Battle Realms19.11.2001, Jörg Luibl
Battle Realms

Im Test:

Kein anderes Spiel wurde in den letzten Wochen dermaßen beworben wie Battle Realms (ab 31,95€ bei kaufen) aus dem Hause Ubi Soft: Samurai-Banner flatterten auf in- und ausländischen Webseiten. Grundlos ist der Marketing-Hype nicht: Immerhin steckt Command&Conquer-Macher Ed Del Castillo hinter dem fernöstlichen Echtzeit-Spektakel, das Euch diesen Winter komplett dreidimensional einheizen soll. Ob das Team von Liquid Entertainment den hohen Erwartungen gerecht werden und in Hitregionen vorstoßen kann, erfahrt Ihr in unserem Test!

Spannende Clan-Kriege

Leise schleichen meine Schwertkämpfer durch den Wald; auf einem Hügel gehen Bogenschützen in Stellung. Plötzlich kommt das feindliche Lager in Sicht. Mit einem markerschütternden Schrei zücken meine drei Dutzend Krieger ihre Klingen, Eichhörnchen flüchten aus dem Unterholz, Vögel flüchten gen Himmel und 36 tapfere Clan-Kämpfer treffen auf energischen Widerstand riesenhafter Berserker: ein chaotischer Kampf auf Leben Tod entbrennt. Ein schneller Klick, dann sirren Tod bringende Pfeilsalven durch die Luft - die Entscheidung.

Perfekte Steuerung

Battle Realms macht solche Szenarien aufgrund der hervorragenden Steuerung auch für Genre-Neulinge zum Erlebnis: Die altbewährte Lassomethode erleichtert die Figurenauswahl, Gruppen können per STRG plus Zahl leicht gebildet und später aufgerufen werden und die Übersicht bleibt dank der nur leicht zu neigenden, aber ansonsten festen Kameraperspektive immer gewahrt. Und weil auch die Wegfindungs-Routinen auf ganzer Linie überzeugen, ist das Spiel technisch einwandfrei - Glückwunsch Liquid Entertainment!

Gut oder Böse?

Schon zu Beginn der Kampagne müsst Ihr Euch für die gute (Yang) oder die böse (Yin) Seite entscheiden: Massakriert Ihr zusammen mit Reitern des Schlangen-Clans friedliche Dorfbewohner, geht Ihr das Spiel als tyrannischer Machtmensch ohne Skrupel an. Helft Ihr den Reisbauern, könnt Ihr den Drachen-Clan als rechtschaffener Kriegsfürst wieder zu Ruhm und Ehre verhelfen - es liegt an Euch. Im Laufe des Spiels sammelt Ihr dann die wertvollen Yin- oder Yang-Punkte, wenn Ihr Eure Feinde besiegt. Dafür gibt es wiederum wertvolle Upgrades in den Kasernen, wie z.B. Feuerpfeile oder mehr Angriffskraft. Im Laufe des Spiels werdet Ihr vier total unterschiedlichen Clans begegnen, die mit charakteristischen Einheiten aufwarten können; eine Übersicht findet Ihr in unserem Special:

Fernöstlicher Augen- und Ohrenschmaus

Wenn es eine Auszeichnung für das beste Spieldesign geben würde, hätte Battle Realms gute Chancen: Egal ob Benutzeroberfläche, Menüs, Einheitendesign, Animationen, Landschaft oder Spezialeffekte - alles ist im Stil asiatischer Kung Fu-Filme und mit einem Touch Fantasy perfekt durchgestylt und in bis zu 1024x768er-Auflösung genießbar. Freut Euch auf butterweiche und vielfältige Bewegungen bei Bauern und Kriegern, freut Euch auf eine wunderschöne und lebendige 3D-Landschaft und freut Euch auf unzählige coole Einheitentypen, die alle ihre eigenen Sounds einbringen. Insgesamt sind es etwa 30, hinzu kommen noch etwa ein Dutzend Zen-Meister mit Spezialfähigkeiten wie "Kriegsschrei" oder "Kritischer Treffer".

Aller Anfang ist schwer?

Doch all die Euphorie, die Battle Realms optisch und akustisch zunächst auslöst, wird im Laufe des Spiels Stück für Stück gedämpft. Warum? In Interviews hat Chef-Designer Ed Del Castillo noch angekündigt, endlich mal ein Echtzeit-Strategiespiel schaffen zu wollen, das

den Fokus auf das Schlachtfeld und die Kampftaktik legt. Doch zu Beginn jeder Mission müsst Ihr zunächst eine funktionierende Wirtschaft in Gang bringen - mit all den bekannten Features des Genres: Ressourcen (Reis, Wasser) sammeln, Häuser bauen (Wohngebäude, Kasernen, Wachtürme etc.), Truppen rekrutieren. Das ist zwar für Aufbau-Fans interessant, weil es auf die richtige Balance zwischen Bauern und Kriegern ankommt. Aber insgesamt erfordert das Mikromanagement einfach zu viel Zeit und Klicks: jeder Bauer muss einzeln in die betreffende Kaserne beordert, jeder Reispflücker einzeln mit Aufgaben betreut werden. Das ist zu Beginn alles zu bewältigen, aber bei größeren Siedlungen wird das Ganze schnell unübersichtlich. Innovativ und ansehnlich ist zwar die Integration der Pferde, aber auch die müssen erst gefangen, ausgebildet und bestiegen werden, um als Streitrosse oder Packesel herhalten zu können.

