Venetica17.09.2009, Jens Bischoff
Venetica

Im Test:

Mit Venetica (ab 1,90€ bei kaufen) wagen sich die Adventure-Spezialisten von Deck13 (Ankh & Jack Keane ) in bisher unergründete Rollenspielgewässer. Statt typische Fantasy- oder Science-Fiction-Häfen anzulaufen, stattet Protagonistin Scarlett erfrischenderweise einem herunter gekommenen Venedig einen Besuch ab, wo dunkle Mächte und Korruption herrschen. Der Tod lauert hinter jeder Ecke, doch für sie ist das Jenseits nicht das Ende, sondern ein mächtiger Verbündeter.

Schweres Erbe

Scarletts Schicksal ist wahrlich kein leichtes. Erst wächst sie als Findelkind in einem verarmten italienischen Bergdorf auf, dann muss sie nicht nur zusehen wie eines Nachts ihr Verlobter und unzählige Dorfbewohner während eines Überfalls von Assassinen ermordet werden, sondern erfährt auch noch, dass ihr Vater niemand Geringeres als der Tod persönlich ist.

Das heruntergekommene Venedig wirkt trotz schwächelnder Texturen teils sehr imposant und stimmungsvoll.
Und der legt ihr eine noch größere Last auf die Schultern: Scarlett ist aufgrund ihrer Abstammung die letzte Möglichkeit, dem Treiben eines untoten Quintetts ein Ende zu setzen. Das hat sich in der einst prunkvollen Lagunenstadt Venedig eingenistet und will die Welt ins Chaos stürzen.

Eure Gegner wissen bereits von der Bedrohung durch einen Sprössling des Todes, ahnen aber nicht, dass es sich dabei um Scarlett handelt. So zieht ihr los in Richtung Küste, um in Venedig nach dem Rechten zu sehen und die aus den Fugen geratende Welt wieder in Ordnung zu bringen. Oder ist es doch nur Hass und Rache, die euch antreiben? Vielleicht sogar die Liebe zu eurem Verlobten und die Hoffnung, ihn irgendwie wieder zu sehen? Die Entscheidung fällt ihr in diversen Multiple-Choice-Dialogen. Auch sonst erlaubt euer Weg viele Verzweigungen: Lasst ihr euch mit zwielichtigen Gestalten ein, um ans Ziel zu gelangen und verübt gar selbst Verbrechen oder bleibt ihr eher rechtschaffen? Vertraut ihr blind der Obrigkeit oder hört ihr auf die Stimmen des Volkes? Mit welcher der venezianischen Gilden könnt ihr euch am ehesten identifizieren? Was ihr tut, wie ihr es tut und für wen ihr es tut, bleibt oftmals euch überlassen.

Eingegrenzte Freiheit

Allzu gravierend sind die unterschiedlichen Konsequenzen allerdings nicht. Der Rahmen ist stets vorgegeben, wie ihr euch darin bewegen und darstellen wollt, liegt aber an euch. Generell geht es jedenfalls darum, sich durch bestimmte Aktionen oder Gefälligkeiten einen Namen zu machen, der euch immer tiefer ins Herz Venedigs vordringen lässt. Die Spielwelt bleibt dabei ziemlich überschaubar, die einzelnen Stadtteile bestehen nur aus wenigen begehbaren Häusern und Straßen. Zwar könnt ihr auch die Dächer und Kanäle erkunden, künstliche und unsichtbare Barrieren weisen allerdings immer wieder in die Schranken. Zu entdecken gibt es trotzdem eine Menge: Viele Bürger bieten euch abhängig von eurer Reputation kleinere und größere Aufgaben an, in den Häusern gibt es oft marode Wände, die mit einem Hammerschlag eingerissen werden können und wer verschlossene Türen oder Truhen findet, kann diese in einem simplen Gedächtnisspiel entriegeln, um die Portokasse aufzubessern.

