Little Big Adventure15.07.2011, Paul Kautz
Little Big Adventure

Special: Oldie des Monats: Little Big Adventure

Little Big Planet? Wie kann das denn bitteschön Oldie des Monats sein? Das ist doch noch nicht mal drei Jahre alt! Maaaann, was ist das denn nur für eine schnelllebige Spielewelt, in der sich sowas tatsächlich schon Oldie schimpfen kann? Äh, wie? Adventure? Little Big Adventure (ab 4,99€ bei kaufen)? Was soll das denn sein?

Unser Oldie des Monats natürlich!

Die Kulisse mag fröhlich und farbenfroh sein, die Thematik ist es nicht: Die Bewohner von Twinsun werden unterdrückt und dauerüberwacht - eine Fantasy-Version von »1984«.
Die Kulisse mag fröhlich und farbenfroh sein, die Thematik ist es nicht: Die Bewohner von Twinsun werden unterdrückt und dauerüberwacht - eine Fantasy-Version von »1984«.
Falls euch der Name immer noch nichts sagen sollte, kann das auch daran liegen, dass das 1994er Spiel von Adeline Software in einigen Teilen der Welt als »Relentless: Twinsen's Adventure« veröffentlicht wurde. Der Entwickler selbst dürfte auch nicht wahnsinnig vielen Leute ein Begriff sein, denn die das kleine französische Team um Frederick Raynal (der vorher u.a. mit »Alone in the Dark« bewiesen hat, dass er etwas von packendem Spieldesign versteht und vor einigen Jahren zusammen mit Michel Ancel und Shigeru Miyamoto in Frankreich zum Ritter des Ordens der Künste und Literatur geschlagen wurde) hat gerade mal drei Spiele veröffentlicht: »Little Big Adventure« (LBA), den Nachfolger sowie das thematisch entfernte Action-Adventure »Time Commando«. Keines der Spiele war dabei kommerziell irre erfolgreich, so dass es schon nach einigen Jahren »Au revoir, Adeline!« hieß.

Eine echte Schande, denn LBA war einzigartig - und ist es bis heute. Das geht schon bei der Handlung los, die man sich am besten als eine Fantasy-Comic-Version von George Orwells »1984« vorstellen sollte: Auf dem Planeten Twinsun leben die Bewohner (Haasis, Dickos, Pummel und Quetsche) in Harmonie miteinander, bis der tyrannische Dr. Funfrock mithilfe von Teleportation und Klonarmeen die Herrschaft übernimmt, die Bewohner auf die Nordhalbkugel des Planeten verbannt und jeden Gedanken an die Legende um die Gottheit Sendell strikt verbietet. Der junge Quetsch Twinsen hat immer wieder merkwürdige Träume, von denen er unvorsichtigerweise erzählt - und zack, schon findet er sich in Funfrocks Kerkern wieder! Kaum entkommt er diesen, ist sein Leben eine einzige Hetzjagd, immer auf der Flucht vor Funfrocks Häschern. Das Ganze ist ebenso niedlich wie deprimierend.

Twinsun sehen und sterben

Dem Namen zum Trotz ist das knapp zwei Jahre in Entwicklung befindlich gewesene LBA alles andere als Little - genau genommen kann man beim ersten Durchspielen locker 20 bis 30 Stunden in das Abenteuer investieren. Was ich übrigens auch getan habe, und zwar mitten in den Abi-Prüfungen. Ahem. Nun, wie auch immer: Der Grund für die beeindruckende Länge ist das offene Spieldesign - es gibt nicht nur recht wenige Hinweise darauf, was man als nächstes tun sollte, auch der Weg dahin ist über weite Teile dem Spieler überlassen. Über kurz oder lang bekam man immer mehr Vehikel angeboten, mit denen man ganz Twinsun erkunden durfte: Motorrad, Katamaran, Snowboard, Mini-Buggy, später sogar einen Flugdrachen. Aus den spärlichen Hinweisen, die einem die scheuen Bewohner der Städte überließen, musste man sich also seine Route zurechtlegen, was zwangsläufig in viel Ausprobieren und anfangs natürlich auch Scheitern endete.

