Gran Turismo17.12.2013, Michael Krosta
Gran Turismo

Special:

Anspruchsvolle Rennspiele auf Konsolen? Das geht doch gar nicht! Diese Daddelkisten eignen sich doch höchstens für schnellen Arcade-Kram wie Ridge Racer, wie man ihn aus der Spielhalle kennt. Weit gefehlt, denn Ende 1997 erschien in Japan von Sony ein Titel für die Playstation, der das Genre völlig umkrempeln und mit innovativen Ideen neue Maßstäbe setzen sollte: Gran Turismo (ab 99,95€ bei kaufen)!

Eine kleine Revolution

Der "Real Driving Simulator" setzte Maßstäbe!
Der "Real Driving Simulator" setzte Maßstäbe!
„Du musst unbedingt vorbeikommen. Ich hab hier ein neues Spiel für die PlayStation. Sowas hast du noch nicht gesehn!“. Ich wusste gleich: Wenn mich mein Kumpel schon so dringend anrufen wollte und dieses Maß an Aufregung über seine Stimme transportierte, musste es etwas ganz Besonderes sein, was er sich da über dunkle Kanäle für die Sony-Konsole „besorgt“ hatte. Also machte ich mich gleich auf und saß knapp 15 Minuten später wie gebannt vor dem TV-Bildschirm. Ja, so etwas hatte ich tatsächlich noch nicht gesehen! Da fuhren in der Wiederholung originalgetreu nachgebildete Wagen über die Strecke und lieferten sich packende Duelle. Ich hätte damals schwören können, dass man fast schon das Niveau von echten Fernsehübertragungen erreicht hat. Diese geniale Kameraführung und großartigen Schnitte, diese Liebe zum Detail in den Fahrzeugmodellen – ich war angesichts dieser neuen Maßstäbe völlig aus dem Häuschen!

Doch das war erst der Anfang, denn als ich zum ersten Mal selbst zum Controller greifen und meine ersten Rennen fahren durfte, war es endgültig um mich geschehen: Meine Güte, hier hatte ja jedes Auto völlig unterschiedliche Eigenschaften und im Kampf gegen die bissigen KI-Piloten war viel mehr Feingefühl im Umgang mit Gas und Bremse nötig als in all den anderen Rennspielen. Stand man beim Herausbeschleunigen zu lange auf dem Pedal, rutschte hier das Heck weg und man konnte schon damals ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Kräfte auf den Wagen wirken und wann man sich im Grenzbereich bewegt. Kein Vergleich zu den Arcade-Rennern wie Ridge Racer & Co, mit denen ich sonst meine Zeit verbrachte. Die waren zwar auch klasse, aber das hier war eben neu. Es war anders. Anspruchsvoller. Authentischer. Kurz gesagt: Es war für mich ein völlig neues Racing-Erlebnis, von der eine unglaubliche Anziehungskraft ausging.

Ab in die Fahrschule

Ohne Führerschein keine Starterlaubnis.
Ohne Führerschein keine Starterlaubnis.
Was mir heute nur noch ein genervtes „Och, nicht schon wieder“ entlockt, war beim ersten Gran Turismo noch ein faszinierendes Novum: Bevor man an den Veranstaltungen der GT League oder Spezial-Wettbewerben für bestimmte Autoklassen teilnehmen durfte, musste man erst die dafür nötige Lizenz in diversen Fahrprüfungen erlernen. Hier wurde man Schritt für Schritt an das Meistern von Kurven, das Ausloten von Bremspunkten und die spürbaren Unterschiede zwischen Heck- und Frontantrieblern heran geführt. Das perfekte Tutorial! Denn bei den recht hohen Anforderungen war ein Lerneffekt garantiert. Wollte man sich sogar die Gold-Medaille in den Tests verdienen, war sogar fast schon Perfektion hinter dem Steuer nötig, um sich als Streber in der Fahrschule neben der B- und A-Lizenz auch noch die internationale A-Lizenz mit der höchsten Auszeichnung zu sichern.

