Ghost Recon: Shadow Wars25.03.2011, Jörg Luibl
Ghost Recon: Shadow Wars

Im Test:

West gegen Ost? Weltpolizei und Ultranationalisten? Auch auf dem neuen 3DS werden alte Konflikte inszeniert: Ubisoft schickt Rundentaktiker in den Kampf gegen einen Fanatiker, der ein russisches Reich errichten will. Auf der Seite der Amerikaner führt man ein Team von Elitesoldaten an, damit ein zweiter Kalter Krieg oder Schlimmeres verhindert wird. Gibt es endlich Spieltiefe für den 3DS oder einen weiteren Schnellschuss für den 3D-Effekt?

Tom Clancy in Reinkultur

Eine klischeeschwere Story und Soldaten, die wie in einer Soap hinter den feindlichen Linien ihre Sprüche klopfen - Tom Clancy für Teenager dürfte die Qualität der Hintergrundgeschichte in etwa beschreiben, in der sich die Sanitäterin wie Mami um den hünenhaften Kanonier kümmert.

Auch wenn Ubisoft Sofia versucht, das pathetische Szenario ähnlich wie Intelligent Systems (Advance Wars) über etwas Witz sowie Team- und Beziehungstalk aufzulockern, gelingt das nur in einigen wenigen guten Dialogphasen. Es wirkt aber zu oft albern oder einfach unpassend angesichts der politischen Bedrohung, die man in den statischen Zwischensequenzen mit ernsten, alten und natürlich bösen Männern in Moskau aufzubauen versucht.

Aber was soll's? Schließlich ist das ein Spiel mit Spezialeinheiten, die man Runde für Runde in taktische Position bringt und in ihrer Ausrüstung sowie Fähigkeiten weiter entwickelt. Das hört sich doch an wie - richtig: Das weckt angenehme Erinnerungen an Jagged Alliance oder X-COM. Diese Klassiker stehen bis heute für die clevere Verknüpfung von Strategie und etwas Rollenspiel nach alter Rundenschule.

Jeder Schritt ist lebenswichtig: Bis zu sechs Mann steuert man durch gefährliches Gelände.
Kann Ubisoft diese Tradition fortführen? Die Voraussetzung dafür scheint gegeben: Schließlich zeichnet kein Geringerer als der Brite Julian Gollop für das Spieldesign verantwortlich, der kreative Vater von X-COM aus dem Jahr 1994. Aber bevor man das merkt, freut man sich erstmal über die Kulisse.

Ansehnliches Kriegsgebiet

Das Spiel zeigt bei voll aufgedrehtem 3D schon in den ersten Einsätzen seine Grafikmuskeln, denn die Kampfgebiete sehen klasse aus. Man muss den Handheld auch nicht lange justieren oder mit Abständen hantieren, man bekommt sofort ein scharfes 3D-Bild.

Die räumliche Tiefe lässt Nebel fast aus dem Bildschirm wabern, die Landschaften wirken körnig, die Architektur authentisch und vor allem die Partikeleffekte sorgen für Hingucker: Da qualmt ein Kampfhubschrauber vor sich hin, dort treibt der Wind feinen Sand vor sich her und später beeindrucken Explosionen.

Sehr gut lassen sich zudem Höhen und Tiefen im Gelände erkennen, die auch für die Deckung bzw. Schusslinien relevant sind. Ob man das allerdings mit oder ohne 3D-Effekt anzeigt, ist für die Taktik vollkommen egal. Wenn man in die totale 2D-Sicht schaltet, ist das lediglich eine kleine grafische Abschwächung, aber kein inhaltlicher Nachteil. In beiden Perspektiven kann man mit dem Analogstick sehr komfortable die Kamera schwenken oder fast in Vogelperspektive heben, um sich umzusehen. In beiden kann muss Entfernungen und Positionen ohnehin über Feldanzeigen und nicht über Augenmaß bestimmen.

     

Rundentaktik alter Schule

Deckung suchen ist Pflicht: Wer zu schnell vorprescht, ist Geschichte.
Man führt ein Team von sieben Soldaten mit individuellem Charakter und militärischen Stärken an, die bis zu 16 Ränge aufsteigen können. Darunter ein Spezialkämpfer, ein Scharfschütze, ein Kanonier, eine Sanitäterin, eine Kundschafterin, ein Ingenieur sowie ein Anführer, der nicht selbst ins Feld zieht, sondern aus dem Hauptquartier heraus Anweisungen erteilt. Es gibt etwa 60 Missionen, die nach und nach auf einer Satellitenkarte angezeigt werden und Koordination im Team verlangen. Zu Beginn ist man nur mit zwei Ghosts unterwegs, weitere stoßen hinzu bzw. werden befreit, so dass man später mit maximal sechs Soldaten agiert.

