiesen. Leider deuten die Japaner nur ab und zu an, was spielerisch möglich ist, zumal die Touch- & Digi-Steuerung ihre Tücken hat, denn das Gemalte wird manchmal nicht erkannt und die Bewegung wirkt mitunter hektisch. Das ist unterm Strich immer noch ein charmanter, aber alles andere als grandioser Nachfolger. Schade, da war mehr drin!

Pro

unterhaltsame mythologische Story
charmante Spielwelt
sehr gute Musikuntermalung
putziges Artdesign
Rätsel im Duett
Reiter mit anderen Fähigkeiten
kreatives Touch-Malsystem
ansehnliche Bosskämpfe
einige interessante Nebenquests

Kontra

zu leichte Kämpfe - enttäuschend einfache Rätsel
fehleranfällige Touch-Erkennung
gelegentlich Kameraprobleme
fummelige Digi-Steuerung
kaum neue Pinseltechniken
sehr kleine Level

Wertung

NDS

Das ist unterm Strich immer noch ein unheimlich charmanter, aber alles andere als grandioser Nachfolger. Schade, da war mehr drin!

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.