Mit dem Führerschein in der Tasche öffnete sich dann die Tür zur Karriere im virtuellen Motorsport, auch wenn die ersten Credits nur für die Anschaffung eines Gebrauchtwagen bei ausgewählten Händlern reichten. Schon damals war der Fokus auf japanische Autobauer erkennbar: So standen in erster Linie Modelle von Nissan, Honda, Madza, Mitsubishi, Toyota und Subaru zur Wahl. US-Boliden gab es nur von Chrysler und Chevrolet, während Europa von den britischen Herstellern Aston Martin und TVR vertreten wurde. Dabei unterschieden sich die Autos in den Kategorien Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung und Lenkung. Und man hatte den Eindruck, als würde sich jedes von ihnen tatsächlich einzigartig anfühlen. Deutsche Karossen von BMW, Audi, VW & Co? Leider Fehlanzeige! Angesichts eines Gran Turismo 6 mit seinen 1200 Fahrzeugen und allen möglichen Marken ist es kaum vorstellbar, dass GT-Schöpfer Kazunori Yamauchi auch mal klein angefangen hat. So füllte sich die Garage auch hier mit der Zeit – über eine Speicherkarten-Funktion ließen sich Fahrzeuge sogar an Freunde verkaufen. Ein neuer „Trend-Sport“ in Rennspielen war geboren, der sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut: Autos sammeln!

Schöne neue Tuning-Welt

Vom Schalldämpfer bis zur Rennaufhängung: Tuner fanden ein kleines Paradies in GT.
Vom Schalldämpfer bis zur Rennaufhängung: Tuner fanden ein kleines Paradies in GT.
Völlig neu und gleichzeitig überwältigend war auch das Ausmaß an Tuning-Optionen, denn auch hier war Gran Turismo ein Vorreiter und bot eine feine Auswahl an Zubehör, von der man in anderen Rasern nur träumen konnte. Was man da alles mit seinem Gefährt anstellen durfte: Noch lange vor Need for Speed: Underground oder dem Tuning-Hype rund um Filme wie „The Fast and the Furious“ durfte man hier die Leistung mit fetten Schalldämpfern, Motoren-Upgrades wie Chips und Turboladern aufbohren, die Bremsanlage optimieren oder den Antrieb mit einem passenden Getriebe, Kupplungen und Schwungscheiben verbessern. Federung und Stabilisatoren ließen sich ebenfalls schon in verschiedenen Ausführungen kaufen – das Gleiche gilt für die Auswahl an Reifen in verschiedenen Mischungen und Konfigurationen. Die dreistufige Gewichtssenkung feierte ebenfalls schon ihren Einstand. Besonders cool war die Hochleistungsmodifikation: Hier ließen sich einige Modelle mit nur einem Klick von der lahmen Serienkutsche in einen hochgezüchteten Rennwagen verwandeln – inklusive aufgepeppter Karosserie. Nur an den optischen Bling-Bling-Faktor wie schicke Alu-Felgen und stylische Spoiler hat man damals noch nicht gedacht. Außerdem war die Navigation noch etwas umständlich, denn es gab keinen Allgemein-Tuner, sondern nur spezifische Upgrade-Experten für jeden Hersteller. Wollte man also seinen Nissan pimpen, musste man die Jungs bei Nismo besuchen, als Toyota-Besitzer ging es zu TRD und wer seinem Honda ein paar Extra-PS spendieren wollte, machte sich auf zu Mugen.

Die Karte bildete das Zentrum des GT-Modus.
Die Karte bildete das Zentrum des GT-Modus.
Doch damit nicht genug, denn als Möchtern-Mechaniker konnte man sich auch im Detail mit dem Setup befassen – und das vor jedem Rennen. Ich weiß noch, wie ich immer getüftelt habe, um mit Einstellungen am Fahrwerk, der Aerodynamik oder am Getriebe versucht habe, ein paar Zehntel auf der Strecke gut zu machen. Es war eine schöne Zeit, in der man noch Freudensprünge machte, wenn man sich endlich die ersten Rennreifen leisten konnte! Gimmicks wie die Waschanlage feierten hier ebenfalls ihre Premiere. Im Setup- und Tuningbereich machte sich dann auch erstmals die Sprachbarriere bemerkbar: Zwar stellte der generelle Überblick der japanischen Import-Version dank englischer Menüführung kein Problem dar, doch Upgrades und Einstellungen wurden alle in japanischen Schriftzeichen erklärt. Den kompletten Durchblick hatte ich daher erst mit der PAL-Version, die etwa ein halbes Jahr später erschien und leicht für den europäischen Geschmack angepasst wurde. Zwar bestand der Fuhrpark weiterhin überwiegend aus japanischen Flitzern, doch ersetzten Songs von Bands wie Garbage, Feeder und Cubanate das J-Pop-Gedüdel der Originalversion.

