Special: Oldie des Monats: Little Big Adventure
Unser Oldie des Monats natürlich!
Die Kulisse mag fröhlich und farbenfroh sein, die Thematik ist es nicht: Die Bewohner von Twinsun werden unterdrückt und dauerüberwacht - eine Fantasy-Version von »1984«. |
Eine echte Schande, denn LBA war einzigartig - und ist es bis heute. Das geht schon bei der Handlung los, die man sich am besten als eine Fantasy-Comic-Version von George Orwells »1984« vorstellen sollte: Auf dem Planeten Twinsun leben die Bewohner (Haasis, Dickos, Pummel und Quetsche) in Harmonie miteinander, bis der tyrannische Dr. Funfrock mithilfe von Teleportation und Klonarmeen die Herrschaft übernimmt, die Bewohner auf die Nordhalbkugel des Planeten verbannt und jeden Gedanken an die Legende um die Gottheit Sendell strikt verbietet. Der junge Quetsch Twinsen hat immer wieder merkwürdige Träume, von denen er unvorsichtigerweise erzählt - und zack, schon findet er sich in Funfrocks Kerkern wieder! Kaum entkommt er diesen, ist sein Leben eine einzige Hetzjagd, immer auf der Flucht vor Funfrocks Häschern. Das Ganze ist ebenso niedlich wie deprimierend.
Twinsun sehen und sterben
Dem Namen zum Trotz ist das knapp zwei Jahre in Entwicklung befindlich gewesene LBA alles andere als Little - genau genommen kann man beim ersten Durchspielen locker 20 bis 30 Stunden in das Abenteuer investieren. Was ich übrigens auch getan habe, und zwar mitten in den Abi-Prüfungen. Ahem. Nun, wie auch immer: Der Grund für die beeindruckende Länge ist das offene Spieldesign - es gibt nicht nur recht wenige Hinweise darauf, was man als nächstes tun sollte, auch der Weg dahin ist über weite Teile dem Spieler überlassen. Über kurz oder lang bekam man immer mehr Vehikel angeboten, mit denen man ganz Twinsun erkunden durfte: Motorrad, Katamaran, Snowboard, Mini-Buggy, später sogar einen Flugdrachen. Aus den spärlichen Hinweisen, die einem die scheuen Bewohner der Städte überließen, musste man sich also seine Route zurechtlegen, was zwangsläufig in viel Ausprobieren und anfangs natürlich auch Scheitern endete.
Twisen verfügt über vier Zustände: normal, sportlich, aggressiv und vorsichtig - zwischen denen musste man immer wechseln, um weiter zu kommen, den Feinden zu entwischen oder Geschicklichkeitsprüfungen zu meistern. |
Ach ja, das Speichersystem. Ich erinnere mich noch gut daran, dass damals in der PC Player lang und breit darüber gejammert wurde, wie umständlich und »wider jede Intuition« das doch sei. Komisch, schien mir nie so. Okay, es ist fummeliger als woanders, aber das liegt nur daran, dass LBA den Spielstand automatisch beim Betreten eines neuen Raumes (also beim Szenenwechsel) sichert. In der Savegame-Verwaltung gibt es die Möglichkeit, eine Kopie des aktuellen Standes unter neuem Namen zu sichern - machte man das in regelmäßigen Abständen, legte man quasi einen chronologischen Ablauf des Abenteuers an. Und das war gut so, denn es gab einen fiesen Gamestopper-Bug: Erledigte man das Museum, ohne sich vorher die rote Schlüsselkarte zu beschaffen (was schwer war, aber möglich), gab es danach keine Möglichkeit mehr, an diese ranzukommen - man brauchte sie aber. Lösung: Früheren Spielstand laden. Oder Hexeditor anschmeißen und sich die Karte in das Inventar hacken. Ich wünschte, ich könnte das bei Beyond Good & Evil machen. Da hat mir nämlich ein ähnlicher Gamestopper den Spielstand vermasselt. Verdammte Franzosen!
Wenn ich mal nicht toll bin…
Im Laufe der Zeit gewinnt Twinsen immer mehr Fortbewegungsmittel dazu, so dass er den ganzen Planeten bereisen kann. Und wo er schon auf der Spitze des Hamalayi-Gebirges ist, kann er auch mal eben aufs Snowboard hopsen. |
Was auf jeden Fall sinnvoller als die Aggro-Variante ist, denn von wenigen Ausnahmen abgesehen kann Twinsen kaum einem Gegner wirklich zu Leibe rücken. Die wichtigste Funktion ist aber das Laufen: Nicht nur kann Twinsen den meisten seiner Widersacher einfach wegrennen, die Wachen haben auch einen begrenzten Aktionsradius - verschwindet man aus diesem, kehren die Trottel an ihren Posten zurück.
Mein Panzer, mein Katamaran, mein magisches Schwert
Die Suche nach der Freiheit und der Erlösung von Funfrock führt Twinsen um den ganzen Planeten: Er redet in der Wüste mit Pferden, ackert sich durch schummrige Höhlen, erkundet die weißen Höhen des Hamalayi-Gebirges, schließt sich einer Rebellentruppe an und wird sogar unfreiwilliger Mittelpunkt eines Rockkonzertes - eine wunderbar eigenwillige Mischung aus Jump-n-Run und
Kein Adventure, sei es noch so klein oder groß, ohne Puzzles: Um an ein Fährenticket zu gelangen, muss Twinsen seine Sokoban-Skills auspacken. |
Es gab natürlich auch ein paar Ärgernisse wie die Abwesenheit von Scrolling. Zwar durfte man per Druck auf die Enter-Taste das Bild um Twinsen zentrieren, aber gerade bei hektischer Flucht rannte man des Öfteren unwissenderweise entweder vor eine Mauer oder zusätzlichen Feinden ins Gewehr. Auch dass sich der bezopfte Held irre langsam dreht oder nicht schwimmen kann (dafür aber gerne mal aufgrund eines Clippingfehlers ungewollt in den statischen Fluten versinkt), hat bei mir mehr als ein Mal für bedrohlich knirschende Zähne gesorgt.
Zwar läuft LBA auch wunderbar unter DOSBox, aber es gibt noch eine bequemere Möglichkeit: Sébastien Viannay, einer der Original-Programmierer, hat den Port »LBAWin« geschrieben, den man u.a. beim Magicball Network (einer großen LBA-Fanseite) findet. Damit läuft das Spiel nicht nur problemlos unter jedem Windows ab XP, sondern bietet auch ein paar Bugfixes sowie nette Komfortfunktionen wie einen jederzeit verfügbaren Actionbutton. |
Aber der wichtigste Grund für die Dauerkarte in meinem Herzen ist der Soundtrack von Philippe Vachey: Allein das Titelthema ist für mich ein Klassiker, den ich zusammen mit dem Rest des gerade mal neun Stücke umfassenden Soundtracks mehrmals pro Woche höre und der sich beharrlich weigert, schlecht zu werden - ich hoffe aus den dunkelsten Tiefen meines Herzens, dass dieses wundervolle Stück irgendwann seinen Weg zu einem orchestralen Spielekonzert findet. Bis dahin bleibt Little Big Adventure ein wunderbarer Ausnahmetitel: Ideenreich, innovativ, voller Charme und Seele, wie es ihn viel zu selten gibt.
Paul Kautz
Ein schönes Spiel in schönen Bildern: Unsere Screenshot-Galerie zu Little Big Adventure.
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