Strike Commander28.05.2010, Paul Kautz
Strike Commander

Special:

Schon vor vielen Jahren gab es auch im Spielebereich den Hype, oft genug mit ebenso fatalen Resultaten wie heute - das prominenteste Opfer dürfte wohl immer noch E.T. The Extra-Terrestrial sein, das Verbrechen an der Menschlichkeit, das den großen Videogame-Crash von 1983 einleitete. Und manchmal wurde ein Spiel jeder Zeile seines Hypes gerecht - wie Strike Commander (ab 33,00€ bei kaufen).

Und wie es das wert war!

Strike Commander in seiner ganzen Pracht: Blühendere Landschaften gab es damals nicht.
Strike Commander in seiner ganzen Pracht: Blühendere Landschaften gab es damals nicht.
Ich habe monatelang gespart. Habe auf Alf-Hörbuchkassetten und Gameboy-Spiele verzichtet. Habe Zeitungen ausgetragen und Holz gehackt, habe mich sogar auf die dunkle Seite begeben und sonntags in Wahnsinnsfrühe die BamS verkauft. Und all das nur für... den Rechner. DEN Rechner! Ein 486 DX2/66-Prozessor schlummerte auf dem Motherboard, ein Irrsinnsteil. Ich habe extra etwas länger gespart, da ich keinen 486 SX-25 haben wollte. Der war Scheiße. Wie ein Ferrari-Aufkleber auf einem Fiat - zwar irgendwie zur Familie gehörend, aber doch nur das Brandmal des Losers. Neenee, meine Herren, der DX2/66 musste es sein, das war wichtig. Acht MB RAM habe ich mir gegönnt. Nicht zwei, nicht vier, nein acht! Who's the man? Eine Festplatte mit unfassbaren 250 Megabyte schlummerte am IDE-Kabel, ich hatte keine Ahnung, wie ich diese mathematisch kaum greifbaren Mengen jemals füllen sollte. Und eine Soundblaster Pro-Soundkarte musste auch rein - denn die konnte nicht nur Digisamples abspielen (anders als die luschigen AdLib-Karten), sondern das Ganze auch noch in Stereo! Hell yeah! Das Resultat hat mich nicht nur gefühlte sieben Jahre meines Taschengeldes gekostet, sondern war auch das emotionale Pendant eines hochgezüchteten Rennpferdes mit Balrog im Blut. Leider - man darf nicht vergessen, dass das Zeiten waren, in denen kaum einer wusste, wie man »Design« überhaupt ausspricht - in einem unfassbar hässlich-beigen Plastik- und Metallklotz, verziert von einem 14"-Belinea-Monitor, dessen knackende und knisternde Röhre ich bis heute insgeheim für den Verlust meines blond wuchernden Haupthaares verantwortlich mache. Nun, wie auch immer: Da stand er nun. DER Rechner. Und wofür?

Für Wing Commander 2. Für Comanche. Für Tornado. Für LHX Attack Chopper. Aber in erster Linie für ein Spiel, von dem ich 1991 zum ersten Mal las. Dieses Spiel, das alle bislang bekannten Grafik-Grenzen sprengen sollte, über das in der Power Play, in der PC Player und der Play Time nur die grandiosesten Lobeshymnen geträllert wurden. Das von Termin zu Termin, von Spielemesse zu Spielemesse verschoben wurde.

Schon nach kurzer Zeit war man selbst für den Einkauf von Waffen zuständig - wer ballern wollte, musste das Scheckheft zücken.
Schon nach kurzer Zeit war man selbst für den Einkauf von Waffen zuständig - wer ballern wollte, musste das Scheckheft zücken.
Dessen Entwicklungszeit damals nahezu unerhörte (knapp) drei Jahre betrug. Und das mich direkt zur Veröffentlichung im Frühsommer des schönen Jahres 1993 mehrere Wochen lang nicht mehr losgelassen hat. Strike Commander.

Der fliegende Buchhalter

Origin Systems war einst die coolste Spielefirma überhaupt. Irgendwann wurde alles verultimat, mittlerweile hat EA den Laden auch dicht gemacht, aber die 90er waren das Jahrzehnt von Origin: die Wing Commander-Serie, BioForge, die beiden Crusader-Spiele, wenn's unbedingt sein muss auch ein paar Ultimas (wobei die nie was für mich waren - langhaarige Schwertschwinger wie Jörg konnten sich mit dem Backen von virtuellem Brot vergnügen!), Privateer - alles fantastische Spiele. Aber für mich war Strike Commander (SC) der Höhepunkt der Origin-Entwicklung; ja, damals der Höhepunkt der Spieleentwicklung überhaupt! Es war Wing Commander ohne Weltraum, mit schnellen Düsenjets und der irrsinnigsten Grafik, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Keine Flugsimulation, sondern eine Action-Simulation - so die Worte von Designer Chris Roberts persönlich.

