Architektur & Spiel16.08.2006, Jörg Luibl
Architektur & Spiel

Special:

4Players: Sie haben Architektur studiert und das Spiel als Thema entdeckt. Was war eher da: Die Faszination am Raum und Gebäuden oder an der Highscore?

Dörte Küttler:  Die ersten Modelle von Gebäuden habe ich mit etwa zehn Jahren gebaut. Als ich meinen C64 bekam, war ich zwölf. Die Architektur hat also zwei Jahre Vorsprung. Beruflich bin ich von der Architektur über Medienarbeit für Architekten zum Thema Architektur in Computerspielen gekommen.

Dörte Küttler studierte Architektur, war selbstständige Webdesignerin und hat kurze Ausflüge in Archäologie und Kunstgeschichte unternommen. Sie hat gerade ihre Masterthesis "Architektur in digitalen Spielen" fertig gestellt.

4Players: Welche Spiele mögen Sie am liebsten? Was zocken Sie derzeit?

Dörte Küttler: Mich faszinieren Spiele, die es schaffen, mich in eine völlig eigene Welt zu entführen. Dann ist Spielen wie Verreisen. Das erste Mal hatte ich dieses Gefühl in Ultima Underworld. Ich liebe Rollenspiele und Action Adventures mit dichter Atmosphäre. Zurzeit spiele ich wegen meiner Masterarbeit vieles gleichzeitig, zum Beispiel Spellforce 2, Die Sims 2, Desperados 2 oder Half Life 2. (Warum gibt es eigentlich so viele Fortsetzungen?) Als nächstes möchte ich verschiedene MMOGs ausprobieren, wie beispielsweise The Saga of Ryzm.

4Players: In Ihrer Masterarbeit geht es um "Architektur in digitalen Spielen". Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Dörte Küttler: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass ein Bedarf nach theoretischen Grundlagen und mehr Austausch rund um dieses Thema besteht. Räume, Gebäude und Städte übernehmen in den meisten Spielen wichtige Funktionen für das Gameplay. Architektur dient über den visuellen Eindruck der spontanen Einordnung eines Spiels, kann beim Spieler gezielte Emotionen auslösen, schafft Grenzen, kann Spielziel, Spielinhalt, Herausforderung, Gegner oder Verbündeter sein oder ist Symbol für eine Spielfunktion oder Belohnung für den Spielfortschritt. Aus Gesprächen mit Spieleentwicklern weiß ich, dass diese sich der Bedeutung von Architektur für Spiele sehr bewusst sind. Trotzdem gibt es kaum Literatur oder Untersuchungen dazu. Ob in der Ausbildung von Leveldesignern und Game Artists Architekturkenntnisse vermittelt werden, scheint vom Engagement einzelner Dozenten abzuhängen. Ich möchte nun mehr Leute dazu ermuntern, sich mit Architektur in der Spielentwicklung zu beschäftigen.

4Players: Welche Spiele haben Sie zur Recherche genutzt?

Dörte Küttler: Die Funktionen, die Architektur in Spielen übernimmt, habe ich an aktuellen Spielen untersucht, beispielsweise Sims 2, Shadow of the Colossus, Half Life 2, City Life, Tomb Raider Legends, Spellforce 2, Oblivion, GTA San Andreas oder Desperados 2. Für die historische Betrachtung von Raum- und Architekturdarstellungen habe ich Klassiker von Zork über Gost´n Goblins bis Myst und Resident Evil herangezogen.

4Players: Sind Ihnen Publisher bei der Recherche entgegen gekommen? Hinter welche Kulissen durften Sie schauen?

Hier geht es zum Gastbeitrag "Lust auf Architektur" .
Dörte Küttler: Das war wirklich großartig. Wo ich anfragte, bekam ich Unterstützung. Die Entwerfer der Architekturen von Anno 1701, Die Siedler, Spellforce und Desperados nahmen sich viel Zeit für meine Fragen. Publisher wie Koch Media, Ubisoft und CDV und Spielezeitschriften unterstützten mich mit Informationen.

