ANNO 1701 DS14.06.2007, Mathias Oertel
ANNO 1701 DS

Im Test:

Die Siedler. Age of Empires. Anno. Drei Erfolgs-Serien. Drei Strategie-Bomben auf PC. Drei viel versprechende Versuche, einen großen Namen auf dem kleinen DS zu etablieren. Während die Blue Byte-Wusler noch etwas auf sich warten lassen, konnten die Age of Empires-Könige für unterwegs einen Gold-Award einheimsen. Kann Anno 1701 den Aufwärtstrend der Strategie für unterwegs fortsetzen? 

Das alte Leid

"Nur noch ein halbes Stündchen". Dieser Satz ist zu einem permanenten Begleiter und meiner Lieblingsausrede geworden, seitdem ich mit Anno 1701 auf dem DS angefangen habe. Und es kommt, wie es kommen muss: Aus 30 Minuten werden 32, daraus 45 und bevor ich mich versehe, ist das Abendessen kalt, der Weißwein warm und der Mond schon lange hinter Wolken verschwunden. Das Anno-Fieber hat mich gepackt - mal wieder. Und das verdammt noch mal, nicht am PC, wo ich ausufernd prachtvolle Kulissen sowie eine komfortable Steuerung genießen könnte. Nein: Ausgerechnet auf dem DS werde ich wieder zum Annoholiker.

Oben der kontextsensitive Info-Schirm, unten die Spielwelt sowie das übersichtliche Menü: Einfach, praktisch, gut!
Großer Bruder, kleine Schwester?

Wie kommt es, dass ich nicht genug von der zweidimensionalen Iso-Grafik bekommen kann, die in ihren Grundstrukturen eher an das allererste Anno 1602 erinnert als an einen Ableger des nicht mit schnieker Optik geizenden PC-Spiels, das 2006 bei uns mit einer 88 Prozent-Wertung nur knapp am Platin vorbei schrammte.

Des Rätsels Lösung: Das Team von Keen Games hat sich nicht darauf verlassen, das PC-Spiel zu kopieren oder in leicht beschnittener Form DS-kompatibel zu gestalten. Stattdessen hat man alles von Grund auf neu gestaltet und optimiert: Kampagne, Karten, Wirtschaftskreisläufe, Steuerung. Natürlich orientiert man sich bei allen wesentlichen Mechaniken am großen Rechenknecht-Bruder.

Das bedeutet aber nicht, dass Anno für unterwegs an Komplexität verloren hat. Nach wie vor ist es eure Aufgabe, Inseln zu besiedeln und eure Stadtbewohner möglichst wunschlos glücklich zu halten. Doch das ist einfacher, als es sich anhört. Denn habt ihr erst einmal die Grundversorgung mit Baumaterial und Nahrung sichergestellt, steigen eure Bürger im Rang auf und können sich über mehrere Stufen bis zu Aristokraten entwickeln. Jede der insgesamt fünf Stufen bringt aber gestiegene Forderungen und Wünsche mit sich. Da ihr zusätzlich auch noch eure Gelder im Auge behalten müsst und lange nicht alle der Rohstoffe auf eurer Heimatinsel wachsen, seid ihr entweder zum Handel oder aber zu Kolonisierung andere Eilande gezwungen. Mit dem sorgsamen Anpassen der Steuern, Naturkatastrophen, Piraten sowie Übergriffen anderer Kolonisateure seid ihr ebenfalls konfrontiert.

Und schwupps: Wollte ich gerade nur noch dafür sorgen, dass ich meiner Plantage genügend Platz einräume, um den Sprung in die nächste Bevölkerungsstufe zu schaffen, ertappe ich mich, ich weiß gar nicht wie viel später dabei, dass ich unterwegs bin, um mich auf zwei weiteren Inseln breit zu machen und das nächste Kapitel der insgesamt gut 20 Stunden dauernden Kampagne in Angriff zu nehmen.    

Klein und übersichtlich?

Einen großen Anteil an dem "Noch eine halbe Stunde"-Faktor hat auch die DS-optimierte Steuerung und die Darstellung, der vor allem im fortgeschrittenen Stadium auch der Wuselfaktor nicht abzusprechen ist.

Dabei wird der untere Bildschirm für die Spielwelt und die sparsam an der rechten Seite platzierte Menüstruktur genutzt, während der obere mit kontextsensitiven Informationen gefüllt wird. Dank des fast schon zu langen Tutorials sowie der umfangreichen integrierten und querverlinkten Enzyklopädie kommt man auch ohne Handbuch-Studium schnell hinter die Geheimnisse der Warenwirtschaft. Bereits nach kurzer Zeit fließt der Gebäudebau schnell und intuitiv aus dem Stylus.

