Bayonetta12.04.2017, Mathias Oertel
Bayonetta

Im Test: Später Höhepunkt am Rechner

Erste Eindrücke können täuschen. Und doch sind sie wichtig: Das Aussehen. Die Stimme. Der Charakter. Sie können über Liebe auf den ersten Blick oder spontane Abneigung entscheiden. Und wie sieht es nach einer langjährigen Beziehung aus? Hat man sich vielleicht doch getäuscht? Nachdem die Umbra-Hexe Bayonetta (ab 13,30€ bei kaufen) sieben Jahre nach ihrer Xbox-360-Premiere dem PC ihre Aufwartung macht, haben wir erneut ein Test-Date mit ihr vereinbart.

Gespannte Neugier

Die Umbra-Hexe Bayonetta hat mich seit der E3 2009 in ihren Bann gezogen, als ich hinter verschlossenen Türen (wie es so schön heißt) einen etwa halbstündigen Blick auf das damals neue Werk von Devil-May-Cry-Schöpfer Hideki Kamiya werfen durfte, dessen vorerst letztes Projekt Scalebound leider seitens Microsoft vor kurzem der Stecker gezogen wurde. Schon damals war ich von der Version für Xbox 360 fasziniert. Und diese Faszination hält bis heute an – auch dank der Fortsetzung und der überarbeiten Version von Teil 1 auf Wii U. Mit dem Zusammenspiel von Musik und Artdesign, wunderbar ergänzt von einer ausgefeilten Kampfmechanik sowie einer Inszenierung mit einer gleichermaßen selbstbewussten wie sexy Frau als Hauptfigur ist Bayonetta (1) für mich eines der wichtigsten

Dank einer sehr guten, wenngleich hinsichtlich der Optionen nur oberflächlich ausgestatteten PC-Portierung hat die Umbra-Hexe nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
Konsolenspiele überhaupt. Punkt. Wer mehr darüber wissen möchte, findet auf den nächsten Seiten den nur minimal angepassten Test aus dem Dezember 2009. Denn es soll ja Leute geben, die noch nicht von diesem überbordenden Action-Spektakel gehört haben, dass mit seiner Fantasie und Kreativität in Bereiche vorgestoßen ist, die von Capcoms Dante oder Sonys Kratos nicht einmal ansatzweise bedient wurden.

Doch bevor ich hier wieder ins Schwelgen gerate - dafür ist der Original-Text mit seiner in nahezu allen Bereichen weiterhin Bestand habenden Analyse da – gehe ich auf die Eigenheiten der PC-Version ein. Denn Platinum hat ja zuletzt mit Nier Automata nicht gerade zum eigenen Vorteil bewiesen, dass PC-Umsetzungen von Konsolenspielen technisch nicht immer von Erfolg gekrönt sind. Hier beweist man ein glücklicheres Händchen. Die Action läuft durch die Bank flüssig, auch ohne den Einsatz von eventuellen User-Modifikationen wie noch bei der Nier-Fortsetzung.

Oberflächliche PC-Hexe

Bayonetta läuft mit sauberen 60 Bildern pro Sekunde, bietet aber nur geringe Möglichkeiten zum Feintuning.
Dennoch werden vermutlich bald erste Mods mit erweiterten Grafik-Optionen erscheinen. Denn die wurden hier sehr oberflächlich gehalten. Wahlweise kann man mit Voreinstellungen die allgemeine visuelle Qualität in Niedrig, Mittel und Hoch regulieren. Alternativ kann man auch „Benutzerdefiniert“ wählen und in sieben Optionen wie Textur- oder SSAO-Qualität jeweils zwei bis vier Varianten durchschalten. Wie mittlerweile üblich, zeigt eine VRAM-Leiste grob an, wie speicherintensiv sich die gewünschte Einstellung auf die Performance der Grafikkarte auswirkt. Feineinstellungen, um auch wirklich das letzte Fünkchen Leistung aus seinem Rechner herauszukitzeln, sind nicht vorhanden. Doch auch ohne kriegt man eine saubere Darstellung mit limitierten 60 Bildern pro Sekunde – mehr wird ohne Modifkation derzeit nicht erlaubt.

Die Zwischensequenzen hingegen scheinen auf 30 Bilder begrenzt zu sein. Dafür allerdings sind je nach verwendetem Bildschirm und er Hardware-Ausstattung Auflösungen bis zu 4K möglich. Vereinzelt sollen sich Probleme unter bestimmten Konfigurationen zeigen - vor allem mit AMD-Prozessoren. Diese können wir allerdings nicht bestätigen. Bei uns gab es auf mehreren Systemen mit unterschiedlicher Hardware-Zusammensetzung nichts zu beanstanden. Bei der Steuerung bleibt man ebenfalls nur im guten PC-Standard hängen. Die Maus-Tastatur-Variante lässt sich zwar frei belegen, ist aber insgesamt angesichts der Fülle an Möglichkeiten, die das vielschichtige Kampfsystem bietet, nicht zu empfehlen. Dementsprechend sollte man dem Hinweis Segas folgen und mit einem kompatiblen Gamepad spielen. Dort wiederum hat man keine Chance, die Konfiguration abseits einer Kamera-Invertierung zu ändern.

Eine kurze Geschichte der Zeit

Wir schreiben das Jahr 2001: Capcom veröffentlicht ein Spiel namens Devil May Cry und definiert aus dem Stegreif das Genre der "Stylischen Action". Die Hauptfigur Dante hatte als Teufelsjäger nicht nur stets einen coolen Spruch auf den Lippen, sondern konnte auch mit klasse inszenierter und filmreif choreografierter Action samt pompöser Bosskämpfe punkten. Der kreative Kopf dahinter: Hideki Kamiya, der seinerzeit von Shinji Mikami (Co-Designer von Resident Evil) als Produzent unterstützt wurde und bei diesem Projekt auch schon mit Atsushi Inaba zusammen arbeitete. Einige Jahre und Studio-Reformierungen später haben sie viele weitere hochrangige Titel wie Viewtiful Joe, Dino Crisis oder Okami zu verantworten, was allerdings nicht gegen die Schließung der Clover Studios half, zu denen die drei mittlerweile gehörten.