Im Gefecht bewegt man sich dann über das Steuerkreuz wie auf einem Schachbrett und kann danach entweder schießen, sich oder andere heilen, einen Gegenstand wie Munition oder Medikit nutzen oder ein Geschütz auf- bzw. abbauen. Und diese Möglichkeiten reichen aus, um ein überaus unterhaltsames militärisches Katz- und Mausspiel zu inszenieren. Schön ist, dass man nicht nur hinter Bäumen oder in Büschen besser gedeckt ist, sondern auch in Gebäuden - dort kann man sich quasi verschanzen und es länger aushalten. Schade ist, dass das nicht auch in den ansonsten guten Animationen besser verdeutlicht wird und dass die Schusslinien nicht immer konsequent gelten; man kann auch mal durch seine Leute hindurch anvisieren.

Reichweite und Deckung

Zwei Waffen stehen jedem Soldaten zur Verfügung, hinzu kommt eine Panzerung. Vor einem Zug sollte man sich natürlich die maximale Distanz sowie die Schussreichweiten der Feinde anzeigen lassen, damit die eigene Gesundheit von Treffern nicht zu schnell dezimiert wird. In späteren Gefechten ist es entscheidend, dass man nicht zu früh und ohne Team- oder Geländedeckung nach vorne prescht. Ob man selbst aus der gewünschten Position treffen kann, wird praktischerweise direkt auf dem Feld angezeigt. Außerdem spielt die Höhe des Geländes eine Rolle: Wer von oben feuert, bekommt z.B. einen Schadensonus - sehr schön.

Trotz dieser lobenswerten Differenzierungen kommt es gelegentlich zu seltsamen Situationen, in denen man z.B. nicht weiß, warum man selbst nicht feuern darf, während der Gegner trotz identischer Sichtlinie scheinbar durch Hindernisse wie Felsen ballern darf. Aber diese Irritationen halten sich in Grenzen, zumal man sich über weitere Finessen freut: Etwa, dass Granaten über Mauern geworfen werden können und dass Mörser eine andere Flugbahn aus der Höhe aufweisen. Oder dass der Kanonier mit seinem schweren MG auch ein Unterdrückungsfeuer einleiten kann: Macht deutlich weniger Schaden, sorgt aber dafür, dass feindliche Scharfschützen in der nächsten Runde nicht anlegen dürfen - sehr nützlich!

Sehr wichtig ist auch das direkte Zurückschießen sowie das Unterstützungsfeuer. Wer sich zu nahe an den Feind wagt, wird noch in seinem eigenen Zug beschossen; und wer sich zu nahe an mehrere wagt, wird in ihrem Kreuzfeuer durchsiebt - auch diese Todeszonen kann man sich vor seinem Zug anzeigen lassen. Für die eigene Teamtaktik sind diese sofortigen Riposten natürlich genauso relevant, denn nur der Spezialkämpfer und der Kanonier können den Feind derart unter Druck setzen. Es lohnt sich also, viele Gegner eher mit diesen beiden zu stellen und die Sanitäterin zwecks Heilung sowie den Scharfschützen direkt dahinter zu postieren.

    

Der mächtige Superschuss

Den Scharfschützen sollte man weiter hinten postieren - jeder Schaden hängt von Reichweite und Waffe ab.
Es gibt drei Entfernungen nah, mittel und weit, wobei die Wahrscheinlichkeit für sowie die Intensität eines Treffers auch von der Waffe abhängt: Wer mit einer Pistole einen Feind in weiter Distanz anvisiert, macht weniger Schaden als aus nächster Nähe. Bei jedem eigenen Treffer steigt übrigens eine Leiste, die bei vollständiger Füllung einen Superschuss ermöglicht, der z.B. dreifachen Schaden anrichtet - ideal, um einen stärkeren Anführer zu beharken, denn man muss des Öfteren einen Offizier eliminieren. Allerdings wird der auch so schnell aufgeladen, dass man den KI entscheidend überlegen ist.

Je nach Charakter kann man auf exklusive Waffenkombos zugreifen - nur der Kanonier besitzt z.B. ein Maschinengewehr, nur der Spezialkämpfer einen Raketenwerfer, nur der Ingenieur Drohnen und Geschütze. Das ganze Arsenal moderner Waffen von der Pistole bis zur Granate ist ansonsten verfügbar, aber interessanter sind natürlich die Spezialfähigkeiten: Die Kundschafterin kann sich z.B. optisch tarnen, Sprengsätze legen und wird erst entdeckt, wenn Feinde direkt vor ihr stehen; die Sanitäterin kann mit dem Medikit heilen und der Ingenieur repariert oder postiert tödliche Geschütze. Die Qual der Wahl hat man, wenn man nur drei oder vier der sechs Kämpfer einsetzen darf.

