Im Test:
Punkt, Punkt, Komma, Strich
Der letzte Satz ist übrigens wörtlich zu verstehen. Die Spielregeln des innovativen Knoblers sind so simpel, dass sie in einen Satz passen: Zeichne mit der Maus oder dem angeschlossenen Zeichenbrett allerlei zweidimensionale Gegenstände, welche die Kugel zu den Ziel-Sternen befördern. In vielen Levels wartet allerdings nur ein im Comic-Stil wackelndes Sternchen darauf, Bekanntschaft mit meiner Kugel zu machen. So simpel die Aufgabenstellung klingt, so vielfältig fallen die Möglichkeiten aus, sie zu erfüllen. Zeichne ich einfach einen langen Steg, auf welchem meine Kugel
Alles, was ihr zeichnet, bekommt von der Physik-Engine ein eigenes Gewicht verpasst. |
Klickt man mit der Maustaste auf die Murmel, nimmt sie nämlich ein wenig Fahrt auf. Sie lässt sich aber auch beschleunigen, indem ich einfach einen dicken Stein darüber kritzele und ihn auf den Rand der Kugel fallen lasse. Mit der Hilfe von Nägeln lassen sich auch einfache Maschinen basteln: Einfach einen kleinen Kringel gezeichnet - und schon lassen sich mit dem Werkzeug andere Gegenstände aneinander pinnen. Auf diese Weise baut man Wippen, Lastenaufzüge und sogar Kräne. Sobald ich zwischen zwei Kreisen eine Linie ziehe, entsteht ein baumelndes Seil, an das ich z.B. eine Box mit meiner Kugel hängen kann. Mit Hilfe dieser Schnur binde ich die Kiste an eine Rakete, welche meinen Kugelkäfig mit Düsenkraft zum Stern befördert.
Einfallsreichtum wird belohnt
Je kreativer ich mich anstelle, desto eher komme ich ans Ziel. In diesem Spiel gibt es kein falsch und kein richtig, sondern ganz individuelle Wege. Ein Blick in das Forum des Entwicklers verrät, dass die meisten Spieler ganz anders vorgegangen sind als ich. Manche Tüftler stellen sich sogar zusätzliche Aufgaben, indem sie z.B. sämtliche Levels nur mit Dinosauriern in verschiedenen Formen und Farben vollkritzeln.
Es fühlt sich fast so an, als wäre ich ein Architekt - nur eben einer, der in kindlicher Neugier mit Wachsmalstiften herumkritzelt. Wahrscheinlich ist das Konzept genau deswegen so herrlich entspannend. Crayon Physics Deluxe ist wie eine Zeitmaschine in sorglose Kindertage, in denen ich mich vor ein Blatt Papier setzte und völlig in der Beschäftigung versank. Vermutlich habe ich mir schon damals die Frage gestellt, was passieren würde, wenn mein buntes Gekrakel zum Leben erwachen würde. Operation misslungen: Wenn der Ball nicht zum Stern gelangt, malt ihr einfach weiter und versucht es auf andere Weise.
Auch die ruhigen Chillout-Akkorde sorgen für ein relaxtes Spielerlebnis. Außerdem kommt beinah nie Frust auf. Ich fühlte mich nie komplett verloren, wenn ich in einem Level feststeckte. Statt zu resignieren, kann man versuchen, sauberer zu zeichnen oder einfach komplett umzudenken und eine andere Technik anzuwenden. Falls das auch nichts nutzt, besteht meist die Möglichkeit, das Level links liegen zu lassen und auf der Weltkarte einen alternativen Weg einzuschlagen. Hardcore-Knobler könnten sich durch das große Maß an Freiheit unterfordert fühlen. Wenn man sich clever anstellt, hat man die gut 70 mitgelieferten Rätsel in wenigen Stunden gemeistert.
Nachwuchs-Künstler gesucht
Danach können professionelle Kopfnussknacker allerdings versuchen, es besser zu machen als Purho und im Editor richtig knackige Levels entwerfen. Die Basis-Funktionen des Baukastens lassen sich so simpel bedienen wie das Spiel selbst.
Man zeichnet und radiert einfach auf dem Karopapier herum und pinnt Objekte mit Nadeln an den Hintergrund oder aneinander. Die Anleitung wird leider nicht mitgeliefert, sondern ist nur auf der Homepage zu finden. Dank diverser Shortcuts lässt sich der Baukasten noch ein wenig schneller und präziser bedienen als nur mit der Maus. Mit Hilfe von Schwerkraft-Pfeilen kann man sich sogar Motoren konstruieren, mit denen sich z.B. gezeichnete Autos antreiben lassen. Im Level-Editor gebt ihr Objekten mit Pfeilen Auftrieb oder bringt sie in Bewegung - wie z.B. in diesem Exemplar von User dapremsta.
Die Ergebnisse werden als Bilddatei abgespeichert und lassen sich nach dem Erstellen eines Accounts auf der Seite des Entwicklers hoch- und herunterladen. Das Suche nach gelungenen User-Levels fällt unkomfortabel aus: Bisher werden lediglich die aktuellsten Exemplare in einer Liste aufgeführt. Es gibt zwar eine Bewertungs-Funktion, aber keine Sortierung nach Beliebtheit. Außerdem lassen sich die hausgemachten Levels nur direkt im Editor starten. Trotzdem lohnt es sich, in den benutzergenerierten Abschnitten herumzustöbern: Sie wirken in der Regel weniger professionell, im Gegenzug aber kreativ. Außerdem gibt der Schöpfer des Spiels höchstpersönlich Kommentare zu vielen eingesendeten Kreationen ab.