Doch wahre Kreativität lässt sich von so einer Kleinigkeit nicht aufhalten: Die Kult-Designer gründen über Umwege schließlich die Firma Platinum Games, gehen einen Deal mit Sega ein und machen sich ans Werk. Madworld, der erste Titel von Platinum, erschien Anfang 2009 für Wii und wurde federführend von Inaba-san entwickelt.

Die überbordende Kreativität bekommt man auch beim Bossdesign zu spüren.
Und während das erste Projekt von Shinji Mikami immer noch auf seine Enthüllung wartet, konzentriert sich Kamiya-san auf Bayonetta. Und was kommt heraus, wenn der Kopf hinter der Devil May Cry-Serie sich an ein neues Spiel setzt? Ganz klar: Devil May Cry! Zumindest ist dies der Eindruck, den man beim flüchtigen Betrachten von Bayonetta bekommen könnte. Nach gefühlten Jahren der Abstinenz fällt ihm nichts Besseres als eine Rückkehr zu den Wurzeln ein? Hätte er nicht wenigstens ein bisschen kreativer sein können? Immerhin hat Capcom mit dem vierten und bislang letzten Teil der Teufelsjäger-Saga die Messlatte nochmals nach oben gelegt. Und dem möchte Bayonetta Paroli bieten? Mit was denn? Stöckelschuhen und Oberlehrerbrille?

Aller Anfang ist leicht

Zwei Frauen blicken in den vom Vollmond dominierten Himmel. Maskierte Engel bewegen sich ruhig mit ihren Flügeln schlagend auf sie zu. Die Kamera fährt zurück und zeigt, dass die Frauen in aller Seelenruhe auf einem abstürzenden Uhrenturm stehen - den Gesetzen der Schwerkraft und der optischen Wahrnehmung zum Trotz. Und dann bricht die Hölle los: Die Engel setzen zum Angriff an. Und während der Turm nach wie vor durch den Himmel rast und der Oberfläche entgegen torkelt, dezimieren die beiden mit Projektilwaffen und Nahkampftechniken ausgestatteten Frauen die Engelsscharen. Schläge prasseln auf die Himmelswesen nieder, sie werden von Hunderten Kugeln getroffen und von Zeit zu Zeit beschwören die Kämpferinnen eine riesengroße, aus Haaren geflochtene Faust oder einen Fuß, der stilecht in einem hochhackigen Stiefel steckt, um den Geflügelten den Garaus zu machen. Und das alles, während eine sonore Männerstimme als Kontrapunkt die Geschichte von einem seit Jahrhunderten währenden Kampf zweier Clans erzählt.

Die Klimax-Finisher sind für die Opfer verheerend.
Uff! Bayonetta hat noch nicht einmal richtig begonnen, da ist man schon mitten in spektakulärer Action gefangen, die Augen und Ohren in Beschlag nimmt. Man ist beschäftigt, die rasanten Schnitte, das Aufeinanderfolgen von spektakulären, allerdings eher per Zufall ausgelösten Kombos in sich aufzusaugen und hat kaum Zeit, den Geschehnissen zu folgen, geschweige denn, der Erzählung zuzuhören. Was Hideki Kamiya hier in den ersten gut viereinhalb Minuten vom Stapel lässt, ist eine wagemutige Reizüberflutung. Und das ist erst der Anfang...

Wider das Gelegenheitsspiel

Natürlich muss man mit der Kirche im Dorf bleiben. Denn Bayonetta erfindet das Rad nicht neu. Und wenn jemand nach nur kurzem Anspielen der Meinung ist, dass es sich eigentlich nur um eine Variation des Devil May Cry-Prinzips handelt, bei dem Dante durch eine unerlaubt viele Fetische (von der Lehrerin über Schulmädchen mit Lollys bis Lack und Leder) befriedigende Frau abgelöst wurde, die zu grenzwertigem J-Pop nicht etwa teuflische Dämonen, sondern himmlische Heerscharen erledigt, kann ich nur zustimmend mit dem Kopf nicken. Denn derjenige hat Recht. Aber: Erste Eindrücke können täuschen. Denn unter dem Strich ist Bayonetta so viel mehr als das. Natürlich macht sie spielmechanisch nicht viel anders als ihr Capcom'scher Ahne. Doch das, was sie anders macht, ist entscheidend. Sie ist die konsequente Weiterentwicklung eines spärlich beackerten Genres, das ihr geistiger Vater begründete. Doch vor allem ist sie ein eindeutiges Statement gegen den anhaltenden Trend der "Weichspül-Mechanik", dem unbedingten Willen der Entwickler, eine möglichst große Zielgruppe anzusprechen und dafür den Anspruch zu opfern.