Zwar sollte man darauf achten, auf seinen Raubzügen unbemerkt zu bleiben, da sonst der Ruf leidet, aber das Ahndungssystem ist eher zweifelhaft. Mal steht der Hausbesitzer direkt daneben und sieht eurem Treiben gelassen zu, ein andermal schlägt vermutlich jemand mit Röntgenblick auf der Straße Alarm, während ihr in einem uneinsehbaren Keller eine Stange Brot aus der Vorratskammer mopst.

Ihren Tod kann Scarlett u. a. nutzen, um sich für anstehende Kämpfe unbemerkt in den Rücken der Gegnes zu schleichen oder um mit Toten zu kommunizieren.
Meist ist die Beute aber ohnehin von so geringem Wert, dass es sich kaum lohnt als Hobby-Einbrecher durch Venedig zu ziehen. Lukrativ wird es erst, sobald man geheime Schatzkarten erbeutet und sich mit einer Schaufel auf die Suche nach dem auf der Karte mehr oder weniger leicht ersichtlichen Aufenthaltsort macht. Ansonsten kann man auch gut von den Habseligkeiten besiegter Gegner und ausgeweideter Tiere leben, sofern man die entsprechende Fertigkeit gelernt hat.

Der Tod ist nicht das Ende

Welche Fähigkeiten ihr lernen oder verbessern wollt, bestimmt ihr selbst anhand körperlicher und geistiger Skilltrees, die euch den Umgang mit verschiedenen Waffen erlauben, spezielle Talente wecken oder übersinnliche Kräfte hervorbringen. Als Tochter des Sensenmanns ist selbst das Jenseits euer Verbündeter. Kommt ihr im Kampf zu Tode, dauert es nicht lange bis ihr mit neuen Kräften wieder ins Diesseits zurückkehrt und an euren überraschten Peinigern Rache nehmen könnt. Die Zeit im Reich der Toten, das parallel zur Welt der Lebenden existiert, kann dazu genutzt werden sich geschickt zu positionieren, um nach der Inkarnation den sich langsam abkehrenden Widersachern in den Rücken zu fallen oder sich erst mal außer Reichweite zu bringen. Unsterblich ist Scarlett allerdings nicht: Jedes Ableben schluckt einen Teil ihrer nur mit einem speziellen Dolch (Mondklinge) aufladbaren Schattenenergie, die sie aus den Seelen ihrer Opfer schöpft. Ist diese verbraucht, heißt es auch für die Tochter des Todes: Game Over.          

Später kann Scralett aber auch ohne zu sterben, Ausflüge ins Totenreich initiieren, um Gegner zu täuschen, zu umgehen oder Rätsel zu lösen, indem sie mit Verstorbenen Kontakt aufnimmt, bestimmte Gegenstände erlangt oder geheime Portale entdeckt. Auch die wenigen, aber gut inszenierten Bosskämpfe finden sowohl im Dies- als auch im Jenseits statt. Manche Gegner sind sogar ausschließlich im Jenseits zu besiegen.

Das markante Charakterdesign und die professionellen Sprecher gehören zu den Stärken von Venetica.
Das System ist an sich sehr interessant und erinnert an die geschickten Dimensionswechsel eines Soul Reaver . Das Potential wird in Venetica aber leider kaum genutzt, der nötige Wechsel in die andere Welt abseits der Kämpfe ist stets offensichtlich, Erkundungs- und Rätselmöglichkeiten bleiben nahezu ungenutzt. Stattdessen bestehen die seltenen Knobeleinlagen fast ausschließlich aus simplen Schalterrätseln, die sich selbst ohne das Studieren wenig kryptischer Hinweise in kürzester Zeit lösen lassen. Selbst das Knacken komplizierter Schlösser ist reine Formsache.