Die Parallelen zu dem anderen Roberts-Baby Wing Commander waren nicht zu übersehen: Das ging beim Grafikstil der Zwischensequenzen und der Wahl der Flügelmänner los und endete beim typischen »Starten, Wegpunkte abklappern, Feinde bratzen, zurückfliegen«-Missionsdesign. Schon mit diesen Zutaten wäre Strike Commander ein Gewinner gewesen, aber da war noch so viel mehr - vor allem mehr Story. Die Geschichte der Wildcats-Staffel wurde nicht nur in für damalige Zeit beeindruckend gerenderten Filmchen, sondern vor allem über sehr viele direkte Dialoge (auf dem Boden oder in der Luft) erzählt. Und dann gab es ja noch die Mini-Wirtschaftssimulation, der man ausgesetzt war, nachdem Colonel James »Hawk« Stern abgeschossen wurde und

Da geht er hin, der Hund! Die detaillierte Darstellung der Flugzeuge war für die damalige Zeit sensationell.
Da geht er hin, der Hund! Die detaillierte Darstellung der Flugzeuge war für die damalige Zeit sensationell.
man selbst auf einmal für die Verwaltung der Wildcats zuständig war - Raketen und Bomben wachsen nicht auf Bäumen, sondern müssen für teuer Geld gekauft werden. Jede Rakete, die man verballerte, jedes Flugzeug, das nicht über die dafür zuständigen Räder auf dem Boden landete, fand sich als dicke rote Zahl auf dem Staffelkonto wieder. Zu viele rote Zahlen rufen traditionsgemäß kleine Menschen mit vergleichbar roten Köpfen auf den Plan, was im Falle von Strike Commander die Rolle von Virgil Beetlebaum war - dem Buchhalter der Wildcats. Zuviel Mist gebaut = keine Kohle mehr = Game Over. Und von nichts kommt nichts, also musste auch irgendjemand dafür sorgen, dass ein steter Fluss an Aufträgen reinkam. Das war aber insofern kein Problem, als dass Strike Commander über weite Teile ein lineares Spiel war: Die Win/Lose-Baumstruktur des ersten Wing Commanders kam hier nicht zum Einsatz, es gab nur ein mögliches Spielende. Nein, zwei: Wer abgeschossen wurde, bekam eines der Origin-typischen Herzschmerz-Begräbnisse zu sehen.

Der Verlust eines Weggefährten wurde Origin-typisch sehr Tränendrüsen-lastig dargestellt.
Der Verlust eines Weggefährten wurde Origin-typisch sehr Tränendrüsen-lastig dargestellt.
Das Ganze spielte im Jahre 2011 (ein bisschen Zeit haben wir also noch): Die Regierungen dieser Welt sind kollabiert, auf der ganzen Welt finden Rebellionen und Bürgerkriege statt. Die wahre Macht liegt, ein klassisches Element der Dystopie, bei allmächtigen Großkonzernen, die die Welt unter sich aufgeteilt haben und Söldnertruppen für sich kämpfen lassen. Der namenlose Held von Strike Commander ist einer der Piloten einer solchen Truppe - der erwähnten Wildcats. Die haben innerhalb der Flieger-Gemeinschaft einen Sonderstatus inne, denn Col. Stern nimmt nur moralisch einwandfreie Aufträge entgegen, bei denen keine Zivilisten zu Schaden kommen - ein Credo, das bereits im Intro deutlich gemacht wurde. Andere, wie die direkte Konkurrenz der Jackals, sehen das nicht so eng...

Ich kann Städte sehen!

