BioShock14.08.2007, Benjamin Schmädig
BioShock

Special:

Garry Schyman gehört nicht zu jenen Komponisten, deren Namen ganz oben auf den persönlichen Favoriten-Listen auftauchen - dafür ist sein Repertoire mit Musik zu Destroy All Humans! oder Full Spectrum Warrior: Ten Hammers bislang noch zu unauffällig. Nach BioShock (ab 4,38€ bei kaufen) könnte sich das ändern, denn Schyman unterlegt das unheilvolle Szenario mit einem außergewöhnlichen Soundtrack. Wie er mit Irrational in Kontakt kam und was seine Musik auszeichnet, verrät er im Interview.

4Players: Sie haben die Musik für unterschiedliche Medien, von TV-Serien über Spiele bis hin zu Filmen, geschrieben. Welches ist Ihnen aus der Sicht des Komponisten am liebsten. Welches erfüllt sie am meisten?

Garry Schyman: Ich habe eigentlich keine Vorlieben. Es gefällt mir genauso, Filme zu vertonen wie es Spaß macht, Videospiele zu vertonen. Wie auch sonst überall im Leben, hat alles seine Vor- und Nachteile. Es ist sehr befriedigend, die Musik zu einem Film zu schreiben, weil man hört, wie sie zur Szene passt, was sie für den Film tut. Das ist klasse! Allerdings war es aus kreativer Sicht großartig, die Spiele zu vertonen, an denen ich gearbeitet habe. Es fällt mir schwer zu beschreiben, wie einzigartig die Musik zu BioShock ist und wie viel sie mir bedeutet. Es gibt wenig Film- und TV-Projekte, die nach einem interessanten Soundtrack 

Passend in Schwarz gekleidet: Garry Schymans Musik macht Rapture noch unwirtlicher als es Irrational ohne seine Musik geschafft hätten.
verlangen. Ich liebe es, Videospiele zu vertonen und kann mir nicht vorstellen, dass ich das jemals aufgeben werde.

4Players: In Videospielen geht es logischerweise weniger um vorgefertigte Szenen als in Filmen. Gibt Ihnen das eine größere kreative Freiheit? Gibt es eine Vorlage, ein Beispielstück, dem Ihre Musik ähneln soll oder können sie Ihre eigene Vision davon verwirklichen, wie der Soundtrack klingen sollte?

Schyman: Man hat tatsächlich großen kreativen Freiraum, was auch ein Fluch sein kann. Stravinsky hat gesagt: "Gebt mir sämtliche Noten einer Klaviatur und ich bin wie blockiert, wenn ich daraus Musik schreiben soll! Gebt mir zwei Noten und ich kann sofort anfangen." Zu viel Freiheit kann einen verrückt machen. Es kann sehr fordernd sein, Musik zu Videospielen zu schreiben, zumal ich meistens auch mehr Themen und Motive benötige, als das bei Serien oder Filmen der Fall ist. Trotzdem gibt es natürlich bestimmte Vorgaben, an die sich die Musik halten muss. Man kann nicht einfach irgendetwas produzieren. Aber man hat als Komponist viele Freiheiten, da man sich nicht zu 100 Prozent an die Bilder halten muss.

4Players: Sie haben in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Soundtracks geschrieben und trotzdem wirkt BioShock einzigartig im Vergleich zu Ihren bisherigen Werken. Wieso haben Sie sich für dieses Projekt entschieden? Sind Sie auf Irrational zugegangen oder wurden Sie angerufen?

Schyman: Dieser Soundtrack ist vielleicht der außergewöhnlichste meiner Karriere. Ich kam dazu, nachdem mich Audio Director Emily Ridgway kontaktiert hatte. Zu ihrer Zeit bei Pandemic Studios hatten wir zusammen an Destroy All Humans! gearbeitet und sie war mit meiner Arbeit sehr zufrieden. Deshalb engagierte sie mich, als sie zu Irrational wechselte. Sie glaubte daran, dass ich der Aufgabe gewachsen war. Als sie anrief und mich fragte, ob ich an dem Projekt interessiert sei und es mir beschrieb, war ich sehr angetan und habe sofort zugesagt.