4Players: Schriftsteller helfen der Story auf die Sprünge, Archäologen beraten Entwickler historischer Spiele. Ist es Ihrer Meinung nach sinnvoll, studierte Architekten mit einzubeziehen?

Dörte Küttler: Es gibt bereits Architekten als Leveldesigner und Game Artists in der Branche. Allerdings ist ein guter Architekt nicht automatisch ein guter Leveldesigner oder Game Artist. Er hat sehr vieles gelernt, was für ein Spiel irrelevant ist, wie das exakte Entwerfen von Konstruktionen, die nicht nur ästhetisch sein brauchen, sondern auch bauphysikalisch, statisch und baurechtlich funktionieren müssen. Um für ein Spiel zu entwerfen, muss er aber quasi im Nichts eine Raumdramaturgie für eine bestimmte Spielsituation entwickeln, also eher wie ein Bühnenbildner arbeiten, ohne dass es eine reine Kulisse oder eine architektonische Spaßbremse wird. Ich bin der Meinung, dass die notwendigen Architekturkenntnisse in der Ausbildung von Leveldesignern und Game Artists vermittelt werden sollten, wie es beispielsweise an der HGK Zürich im Bereich Game Design geschieht.

4Players: Gibt es ein Spiel, das Sie als Architektin besonders fasziniert hat?

Dörte Küttler: Mich begeistern die Spiele, in der ich Architektur so erleben kann, wie es in der Realität nicht möglich wäre: Meine Sims kann ich in Häuser ohne Türen und Fenster stecken. In Half Life 2 verschlingt der Combine Wall die weltliche Architektur. In Shadow of the Colossus wird Architektur zum lebendigen Gegner.

        

 4Players: Haben Sie auch Psychonauts gespielt? Das hat uns mit seiner experimentellen Architektur fasziniert. Es gibt herrlich bizarre Level, die den Helden z.B. in den Kopf eines Psychoanlaytikers abtauchen lassen - da erwarten ihn kleine Planeten, kubisches Design, skurrile Türme.

Dörte Küttler:  Ja, Psychonauts ist ziemlich verrückt. Für den irren Architekturspaß mit den vielen großartigen Anspielungen auf Klischees habe ich mir sogar das nervenaufreibende Rumgehüpfe angetan. Ich halte solche Action-Adventures sonst eigentlich nie durch...

4Players: Falsche Höhenmaße, schiefer Raum, stilistische Fehler. Gibt es Spiele, die sie als Architektin besonders geärgert haben?

Dörte Küttler: Ich langweile mich schnell zwischen immer gleicher Fachwerkarchitektur, wie sie in jedem zweiten Rollenspiel zu sehen ist, und ärgere mich, wenn diese dann noch lieblos gestaltet wurde. Ein echtes Problem hatte ich mit Sims 1: Meine Sims waren immer unglücklich, weil ich ihnen nur minimalistisch eingerichtete Räume anbot. Wir wurden uns nicht darüber einig, was einen schönen Raum ausmacht... Sims 2 verhält sich da architektenverträgllicher.

4Players: Eine unheimlich beeindruckende und letztlich auch wertungsrelevante Rolle hat die Architektur in Shadow of the Colossus gespielt. Der Held schrumpfte angesichts der Monumentalität zum Wurm und selbst die Riesen wirkten wie lebendige Architektur, die man erklettern konnte. Inwieweit haben Sie sich auch mit den psychologischen Wirkungen von Raum und Gebäuden beschäftigt?

Dörte Küttler: Shadow of the Colossus ist ein hervorragendes Beispiel für einen kreativen Umgang mit Architektur im Spiel. Den Gegensatz von Weite und Enge am Bildschirm mit nur etwa 40 bis 60° Sichtwinkel zu erzeugen, ist außerordentlich schwer. SotC schafft ein Gefühl von unendlicher Weite und Leere, um den Spieler im nächsten Moment durch die gewaltigen Kolosse in die Enge treiben zu lassen: Eine ganz fantastische Dramaturgie des Raumgefühls.

