Gorasul17.09.2001, Bodo Naser
Gorasul

Im Test:

Rollenspiele von heute unterscheiden sich hauptsächlich in punkto Grafik und Steuerung: Da gibt es zum einen die 3D-Rollenspiele wie etwa Gothic oder Ultima 9, bei denen man sich in Lora-Croft-Perspektive, von hinten über die Schulter gesehen, durch die Lande bewegen darf. Anders die herkömmlichen Iso-Rollenspiele, bei welchen man seine Party von schräg oben durchs Geschehen steuert, wie z.B. das beliebte Baldur`s Gate 2. Ein Vertreter der letzten Gruppe ist auch das neu erschienene Gorasul, das von Silver Style Entertainment in Berlin entwickelt wurde. Ob es sich dabei um einen bloßen Baldurs-Gate-Klon handelt, der auf der Welle der Bekanntheit dieses Klassikers mitschwimmen will, erfahrt Ihr in unserem Test.

Story

Spätestens seit J.R.R. Tolkiens Smaug aus The Hobbit scheint klar, wie sich richtige Fantasy-Drachen zu verhalten haben: Sie sind böse, stinken furchtbar, sitzen auf einem Berg aus Gold und speien ständig Feuer. Dass sie gelegentlich auch "lieb" sind und sogar kleine, kranke Findelkinder großziehen, zeigt uns jetzt das PC-Rollenspiel Gorasul.

Denn der Held Rozondas wächst bei einem besonders fürsorglichen Vertreter dieser Spezies namens Crakan auf. Von diesem lernt er auch gleich noch die äußerst wirksame Drachen-Magie. Später stirbt er dann als berühmter Kämpfer und Magier im Kampf gegen die untoten Horden des Bösen, welche völlig unvermutet durch ein Dimensions-Tor auf die Welt von Gorasul gelangt sind. Doch jeder bekommt schließlich eine zweite Chance, so auch Rozondas. Vergleichbar dem abgespeicherten Charakter eines Computerspielers wird er nach zehn Jahren von einem rechtschaffenen Gott namens Hedral wiederbelebt, um den Kampf gegen die übermächtigen Dämonen abermals aufnehmen zu können. Zuvor muss er jedoch erst seine einst mächtigen, magischen Fähigkeiten wiedererlangen, die er durch den Tod verloren hat.

Gameplay

Bei Gorasul steuert Ihr Euren Helden Rozondas in isometrischer Perspektive, Vogelperspektive von schräg oben, durch die Fantasy-Welt. Durch Mausklick auf einen bestimmten Punkt in der Landschaft könnt Ihr Eurem Helden befehlen, wohin er sich bewegen soll. Das verschafft Euch Übersicht und Ihr verliert auch im ärgsten Kampfgetümmel nicht die Kontrolle über Rozondas. Die Bewegung innerhalb der Gegenden ist weitgehend frei und nicht an feste Räume gebunden, wie dies bei älteren RPGs am PC oft der Fall war. Die Iso-Perspektive erinnert natürlich unvermeidlich an den Genre-Klassiker Baldur`s Gate, der diese Draufsicht zum Standard werden ließ.

So auch das Bedienungs-Interface, das ebenfalls sehr an Rollenspiele aus dem Hause Black Isle Studios erinnert. Mit dessen Hilfe könnt Ihr blitzschnell per Maus oder Tastaturkürzel an wichtige Funktionen wie Inventory, Charakterwerte, Tagebuch oder Karten gelangen. Auch die Automap-Funktion ist fast identisch mit der bei Baldur`s Gate: Die Karte umfasst den ganzen, aktuellen Aufenthaltsort, noch Unentdecktes bleibt schwarz und Charakter sowie NPCs werden klein und in verschiedenen Farben dargestellt.

Etwas anders als bei Baldur`s Gate verläuft allerdings die Verwaltung des Charakters. Zwar erschafft Ihr Euch zu Beginn auch nur einen einzigen Helden und nicht gleich eine ganze Party. Diese kann aber später durchaus hinzukommen, da Ihr bis zu drei NPCs als Mitstreiter mitnehmen dürft. Euer Held kann entweder zum Magier, Krieger, Priester, Waldläufer, Bannwirker oder Schwertrichter werden, was dann auch Auswirkungen auf seine Startwerte hat. Durch das Lösen von Quests und durch gewonnene Kämpfe könnt Ihr Erfahrungspunkte bekommen, die Euren Charakter aufsteigen lassen.