4Players: Welche Art von Musik schwebte Irrational vor, und wie weit hat sich der endgültige Soundtrack dann davon entfernt?

Schyman: Sie waren sehr darauf bedacht, etwas Einzigartiges und Besonderes zu finden, das dem Spiel gerecht würde. Sie wollten auf keinen Fall etwas Gewöhnliches. Ich muss sagen, dass die fertige Musik meine ursprüngliche Vorstellung sogar übertrifft. Es hat viel Zeit und Experimente gekostet; viele Ideen musste ich verwerfen, aber als ich den richtigen Ton gefunden hatte, kam das einer Offenbarung gleich, und Emily ging es genauso. Ich bin sehr gespannt auf den Moment, von dem an jeder den Soundtrack hören kann.

4Players: Ist es denn schwierig, ein Spiel mit einer derart starken visuellen Präsenz zu vertonen oder ist gerade das ein Antrieb für Ihre Kreativität?

Schyman: Ich glaube schon, dass mich die Kreativität der Leute bei Irrational Games angesteckt und meine Musik zu dem gemacht hat, was sie ist. Bei diesem Projekt gab es keine Kompromisse, was vom Aussehen des Spiels über seine Philosophie (die von Ayn Rand inspiriert wurde (eine russische Autorin und Philosophin, Anm. d. Red.)), die moralischen Dilemmas des Spielers bis hin zu dem innovativen Spielablauf geht. Sie haben in allen Bereichen ihr Bestes gegeben. Sie sind Risiken eingegangen in der Art und Weise, wie sie ihre Grenzen ausgelotet haben, um etwas Neues und Bahnbrechendes zu erschaffen, und wollten mit der Musik nicht weniger erreichen.    

4Players: Wie haben Sie Rapture im ersten Moment wahrgenommen? Was hat Sie an BioShock fasziniert?

Schyman: Ich erinnere mich an erste Screenshots von Rapture, bei denen ich gedacht habe: "Wow, das ist wirklich unglaublich." Ich musste unbedingt etwas schaffen, das diesen Bildern gerecht würde. Es war eine Herausforderung und das bringt stets das Beste in mir hervor.

4Players: Das Besondere an dem Spiel ist sein ungewöhnlicher Stil, den Irrational Art-Deco nennt. Was heißt Art-Deco für Sie und wie setzen Sie es musikalisch um?

Schyman: Das Art-Deco sieht fantastisch aus und hat mich mit Sicherheit unterbewusst beeinflusst, allerdings war es nicht meine hauptsächliche Inspirationsquelle. Im Spiel dreht sich alles um die Zeit, in der es stattfindet; deshalb war meine erste Reaktion, die Musik so zu komponieren, wie man das in dieser Zeit gemacht hat. Das habe ich auch getan, im Grunde hat mich aber die Erzählweise der Geschichte am stärksten beeinflusst. Das an Ayn Rand erinnernde Konzept - große kreative Köpfe ihrer Zeit in einer Unterwasser-Stadt zusammen zu bringen - ist faszinierend. Das moderne Konzept eines Utopia und natürlich dessen Zusammenfalls ist eine Metapher für viele Tragödien des vergangen Jahrhunderts. Alle diese Dinge haben mich zumindest philosophisch beeinflusst, während ich die Musik geschrieben habe.

4Players: Welcher Art von Soundtrack werden wir in Rapture hören: Eine schaurige Untermalung  im Hintergrund oder führen starke Themen durch das Spiel?

Schyman: Meine Musik ist unheimlich und voller Überraschungen.

Seltsames Paar. Ein "Big Daddy" bewacht seine Blut-Sammlerin "Little Sister".
Ich habe sehr eigenständige Themen komponiert, während ich andere Motive nur mit wenigen Noten aufbaue. Vielleicht hört man auch nur die Klänge der realen Welt, die ebenfalls in die Musik einflossen.

Jedes Deck hat seinen eigenen Sound: Auf dem Anwohner-Deck benutze ich z.B. menschliche Stimmen als Teil der Musik. Ich habe einen Sound gefunden, der nach einer verrückten, weinenden Frau klingt. Das war so gruselig und Furcht einflößend, dass ich ihn einfach verwenden musste. Für eine andere Szene fand ich die Webseite eines Doktors, der auf die Behandlung von  Lungenkrankheiten und dem Weitergeben seines Wissens spezialisiert ist. Dort gab es Beispiele der Atemgeräusche seiner kranken Patienten. Einiges davon war so schaurig, dass ich auch das in die Musik einfließen lassen musste.