Und damit schwimmt sie in einer zu Demon's Souls parallelen Strömung: Wie die PlayStation-exklusive düstere Jagd nach Seelen ist Bayonetta kein Spiel für Aufgeber. Die Action ist fordernd, sie ist gelegentlich sogar frustrierend (ich habe schon lange nicht mehr so viel bei Bosskämpfen geflucht und Pads durchs Zimmer gefeuert, herrlich!), aber nie unfair. Dass ich scheitere, liegt nicht am Design, sondern an mir - daran, dass ich noch nicht die richtige Taktik, Kombo oder Waffe oder die Kombination von allem entdeckt habe. Oder dass ich einfach zu schlecht bin. Doch daran möchte ich keinen Gedanken verschwenden und unternehme einen neuen Versuch. Jede Herausforderung, die einem gestellt wird, kann gelöst werden. Unter Aufwendung von Können, Schweiß und wenn es sein muss, sogar Tränen. Denn Bayonetta spricht nicht nur die Hand-Auge-Koordination an, sondern auch die Emotionen. Aber: Auch wenn sich die bildgewaltige Third-Person-Action vornehmlich an die erfahrenen Spieler richtet, hat man auch ein offenes Ohr für die Einsteiger, für die Automatikspringer, für die Fassadenschienenkletterer, die gewillt sind, sich auf die Herausforderung und noch mehr auf die überbordende visuelle Fantasie von Bayonetta einzulassen. Denn mit den leichteren Schwierigkeitsgraden werden die Kämpfe, die einem bei "Normal" schon alles abverlangen, auf ein angenehmes, beinahe schon zu freundliches Niveau heruntergestuft, so dass man keine Berührungsängste haben muss.

Schwarz? Weiß? Grau!

Auch die stylischen Zwischensequenzen haben nichts von ihrer Anziehungskraft verloren.
Aber worum geht es in Bayonetta? Bricht man die komplizierte erzählerische Gleichung, aus der Bayonetta besteht, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunter, ist es ein plakativer Kampf von Gut gegen Böse um die so genannten "Augen der Welt". Das sind Edelsteine, die vereint das Ende der bekannten Welt bedeuten und einen schöpferischen Neubeginn ermöglichen. Es ist der Kampf von Weiß (den Engeln und des edlen Weisen) gegen Schwarz (die Umbrahexen mit Bayonetta). Doch wie so viel in diesem Titel steckt hinter einer einfachen Gleichung so viel mehr und irgendwann kommt viel Grau als Mischfarbe ins Spiel. Denn über beinahe 20 Kapitel (inkl. spielbarem Prolog und Epilog) werden in der ersten Spielhälfte nicht nur mehr Fragen über Bayonetta, ihre Herkunft und ihre Motive gestellt als beantwortet. Auch die Wahrnehmung von Gut und Böse wird teilweise ebenso auf den Kopf gestellt wie die Orientierung, wenn die Hauptdarstellerin z.B. durch eine mittelalterlich wirkende Stadt einer Lavawelle zu entkommen versucht,  urplötzlich der Bildschirm kippt und man an den Häuserfassaden entlang läuft. Oder wenn man versucht, aus einer im All um eine horizontale Mittelachse drehenden Kapelle zu entkommen und der Blick durch die Tür in die wirbelnde Galaxie tatsächlich so etwas wie ein Schwindelgefühl vor dem Bildschirm auslöst - Wahnsinn!

Ein ähnliches Gefühl stellt sich ein, wenn man schließlich die gesamte Story auf sich wirken lässt, die nach "normalen" Maßstäben natürlich vollkommen abstrus und überzogen wirkt, aber innerhalb der akribisch aufgearbeiteten Welt von Bayonetta mit glaubwürdigen Charakteren überzeugt und sich Themen wie Religion, Erbsünde, Erlösung oder Schöpfung von einer augenzwinkernden Perspektive aus nähert. Um schließlich all das, was man klischeehaft in der Anfangsphase als Gut oder Böse versteht, urplötzlich ins Gegenteil zu verkehren. Man leidet mit der Hexe, wenn sie nach einem Gedächtnisverlust versucht, ihrer Vergangenheit auf die Spur zu kommen. Man freut sich mit ihr, wenn sie ihren Comic-Sidekick Cheshire ("My name is Luka. L.U.K.A!") nach allen Regeln der Kunst wieder und wieder an der Nase herum- und mitunter spielend verführt, bevor sie ihn im letzten Moment wie eine heiße Kartoffel fallen lässt. Und auch ihre mütterliche, sanfte Seite, die ja bei Hexen oft unterschlagen wird, ist innerhalb der Spielwelt glaubwürdig. Und dass es Hideki Kamiya im letzten Drittel schafft, nicht nur alle Stränge zusammen zu führen, sondern sämtliche Fragen zu beantworten (u.a. wieso ihr Schatten wie ein Schmetterling aussieht), ist bewundernswert!

Stark, sexy, Bayonetta

Domina, Lehrerin, Lack&Leder: Bayonetta spielt kokett mit zahlreichen Fetischen, ohne an Stärke einzubüßen.
Doch die langhaarige, schwarzgekleidete und Fäuste, Schwerter, Peitschen oder Pistolen schwingende Dame hat mehr zu bieten als Emotionen. Auch die äußerlichen Reize sind nicht zu verachten und werden in den großartigen Zwischensequenzen immer wieder beeindruckend in Szene gesetzt. Während sie in einem famos choreografierten Ballett der Zerstörung die Gegner malträtiert, fängt die Kamera in waghalsigen Fahrten und schnellen Stakkato-Schnitten all ihre Reize ein: Volle unauffällig geschminkte Lippen, die sich am liebsten um einen Lolly legen, wohlgeformte Beine, die nicht zu enden scheinen, ein formvollendeter Rücken, eine entsprechende Busenpartie - sie ist einfach nur schön anzusehen. Doch ihre Attraktivität ist nicht nur durch die reinen visuellen Reize begründet, denen man sich über rasante Kamerafahrten durch ihre gespreizten Beine hin auf ihren Körperschwerpunkt nicht entziehen kann. Es ist vielmehr die Tatsache, wie offen und von sich überzeugt sie mit eben diesen Reizen umgeht. Bayonettas gesamte Attitüde ist selbstbewusst, stark und sich hin und wieder auch nicht ganz so ernst nehmend - ein Frauenarchetyp, der sich erfrischend von dem unterscheidet, was in den letzten Jahren auf die Spieler einprasselte.