Good Vibrations und höherer Fahrkomfort

Zudem war der EU-Release von Gran Turismo gleichzeitig der Startschuss für Sonys neuen DualShock-Controller, der nicht nur mit zwei Analogsticks, sondern auch integrierten Vibrationsmotoren ausgestattet war. Hier kam ein ganz neues Spielgefühl in Rennspielen auf, denn plötzlich reagierten die Fahrzeuge auf Lenkbewegungen nicht nur ähnlich präzise wie mit Namcos NegCon-Controller, sondern man konnte Motoren, Unebenheiten und Kollisionen auch erstmals in der Hand spüren. Gran Turismo war eines der ersten Spiele für die PlayStation, das die Funktionen des neuen Controllers nutzte – und das Gefühl war damals gerade durch die Vibrationen einfach spektakulär! Selbst meinen geliebten NegCon schickte ich nach dieser Erfahrung schweren Herzens langsam in Rente und kramte ihn nur noch für die sporadischen Runden in Ridge Racer Revolution hervor...

So wie es sich gehört

Die Wiederholungen sahen fantastisch aus und ließen sich sogar abspeichern.
Die Wiederholungen sahen fantastisch aus und ließen sich sogar abspeichern.
Die Veranstaltungen hatten damals noch mehr mit dem klassischen Motorsport gemeinsam: Vor jedem Lauf konnte man sich erst in einem Testlauf aufwärmen und am Setup feilen, bevor es anschließend auf die Qualifikationsrunde ging, in der man um seine Startposition für das darauf folgende Rennen kämpfte. Es ist schon erschreckend und gleichzeitig traurig, wenn man bedenkt, dass man all dies heute im sechsten Teil der Reihe nicht mehr bzw. höchstens noch in Online-Events vorfindet.

Insgesamt standen elf Strecken zur Auswahl, die auch rückwärts gefahren werden konnten, darunter der legendäre High Speed Ring, Trial Mountain, Deep Forest und Grand Valley. Daneben bot das erste Gran Turismo schon etwas, was Turn 10 selbst im aktuellen Forza Motorsport immer noch nicht hinbekommt (oder hinbekommen will): Nachtrennen, denn auf den Special Stages R5 und R11 ging es nur in den dunklen Abendstunden und mit Scheinwerferlicht auf die Piste. Lizenzierte Pisten gab es keine.

Arcade oder GT?

Schon damals wurde zwischen dem klassischen GT-Modus und einem Arcade-Modus unterschieden: Während man im Ersteren hauptsächlich um Pokale kämpfte und Lizenzen absolvierte, eignete sich Letzterer vor allem für das schnelle Spiel zwischendurch. Zur Wahl standen Einzel- und Zeitrennen, wobei man hier nur auf ein eingeschränktes Fuhrpark- und Streckenangebot zugreifen konnte, das sich aber mit erreichten Erfolgen erweitern ließ. Zugriff auf seine Karriere-Garage hatte man hier deshalb nicht, dafür aber die Möglichkeit, am geteilten Bildschirm gegen einen Freund anzutreten. Dabei ließ sich sogar optional die Reifenabnutzung und ein Handikap aktivieren, falls man die Duelle möglichst spannend halten wollte.  

Das Maß der Dinge

Auch bei Nacht ging es hier schon auf die Piste.
Auch bei Nacht ging es hier schon auf die Piste.
Man kann Gran Turismo gar nicht genug für all das loben, was Sony und Polyphony Digital mit diesem Meilenstein erreicht haben: Die Mannen um Kazunori Yamauchi haben dem Rennspiel-Genre mit der Mischung aus Racing, Tuning und dem Aufbau eines eigenen Fuhrparks nicht nur frische Impulse verliehen, sondern hinsichtlich Fahrgefühl und Physikberechnungen auf Konsolen ein ganz neues Level der Authentizität erreicht. Nachdem Gran Turismo 6 als Gesamtpaket zuletzt eher enttäuschte, hoffe ich, dass Yamauchi mit dem Nachfolger zumindest wieder ein bisschen diese Faszination von damals in mir entfachen kann. Es wäre der Serie zu wünschen, in Zukunft wieder ganz vorne mitzufahren und wie 1997 wieder ein neues Kapitel in der Geschichte des virtuellen Motorsports aufzuschlagen.

 
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