Crysis21.10.2007, Benjamin Schmädig
Crysis

Special:

Nicht nur als Komponist für Videospiele hat sich Inon Zur längst einen Namen gemacht; er steuert auch Musik zu Kinotrailern (Harry Potter 5), Filmen und TV-Serien (Digimon) bei. Wie er mit EA bzw. Crytek in Verbindung kam und was Zur unter der "vierten Dimension" versteht, hat er uns im ausführlichen Interview erzählt.

4Players: Wie sind Sie mit Crysis (ab 16,61€ bei kaufen) in Kontakt gekommen? Sind Sie auf die Entwickler zugegangen oder hat sich EA bei Ihnen gemeldet?

Inon Zur: Cryteks Audio Direktor, Joe Zajonc, kam auf mich zu und bat mich um eine Demo für das Spiel. Davor hatte ich nichts davon gehört, aber das Konzept hat mir auf Anhieb zugesagt, und ich habe alles daran gesetzt, den Auftrag zu erhalten.

4Players: Welche Art von Soundtrack 

Nach Ubisofts Prince of Persia-Reihe, Warhammer 40.000: Dawn of War sowie Everyquest II vertont Inon Zur auch EAs Crysis.
schwebte Crytek ursprünglich vor - was für ein Soundtrack erwartet uns in Crysis?

Zur: Crysis besteht aus vielen Elementen, was Charaktere, Schauplätze und Ereignisse angeht. Die Geschichte spielt auf einer ozeanischen Insel sowie anderen Lokalitäten, an denen amerikanische Truppen der nordkoreanischen Armee oder Außerirdischen gegenüber stehen. Das alles verlangt nach einem sehr abwechslungsreichen Soundtrack, der sich an diese Umgebungen, Charaktere und Ereignisse anpasst, während er gleichzeitig einheitlich genug wirkt, um das Spiel als Ganzes zu unterstützen. "Eine ganz schöne Herausforderung", habe ich zuerst gedacht, und später wurde es sogar noch aufwändiger. Zum Glück haben mir Leute wie Joe Zajonc und andere Crytek-Mitarbeiter mit allen notwendigen Details, Bildern und Videos geholfen, so dass ich die Herausforderungen meistern konnte.

4Players: Haben Sie sich die Musik des geistigen Vorvaters, Far Cry, angehört und als eine Art Vorlage für den Crysis-Soundtrack genutzt?

Zur: Ganz und gar nicht. Wir wollten mit der Musik ein neues Kapitel aufschlagen, und wir hatten keinen konkreten Einfluss im Kopf. WAS wir im Kopf hatten, waren Stile und Stimmungen, die bereits von anderen Soundtracks eingefangen wurden, also habe ich mir diese angehört und Notizen gemacht.

4Players: Steht bei Ihrer Musik die Action im Vordergrund oder haben Sie den Schwerpunkt auf handlungstragende Zwischensequenzen gelegt? Wieviel Musik hört der Spieler, während er die offene Welt von Crysis durchstreift?

 

Auszüge aus dem Crysis-Soundtrack:

"Fleet Reactor Core"

"Trailer"

"Airfield Battle High"Zur: In Crysis kann die Musik natürlich nicht von einem Raum zum nächsten wechseln. Ich glaube, dass Stille und Ruhe von musikalischer Untermalung gute Mittel sind, um einen neuen dramatischen Höhepunkt vorzubereiten. Zwischensequenzen und Spiel gehen in Crysis praktisch nahtlos ineinander über, und ich denke, die Spieler werden gar nicht bewusst zwischen beidem unterscheiden. Deshalb soll der Soundtrack so dynamisch wie möglich sein und sich stets der Situation anpassen, egal ob es sich um Zwischensequenz oder Spiel handelt.

4Players: Sagen Sie nicht "Ego-Shooter": Für welches Genre der Videospiele komponieren sie am liebsten und weshalb?

Zur: Jeder hat seine Vorlieben, wenn es darum geht, woran er gerne arbeitet. Im Allgemeinen versuche ich einfach, das Beste aus meinen Projekten zu machen. Meine Arbeit erledige ich unabhängig vom Stil und auch unabhängig von der Art des Spiels.

 

4Players: Sie schreiben auch Soundtracks für Filme und Fernsehserien, wo Sie minutiös inszenierte Momente vertonen müssen, während Spiele meist dynamische Loops verlangen, um eine Atmosphäre aufzubauen. Was liegt ihnen aus kreativer Sicht eher?

 

Zur: Auch hier gilt (und ich sage das nicht, um politisch korrekt zu klingen), dass jede Form des Komponierens eine andere Art der Herausforderung bedeutet. In Videospielen ist die Freiheit beim Schreiben ohne die Einschränkungen in Bezug auf das Timing sehr verlockend. Sie stellt aber auch eine kreative Herausforderung dar, wenn man auf eine leere Seite blickt und sich fragt: "Und was jetzt?"). In Filmen ist man an das Bild gebunden, wird dafür aber durch die dramatischen Ereignisse in die Szene hinein gesogen, so dass man die Musik zu einem Teil des gesamten Erlebnisses machen will - was wieder eine ganz andere interessante Herausforderung darstellt.           

4Players: Gehen Sie die verschiedenen Medien unterschiedlich an oder ist das Schreiben der Musik stets gleich? Wie bereiten Sie sich im Allgemeinen auf ein neues Projekt vor?