Angefangen von Archäologinnen, die letztlich den Beweis vermissen ließen, dass ihr IQ über ihrer künstlichen Oberweite liegt, bis hin zu helfenden Sidekick-Girlies, die zwar stark sein sollen, aber letztlich doch auf männliche Hilfe angewiesen sind, wenn sie überleben wollen. Bayonetta will keine Hilfe und braucht sie auch nicht. Ja: Sie spielt lasziv mit ihrer Sexualität, nutzt sie für ihre Zwecke und viele Spielinhalte sind darauf aus, Klischees oder Fetische zu füttern und diese Instinkte durch mehr oder minder versteckte Andeutungen anzusprechen. Aber sie überschreiten nie die Grenze des guten Geschmacks und passen innerhalb der Welt, in der sich die Hexe bewegt, wunderbar ins Gesamtbild. Sie ist kein Opfer ihrer Umwelt, sie macht die Welt zu ihrem Opfer. Dabei verfolgt sie ihre eigenen Ziele, die nie so ganz in eine Schublade passen. Frauen, das geheimnisvolle Wesen - ein weiteres Klischee, dessen sich Bayonetta skrupellos und konsequent, aber auch glaubwürdig bedient.

Fantasievolles Feuerwerk

Die gleiche Fantasie, die bei der Entwicklung hinsichtlich der Weltschöpfung, der darin enthaltenen oder daraus resultierenden Mythen (nachzulesen über in den Abschnitten verteilten Büchern und der Enzyklopädie) an den Tag gelegt wurde, findet sich auch in der Spielmechanik. Natürlich orientiert sie sich an dem, was Kiyami-San vor beinahe zehn Jahren begründet hat: Stylische Action auf linearen Pfaden in großzügigen Abschnitten, einem modernen Hack&Slay nicht ganz unähnlich. Doch genau wie God of War das Prince of Persia-Prinzip perfektionierte, wie ein Zelda - Ocarina of Time die Speerspitze intelligenter Action-Adventure-Unterhaltung darstellt oder Super Mario Galaxy das klassische Jump & Run zu neuen Ufern führte, so sehr überzeugt und überrascht Bayonetta in seinem arcadigen Action-Element, das es perfektioniert. Nicht nur, weil die Engelsjägerin zusätzlich zu den Handfeuerwaffen auch die Pistolen-Absätze ihrer Stiefel als Projektil-Spritze benutzt. Nicht nur, aber auch. Denn egal, ob man anfänglich nur mit den Pistolen oder später mit Katana, Peitsche oder Feuerklauen (teilweise auch kombinierbar, z.B. Katana/Klauen) unterwegs ist, kann man sich vor spektakulären Kombos kaum retten (Dutzende pro Waffentyp/-Kombination), die man durch freischaltbare Sonderangriffe zusätzlich aufstocken kann. Mein Highlight in diesem Bereich, an dem ich mich nicht satt sehen kann, ist der "Breakdance", bei dem  Bayonetta auf dem Boden wirbelnd aus allen Rohren feuert und nach einem kecken Blick in die Kamera sowie einem Model-Fotofinish samt "Klick" wieder in die vertikale Position wechselt. Leider ist diese Bewegung gegen viele der späteren Gegner unwirksam - das ändert aber nichts daran, dass ich immer wieder versucht bin, den Breakdance zu starten...

Bayonetta geizt nicht mit ihren Reizen.
Doch das ist noch lange nicht alles. Denn bis hierhin wäre Bayonetta tatsächlich nur die moderne Schwester von Dante, die die von den Engeln zurück gelassenen Heiligenscheine statt irgendwelcher Seelenkugeln als Währung aufsammelt. Doch mit aufnehmbaren Waffen der Gegner, die man bedingt durch Abnutzung nicht all zu lange mit sich herumtragen kann, Einsatz von spektakulären und teilweise auch vom Feind abhängigen "Folter-Finishern" samt intensiver Buttonmash-Events beim Einsatz von z.B. Guillotine oder Eiserner Jungfrau geht die Hexe weit über das hinaus, was Dante und sein Kumpan Nero aufzubieten haben. Blocken ist der sich elegant und geschmeidig bewegenden Hexe übrigens gänzlich unbekannt. Stattdessen kann sie den Gegnern in den linearen und leider etwas zu häufig als Schlauch designten Abschnitten durch Flickflacks und ähnliche Akrobatik ausweichen. Wenn man dabei sogar das Risiko eingeht und den letzten möglichen Moment abpasst, wird eine der besonderen Hexenfähigkeiten für kurze Zeit aktiviert: Die den Bildschirm blau färbende Witch Time, die Bayonetta'sche Variante der Bullettime, in der man für ein paar Sekunden mit voller Geschwindigkeit die Gegner attackieren kann, die sich ihrerseits nur in Zeitlupe bewegen können. Zusätzlich wird diese Fähigkeit auch für Rätsel genutzt, so etwa, wenn man sie aktivieren muss, um über Wasser laufen zu können oder eine Tür daran zu hindern, sich unvermutet wieder zu schließen, bevor man durchgeschlüpft ist.

