S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl12.09.2004, Marcel Kleffmann
S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl

Special: Entwicklertagebuch Teil 2

Neben Half-Life 2 gehört S.T.A.L.K.E.R. Shadow of Chernobyl zu den am heißesten erwarteten Actionspielen überhaupt. Doch bevor wir uns selbst in ein verseuchtes Tschernobyl der nahen Zukunft stürzen, erzählt Alexei Sytyanov in seinem zweiten Entwicklertagebuch, worauf wir uns freuen dürfen und wo genau die Besonderheiten des Spiels liegen.

Entwicklertagebuch Teil-2

Alexei Sytyanov, Game Designer

GSC Game World

"Die Hintergrundgeschichte und das Spielkonzept, die S.T.A.L.K.E.R. zugrunde liegen, sind inzwischen allgemein bekannt: wir gehen von den halbwegs gesicherten Erkenntnissen aus, die zur Ursache des Reaktorunglücks von 1986 vorliegen, und verbinden diese mit den zahlreichen Verschwörungstheorien, die nach der Katastrophe aufkamen. Für diejenigen unter uns, die noch nichts von der Katastrophe von Tschernobyl gehört haben, sei soviel gesagt, dass die letzten beiden Jahrzehnte des letzten Jahrtausends von der Explosion des Atomreaktors von Tschernobyl und dessen Folgen geprägt waren. Der Fallout – im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinne – des größten industriellen und ökologischen Unglücks in der Geschichte war entsprechend. Dadurch dass wir nur etwa 100 km vom Ort der Katastrophe entfernt leben, haben die Mitarbeiter in unserem Team die Konsequenzen des Störfalls aus erster Hand mitbekommen. Die Idee zu S.T.A.L.K.E.R. erwuchs schließlich aus der Vorstellung einer sich selbst überlassenen Sperrzone – einer Art Hölle, in der Überleben oberste Priorität hat!

In der Hintergrundgeschichte zum Spiel gehen wir davon aus, dass sich am 12. April 2006 eine zweite Reaktorkatastrophe in Tschernobyl ereignet hat, die zu der Entstehung des verseuchten Gebiets mit all seinen Anomalien und mutierten Wesen geführt hat. Das Spiel ist daher zugleich auch eine nachdrückliche Warnung vor den potenziellen Gefahren der Atomkraft. Von diesen Überlegungen ausgehend, haben wir hart daran gearbeitet, um eine glaubwürdige Spielumgebung zu erschaffen, die den ganzen Schrecken eines solchen Ortes widerspiegelt. Ein ungeheures Gefühl der Leere liegt über der verdorrten Erde mit ihren giftigen Nebeln, tödlichen Anomalien und psychotropischen Einflüssen. Die pervertierte Form der Natur in der Sperrzone kann den Hunger der Wesen, die dort leben, nicht mehr stillen. Die Zone ist kein Ort, an dem die Menschheit mit ihren humanitären Werten willkommen ist.__NEWCOL__

Eines unserer Hauptziele bei der Programmierung von S.T.A.L.K.E.R. war die präzise Nachbildung der Zone. Sie entspricht einer hochdetaillierten Rekonstruktion von Tschernobyl und seiner Umgebung. Wir haben über 30 Quadratkilometer auf Grundlage zahlreicher Foto- und Videoaufnahmen authentisch reproduziert. 60 - 70 % von dem, was der Spieler in S.T.A.L.K.E.R. zu sehen bekommt, ist in nahezu jedem Detail absolut realistisch. Die gewaltigen Kühltürme, das verlassene Straßennetz, die trostlosen mehrstöckigen Gebäude aus der Sowjetzeit, zerstörte Schaufensterscheiben, verfallene Werkstätten und umgestürzte Telefonzellen – um nur einige Details zu nennen – sind alle im Spiel enthalten und erzeugen durch ihre realistische Nachbildung eine absolut glaubwürdige 3D-Umgebung. Selbst das Innere des Kraftwerks und des Sarkophags wurde nachgebildet und wird im Spiel zugänglich sein. Details hatten für uns oberste Priorität, wenn wir mit der Erschaffung einer glaubwürdigen Spielwelt Erfolg haben wollten.

Die Umgebung und Levels von S.T.A.L.K.E.R. bilden zusammen ein zusammenhängendes Gebiet, das der Spieler ohne Beschränkungen erkunden kann. Diese Freiheit schließt auch die beiden Städte Prypjat und Tschernobyl mit ein und gibt dem Spieler Zugang zu über- und unterirdischen Laboranlagen und ausgedehnten verlassenen militärischen Stützpunkten, in denen alle möglichen Experimente ausgeführt wurden. Von Entwicklerseite aus ist es eine gewaltige Herausforderung, einen solchen Grad an Freiheit und Komplexität in einem Spiel zu realisieren und dabei alle Stellen der Spielwelt gleichermaßen interessant zu gestalten. Die typische Architektur aus der Sowjetzeit der 60er-Jahre (in der UdSSR bekannt als "khushevkas”) prägt einen Großteil der Ruinen im Zentrum der Stadt, das sich um die typische Lenin-Statue und andere Gebäude im kommunistischen Stil gruppiert. Dieser Stil fängt die Schönheit einer Umgebung ein, in der die Zeit stehen geblieben ist – kurz bevor sich die Welt extrem verändert hat. Der Spieler hört, sieht und spürt diese unverwechselbare Atmosphäre in der gesamten Zone, während sie ihn dazu bringt, jeden Winkel zu erforschen und sich den tödlichen Gefahren zu stellen, die von ihren Bewohnern ausgehen.