Malbuch für unterwegs
Neben dem direkt beim Entwickler erhältlichen PC-Original für 19,95 US-Dollar existiert auch eine abgespeckte Umsetzung von Hudson für iPhone und iPod touch mit 51 Levels für nur rund 4 Euro. Leider muss man auf den Apple-Geräten direkt mit der dicken Fingerkuppe zeichnen. Das kann ein wenig kniffliger werden als mit Maus oder Zeichenbrett, funktioniert aber trotzdem recht ordentlich -
wenn nicht gerade ein Bug auftritt, der das Zeichnen neuer Objekte verhindert, weil angeblich die maximal mögliche Menge erreicht sei. In der PC-Fassung trat der Fehler zum Glück nur einmal auf. Ein anderes mal ließen sich meine Striche nicht mehr löschen, doch das Problem ließ sich durch einen Neustart des Levels beheben. Von den zwei seltenen Bugs abgesehen lief die PC-Version bisher sauber. Sogar auf der Weltkarte dürft ihr euch mit dem Stift austoben.
Die Kollisionsabfrage reagiert allerdings nicht immer exakt so, wie ich es mir wünschen würde: Gerade, wenn ich ein Kugel in ein großes Gewicht hineingezeichne, flutscht sie meist mit seltsamen Zuckungen wieder heraus. Wenn man die Macke kennt, lassen sich solche Probleme aber leicht umgehen. Auch an die Steuerung mit dem Zeichenbrett musste ich mich als Newbie erst gewöhnen, nachdem ich unserem Grafiker sein Wacom Intuos 3 geklaut hatte. Nach ein paar Minuten konnte ich aber auch damit intuitiv herumkritzeln. Noch besser komme ich mit der Maussteuerung zurecht: Trotz meiner tatterigen Hände zaubere ich sogar geradere Linien auf den Bildschirm als in der Realität!
Fazit
Crayon Physics Deluxe ist das ideale Programm zum Abschalten nach zermürbenden Shooter-Schlachten: Die geniale Spielidee mit den physiklastigen Zeichenpuzzles bietet erfreulich viel Freiraum für Experimente. Ganz ohne störenden Zeitdruck kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen - fast so wie früher mit echten Wachsmalkreiden. Ob ich einen krummen Lastenaufzug zeichne, die Murmel mit einer Rakete durch den Level schleudere oder sie über einen gigantischen Regenschirm kullern lasse: Es gibt fast immer mehrere Lösungen. Wenn man sich geschickt anstellt, sind die mitgelieferten Levels allerdings schon nach wenigen Stunden bezwungen. Dank einer lebendigen Community könnt ihr euch aber jede Menge Nachschub von der Internetseite des Entwicklers herunterladen - oder selbst im Editor kreativ werden. Man merkt an allen Ecken und Enden, dass das Projekt im Wesentlichen von einem einzelnen Entwickler stammt, der mehr Wert auf kreative Spielideen als auf perfekte Umsetzung legt: Es gibt nur einen Spielmodus, keinerlei Multiplayer-Modi und die Präsentation wirkt spartanisch. Andererseits passt der minimalistische Grafikstil zum Spielkonzept wie das Papier zum Wachsmalstift. Außerdem ergeben sich allerlei skurrile Augenblicke, wenn ihr euch zu zweit oder mit mehreren vor die Kiste setzt, drauflos kritzelt und euch um den besten Lösungsweg streitet. Also: Lasst das Kleinkind in euch heraus und erweckt das Papier zum Leben!
Zweites Fazit von Julian:
Knapp ein Jahr nach dem Gewinn des IGF-Preises ist es endlich so weit, und das Warten hat sich gelohnt - trotz diverser Klone. Stilistisch ist das gelungen, die Akustik passt, auch wenn ich nichts dagegen hätte, wenn es mehr Songs gäbe. Als ich vor einiger Zeit eine Betaversion von Crayon Physics Deluxe antestete, kam mir das Geschehen etwas zu leicht vor. Wer das Ganze nur zu konsumieren gedenkt, um einfach alle Level einmal durchzuspielen, bekommt ein unterhaltsames, aber nicht allzu langes Erlebnis serviert. Der wahre Kern des Purho' schen Werkes besteht für mich eher im Herumexperimentieren und Austüfteln möglichst abgedrehter Lösungen - und die gibt es reichlich dank der angenehmen Freiheit. Die Ideenvielfalt und der Unterhaltungswert werden gesteigert, wenn man zu zweit oder zu dritt vor dem Bildschirm sitzt und zusammen Herangehensweisen ausspinnt. Aufgrund seines zugänglichen Prinzips und der entspannten Atmosphäre eignet es sich auch für Leute, die Spielen sonst eher abgeneigt gegenüber stehen. Wer ein Grafik-Tablet oder einen entsprechenden Bildschirm besitzt, muss sich das knobelerlebnis sowieso holen, denn damit spielt es sich naturgemäß perfekt.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Simpel aber kreativ: Innovative und entspannende 2D-Zeichenpuzzles mit Physik-Spielereien, Level-Editor und kargem Umfang.
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