Innovatives Aufwertungssystem

Im Bereich der Einheiten-Upgrades hat Ed Del Castillo für Innovation gesorgt, denn die schlagkräftigen Spezialeinheiten werden nicht einfach in einer Kaserne produziert, sondern müssen (manchmal in mehreren Schritten) ausgebildet werden: Ein Bauer wird erst zum einfachen Schwertkämpfer, dann zum kämpfenden Handarmbrustschützen und so weiter - das ist ein innovatives Einheiten-Aufwertungssystem, das die fehlenden Erfahrungspunkte einigermaßen ausgleicht. Und für die Opferung von vier Ronin, die immerhin schon drei Aufwertungen hinter sich haben, bekommt Ihr im Schlangen-Clan den gefürchteten Necromancer - eine schwere Entscheidung, denn die Ronin sind mit ihren zwei Katanas die kampfstärkste Einheit.

Kampfgetümmel mit KungFu-Flair

Viele Einheiten, tolle Animationen, perfekte Steuerung - aber das Kampfgeschehen an sich bleibt unbefriedigend: Erstens gibt es keine Formationen, was dem Spieler mehr Kontrolle und Gestaltungsspielraum gegeben hätte. Das wird zwar durch die beeindruckende KI der eigenen Kämpfer (Bogenschützen stellen sich automatisch nach hinten) etwas ausgeglichen. Aber zweitens geht das Kampfgetümmel dadurch nahezu automatisiert und zu schnell ab: Im optisch delikaten Chaos fliegender Schwerter ist von Übersicht und Kontrolle keine Spur.

Außerdem hat man viel zu wenig Eingriffsmöglichkeiten; die vier Modi Passiv, Stellung halten, Bewachen und Angriff sind einfach zu wenig, zumal man in einer Gruppenauswahl nicht mehr auf das entsprechende Icon klicken kann, sondern die Tastatut-Shortcuts auswendig kennen muss. So bleibt der Feldherr auf den Einsatz der Spezialfähigkeiten beschränkt, produziert in jedem Level eine bis zu 50 Einheiten starke Armee und sucht den Gegner. Dass das manchmal zu ausgedehnten Wanderungen über die Karte ausartet, weil man wirklich alle feindlichen Einheiten besiegen muss, ist auch nicht gerade motivierend - hier hätten Kernziele bestimmt werden müssen.

Und warum machen die Kämpfe trotzdem Spaß? Zum einen aufgrund der Tatsache, dass die Landschaft strategisch genutzt werden kann: Bogenschützen auf einer Anhöhe sind äußerst effektiv und anstürmende Einheiten verlangsamen sich, wenn es bergauf geht - auch Wachtürme sind strategisch wichtig. Löblich ist zudem die Rennen-Funktion, die die Battle Realms-Kämpfe im Vergleich zum pomadigen Myth III dynamischer machen. Aber wenn Ihr Eure Truppen zu lange im Laufschritt Richtung Gegner beordert, werden sie irgendwann müde. Und auch verletzte Einheiten beginnen zu hinken und brauchen eine Pause. All diese Kleinigkeiten verschaffen Battle Realms trotz der chaotischen Kämpfe und fehlenden Formationen taktischen Spielraum.

Multiplayer

Der Mehrspieler-Modus erlaubt es Euch, mit bis zu acht Freunden über LAN/ Internet zu spielen. Gerade hier gewinnt Battle Realms an Dynamik, weil

man sich die Clans aussuchen kann und die Kämpfe aufgrund der vielen integrierten Karten sehr abwechslungsreich sind.

Pro:

  • Karteneditor
  • Einheitenvielfalt
  • tolle Landschaftsgrafik
  • drei Schwierigkeitsgrade
  • unkomplizierte Steuerung
  • epische Musikuntermalung
  • überzeugende Einheiten-KI
  • hervorragende Animationen
  • sehr gute Licht- und Zaubereffekte
  • viele Spezial-Attacken und Fähigkeiten
  • innovatives Einheiten-Aufwertungssystem
  • Kontra:

  • keine Formationen
  • mühsamer Aufbauteil
  • teilweise chaotische Kämpfe
  • mäßige In-Game-Filmqualität
  • ausuferndes Mikromanagement
  • Vergleichbar mit:

    WarCraft-Reihe; Age of Empires-Reihe; Myth-Reihe; Empire Earth

    Fazit

    Battle Realms hatte definitiv das Zeug zum Hit: Das fernöstliche Szenario wurde optisch und akustisch hervorragend in Szene gesetzt. Egal ob Figuren- und Gebäudedesign, Einheitenanimationen oder Landschaftsgrafik - Liquid Entertainment hat die optimalen Rahmenbedingungen für eine Echtzeit-Delikatesse geschaffen. Aber trotz der ansehnlichen Zaubersprüche, der Spezialattacken und der gelungenen Einheiten-Ki bietet das Spielprinzip an sich nicht viel Neues. Und leider verhindern der zähe Aufbaupart, die fehlenden Formationen und die teilweise chaotischen Kämpfe, dass Kampftaktiker voll auf ihre Kosten kommen - allzu oft siegt man à la Command&Conquer mit Masse anstatt Klasse. Trotzdem bleibt aufgrund der vielen Details genügend taktischer Spielraum und daher sollte sich kein Genre-Fan diesen Titel entgehen lassen, insbesondere dann nicht, wenn Ihr auf der Suche nach einem Mix aus Aufbau- und Kampspiel seid.

    Wertung

    PC

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    Kommentare

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