Unseren hohen Realitätsanspruch haben wir auch auf die umgebende Landschaft übertragen. Eine fortschrittliche Grafikengine ermöglicht eine hochdetaillierte Umgebung, in der Wiesen und Wälder von Wind beeinflusst werden und Schatten sowie Gewitterblitze dem Spiel eine besondere dynamische Komponente verleihen. Unsere selbst entwickelte X-Ray-Engine ermöglicht nicht nur begrenzte Innenlevels, sondern auch riesige Außengebiete. Das Ergebnis ist eine einzigartige Spielwelt, in der eine riesige Anzahl an Polygonen je Frame berechnet und über den Bildschirm geschickt wird, während mit Motion-Capturing erstellte Animationen ein glaubwürdiges Erlebnis erschaffen. Wenn man dazu noch den natürlichen Tag-/Nacht-Wechsel berücksichtigt, hat man eine Technologie an der Hand, die die ganze Herrlichkeit rot verfärbter radioaktiver Wälder und Sümpfe, belebt mit fantasievollen Kreaturen und seltsamen Pflanzen, darstellen kann. Nicht zu vergessen der erschreckende Anblick einer Reihe von "Monstern".

Diese Horde kontaminierter Mutationen folgt ihren eigenen, mehr oder weniger natürlichen Verhaltensregeln. Einige von ihnen bevorzugen bestimmte Gebiete, während andere überall in der Sperrzone zu finden sind, wo sie unbekannten Zielen nachgehen. Kein Stalker sollte sich davon überraschen lassen, wenn sich das Ödland oder die Müllkippen plötzlich in eine lebende Masse blinder Hunde verwandeln, die sich mit ihrem sechsten Sinn an einen Gegner anschleichen können – selbst wenn dieser sich hinter Mauern verschanzt. Eine weitere Gruppe mutierter Wesen sind die 'Zwerge', die man aufgrund ihrer schwachen Sehkraft üblicherweise in düsteren Katakomben antreffen kann. Jeder Stalker oder Wissenschaftler kann in der Zone in einen Hinterhalt dieser Kreaturen geraten. Bei einem Angriff nutzen sie jedes ihnen zur Verfügung stehende Versteck, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die am weitesten verbreitete Plage sind jedoch die Ratten und davon gibt es in S.T.A.L.K.E.R. Tausende: sie kommen aus jedem verlassenen Gebäude oder verfallenen Haus. Das Lebenssimulationssystem von S.T.A.L.K.E.R. haucht dabei allen Kreaturen in der Zone Leben ein: nicht gescriptete Verhaltensweisen bestimmen jede Bewegung und sorgen dafür, dass sich die dort lebenden Wesen in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation individuell anders verhalten.__NEWCOL__

Bei der Erstellung der Sperrzone haben wir der Umgebung besondere Aufmerksamkeit zuteil werden lassen. Im Ergebnis sind Objekte, von denen der Spieler annimmt, dass er sie in der Realität zerstören könnte, auch in S.T.A.L.K.E.R. zerstörbar. Das Physiksystem ist neben dem Architekturstil, dem Tag-/Nacht-Wechsel und dem Lebenssimulationssystem mindestens genauso wichtig, wenn es darum geht, eine glaubwürdige und völlig überzeugende Umgebung zu erschaffen. Die Manipulierbarkeit von Objekten ist ein weiterer Aspekt auf dem Weg zu einer realistischen Spielwelt – insbesondere, da verschiedene Wesen in der Sperrzone ihrerseits über die Fähigkeit verfügen, Einfluss auf ihre Umgebung zu nehmen – im Rahmen ihrer Intelligenz. Bestimmte Mutantenarten agieren mit einem gewissen Abstand zum Spieler und setzen ihre telekinetischen Fähigkeiten ein. Der Spieler sollte daher nicht überrascht sein, wenn plötzlich Tische, Stühle und Steine wie von Geisterhand auf ihn geschleudert werden.

Um es auf den Punkt zu bringen: der Teufel steckt im Detail und S.T.A.L.K.E.R. hat mehr als genug Teufel, die die Sperrzone durchstreifen. Dem Entwicklerteam ist es gelungen, einen hohen Grad an Realismus zu bewahren und zugleich für die besonderen Anforderungen an eine fesselnde Spielwelt nutzbar zu machen. Diese einzigartige Herangehensweise wird die Spielbarkeit von S.T.A.L.K.E.R. zweifellos maximieren."

 
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