Twisen verfügt über vier Zustände: normal, sportlich, aggressiv und vorsichtig - zwischen denen musst eman immer wechseln, um weiter zu kommen, den Feinden zu entwischen oder Geschicklichkeitsprüfungen zu meistern.
Twisen verfügt über vier Zustände: normal, sportlich, aggressiv und vorsichtig - zwischen denen musste man immer wechseln, um weiter zu kommen, den Feinden zu entwischen oder Geschicklichkeitsprüfungen zu meistern.
Scheitern bedeutete meist, dass man gefangen genommen wurde und schon wieder im Knast landete - der Weg da raus war aber immer einfach und natürlich wiederholbar. Es gab zwar die Möglichkeit eines Game Over, das konnte aber durch zusätzliche Kleeblätter (sprich: Leben) und umsichtigen Umgang mit dem Speichersystem komplett vermieden werden.

Ach ja, das Speichersystem. Ich erinnere mich noch gut daran, dass damals in der PC Player lang und breit darüber gejammert wurde, wie umständlich und »wider jede Intuition« das doch sei. Komisch, schien mir nie so. Okay, es ist fummeliger als woanders, aber das liegt nur daran, dass LBA den Spielstand automatisch beim Betreten eines neuen Raumes (also beim Szenenwechsel) sichert. In der Savegame-Verwaltung gibt es die Möglichkeit, eine Kopie des aktuellen Standes unter neuem Namen zu sichern - machte man das in regelmäßigen Abständen, legte man quasi einen chronologischen Ablauf des Abenteuers an. Und das war gut so, denn es gab einen fiesen Gamestopper-Bug: Erledigte man das Museum, ohne sich vorher die rote Schlüsselkarte zu beschaffen (was schwer war, aber möglich), gab es danach keine Möglichkeit mehr, an diese ranzukommen - man brauchte sie aber. Lösung: Früheren Spielstand laden. Oder Hexeditor anschmeißen und sich die Karte in das Inventar hacken. Ich wünschte, ich könnte das bei Beyond Good & Evil machen. Da hat mir nämlich ein ähnlicher Gamestopper den Spielstand vermasselt. Verdammte Franzosen!

Wenn ich mal nicht toll bin…

Im Laufe der Zeit gewinnt Twinsen immer mehr Fortbewegungsmittel dazu, so dass er den ganzen Planeten bereisen kann. Und wo er schon auf der Spitze des Hamalayi-Gebirges ist, kann er auch mal eben aufs Snowboard hopsen.
Im Laufe der Zeit gewinnt Twinsen immer mehr Fortbewegungsmittel dazu, so dass er den ganzen Planeten bereisen kann. Und wo er schon auf der Spitze des Hamalayi-Gebirges ist, kann er auch mal eben aufs Snowboard hopsen.
Manche Leute nehmen sich ihr Leben lang vor, jetzt endlich sportlicher zu werden - in Twinsens Fall reicht dafür ein Druck auf die F2-Taste. Der fröhliche Quetsch verfügt über vier Gemütszustände, zwischen denen man jederzeit wechseln darf und natürlich auch muss, schließlich sind sie essenzieller Bestandteil des Spieldesigns: Da ist der Normalmodus, in dem er gemütlich schlendert, mit Personen sprechen und Extras in Blumenkübeln, Mülleimern, Fässern oder Möbeln aufspüren kann (was übrigens von einigen Bewohnern säuerlich kommentiert wird, wenn Twinsen in ihren Habseligkeiten herumwühlt, während sie daneben stehen). In der sportlichen Variante sprintet er wie der Vorsitzende des Trimm Dich-Clubs und kann springen. Aber Obacht: Wer im vollen Lauf gegen eine Wand rennt, gewinnt Sterne über dem Kopf dazu und verliert Lebensenergie. Dann wäre da noch der aggressive Modus: In dem knurrt Twinsen wie der Hulk, tänzelt angriffslustig wie Ali und kann heftige Hiebe und Tritte verteilen. Bleibt noch die vorsichtige Vorgehensweise: Hier werden die Soundeffekte auf einmal gaaaaaaaaanz ruhig, Twinsen schleicht auf Zehenspitzen dahin.

Was auf jeden Fall sinnvoller als die Aggro-Variante ist, denn von wenigen Ausnahmen abgesehen kann Twinsen kaum einem Gegner wirklich zu Leibe rücken. Die wichtigste Funktion ist aber das Laufen: Nicht nur kann Twinsen den meisten seiner Widersacher einfach wegrennen, die Wachen haben auch einen begrenzten Aktionsradius - verschwindet man aus diesem, kehren die Trottel an ihren Posten zurück.