Nicht ganz perfekt

Allerdings ist bedauerlich und für mich nicht nachvollziehbar, wieso man innerhalb der Action auf zwei Waffenkombinationen beschränkt wird. Dass man erst umständlich ins Pause-Menü muss, wenn man feststellt, dass die Waffenauswahl für den jeweiligen Gegnertyp nicht passt, ist ein ungeschickt wirkender Faux Pas, der sich auch in den Ladebildschirmen negativ auswirkt. Wieso das? Ganz einfach: Dank einer ebenso einfachen wie genialen Idee kann man hier nicht nur alle möglichen und von der jeweiligen Waffe abhängigen Angriffskombinationen anzeigen lassen, sondern sie auch gleich üben. Wenn es sein muss, auch bis über die Ladezeit hinaus. Diese Trainingsarena ist ideal, um sich die ausufernden Möglichkeiten zu verinnerlichen, die teilweise sogar über das hinausgehen, was moderne Prügler aufzubieten haben. Aber: Auch hier ist man auf die zwei ausgerüsteten Waffen beschränkt und hat auch nicht wie bei Devil May Cry 4 die Möglichkeit, mit dem Waffenwechsel eine Kombo fortzuführen.

Gesetze der Schwerkraft oder Logik spielen hier keine Rolle - auch das macht den Reiz von Bayonetta aus.
Die auf dem Digipad liegenden Gegenstände für Heilung usw. sind ebenfalls nur suboptimal gelöst. Zwar ist der Weg zum heilenden Lutscher hier deutlich weniger zeitaufwändig als über das Pausenmenü, dennoch bevorzuge ich den Druck auf die "Back"-Taste. Denn zum einen kann ich hier noch einmal kurz durchatmen und versuchen, meinen Blutdruck zu regulieren, bevor es wieder ins Gefecht geht. Und zum anderen habe ich in dem Stakkato der Gegnerattacken eigentlich keine Zeit, um den Joystick auch nur für den Bruchteil einer Sekunde zu verlassen, um das Digipad in die entsprechende Richtung zu drücken. Gleichermaßen hätte ich mir gewünscht, dass Platinum Games sich vom mittlerweile acht Jahre alten Prinzip der "Arena-Kämpfe" verabschiedet. Die Auseinandersetzungen sind bereits intensiv genug, als dass sie durch künstlich geschlossene magische Türen hätten verstärkt werden müssen, die sich erst dann wieder öffnen, wenn alle Gegner ausgeschaltet wurden. Gegen Ende und damit viel zu spät bricht Bayonetta zwar mit diesem Prinzip. Aber das nährt letztlich nur die Hoffnung, dass bei einer möglichen Fortsetzung das Spielgefühl nicht nur erweitert, sondern auch ausgebaut und perfektioniert wird.

Attackierende Haarpracht

Die Hexenzeit wird auch immer wieder für Umgebungsrätsel genutzt.
Eine weitere Fähigkeit der Umbrahexe ist die so genannte "Wicked Weave", über die man bereits im Uhrenturm-Prolog immer wieder staunt. Denn Bayonetta kann zum Komboabschluss aus dem Nichts heraus Haarflechten beschwören, die dann in Form von Fäusten oder Kicks die Feinde malträtieren. Das sieht in zweierlei Hinsicht gut aus: Zum einen, weil die Haarpracht ebenso aufwändig animiert ist wie die Hexe selber. Und zum anderen, weil (und damit sind wir wieder beim Thema "überbordende Fantasie") ihre Haare auch genutzt werden, um ihre Lack/Leder-Kleidung zu bilden. Wenn nun die Weave eingesetzt wird, entblößt sich Bayonetta zunehmend, bevor in einem eindrucksvollen Effekt die "Haare" wieder über ihren Körper streifen und sich zu Leder verfestigen. Noch imposanter sind die haarigen "Climax"-Finisher in Bosskämpfen: Anstatt sich auf Arme oder Beine zu beschränken, nutzt Bayonetta die Frisur bis zur letzten Faser, um ein wahrhaft mächtiges Wesen zu beschwören, das den jeweiligen Boss nach allen Regeln der Kunst zerlegt. Dabei kann es sich um einen Drachen handeln, der den Gegner in Stücke reißt oder einfach mit voller Wucht gegen eine Hauswand schlägt, bis er sich in seine Einzelteile auflöst. Oder auch um einen rabenähnlichen vieläugigen Vogel, der die geschätzte 40 Meter lange gegnerische Drachenschlange kurzerhand verspeist.

Apropos Bosse: Dass einem diese Über-Engel alles abverlangen und man ihre Angriffs-Schemata gut beobachten sollte, wenn man eine Chance haben will, ist beinahe schon selbstverständlich. Aber dass Bayonetta sich auch hier keine Blöße gibt, zeigt mit welcher Sorgfalt, Gewissenhaftigkeit und Entschlossenheit das Team von Platinum Games sich an die Aufgabe gemacht hat, die ultimative stylische Action anzubieten. Doch man kann erzählen, was man will: Worte haben Schwierigkeiten, die Wucht auszudrücken, mit der die rasante Action einen ins Sofa drückt und einen fast schon außer Atem zurück lässt. Nicht weil man sich beim Knopfdrücken überanstrengt hat, wobei man ohnehin lieber gezielt agieren sollte, als wie wild auf dem Pad herumzuhämmern. Es ist vielmehr die Verarbeitung der kreativen Reizüberflutung, die für die Kurzatmigkeit sorgt. Man muss gesehen und vor allem erlebt, ja beinahe schon gespürt haben, wie Bayonetta einen Gegner mit Fußtritten in eine Guillotine befördert, um dann mit einem liebevollen Schnippsen der Finger das Fallbeil zu aktiveren. Oder wenn sie mit einer Waffe des Gegners eine Art Poledance vollführt und dabei die Feinde reihum fallen wie die Fliegen. Oder auch der Bosskampf, bei dem man sich in einer Phase wie seinerzeit in Shadow of the Colossus auf dem Wesen zum nächsten angreifbaren Punkt bewegt, während sich um einen herum die Welt dreht und man keine Gelegenheit dazu hat, darüber zu staunen, da man schon wieder der nächsten Falle oder den nächsten Angriffen ausweichen muss. Es gibt viele dieser Highlights, die die Auseinandersetzungen immer wieder zu einem visuellen Vergnügen machen und über den hohen Anforderungsgrad hinweg trösten. Zu viele, um sie alle hier aufzählen zu können, die aber ein ums andere Mal dafür sorgen, dass man auch nach einem Scheitern das quer durch den Raum gefeuerte Pad wieder aufnimmt und einen weiteren Versuch unternimmt.