Anspruchsloses Schlachten

Auch das Kampfsystem ist an sich eher simpel gehalten: Jede der vier Waffengattungen (Mondklinge, Schwert, Hammer und Speer) bietet quasi nur eine manuelle Kombo, die auf nur einer Taste basiert und deren Timing man selbst im Vollrausch problemlos hinbekommt. Einzig die Defensive verlangt etwas Fingerspitzengefühl, um Blocks oder Ausweichmanöver im richtigen Moment zu veranlassen. Im Grunde laufen aber alle regulären Kämpfe gleich ab: Man landet ein paar Treffer, blockt oder weicht aus und geht wieder in die Offensive bis der Gegner zu Boden fällt. Oft kann man das Ganze beschleunigen, indem man eine gegen den Kontrahenten besonders effektive Waffenart benutzt. Zudem kann man erlernte Spezialmanöver wie Stöße aus der Deckung, Flächenattacken oder magische Angriffe einsetzen, die man sich vorher auf entsprechende Hotkeys gelegt hat.

Wirklich brenzlig wird es aber nur, wenn man es auf engstem Raum mit mehreren Gegnern gleichzeitig zu tun bekommt. Zu Beginn hat man damit teils arge Probleme, später hat man dank nahezu unerschöpflicher Energiereserven und unbegrenzten Inventars hingegen fast nur noch mit der hakeligen Kamera und Zielerfassung zu kämpfen - egal, ob man mit Maus und Tastatur oder dem bis auf die reduzierte Hotkey-Palette gut eingebunden 360-Controller spielt. Wer trotzdem Probleme hat, kann den Schwierigkeitsgrad jederzeit in drei Stufen regulieren und auch Speichern ist jederzeit möglich, wobei die PC-Version eure Fortschritte an bestimmten Punkten auch automatisch festhält. Konsolenspieler müssen ohne Autosave auskommen, dafür ist der Schwierigkeitsgrad insgesamt etwas harmloser. Zudem bieten die Straßen Venedigs nachts ein unbegrenztes Angebot an potentiellen Gegnern, die euch mit Erfahrungspunkten, Wertgegenständen und Stufenaufstiegen versorgen. Ansonsten sind einmal besiegte Gegner für den Rest des Spiels weg von der Bildfläche und wachsen bis auf wenige Ausnahmen auch nicht nach.

Schönheit mit Makeln

Grafisch können sich Venedig und Umgebung durchaus sehen lassen. Die Texturen sind zwar recht verwaschen und auf Konsole noch eine Spur detailärmer als am PC, die größeren Gebäude der Stadt und die teils sehr stimmungsvollen Wasser- und Lichtdarstellungen sorgen aber dennoch für eindrucksvolle Momente. Scarlett kann trotz kostenloser Gondelfahrten sogar schwimmen und es gibt einen dynamischen Tageszyklus, der sich auf einem Stuhl sitzend oder in einem Bett liegend beschleunigen lässt. Besonderes Lob verdienen die überspitzt markanten, fast wie Karikaturen wirkenden Charaktere sowie die ausgezeichnete Synchronisation mit reichlich Stimmprominenz

Die mehrstufigen Bosskämpfe im Dies- und Jenseits zählen zu den Glanzmomenten des ansonsten eher eintönigen Kampfsystems.
wie den deutschen Sprechern von Angelina Jolie, Samuel L. Jackson, Mickey Rourke, Ron Perlman, Johnny Depp und vielen weiteren Hollywood-Stars. Auch die musikalische Untermalung ist sehr stimmungsvoll.