Zur: Musik ist Musik und Komponieren ist immer Komponieren. Das große Ziel in einem Film oder einem Spiel ist es immer, den emotionellen Aspekt, den ich "die vierte Dimension" nenne, zu vermitteln. Natürlich unterscheidet sich jedes Projekt von dem vorherigen (selbst wenn das Ziel das Gleiche bleibt), und man sollte sein Herangehen entsprechend anpassen.

Um mich vorzubereiten, unterhalte ich mich für gewöhnlich sehr ausführlich mit den Entwicklern, versuche herauszufinden, was sie mögen und welche Art von Musik zu dem Projekt passt. Anschließend konzentriere ich mich auf das Projekt selbst, sammele alle Fakten und versuche, ein Gefühl dafür zu bekommen. Dann treffe ich eine Entscheidung, 

Laut dem Komponisten ist Crysis nicht nur einfach der nächste einfallslose Blockbuster.
was den Stil und die Instrumente angeht - wobei hier sämtliche Aspekte des Spiels hineinspielen.

4Players: Wie eng arbeitet ein Komponist mit den Entwicklern zusammen? Ist er an der Entstehung beteiligt oder schreibt er die Musik für ein mehr oder weniger fertiges Produkt?

Zur: Das kommt ganz auf das Projekt an. Mit dem eigentlichen Design des Spiels habe ich nichts zu tun, aber falls ich relativ früh dazu stoße, wird meine Musik dazu genutzt, die Stimmung einer Umgebung einzufangen, falls deren Ausrichtung noch nicht 100-prozentig definiert wurde.

4Players: Wie viel Freiheit genießen Sie im Normalfall beim Umsetzen ihrer Vision dessen, wie der Soundtrack klingen soll? Haben die Entwickler bereits eine bestimmte Art von Musik im Kopf, wenn sie sich nach einem Komponisten umsehen?

Zur: Auch das kommt ganz auf das Spiel und die Entwickler an. Im Fall von Crysis wusste ich z.B., welchen Eindruck die Musik im Spiel hinterlassen sollten, hatte aber viel Freiraum beim Festlegen meiner musikalischen Mittel. Einige Entwickler geben mir Beispiele (normalerweise aus Filmmusiken), um mich in die gewünschte Richtung zu weisen, während ich bei anderen den Stil selbst bestimmen kann.

4Players: Weshalb sind Sie Komponist geworden? Sind Sie eigentlich selbst Spieler?

Zur: Ich verbringe sehr gerne viel Zeit mit Spielen. Musik wollte ich seit meiner Jugend komponieren, deshalb habe ich meine gesamte Ausbildung auf dieses Ziel ausgerichtet. Als kleiner Junge habe ich in meiner Heimat Israel Unterricht in Komposition genommen und eine Menge Musik geschrieben. Das hatte stets eine große Anziehungskraft auf mich, und als ich hierher in die USA kam, wurde der Wunsch sogar noch stärker. Ich habe das Ziel sehr schnell und sehr zielstrebig verfolgt.

4Players: Gibt es Projekte, die Sie gerne übernommen hätten, damals aber zurückgewiesen haben?

Zur: Ich schaue mir die Projekte sehr genau an, deshalb sind die, die ich schließlich wähle, für gewöhnlich auch solche, nach denen ich suche. Projekte, an denen ich nicht interessiert bin, nehme ich nicht an, und ich muss sagen, dass ich bisher sehr wenig bereut habe in Bezug auf meine Entscheidungen.

4Players: Wenn man sich die Spiele dieses

Der emotionelle Aspekt stellt für Zur die "vierte Dimension" eines Spiels dar.
Jahres ansieht: Welche haben ihrer Meinung nach etwas Besonderes in Sachen Musik erreicht?

Zur: Meiner Ansicht nach funktioniert die Einbindung der Musik in vielen großen Titeln immer besser und nahtloser. In den kommenden Monaten stehen einige große Veröffentlichungen bevor und ich hoffe, dass sie die Musik auf möglichst kreative Art und Weise nutzen werden.

4Players: In welche Richtung sollten sich Videospiel-Soundtracks ihrer Meinung nach entwickeln? Gibt es etwas, was sie sich für die Spielemusik wünschen, das noch nicht erreicht wurde?

Zur: Wir versuchen stets, die Soundtracks immer interaktiver zu gestalten. Dies ist das große Ziel, das noch weit entfernt ist und noch lange nicht perfektioniert wurde. Auch hier halte ich mir das nichtlineare System, um das es in Spielen geht, vor Augen und versuche Lösungen zu finden, um die Klangerfahrung so gut wie möglich mit den visuellen Eindrücken zu verschmelzen.

4Players: Wenn es nur um ihre eigenen Vorlieben ginge: Wie muss das Spiel aussehen, welches Sie immer vertonen wollten?

Zur: Ich halte immer nach etwas Besonderem Ausschau: Zeigt mir ein paar neue Ideen, erzählt neue Geschichten und verlasst euch nicht auf den vorhersagbaren Blockbuster. Ich lasse mich (wie im Fall von Crysis) immer von neuem und einfallsreichem Material begeistern, um die Inspiration für neue Musik zu finden.

4P: Vielen Dank für das Gespräch!     

 
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