Die Charakter-Fähigkeiten sind bei Gorasul jedoch erweitert: Neben den klassischen Skills wie Stärke, Kondition, Charisma oder Intelligenz sind vier neue Fähigkeiten hinzugekommen, die das Vermächtnis des Drachen symbolisieren, der Roszondas einst erzogen hat: Drachenfurcht, Drachenauge, Drachenstärke und Drachenodem finden in höchster Bedrohung automatisch und quasi als letzter Notanker Anwendung. So kann es Euch mitten im hitzigen Kampf gegen eine Horde Orks passieren, dass plötzlich einer der Orkkrieger durch unvermuteten Feuerodem aus dem Mund Eures Helden geröstet wird. Die Drachen-Fähigkeiten sollen Euch vor allem den Einstieg ins Game erleichtern, da Ihr zu Beginn noch ziemlich schwach und ohne große Ausrüstung seid.

Ebenfalls neu ist, dass Eure Waffe ein gewisses Eigenleben (!) führt. Zu Beginn dürft Ihr Euch eine denkende Waffe (z.B. Schwert, Dolch, Axt, Hammer, Bogen) wählen, die Euch dann durchs Spiel begleitet. Besonders witzig hierbei: Es kann vorkommen, dass Euch das Ding mehr oder minder kluge Ratschläge erteilt oder dass es sich selbst mit den NPCs unterhält. Weiter besitzt die Waffe auch einen bevorzugten Gegner sowie einen Angst-Gegner, bei dem sie den Dienst verweigert. Schließlich erhält die Waffe ebenfalls Erfahrungspunkte, steigt auf und kann so ihre Skills (z.B. Mut, Bruchsicherheit) verbessern.

Im Kampf gibt es bei Gorasul hingegen nur wenig Neues. Über Anklicken des jeweiligen Gegners könnt Ihr Eurem Helden befehlen, einen ganz bestimmten Gegner anzugreifen. Dabei ist es besonders nützlich, dass Ihr mittels Eures Kurz-Inventorys (und des Ziffernblocks) während des Kampfes Zauber wirken und Tränke nehmen könnt. Im Kampf kommen auch die Drachen-Fähigkeiten zum Einsatz, wenn Eure Kräfte zu sehr schwinden. Wie schon bei Baldur`s Gate lässt sich auch hier das Geschehen mit Hilfe der Pausen-Taste anhalten, um im Kampfgetümmel den Überblick zu behalten und die Attacken so in Ruhe planen zu können. Sogar die nervigen Zufalls-Überfälle auf Reisen wurden von Baldur`s Gate übernommen. Immerhin gibt es dabei bei Gorasul auch positive Reise-Abenteuer, wie z.B. der zufällige Sieg über Straßenräuber, bei dem Ihr nicht mal kämpfen müsst und der Euch wertvolle Gegenstände für Eure Ausrüstung einbringt.

Halb-automatisch funktioniert der Gruppen-Kampf zusammen mit Eurer Party. Hierzu könnt Ihr im Interface grundlegende Vorgaben für das Verhalten Eurer Party im Kampf machen. Sollen die ungeschützten Magier lieber weiter hinten bleiben? Sollen diese eher Angriff- oder Schutzzauber zaubern? Wer soll zum Nahkampf übergehen? Ansonsten greifen Eure Mitstreiter dann weitgehend selbständig an. Dies gelingt der KI natürlich nicht immer so, wie man das gerne hätte und sorgt öfters für Frust, z.B. wenn aus unerfindlichen Gründen die kaum geschützten Zauberer partout nicht hinten bleiben wollen. Wichtig sind im Kampf mit der Party auch die vielen verschiedenen Formationen, die Eure Gruppe in die richtige Kampfordnung bringen.

Noch eine wichtige Neuerung: Zu Beginn könnt Ihr Schwierigkeitsgrad (drei Stufen) und sogar den von Euch gewünschten Spielschwerpunkt eingeben. Wollt Ihr lieber Rätsel oder doch mehr Kämpfe? Oder ist vielleicht eine gesunde Mixtur aus beidem das Richtige? Die Schwierigkeit der Quests ist übrigens durchaus mit Baldur`s Gate 2 vergleichbar. Allerdings gibt es weit mehr Wort- und Kombinations-Rätsel wie man sie schon aus klassischen PC-Rollenspielen kennt. Die Kämpfe hingegen sind vom Niveau her teils schwer bis unfair, so dass sich ständiges Speichern empfiehlt. Eine regelmäßige Autosave-Funktion fehlt leider - die vorhandene speichert nur alle Schaltjahre einmal.