Probleme umschifft

Bayonetta ist in jeder Szene elegant und Frau der Lage.
Jedes Mal, wenn man glaubt, dass Bayonetta entweder erzählerisch oder hinsichtlich des Designs nicht mehr steigerungsfähig wäre oder gar abbaut, legt das Team mit sicherem Gespür für Timing noch eine Schippe zu. Es gab hin und wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass ich eine "Power-Kombo" entdeckt hatte, mit der ich zumindest die Standard-Gegner der linearen Abschnitte im Griff hätte. Doch kurz danach wurde mir meistens eine neue Feindesart vorgeworfen, die mich zum Umdenken oder Entwicklung einer neuen Taktik zwang. Neue Waffen und Fähigkeiten lassen sich im richtigen Moment freischalten, die Mischung aus erzählerischen Elementen und der Action steht immer im passenden Verhältnis. Und auch über die Gegnervielfalt kann man sich nicht beklagen. Das Team geht sogar so weit und zollt seinem Publisher in zwei Retro-Abschnitten Tribut, die sich an Out Run und Afterburner orientieren - samt authentischer neu arrangierter Musik! Aber genau bei diesen Abschnitten schießt Platinum Games für mein Empfinden über das Ziel hinaus: Sie lockern die Kampfarenen zwar auf, wirken aber im Gesamtkontext halbherzig eingefügt und sind dazu auch noch zu lang. Zwar darf man sich auch hier auf Bosskämpfe freuen, doch der dynamische Fluss, der die normalen Abschnitte auszeichnet, geht hier etwas verloren - obwohl die Idee, diese Reminiszenzen in moderner Arcade-Action zu verankern, gut ist. Undurchsichtig ist jedoch das Speichersystem: Zum einen hat man die Möglichkeit, nach jedem Abschnitt einen Speicherstand anzulegen. Zum anderen werden gut positionierte Kontrollpunkte angelegt, die einem das Weiterkommen nach einem der obligatorischen Fehlversuche erleichtern.

Stirbt man und entscheidet man sich nun, nicht weiterzuspielen und das schmähliche Game Over in Kauf zu nehmen, startet man beim nächsten Mal aber nicht am letzten besuchten Kontrollpunkt, sondern am Anfang des Abschnitts. Im Gegensatz dazu führt das Pausieren und Beenden einer Sitzung ohne Ableben dazu, dass man am letzten gespeicherten Kontrollpunkt weitermachen kann. Das ist unglücklich gelöst, da dies am Anfang zu frustrierender Verwirrung führt, bevor man das System erkannt hat... Doch all diese Kleinigkeiten können nicht verhindern, dass Bayonetta nicht nur als Persönlichkeit, sondern auch in mechanischer Hinsicht Dante und Nero verdammt alt aussehen lässt. Stellt man das Duo der vorzugsweise alleine kämpfenden Hexe gegenüber, sind es nicht nur die zwei Jahre zwischen den beiden Titeln, die den Unterschied ausmachen. Und ironischerweise lässt es sich auf weibliche

Wenn es sein muss, beschwört die Umbra-Hexe Folterinstrumente, um sich der Engel zu entledigen.
Wesenszüge herunterbrechen: Sie ist schöner anzuschauen, sie bewegt sich geschmeidiger, das gesamte Spielerlebnis ist runder, weicher, harmonischer und wo die Herren der Dämonen tötenden Schöpfung sich hinter Machismo verstecken, wenn es um Emotionen geht, lässt die Engeljägerin einen Blick in ihre Seele zu.

Künstlerisch wertvoll

Hinsichtlich Levelstrukturen, Artdesign und Erzählstil lassen sich nur wenige störende Haare  finden. Dazu gehören z.B. die unsichtbaren Levelgrenzen, an die man ab und an stößt. Und irgendwo tief in mir drin bedauere ich, dass Kamiya-san spielmechanisch "nur" die Grenzen der linearen Arcade-Action mit Arena-Kämpfen auslotet und bis zum allerletztenMikrometer ausreizt, aber letztlich ohne neue Wege zu beschreiten. Doch beide Punkte verblassen nicht nur neben dem abgefackelten Action-Feuerwerk, sondern vor allem neben dem detaillierten, fantasievollen Artdesign. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich staunend nach Luft schnappe. Hier ist ein Boss, der mit seinen Flügeln, dem geschuppten Schwanz, den zwei feuerspeienden Köpfen und den Adlerklauen wie ein "Greifendrache" wirkt - wenn nicht das meterhohe auf dem Kopf stehende menschliche Gesicht mit einem leichten Marmorschimmer diese Illusion faszinierend verfremden würde. Dort sind die Standard-Engel, die mit ihrem Aussehen irgendwo zwischen Federvieh in Rüstung und marmorner Pracht festhängen und die allesamt Zweifel daran lassen, dass die Designer tatsächlich nur ihre Fantasie und nicht irgendwelche halluzinogenen Drogen benutzt haben. Anders lässt sich z.B. die Seraphim erster Klasse namens Joy nicht erklären, die nicht nur einen enormen Atombusen ihr Eigen nennt, sondern sich bei ihrer ersten Vorstellung aufreizend zwischen die Beine fasst, woraufhin man von einem gleißenden Licht geblendet wird! Die Einführungen der Gegner sind ohnehin ein weiteres fantasievolles Kapitel für sich - wortwörtlich: Mit jedem neuen Typus blendet das Spiel aus der Engine-Grafik butterweich in ein papiernes Standbild, das sich als Seite eines Buches darstellt, das wiederum zu choral-religiöser Musik geschlossen wird, bevor es wieder in den Kampf geht.