4Players: Wie unterscheidet sich die Aufgabe oder Funktion von Architektur im Leben von der im Spiel?

Dörte Küttler: Die Architektur, die uns in der Realität umgibt, dient uns zum Schutz vor Wetter, als Raum für Aktivitäten, zur Wahrung unserer Privatsphäre, als Produktionsstätte oder Lager. Als das ist im Spiel nur so relevant, wie die Realität simuliert werden soll. Im Spiel unterstützt Architektur das Gameplay. Sie schafft Grenzen, kann Spielziel, Spielinhalt, Herausforderung, Gegner oder Verbündeter sein oder dient als Symbol für eine Spielfunktion oder Belohnung für den Spielfortschritt. Gemeinsamkeiten von Architektur in der Realität und im Spiel sind vor allem der Wert für die Atmosphäre und den Ausdruck eines bestimmten Status, wie beispielsweise Macht. Außerdem lassen sich die meisten Architekturen in Städte, Gebäude und Bauteile gliedern, obwohl dies im Spiel gar nicht notwendig wäre. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Rez , welches einfach nur Raumstrukturen erschafft.

4Players: Wenn Sie die Evolution der Spielarchitektur betrachten: Was hat sich hauptsächlich verändert?

Dörte Küttler: Die entscheidende Entwicklung fand im Abstraktionsgrad der Darstellung statt, was vor allem auf die immer leistungsfähigeren Rechnersysteme zurückzuführen ist. Früher wurden Architekturen abstrahiert, heute werden sie mit zahlreichen Details geschmückt. Diese Entwicklung gab es zwei Mal: Erst in 2D, dann in 3D. Die Gestaltung und die Themen von Architektur haben sich dagegen kaum geändert.

4Players: Wird die Rolle der Architektur auch in den wissenschaftlichen Kreisen der Game Studies behandelt? Haben Sie vielleicht einen Literaturtipp für Interessierte?

Dörte Küttler:  Architektur in Spielen ist bisher kaum Gegenstand von Forschung geworden. Interessant ist aber, was Leveldesigner über Architektur schreiben, zum Beispiel Ernest W. Adams in "The Construction of Ludic Space" oder Michael Stuart Licht in "An Architect´s Perspective On Level Design Pre-Production". Im Frühjahr 2007 wird im Birkhäuser Verlag das Buch "Space Time Play" erscheinen, dass sich auch mit anderen Schnittstellen von Architektur und digitalen Spielen beschäftigt, wie Pervasive Gaming oder dem Einsatz von Game Engines als Planungsinstrumente für Architekten.

4Players: Stellen Sie sich vor, Sie müssten entscheiden, wer an der Entwicklung eines kommenden Spiels teilnimmt: entweder ein Star-Architekt, ein großer Komponist oder ein Bestseller-Autor. Auf wen träfe ihre Wahl? Wer ist wichtiger?

Dörte Küttler: Meine Wahl würde auf den der drei fallen, der weiß, worauf es in einem Spiel ankommt. Wenn der Star-Architekt nicht weiß, wie seine Raumdramaturgie am Bildschirm wirkt, der Komponist die Atmosphäre der Situation nicht transportieren kann und der Bestseller-Autor nicht in der Lage ist, seine Geschichte interaktiv zu entwickeln, nützt mir keiner der drei etwas. Ich bin der Meinung, es sollte lieber qualifizierte Studiengänge an staatlichen Hochschulen geben, die gezielt für die Spieleentwicklung Game Designer, Leveldesigner, Game Artists und Sound Designer auf hohem Niveau ausbilden. Dann bräuchte die Branche weniger Spielautodidakten fremder Disziplinen.

4Players: Vielen Dank für das Interview.

 

 
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