Empire Earth30.11.2001, Jörg Luibl
Empire Earth

Im Test:

Nach Battle Realms und Myth III gehört Empire Earth (ab 5,66€ bei kaufen) sicher zu den Echtzeitstrategie-Hoffnungen dieses Jahres: Das Team der Stainless Steel Studios hat das Age of Empires-Prinzip nicht nur in die dritte Dimension katapultiert, sondern gleichzeitig mit einer epischen Dimension versehen, die in Sachen Einheitenzahl und Technologiebaum neue Maßstäbe setzt. Die Frage bleibt, ob der historische Cocktail die hohen Spielspaßerwartungen erfüllen kann - mehr dazu im Test!

Ziel: Weltherrschaft

Empire Earth - der Name ist Programm: Als Herrscher könnt Ihr eine beliebige Zivilisation von der Urgeschichte bis hin zum fiktiven Nano-Zeitalter (2100-2200 n. Chr.) durch 14 Epochen der Weltgeschichte führen. Eines vorab: Wer glaubt, sich à la Civilization von Anbeginn der Zeit bis ins High-Tech-Zeitalter vorkämpfen zu können, wird schnell von der KI und der eigenen Geduld eines Besseren belehrt - nur wenige werden den langwierigen Weg von der Zeit der Keulen in die Zeit der Chips zurücklegen. Doch wem 500.000 Jahre Echtzeit-Strategie zu viel des Guten sind, dem empfiehlt sich eine der vier historischen Kampagnen: Als Deutsche steuert Ihr z.B. Flieger-Ass Richthofen und müsst Euer strategisches Geschick in der Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs beweisen. Außerdem könnt Ihr Griechen, Engländer oder Russen zu Glanz und Gloria bringen. Die Kampagnen sind thematisch sehr gut aufgearbeitet und dank überraschender Wendungen sehr motivierend - außerdem katapultieren sie Euch im Gegensatz zum freien Spiel in einen überschaubaren Zeitabschnitt.

Altes Prinzip in neuem Gewand

Age of Empires-Fans werden sich in der 3D-Welt von Empire Earth sofort zurechtfinden, denn die Steuerung und das Spielprinzip gleichen sich wie eineiige Zwillinge: Egal ob Einheitenauswahl, Gruppenzuordnung oder Befehlsvergabe - alles funktioniert bequem per Maus oder Tastaturkürzel. Einsteiger könnten jedoch angesichts der zahllosen Einheiten- und Aufrüstmöglichkeiten leicht überfordert werden - zumal die KI erschreckend gut ist: Was soll ich bauen? Was soll ich bloß entwickeln? Wo soll ich aufwerten? Trotz der erschlagenden Vielfalt an Daten und Optionen bleibt das Spiel an sich aufgrund übersichtlicher Benutzeroberfläche und einfacher Steuerung immer überschaubar. Anfängern empfiehlt sich dennoch das vorbildliche Tutorial, das in acht Schritten bestens auf alle Features des Spiels vorbereitet: Insbesondere die Übungen der Kampftaktik sind lobenswert, weil sie das wichtige Schere-Stein-Papier-Prinzip veranschaulichen. Ansonsten helfen das gut strukturierte Handbuch oder die farbige Faltkarte mit Technologiebaum durch den Dschungel an Möglichkeiten.

Einheiten so weit das Auge reicht

Das Spielprinzip bietet all das, was das Echtzeit-Genre seit WarCraft und Age of Empires ausmacht: Ressourcenabbau, Siedlungsbau inklusive Mauer- und Turmerrichtung, Erkundung und Kampf in Formationen. Einige nützliche Funktionen sind hinzu gekommen: Euren Scout könnt Ihr beispielsweise automatisch auf Erkundungstour schicken. Außerdem lassen sich verletzte Einheiten in Krankenhäusern wieder fit machen. Dazu gibt`s Helden wie z.B. Karl der Große, die Eurer Truppe einen Moralbonus verschaffen. Aber absolut neu sind die epischen Ausmaße in Sachen Einheiten und Technologiebaum: 14 unterschiedliche Epochen mit passenden Truppentypen abzuhandeln hat vor allem für eines gesorgt: Masse.