Doch es geht noch skurriler und noch besser. Denn wo Titel wie Devil May Cry sich allein auf hochwertige Renderszenen verlassen, um die Geschichte zu erzählen, sind diese bei Bayonetta wie so vieles nur der Anfang. Das soll nicht bedeuten, dass ihre Qualität technisch oder inhaltlich zu wünschen übrig lässt. Ganz im Gegenteil: Sie sind ein Augenschmaus, wunderbar geschnitten und im Falle von Kampfsequenzen aufwändiger choreografiert sowie rasanter geschnitten, als man momentan in Hollywood zu träumen wagt.  Aber es findet auch immer wieder ein Wechsel im Erzähltempo und -Stil statt. Mal gibt es in Sepia-Farbtöne getauchte Standbilder, die am Betrachter vorbeiziehen. Dann wiederum sieht man sich mit nur minimal animierten Comic-Sequenzen konfrontiert, die dann wiederum von interaktiven Filmstreifen abgelöst werden, in denen die Figuren mit ihrem Pastell-Makeup an Porzellanfiguren der 40er Jahre erinnern, während die rundherum gelungene Sprachausgabe im Hintergrund tönt. Der ständige Wechsel und die Mischung all dieser Elemente sorgt über die gesamte Spieldauer für Dramatik sowie Spannung und schafft es immer wieder ebenso zu überraschen wie das Gegnerdesign oder die zelebrierte Action.

"Mach leise"

Als ob man mit dem weit reichenden Kombosystem nicht genug Angriffsmöglichkeiten hätte, darf man auch fallen gelassene gegnerische Waffen nutzen.
Die Kollegen bringen es auf den Punkt: "Wenn man die Musik runterpegelt, ist die Akustik erträglich!" Was soll man dazu sagen? Sie haben ja Recht. Wenn man nur flüchtig und vor allem in der Anfangsphase mit Bayonetta Bekanntschaft schließt, ist die Musikuntermalung nicht nur gewöhnungsbedürftig. Der J-Pop, dessen vermeintlich grausiger Höhepunkt von einer "Fly me to the Moon"-Coverversion gebildet wird, ist grenzwertig - enorm grenzwertig. Und er könnte... Nein, ich korrigiere mich: Er wird dafür sorgen, dass sich eigentlich interessierte Spieler voller Grauen von Bayonetta abwenden. Aber: Je mehr Zeit man mit ihr verbringt, desto klarer wird die Rolle der Musik in diesem künstlerischen Kleinod - und damit steigt proportional auch die Toleranz zu Gunsten des  J-Pop, dessen Hauptziel eigentlich zu sein scheint, die Leute nach einem 30-sekündigen Fahrstuhltrip so schnell wie möglich aus der Kabine zu treiben.

Denn irgendwann wird deutlich, dass die Musik ebenso übertrieben ist wie das gesamte Spektakel und damit wunderbar passt. Und dass die nervenden Melodien innerhalb des annähernd 100 Songs umfassenden Soundtracks die Minderheit ausmachen. Und wer sich nicht vom Anfang abschrecken lässt, wird sie auch entdecken: Die choralen Gesänge, die getragenen Melodien und die Orchester-Einsätze, die im krassen Gegensatz zum anfänglichen Angriff aufs Trommelfell stehen. Wer allerdings dem Ratschlag vieler Redaktionskollegen folgt und die Musik runter regelt, wird ebenfalls nicht enttäuscht. Während der Zwischensequenzen fehlt dann zwar auch die Untermalung (und damit auch ein bisschen Atmosphäre), dafür treten die akkuraten Schlag- und Schussgeräusche sowie die durchweg gelungene Sprachausgabe um so mehr in den Vordergrund - wobei es nicht geschadet hätte, Bayonetta beim Ende der Kombos ein breiteres Spektrum an Beleidigungen zur Verfügung zu stellen.

Das große Drumherum

Selbst, wenn man nach ca. zehn bis 13 Stunden, einem wahrhaft pompösen Endgegner, vielen fordernden Sprungsequenzen, in denen man auch die Formwandlungsfähigkeit (die Hexe kann sich auch in einen Panther oder Vogel verwandeln)  nutzen sollte, sowie einer All umfassenden Erkenntnis das Ende erreicht hat, muss das Vergnügen Bayonetta noch lange nicht enden. Denn es wird nicht nur ein neuer, wirklich fordernder Schwierigkeitsgrad freigeschaltet. Ein erneutes Spiel (egal auf welchem Schwierigkeitsgrad) wird auch dadurch gefördert, dass man auf einmal genug Heiligenscheine als Währung gesammelt hat, um in der Kaschemme "Gates of Hell" eine der extrem kostspieligen Super-Sonderfähigkeiten zu erstehen. Diese benötigt man nicht nur beinahe zwingend, um gegen die einem alles abverlangenden Feinde zu bestehen und damit die Höchstwertung in der Level-Endbewertung zu bekommen, sondern auch, um der einen oder anderen "Alfheim"-Herausforderung begegnen zu können. Über 20 dieser gut versteckten und mit unterschiedlichen Anforderungen wartenden Geheimlevel kann man finden. Und

In der Bar "Gates of Hell" kann man sich mit Hilfsmitteln, neuen Waffen, frischen Bewegungen und guten Ratschlägen eindecken.
bewältigt man Alfheim komplett, werden die "Lost Chapter" freigeschaltet, die nochmals frische Herausforderungen und neue Belohnungen offenbaren. Aber das alleine dürfte viel zusätzliche Zeit in Anspruch nehmen. Denn während die erste Herausforderung "Besiege die Gegner mit Hexenzeit" noch relativ einfach ist, darf man in einem späteren Alfheim-Abschnitt z.B. nur eine bestimmte Anzahl an Schlägen und Tritten verwenden oder man kann die Gegner nur durch Folterangriffe schwächen und töten. Auch hier lassen die Entwickler sämtliche kreativen Muskeln spielen und stellen einen immer wieder vor schier unlösbare Aufgaben.