Bis ihr eure Bevölkerung zufrieden stellt, ist es ein weiter Weg.
Gleiches kann man leider nicht über den etwas unglücklichen Straßenbau sagen: Denn anstatt intuitiv ein "Bau-as-you-go" praktiziert, also ein direktes Verlegen der Straßenbauplatten mit jedem Quadrat, über das ich den Stylus ziehe, gibt es ein "Zwei-Fahnen-System". Das bedeutet, dass ich zwei Fahnen auf dem Bildschirm platziere und zwischen diesen die Straße aufgeschüttet wird.

Zusammen mit der leider auch nicht in 90- oder 180-Grad-Schritten drehbaren Kamera und selbst in der nahen der zwei Zoomstufen hat man vor allem in der Anfangsphase Schwierigkeiten, Straßen auf Anhieb miteinander zu verbinden.

Nach einigen Bauversuchen hat man dann zwar den Dreh raus, doch angesichts der ansonsten guten Benutzerführung bleibt ein schales Gefühl zurück.     

Dass bei mir auch hinsichtlich der über Icons ablaufenden Schiffssteuerung ähnliche Schwierigkeiten auftauchen, soll die Leistung von Keen Games nicht schmälern. Denn das Team hat es geschafft, die Komplexität der Rechenknecht-Variante in jeder Hinsicht zu vereinfachen, ohne dass das Spiel zu einem "einfachen" Erlebnis wird. Man muss immer noch verteufelt viel beachten und wird stets gefordert. 

Bei den eher unspektakulären Kämpfen habt ihr kaum Einflussmögichkeiten. Der Aufbau steht im Vordergrund.
Aufbau statt Kampf

Das betrifft allerdings weniger kriegerische Auseinandersetzungen, die man zwar auch hier unter Umständen ausfechten muss, die aber hinter dem Aufbau und der Suche nach den idealen Wirtschaftskreisläufen nur die dritte Geige spielen. 

Dementsprechend spartanisch laufen Invasionsversuche ab: Anstatt wie bei Age of Empires jederzeit die Kontrolle über eure Truppen zu haben und quasi auch überall auf der Karte kämpfen könnt, wird in Anno 1701 alles limitiert.

Ihr könnt Truppen zu bestimmten Einsatzpunkten schicken bzw. zur Verteidigung an diesen Punkten stationieren. Trefft ihr auf Feinde läuft der Kampf weitestgehend automatisch ab. 

Zwar kann man darüber hinweg sehen, doch gerade hinsichtlich des Mehrspieler-Modus wird mit dem "Kampfsystem light" Potenzial verschenkt.

Wobei man generell auch hier wenig aussetzen kann: Bis zu vier Spieler können sich als Kolonialmeister beweisen und unter verschiedenen Siegbedingungen mit zahlreichen Grundoptionen bekriegen. Allerdings braucht jeder Teilnehmer ein eigenes Modul. Selbst ein kleines "Schnellsiedel"-Gamesharing-Modell hat keinen Platz mehr gefunden - schade!

Dazu kommt, dass Anno prinzipiell nicht für ein schnelles Spielchen zwischendurch geeignet ist. Selbst mit Ideal-Optionen ist man ein ganzes Weilchen beschäftigt, bis die eigene Siedlung so weit aufgebaut hat, dass eine Begegnung mit den anderen Spielern lohnt oder Erfolg verspricht.

Wer nicht so lange warten möchte, bzw. nicht immer mit drei Freunden um die Wette siedeln will, kann alternativ auch gegen die insgesamt zufrieden stellende, aber letztlich doch berechenbare KI in einem Endlosspiel sein Glück versuchen.

Hui oder pfui?

Dass es Keen Games nicht gelingen wird, die prächtige Kulisse der PC-Version des Namenskollegen auf den DS zu bringen, war klar. Dennoch war ich mir anfangs unschlüssig, ob ich die für Handheld-Kulisse verantwortlichen Grafiker jetzt beglückwünschen oder verdammen sollte.