Leider gibt es keine Völker-spezifischen Einheiten wie bei Age of Kings (Deutschritter; Huskarls etc.), so dass z.B. auch Deutsche Kriegselefanten in die Schlacht schicken können - die Nationen unterscheiden sich nur hinsichtlich ihrer zahllosen wirtschaftlichen und militärischen Werte. Strategie-Fans werden angesichts der über 200 Infanterie-, Luft- und Marineeinheiten trotzdem mit der Zunge schnalzen, müssen sich aber auf sieben verschiedene und im späteren Spielverlauf sehr komplexe Varianten des Schere-Stein-Papier-Prinzips einstellen. Im Mittelalter sind die Kräfteverhältnisse noch überschaubar: Bogenschützen helfen gegen Speerkrieger, Speerkrieger gegen Schwertkämpfer und letztere wiederum gegen Bogenschützen. In der Renaissance kommen drei weitere Einheitentypen hinzu und im digitalen Zeitalter sind es dann noch mal drei mehr - selbst Genre-Veteranen werden hier und da ihr Waterloo erleben. Gut, dass es eine farbige Faltkarte gibt, die das Ganze aufschlüsselt.

Spannung dank Katastrophenalarm

Es gibt ein Feature, das Empire Earth erfrischend positiv von Age of Empires 2 abhebt und schon eher in Richtung Age of Mythology rückt: der Prophet. Egal in welcher Zeit Ihr spielt, wird diese mächtige Einheit dafür sorgen, dass es abseits von konventionellen Kämpfen göttlichen Beistand und herrliche Populus-Effekte gibt: Seuchen sorgen für Bevölkerungsschwund, Erdbeben lassen Panik aufkommen und Vulkanausbrüche verbreiten nicht nur blankes Entsetzen, sondern können auch Kampfflugzeuge vom Himmel holen und ganze Armeen mit Lavabrocken aufreiben. Diese Katastrophen sind nicht nur optisch herrlich in Szene gesetzt, sondern eröffnen spielerisch eine Menge gemeiner Strategien - Multiplayer-Duelle gewinnen so einen ganz eigenen, hinterhältigen Reiz: Der geschickte Einsatz eines einzelnen unheilbringenden Propheten im Kernland eines Widersachers kann das Schlachtenglück wenden.

Wieso, weshalb, warum?

Bietet Empire Earth Masse statt Klasse? Nein, es ist ein klasse Strategiespiel. Trotzdem bleiben einige Inkonsequenzen: Warum laufen schwer gerüstete Schwertkämpfer schneller als Bogenschützen? Warum müssen meine Bauern noch im Nano-Zeitalter wie Primaten Holz hacken und Rohstoffe abbauen? Hier hätte der Ressourcen-Abbau automatisiert werden können. Auch der Diplomatieteil hätte mehr als Tributzahlungen und Allianzen bieten können. Und vier Dinge werden Age of Kings-Spieler schmerzlich vermissen: Marktplatz, Alarmglocke, Turmbemannung und Königsmord: Wieso kann ich mit meinen überschüssigen Rohstoffen nicht handeln? Bei Ressourcenknappheit kommt man schnell in Verlegenheit. Warum muss ich meine Zivilisten manuell in Kasernen verfrachten - Sirenen und Bunker hätten wenigstens in der Moderne drin sein sollen. Wieso kann ich Türme nicht mit Bogenschützen verstärken oder Mauern bemannen? Und im Multiplayer-Modus nervt die Tatsache, dass man wirklich alles dem Erdboden gleich machen muss, wenn man nicht per Wunderbau siegen will - der "Königsmord" aus Age of Kings hat für mehr taktischen Spielraum gesorgt.