Weniger erfreulich sind hingegen die zahlreichen Bugs, KI-Aussetzer und Grafikfehler, die Venetica plagen: Manchmal stehen Gegner einfach regungslos da und lassen sich ohne jede Gegenwehr abschlachten, bleiben selbst nach ihrem Exitus noch wie ausgestopft stehen oder kümmern sich nicht die Bohne darum, wenn neben ihnen ein Kamerad zu Boden geht. Es gibt teils massive Clipping-Fehler oder gänzlich fehlende Texturen, die Kamera verschwindet schon mal in massiven Objekten oder springt nach Ortswechseln völlig chaotisch hin und her, Auftragsziele werden auf der Karte falsch angezeigt, Interaktionen mit Gegenständen oder Charakteren komplett verweigert, teils sogar ganze Quests ausgehebelt. Auch vor Angriffen durch verschlossene Türen oder gar massive Steinwände ist man nicht gefeit, während extreme Animationsaussetzer für unfreiwillige Komik sorgen. Ein bereits erhältlicher Patch schafft mitunter Abhilfe oder Linderung, der mangelnde Feinschliff der Verkaufsversion ist aber dennoch unentschuldbar, auch wenn die meisten Unzulänglichkeiten eher selten sind oder den eigentlichen Spielspaß nur geringfügig mindern. Konsolenspieler müssen zwar weniger Bugs ertragen, von einem fehlerfreien Spiel ist Venetica aber auch auf der Xbox weit entfernt. 

Fazit

Im Gegensatz zu Assassin's Creed II  führt euch Venetica in ein Venedig, das seine besten Zeiten längst hinter sich hat. Die herunter gekommene Handelsmetropole ist ein Hort für Korruption, in dem dunkle Mächte das Sagen haben. Doch als uneheliche Tochter von Gevatter Tod habt ihr die Möglichkeit das zu ändern: Ob aus Liebe, Pflichtbewusstsein oder Rache, bleibt euch überlassen. Der Weg ans Ziel bietet jedenfalls einige Verzweigungen, genauso wie die Entwicklung eures Charakters und die Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessensgemeinschaften. Man erkundet die sich langsam erweiternde, aber insgesamt recht überschaubare Spielwelt, führt Multiple-Choice-Dialoge mit immer mächtigeren Personen, räumt Widersacher aus dem Weg, steigert seine kämpferischen und übersinnlichen Fähigkeiten, meistert optionale Aufträge sowie kleinere Rätsel und steigert zunehmend seinen Bekanntheitsgrad, um neue Wege zu eröffnen. Das spielerische Grundgerüst ist jedenfalls sehr motivierend, das Kampfsystem aber vergleichsweise simpel und die technische Umsetzung ziemlich durchwachsen. Vor allem Ruckelanimationen, Clippings und verwaschene Texturen nagen spürbar an der Atmosphäre der sonst malerischen Kulissen und markanten Charaktere. Zudem trüben immer wieder nervige Bugs, Kameraprobleme und KI-Aussetzer das Spielgeschehen. Für den PC gibt es zwar bereits einen Patch, der die Probleme etwas abschwächt, aber nachträgliche Änderungen fließen natürlich nicht in die Wertung ein. Konsolenspieler müssen nicht ganz so viele und gravierende Programmierfehler ertragen - Gründe die Nase zu rümpfen oder den Kopf zu schütteln, gibt es aber auch bei der grafisch leicht abgespeckten und etwas einfacheren Xbox-Umsetzung genug. Nichtsdestotrotz sollten sich Genrefans die Reise nach Venedig nicht entgehen lassen, insgesamt wird man sowohl erzählerisch als auch spielerisch auf gutem Niveau unterhalten.

Pro

interessante Story
malerische Kulissen
dynamischer Tageszyklus
gut inszenierte Bosskämpfe
markantes Charakterdesign
hochwertige Synchronisation
viele Entscheidungsfreiheiten
originelle Nutzung des Jenseits
individuelle Charakterentwicklung

Kontra

überschaubare Spielwelt
nervige Bugs & KI-Aussetzer
zweifelhafte Diebstahlahndung
schwache Texturen & Grafikfehler
hakelige Zielerfassung & Kameraprobleme

Wertung

360

Gegenüber der PC-Version grafisch leicht abgespeckt, aber auch etwas weniger verbuggt.

PC

Stimmungsvolles Action-Rollenspiel, dem es mitunter am nötigen Feinschliff mangelt.

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