Denn der erste Eindruck ist unspektakulär. Zweidimensional. Isometrisch. Es wirkt altbacken. Doch je länger ich gespielt habe, umso mehr habe ich mich in der handheldschen Anno 1701-Welt wohl gefühlt. Zum einen, weil die Kulisse insgesamt an den Anno-Urahn erinnert, der sich sehr lange auf meiner Festplatte breitgemacht hat. Zum anderen, weil man immer mehr Feinheiten wahrnimmt. Vor allem im etwas fortgeschrittenen Stadium kann man auf seiner Insel scrollen, wohin man will und überall bewegt sich etwas. Seien es nun die Fischer, die zum Angeln ablegen, die Transporteure, die Waren verteilen oder auch der Vulkan, der als eine von zahlreichen Katastrophen ansehnlich dafür sorgt, dass meine mühsam aufgebaute Stadt fast dem Erdboden gleich gemacht wird - ich hätte wohl eine bessere Brandbekämpfungs-Versorgung aufbauen müssen...

Keine Videosequenzen: Die Zwischensequenzen werden in gezeichneten Standbildern präsentiert.
Im Gegensatz zum vielleicht nicht pompösen, aber dennoch stimmigen Eindruck der Spielwelt, hinterlässt die übrige Präsentation zwiespältige Gefühle. Einerseits bekommt man bei z.B. bei den Beratern fein animierte Gesichter zu sehen. Andererseits wird die Geschichte in der Kampagne nur durch Standbilder erzählt. Dass diese zweifellos eine gehobene Qualitätsstufe besitzen, mindert die Enttäuschung zwar etwas. Doch auch Nintendos Handheld hat bereits unter Beweis gestellt, dass Videosequenzen kein Problem mehr sind.

Akustisch hat man sich vor allem hinsichtlich der bei den DS-Spezialisten von Shin´en entstandenen Musikuntermalung ins Zeug gelegt. Auf lange Sicht hätte Anno 1701 zwar ein paar Melodien mehr vertragen können, da man auf übliche Soundeffekte wie z.B. Holzfälleräxte oder Steinmetz-Gehämmer genauso verzichtet hat wie auf Sprachausgabe und man auf die Musik angewiesen ist, wenn man nicht komplett lautlos spielen möchte. Doch dafür orientieren sich die orchestralen Kompositionen an denen der PC-Serie und sorgen so für eine geruhsam angenehme und vor allem unaufdringliche Grundstimmung.   

Fazit

Ausgerechnet ein DS-Spiel sorgt bei mir wieder für dunkle Augenringe und schlaflose Nächte. Anno 1701 ist nach Age of Empires ein weiteres hervorragendes Beispiel dafür, dass eine PC-Franchise in den richtigen Händen auch auf Nintendos Kleinem einschlagen kann wie eine Bombe. Keen Games hat es geschafft, die Anno-Essenz einzufangen, für den Stylus aufzubereiten und ansprechend umzusetzen. Selbst kleinere und größere Mankos wie der gewöhnungsbedürftige Straßenbau oder die Ein-Modul-Pro-Spieler-Politik können zwar am Spielspaß nagen, den Gold-Award aber letztlich nicht gefährend - Qualität ist nicht totzukriegen. Allerdings wäre noch mehr möglich gewesen, wenn man zusätzlich zum Suchtpotenzial beim Iso-2D-Design der Spielwelt auch einen drehbaren Bildausschnitt ermöglicht hätte und sich nicht nur auf Musik, sondern auch Soundeffekte verlassen hätte, um Stimmung zu erzeugen. Mehr Eingriffsmöglichkeiten im Kampf hätten vor allem im Mehrspieler-Modus für Wunder sorgen können. Andererseits können sich alle Kampftaktiker auf das in dieser Hinsicht umfangreichere Age of Empires stürzen. Als reine Aufbaustrategie ist Anno 1701 auch in der Handheld-Variante eine Klasse für sich und setzt eine Duftmarke, die für kommende Spiele schwer zu erreichen sein dürfte.

Pro

Wuselfaktor
einfache Stylus-Bedienung
übersichtliche Benutzerführung
umfangreiche Wirtschaftskreisläufe
Mehrspieler-Modus mit zahlreichen Optionen und Siegbedingungen
komplexe Aufbau-Strategie leicht gemacht
Hotkeys konfigurierbar
umfangreiches Tutorial

Kontra

etwas zäher Einstieg
Straßenbau gewöhnungsbedürftig
suboptimale Schiffssteuerung
kein Game-Sharing
Bildausschnitt nicht drehbar

Wertung

NDS

Auch auf dem DS ist Anno 1701 das Aushängeschild für gelungene Aufbaustrategie...

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