Man mag ruhigen Gewissens zugeben, dass Strike Commander trotz aller Verbesserungen zu Wing Commander spielerisch recht altbacken war. Aber in einem Punkt gab es davor und auch lange danach kein Spiel auf dieser Muttererde, das mithalten konnte: der Grafik. Die eigens für SC entwickelte »RealSpace«-Engine war ein Wahnsinnsteil, das Origin-typisch natürlich auch mal wieder Wahnsinns-Hardwareanforderungen hatte (ich verweise gerne auf den ersten Absatz auf der vorherigen Seite), aber mit entsprechendem Feuer unter der Haube auch Wahnsinnsbilder erzeugte. Per Gouraud Shading  weich schattierte und zusätzlich noch teilweise texturierte Landschaften zogen majestätisch unter der F-16 vorbei. Die Flugzeuge waren detailgetreu modelliert,  durchgehend texturiert - und man konnte sogar den kleinen Piloten in der transparenten Kanzel erkennen! Es gab Städte, richtige Städte, mit

Zwischen den Missionen durfte man mit den anwesenden Kameraden ein Schwätzchen führen.
Zwischen den Missionen durfte man mit den anwesenden Kameraden ein Schwätzchen führen.
texturierten Straßenverläufen und einigen Wolkenkratzern! Canyons! Freie Rundumsicht im Cockpit! Kill Cams! Wahn Sinn! Das mag heutzutage nach etwas klingen, das die Armbanduhr beeindruckender hinbekommt, aber 1993er Tests benutzten ohne rot zu werden sehr oft das Wort »fotorealistisch« - und damals konnte man sich auch nichts besseres vorstellen. Uncoole Spieler mit schlaffen Rechnern durften Texturen und Effekte so weit runterkurbeln, dass das edle Strike Commander wie LHX Attack Chopper aussah. Aber das tat man nicht. Selbst wenn ein Sägewerksfreund die Framerate an einer Hand abzählen konnte - Strike Commander musste mit vollen Details gespielt werden. Sonst war es kein Strike Commander. Die Technik war nicht nur auf das Spiel beschränkt; Pacific Strike, Wings of Glory und Wing Commander 3 (alle 1994) nutzten das gleiche 3D-System - letzteres allerdings nur für die Darstellung der Planeten.

Wie schon bei Wing Commander 2 und Ultima 7 nutzte Origin auch für Strike Commander das gerade in Mode kommende Element der Sprachausgabe - allerdings in der Standard-Fassung nur im Intro. Für zusätzliche 60 DM konnte man sich das »Speech Pack« kaufen, das zusätzliche Sprüche für den Funkverkehr im Flug lieferte - und für das nochmals sechs wertvolle Megabyte freigeschaufelt werden mussten, zusätzlich zu den irrwitzigen 40, die das Hauptprogramm schon verlangte. Ende 1993 eroberte Strike Commander das damals noch blutjunge Medium CD-ROM in einer erweiterten Fassung. Die enthielt das Hauptprogramm sowie die kurz davor erschienene Missions-Disk »Tactical Operations«, ein verbessertes Intro sowie das nochmals erweiterte Speech Pack.

Städte, Felder, Canyons - Strike Commander hatte alles. Das HUD konnte übrigens vergrößert dargestellt werden, um Leseschwierigkeiten zu vermeiden. In der CD-Fassung durfte das Cockpit sogar komplett ausgeblendet werden.
Städte, Felder, Canyons - Strike Commander hatte alles. Das HUD konnte übrigens vergrößert dargestellt werden, um Leseschwierigkeiten zu vermeiden. In der CD-Fassung durfte das Cockpit sogar komplett ausgeblendet werden.
Strike Commander ist für immer in meinem Herzen. Für mich war es die perfekte Mischung aus der Wing Commander-Action und dem Simulations-Wahnwitz eines Falcon 3.0 - nicht zu anspruchsvoll, nicht zu lasch, genau richtig. Es hatte ein Buch namens »Sudden Death« in der Packung, eine teilweise wunderbar alberne Mischung aus Handbuch, Werbebroschüre für zwielichtige Gestalten wie den Waffenhändler »Adnan's Place« und Abenteuergeschichte. Ich war traurig, als es vorbei war, ich habe die Missionsdisk verschlungen wie eine Packung M&M's - und ich empfinde es als Schande, dass es bis heute keinen echten Nachfolger gibt. Wings of Glory und Pacific Strike sahen zwar ähnlich ansprechend aus, kamen aber nie an die Klasse des Originals ran. Und Crimson Skies war zwar gut, aber dann doch nicht so gut - einzig die Ace Combat-Serie kommt in die ungefähre Nähe eines würdigen SC-Erben. Das wird wohl genügen müssen, denn die Chancen auf ein Strike Commander 2 sind so groß wie die auf eine breakdancende F-14: Chris Roberts hat mit Spielen schon seit Jahren nichts mehr am Hut und ist lieber als Filmproduzent in Hollywood erfolgreich. Pfff!

Paul Kautz

 
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