Epische Schlachten vor 3D-Kulisse

Viele Kritiker haben befürchtet, dass der Schritt in die dritte Dimension gerade im Echtzeit-Strategiebereich problematisch ist. Doch Empire Earth ist neben Battle Realms und Myth III ein Paradebeispiel dafür, dass nicht nur Sprites, sondern auch Polygone äußerst ansehnlich in den Kampf ziehen können: Die Figuren überzeugen mit authentischen Rüstungen und Uniformen und sind zudem gut animiert. Bei Gefechten sorgen schöne Rauch- und Explosionseffekte für die nötige Kulisse und Erdbeben oder Vulkane sind eine reine Augenweide. Auch die belebte Landschaft kann sich sehen lassen: Unter der azurblauen Meeresoberfläche verbergen sich Fischschwärme, Bäume wiegen sich im Wind, Giraffen grasen und Tiger streifen anmutig durch die Wildnis. Lediglich kleine Patzer verwehren dem Echtzeit-Epos ein perfektes Design: Warum sehen z.B. alle Gebäude und Einheiten der verschiedenen Völker gleich aus? Egal ob Assyrer oder Engländer - die Grafiksets sind identisch und bieten keine Akzente. Die In-Game-Filme erschrecken teilweise mit grobpixeligen Figuren und der stufenlose Zoom zeigt die polygonalen Grenzen der Grafik-Engine auf. Für den Spielablauf ist der totale Zoom ohnehin absolut unnötig; manchmal wünscht man sich sogar mehr Übersicht aus der Ferne - hier hätte man die Zoomstufe erweitern sollen.

Pro:

  • fordernde KI
  • sehr gute Grafik
  • mächtiger Editor
  • zahllose Einheiten
  • vorbildliches Tutorial
  • zahllose Aufrüstoptionen
  • hervorragende Steuerung
  • epische Musikuntermalung
  • herrlich animierte Tierwelt
  • historische Helden spielbar
  • komplexe Einheitenstatistik
  • Prophet bringt Populus-Effekt
  • Landschaft strategisch relevant
  • sehr gutes Handbuch; schöne Box
  • tolle Rauch- und Explosionseffekte
  • Multiplayer-Spaß in neuen Dimensionen
  • Kontra:

  • schlechte In-Game-Filme
  • Age of Empires-Prinzip in 3D
  • keine nationalen Spezialeinheiten
  • kein Handel mit Rohstoffen möglich
  • stufenloser Zoom spielerisch unnötig
  • kein Königsmord im Multiplayer-Modus
  • Völker (Gebäude, Einheiten) optisch alle gleich
  • erschlagende Einheiten- und Technologiebäume
  • keine Turm- & Mauerbemannung; keine Alarmglocke
  • Vergleichbar mit:

    Age of Empires-Reihe; Battle Realms; C&C-Reihe

    Fazit

    Empire Earth ist der Brockhaus unter den Echtzeit-Strategiespielen: Das Lexikon protzt mit einer Unmenge an Wissen, das virtuelle Schlachtfeld-Spektakel mit einer Masse an Einheiten und Gebäuden, die schier überwältigend ist. Hinzu kommt ein Technologiebaum, der erschreckend gigantische Ausmaße annimmt - Genre-Fans werden mit der Zunge schnalzen, Einsteiger werden sich an so manche Mathe-Stunde erinnert fühlen. Trotzdem haben die Stainless Steel Studios diese Masse mit genügend Klasse verbunden: Durchdachte Kampagnen, die sehr gute Gegner-KI und eine Steuerung mit allem Komfort machen die 3D-Kämpfe überschaubar. Dabei wird das Ganze in einer äußerst delikaten 3D-Hülle auf den Monitor gezaubert, die das Feldherren-Dasein doppelt so schön macht. Gerade im Multiplayer-Bereich kann Empire Earth seine Stärken ausspielen: Allein die Integration des Erdbeben- und Seuchen-bringenden Propheten sorgt für ungeahnte Spannung und Abwechslung, die selbst Age of Kings nicht bieten kann. Trotzdem kann Empire Earth nicht ganz am Genre-König vorbeiziehen, weil viele gute Features des Vorbilds nicht integriert wurden. Und wenn ich die Wahl zwischen dem Empire Earth- und dem Age of Kings-Mittelalter hätte, würde ich immer noch letzteres als Schauplatz wählen, weil es spielerisch ausbalancierter und in Sachen Einheiten markanter ist.

    Wertung

    PC

    0
    Kommentare

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