Übrigens gibt es im "Gates of Hell", das man nur vor einem Abschnitt oder an strategischen  Punkten innerhalb der Abschnitte aufsuchen kann, keinen Vielkäuferrabatt. Schade eigentlich, denn mit den Lollys (!), die entweder Gesundheit bzw. magische Energie auffüllen oder auch für einen temporären Kraftzuwachs sorgen sowie zahlreichen anderen nützlichen Gegenständen macht der Barbesitzer Rodin einen Heidenumsatz, der natürlich aus Bayonettas Tasche kommt. Von Zeit zu Zeit, mit gutem Zureden und unter Einsatz einer der raren Schallplatten, die man als Belohnung bekommt, macht er sich dafür sogar kurz auf den Weg direkt in die Hölle, um blutüberströmt und mit einer neuen Waffe für Bayonetta zurückzukehren.

Fazit

Bayonetta ist auch nach über sieben Jahren immer noch ein Actionerlebnis, das seinesgleichen sucht! Das beginnt schon bei der einzigartigen Hauptdarstellerin, die gleichermaßen stark wie lasziv und selbstironisch ist. Das geht weiter bei der kreativen Visualisierung, die hinsichtlich des Art- und Figurendesigns fast schon surreales Niveau erreicht. Und das hört bei der inspirierten Erzählung, die geschickt alltägliche Emotionen sowie religiöse Elemente thematisiert, nicht auf. Wenn man Bayonetta etwas vorhalten möchte, dann dass sie es nicht geschafft hat, das Genre stylischer Action spieltechnisch auf neue Wege zu bringen. Doch sie reizt die seit Dante bekannten Mechanismen  mit einer Leichtigkeit aus, die nur weiblichen Wesen zu Eigen sein scheint. Dass dabei auch musikalische oder moralische Grenzen überschritten werden und dass dieses bizarre Abenteuer viele abschrecken wird, macht es nur noch reizvoller. Und eines darf man nicht vergessen: In Zeiten, in denen Entwickler gerne die größtmögliche Masse mit Automatismen befriedigen möchten, schwimmt Bayonetta komplett gegen den Strom und spricht genau so wie die Souls-Serie eher die Harten im Garten an. Das Spiel ist fordernd, mitunter frustrierend, aber immer fair. Bayonetta ist für mich immer noch das fantasievollste und berauschendste Spielerlebnis der letzten zehn Jahre, prall gefüllt mit überbordender visueller Kreativität, sexuellen Andeutungen und atemloser Action. Und dafür sage ich: Danke, Kamiya-san! Und Dank an Sega für die saubere PC-Optimierung. So zeigt Bayonetta auch am Rechner spät (aber besser als nie) ihre üppigen Reize, die in diesem kreativen Action-Adventure von Anfang bis Ende faszinieren. Es ist allerdings trotz Auflösung bis zu 4K kein HD-Update im eigentlichen Sinne. Doch auch wenn Texturen im Detail ihr Alter und ihren Ursprung nicht verheimlichen können, bleibt der Gesamteindruck so überzeugend wie 2009 und unterstreicht, dass Hideki Kamiya seinerzeit ein zeitloses Stück interaktiver Unterhaltung gelungen ist.

Pro

großartiges Artdesign
diverse Waffentypen, die auch kombinierbar sind
jede Waffen-Kombination mit Dutzenden Angriffs-Möglichkeiten
Hexenzeit als kampftaktisches und Rätsel-Element
starke selbstbewusste sexy Frau als Hauptcharakter
spannende Bosskämpfe
variantenreiche Erzählstrukturen
sehr gute englische Sprachausgabe
fantasievolles Gegnerdesign
Ladebildschirm dient als Übungsarena
fordernde Sprungsequenzen
spektakuläre Climax-Finisher
manche Gegnerwaffen können aufgenommen werden
eingängige Steuerung
Bayonetta kann Form ändern (Panther, Vogel, Fledermäuse)
hervorragend inszenierte Render-Sequenzen
umfangreicher Soundtrack verschiedenster Stilrichtungen
weit reichende Informationen über die Spielwelt

Kontra

nur zwischen zwei (belegbaren) Waffenkombination durchschaltbar
abseits der linearen Levelpfade sehr wenig zu entdecken
unnötiges Strapazieren "klassischer" Arenakämpfe
gelegentlich unsichtbare Grenzen
hakeliger Lolly-Einsatz im Kampf
inkonsequentes Speichersystem
Sega-Tribut-Sequenzen einen Tick zu lang
kein Theater für Filmsequenzen und Engels-Vorstellungen
"Gates-of-Hell"-Einspielungen wiederholen sich zu häufig
Texturen können das Alter nicht verbergen

Wertung

PC

Auch wenn das Alter bei diesem sehr guten PC-Port gelegentlich durchscheint: Bayonetta ist auch nach sieben Jahren ein fantasievolles sowie kreatives Action-Adventure allererster Güteklasse!

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