Mein Panzer, mein Katamaran, mein magisches Schwert

Die Suche nach der Freiheit und der Erlösung von Funfrock führt Twinsen um den ganzen Planeten: Er redet in der Wüste mit Pferden, ackert sich durch schummrige Höhlen, erkundet die weißen Höhen des Hamalayi-Gebirges, schließt sich einer Rebellentruppe an und wird sogar unfreiwilliger Mittelpunkt eines Rockkonzertes - eine wunderbar eigenwillige Mischung aus Jump-n-Run und

Kein Adventure, sei es noch so klein oder groß, ohne Puzzles: Um an ein Fährenticket zu gelangen, muss Twinsen seine Sokoban-Skills auspacken.
Kein Adventure, sei es noch so klein oder groß, ohne Puzzles: Um an ein Fährenticket zu gelangen, muss Twinsen seine Sokoban-Skills auspacken.
Actionspiel, gewürzt mit originellen Puzzles (wie z.B. einer Sokoban-Einlage). Einer der Gründe dafür, dass ich mich wahnsinnig schnell in LBA verliebt habe, liegt in dem wunderbar »anderen« Design: Die aus der Iso-Perspektive gezeigte Umgebung ist durch die Bank detailreich gerendert, die in Echtzeit berechneten Figuren sind herrlich liebevoll gestaltet - mein Highlight ist dabei der Haasi-Kellner, der ein Weibchen mit seinen Rückwärtssalti zu beeindrucken versucht. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es im ganzen Spiel kein Texture Mapping gibt: Alle Figuren und Objekte sind lediglich per Gouraud Shading schattiert. Das Ganze ergibt in gut animierter Bewegung einen höchst ungewöhnlichen Stil-Mix, der in SVGA dargestellt wurde - lediglich bei Nahaufnahmen interessanter Vorkommnisse wurde auf Wunsch in einen VGA-Zoom gewechselt.

Es gab natürlich auch ein paar Ärgernisse wie die Abwesenheit von Scrolling. Zwar durfte man per Druck auf die Enter-Taste das Bild um Twinsen zentrieren, aber gerade bei hektischer Flucht rannte man des Öfteren unwissenderweise entweder vor eine Mauer oder zusätzlichen Feinden ins Gewehr. Auch dass sich der bezopfte Held irre langsam dreht oder nicht schwimmen kann (dafür aber gerne mal aufgrund eines Clippingfehlers ungewollt in den statischen Fluten versinkt), hat bei mir mehr als ein Mal für bedrohlich knirschende Zähne gesorgt.

Zwar läuft LBA auch wunderbar unter DOSBox, aber es gibt noch eine bequemere Möglichkeit: Sébastien Viannay, einer der Original-Programmierer, hat den Port »LBAWin« geschrieben, den man u.a. beim Magicball Network (einer großen LBA-Fanseite) findet. Damit läuft das Spiel nicht nur problemlos unter jedem Windows ab XP, sondern bietet auch ein paar Bugfixes sowie nette Komfortfunktionen wie einen jederzeit verfügbaren Actionbutton.
Auf der anderen Seite bekommt man nach kurzer Zeit einen magischen Ball, mit dem man nicht nur Schalter bedienen oder Gegenstände einsacken kann. Man darf ihn auch dazu nutzen, Gegner auszuboingen, was im Falle der dicken Standard-Wachen oder der Robo-Haasis eine putzige Slapstick-Nummer nach sich zieht. Später konnte man auch Panzer fahren, und zum Endkampf gegen Funfrock gab's auch noch ein mächtiges Schwert. Jaha!

Aber der wichtigste Grund für die Dauerkarte in meinem Herzen ist der Soundtrack von Philippe Vachey: Allein das Titelthema ist für mich ein Klassiker, den ich zusammen mit dem Rest des gerade mal neun Stücke umfassenden Soundtracks mehrmals pro Woche höre und der sich beharrlich weigert, schlecht zu werden - ich hoffe aus den dunkelsten Tiefen meines Herzens, dass dieses wundervolle Stück irgendwann seinen Weg zu einem orchestralen Spielekonzert findet. Bis dahin bleibt Little Big Adventure ein wunderbarer Ausnahmetitel: Ideenreich, innovativ, voller Charme und Seele, wie es ihn viel zu selten gibt.

Paul Kautz

Ein schönes Spiel in schönen Bildern: Unsere Screenshot-Galerie zu Little Big Adventure.

 
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