Grafik

Grafisch ist Gorasul über große Strecken fast so grausig geraten, wie man sich gemeinhin die Ghouls und Zombies vorstellt, die im Spiel massenhaft vorkommen. Was sich die Entwickler von Silver Style Entertainment dabei gedacht haben, bleibt wohl ihr Geheimnis. Die Auflösung ist teils derart schlecht, dass man z.B. meint, die einzelnen Pixel von Waffen erkennen zu können, aus denen sie bestehen. Effekte wie beim Zaubern - eines der Highlights von Baldur`s Gate 2 - wirken teilweise so als seien sie, übertrieben gesagt, noch auf der Grafik-Engine eines C-64 programmiert worden. Und die aparte Farbpalette reicht von schmutzig-beige über dunkelblau bis grau-gräulich-braun. Auch die wirklich abwechslungsreichen Licht- und Wettereffekte können das nicht mehr wettmachen. Einzig die gelungen Filmchen in den Zwischensequenzen können den negativen Gesamteindruck etwas aufhellen. Was also die Grafik betrifft, hätte Gorasul noch viel mehr von der Baldur`s-Gate-Reihe lernen können.

Sound

Vom Sound her gesehen hat Gorasul hingegen einiges zu bieten: Da gibt es den mittelalterlich anmutenden Soundtrack des Spiels, der auch zwei Originalsongs der Gruppe Corvus Corax enthält. Gelungen ist die stimmige musikalische Untermalung des ganzen Epos, welche sich den Geschehnissen in Tempo und Stimmung angleicht (etwa im Kampf). Eine Sprachausgabe gibt es nur an entscheidenden Stellen im Spiel, so z.B. in den Zwischensequenzen des Spiels. Die zu pathetisch geratene Ansprache Rozondas zu Beginn sollte man allerdings getrost vergessen.

Atmosphäre

Gorasul ist trotz der Schwächen ein sehr motivierendes PC-Rollenspiel. Immer wieder ertappt sich der Spieler dabei, dass man nur noch diese eine Quest machen oder diesen "kleinen" Dungeon erforschen will. Das kommt nicht zuletzt von der ausgefeilten und spannenden Rahmenhandlung, welche den Spieler förmlich zum Weitermachen antreibt. Wer die Welt von Gorasul einmal betreten hat, wird sie so schnell nicht wieder verlassen können.

Darüber hinaus ist das epische Spiel angefüllt mit skurrilsten Einfällen, die für Hardcore-Fans des Genres und Rollenspiel-Puristen sicher gewöhnungsbedürftig sein werden. Da gibt es beispielsweise die sprechende Waffe, die Euch ständig gut gemeinte Ratschläge erteilt oder auch ein Dorf mit ziemlich dümmlichen Kobolden, denen Ihr aus der Patsche helfen müsst. Zu allem Überfluss werdet Ihr hierbei noch von ein heiratswütigen Kobold-Dame bedrängt, die Euren Helden unverhofft zum Altar schleifen möchte... das ganze Game ist übrigens zum besseren Verständnis komplett in Deutsch gehalten, damit man auch nichts von den Skurrilitäten verpasst.

Pro:

  • epische Rahmenhandlung
  • skurriler Spielwitz
  • hohe Spielmotivation
  • toller Soundtrack
  • teils witzige Dialoge
  • hohe Spieltiefe
  • Spielschwerpunkt einstellbar
  • neue Charakter-Fähigkeiten
  • intelligente Waffe
  • schöne Zwischensequenzen
  • Wetter- und Licht-Effekte
  • Kontra:

  • zahllose "Anleihen" bei Baldur`s Gate
  • schlechte Grafik
  • zu niedrige Auflösung
  • unschöne Farben
  • nervige Zufalls-Überfälle auf Reisen
  • teils unfaire Kämpfe
  • zu sparsames Autosave
  • pathetische Ansprache
  • Vergleichbar mit:

    Baldur`s-Gate-Reihe, Arcanum

    Fazit

    Gorasul schreckt in den ersten Spielminuten eher ab: Man möchte es aufgrund der schlechten Optik und den viel zu offensichtlichen "Anleihen" bei der Baldurs-Gate-Reihe sogleich verstoßen und nie mehr aus dem tiefen "Verlies der miesen Computerspiele" hervorkramen. Wer diese kurze Schockphase überwindet und dem Spiel eine zweite Chance gibt, wird viel mehr Neues und Innovatives finden, als sich zunächst vermuten lässt. Darüber hinaus stimmen Story, Spieltiefe, Spielwitz und Sound einfach, was beim Spieler für Langzeit-Motivation sorgt. Gorasul bereitet daher nur auf den ersten Blick "Magen-Schmerzen". Hat man sich erst einmal mit dem Produkt aus dem Hause JoWooD Productions angefreundet, dann wird es vor allem Rollenspiel-Fans großen Spaß machen, den Drachenzögling Rozondas auf der Reise durch die Insel-Welt zu begleiten.

    Wertung

    PC

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