Ich habe diese Vorlagen natürlich digital verändert, so dass man sie nicht immer als das erkennt, was sie ursprünglich waren, aber sie sind sehr ungewöhnlich und effektiv, wenn es darum geht, im Zusammenspiel mit dem Orchester eine Stimmung aufzubauen. Nachdem ich die realen Sounds mit den orchestralen Aufnahmen und den Umgebungsgeräuschen kombiniert und dann auf eine einzelne Violine gelegt hatte, die etwas trauriges, etwas sehr schönes oder sogar Sachen aus der Zwölftonmusik spielt, hatte das einen einzigartigen Effekt, der perfekt zu einigen Schauplätzen von Rapture passt. Für andere Situation habe ich sehr rührende, traurige Themen geschrieben, sie von Streichern einspielen lassen und anschließend sehr unheimliche Musik darüber gelegt. Ich könnte noch viel mehr aufzählen! Es ging mir immer um das Experimentieren und darum, genau den richtigen Ton für jedes Deck zu finden.

4Players: Die Pressemitteilung, in der Sie als BioShock-Komponiste genannt werden, erwähnt einen Mix aus aleatorischen Elementen , Musik

Schymans Ziel war es, mit einem Mix aus realen Geräuschen und verschiedenen Musik-Stilen, einen einzigartigen Soundtrack zu erschaffen.
des frühen 20. Jahrhunderts, Musique Concrete   sowie traditionellen romantischen Stilen. Warum wollten Sie keinen klassischen, homogenen Soundtrack nutzen?

Schyman: Na ja, im Grunde nur deshalb, weil sie (Irrational, Anm. d. Red.) nach etwas Besonderem und Eigenständigem suchten. Also habe ich ihnen das geliefert. Es ist aber so, dass ich jetzt, da die Musik fertig ist und ich zurückblicken kann, mir keinen anderen Soundtrack für dieses Spiel vorstellen kann. BioShock ist ein so beeindruckendes Aufeinandertreffen verschiedener und unerwarteter Ideen und Bilder, die einfach etwas anderes verlangen als einen gewöhnlichen Soundtrack. Man muss es wahrscheinlich sehen und spielen, um das zu verstehen. Es ist eine Welt wie keine andere. Ich denke auch nicht, dass ich nur zum Selbstzweck einen Haufen verschiedener Stilrichtungen zusammengewürfelt habe. Im Gegenteil: Man wird sich erst beim genauen Hinhören über die verschiedenen Stile bewusst, die dort zusammenkommen. Die meisten Spieler werden die Musik wohl als natürlichen Teil des Spiels wahrnehmen - genauso wie es bei einer guten Filmmusik der Fall ist. Wenn der Soundtrack wirklich gut ist, hört man ihn mitunter nicht einmal; man wird einfach in den Moment gezogen und vergisst, dass man einen Film sieht. Das Gleiche gilt wohl auch in diesem Fall.

4Players: Offenbar können die meisten Menschen eine gute Story, gute Action, Charaktere und andere Aspekte in Spielen und vor allem Filmen wertschätzen. Waren Sie jemals enttäuscht, dass ein emotional so wichtiger Faktor wie die Musik nur eine untergeordnete Rolle in den Augen der Leute spielt?

Schyman: Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Falls ein Komponist erfolgreich Musik zu Filmen, Serien oder Videospielen schreiben will, muss er verstehen, dass er dem Projekt dient, für das er engagiert wurde. Es dreht sich alles um die Zusammenarbeit und die bestmögliche Verwirklichung des betreffenden Projekts. Wenn du willst, dass es nur um deine Musik geht, musst du eben eine Symphonie oder einen Song schreiben. Mir reicht schon das Komponieren an sich und die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen sowie deren Anerkennung. Und um ehrlich zu sein, es gibt eine Menge Leute, die sich für Film-, Serien- oder Videospielmusik interessieren und einem das auch mitteilen.  

 
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