Meist geht es in den Aufträgen konventionell und projektilgeladen zur Sache - man muss eine bestimmte Zahl an Feinden eliminieren, Stellungen halten, Zivilisten retten, rechtzeitig Punkte im Gelände erreichen oder Ziele zerstören - schön ist, dass der eigene Trupp auch mal von einheimischen Rebellen bzw. Polizisten aufgefüllt wird, die man selbst steuern kann. Ein Hauch von Science-Fiction weht, wenn man Kampfroboter mit EMP-Granaten außer Gefecht setzt. Im Laufe der Kampagne gibt es auch den Einsatz von Fahrzeugen sowie übergeordnete strategische Boni wie z.B. Luftunterstützung. Dafür braucht man Kommandopunkte, die man beim Halten von Flaggen gewinnt. Das hört sich zwar nach Advance Wars an, aber dessen Vielfalt und Komplexität erreicht dieses Spiel trotz lobenswerter Ansätze nicht.

PES = "Persistent Elite Creation"

Nach jedem Auftrag bekommt man je nach vorher gewähltem Schwierigkeitsgrad und Einsatzleistung einiges an Erfahrung (PEC-Punkte), eine Zahl an Adlern in Bronze, Silber oder Gold sowie Sterne. Allerdings lässt sich selbst auf "Elite" nahezu jede Mission auf Anhieb meistern, wenn man etwas Erfahrung mit Rundentaktik hat und sich an die Reichweiten hält.

Mit den Belohnungen schaltet man automatisch spezielle Missionen für den freien Kampfmodus frei (nur Kanoniere gegen Scharfschützen etc.) und kann sie manuell einsetzen, um seine Soldaten aufzustufen. Leider geht es hier in einer Einbahnstraße ohne Abzweigungen vorwärts und nach den ersten Missionen kann man mit den Sternen lediglich die Lebenspunkte seiner Ghosts erhöhen, was langweilig ist. Erst später kann man die Waffen und Fähigkeiten verbessern.

Neben der Kampagne kann man sich auch an einzelnen Kampfmissionen versuchen und dort Erfahrung gewinnen. Schließlich gibt es noch einen enttäuschend mageren Mehrspielermodus, den man an einem 3DS ohne Optionskomfort austragen muss. Sprich: HotSeat. Man kämpft auf einzelnen Karten mit vorgefertigten Ghosts, indem man den 3DS nach seinem Zug weiter reicht. Warum kann man nicht eigene Teams erstellen? Warum gibt es nicht wenigstens die Möglichkeit lokaler WiFi-Gefechte? Über das Internet kann man sich ebenfalls nicht messen; auch Online-Ranglisten sind Fehlanzeige.

  

Fazit

Sieht klasse aus, besitzt taktische Tiefe, macht Laune! Egal ob Sichtlinie, Reichweiten, Schadenmodifikation, Unterstützungsfeuer, Spezialfähigkeiten oder Deckungsboni - man merkt, dass der X-COM-Vater seine Finger im Spiel hatte, denn man muss jeden Schritt planen und clever als Team arbeiten. Schade nur, dass Julian Gollop scheinbar mit angezogener Handbremse für den 3DS entwickelt hat: Die taktischen Möglichkeiten im Gelände sind zwar lobenswert und werden behutsam für Einsteiger erweitert, aber besonders überrascht wird man nicht und es gibt kleine Inkonsequenzen. Außerdem werden Veteranen des Genres erst spät einigermaßen gefordert und die Charakterentwicklung ist eine Einbahnstraße, in der man nicht experimentieren kann. Hinzu kommt die rundentaktische Konkurrenz aus alten DS-Zeiten: Spiele wie Fire Emblem haben Story und Charaktere besser inszeniert, Spiele wie Advance Wars neben deutlich mehr Spielmodi und Komplexität auch innovativere Zeichen auf dem Schlachtfeld gesetzt; auch der magere Mehrspielermodus ernüchtert. Aber genug gemackert, denn Ubisoft sorgt mit Splinter Cell und diesem Titel wenigstens für etwas Qualität im enttäuschenden 3DS-Lineup: Das ist zwar kein Jagged Alliance, aber wer Rundengefechte alter Schule mag und die Tom Clancy-Story samt Teenagertalk ignorieren kann, wird hier gut und ansehnlich unterhalten - der 3D-Effekt bringt zwar spielerisch keinen Vorteil, kommt im Gelände aber hervorragend zur Geltung: Shadow Wars ist eines der schönsten Spiele zum Start.

Pro

klasse Grafik & 3D-Effekt
gut inszenierte Rundentaktik
abwechslungsreiche Missionen
sechs individuelle Kampfklassen
Charakter- & Fähigkeitentwicklung
Sichtweite, Höhen & Deckung wichtig
Kampagne & Einzelgefechte
Kommandopunkte für Unterstützung
komfortable Steuerung & Kamera
Vehikel- und Geschützeinsatz

Kontra

belanglose Story & kitschige Dialoge
Elite-Missionen zu leicht lösbar
Charakterentwicklung zu linear
ganz schwacher Mehrspielermodus

Wertung

NDS

Wer Rundengefechte alter Schule mag und die Tom Clancy-Story samt Teenagertalk ignorieren kann, wird hier gut und ansehnlich unterhalten

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