Mafia28.08.2002, Jörg Luibl
Mafia

Im Test:

Schmuggel, Schmiergeld, Schießereien - nach langer spielerischer Dürreperiode scheint sich mit Mafia (ab 19,98€ bei kaufen) endlich wieder ein Action-Highlight anzukündigen. Die tschechischen Entwickler von Illusion Softworks lassen Euch in eine riesige Metropole der 30er abtauchen und in die Rolle von Tommy Angelo schlüpfen. Ob die stilechte Karriere in der Cosa Nostra ebenso begeistern kann wie das wilde GTA3-Leben, erfahrt Ihr in unserem ausführlichen Test!

Vorhang auf!

Die Sonne scheint, der Anzug sitzt, die Baseballschläger liegen gut in der Hand. Als Paulie und ich den Hinterhof betreten vergeht so manches Grinsen. Schönen Gruß von Don Salieri, zischt er den verdutzten Halunken zu. Dann lassen wir die Knüppel tanzen und vermöbeln einen nach dem anderen. Nur als einer der Kerle eine Knarre zückt, wird es ernst. Die beschauliche Racheaktion eskaliert zu einer Schießerei auf Leben und Tod - Alltag in Lost Haven.

Spielfilm oder Filmspiel?

Mafia lässt keinen Zweifel an seinen dramaturgischen Vorbildern: Wer Hollywoods Cosa Nostra-Schinken wie Der Pate oder Goodfellas kennt, wird sich sofort heimisch fühlen. Schon das Intro sorgt mit seinen rasanten Kamerafahrten und den typischen Namenseinblendungen für cineastisches Flair. Und die Vorfreude auf die kriminelle Karriere in den 30ern wird von den durchgestylten Menüs, die mit gestochen scharfem und authentischem Mobiliar glänzen, weiter geschürt.

Doch den Zenit der Begeisterung löst gleich die erste filmische Einleitung in Spielgrafik aus. Was das Team von Illusion Softworks hier auf den Monitor zaubert ist fantastisch: Nicht nur die Gesichter der Protagonisten wirken erschreckend realistisch, weil sie mit lippensynchroner Sprache, animierten Augenbrauen und Mundwinkeln verblüffen. Auch die natürliche Körpersprache inklusive der typischen italienischen Handbewegungen zeugt von genauen Charakterstudien der tschechischen Animationskünstler - Respekt!

Kinoreife Story

Die Hintergrundgeschichte knüpft ebenfalls an die Filmtradition an und bedient alle bekannten Klischees: Schwarze Anzüge, Hinterzimmer-Gemauschel, Zigarrenqualm, schöne Frauen und gnadenlose Männer. Worum geht`s? Der smarte Tommy Angelo hat genug von der Mafia und will aussteigen. In einer Bar bietet er einem Polizisten all sein Wissen gegen umfassenden Personenschutz an. Als sich dieser zurücklehnt und zuhört, öffnen sich die ersten Kapitel einer kriminellen Karriere. Ihr spielt quasi Tommys Rückblick, der in 20 verschachtelte Missionen unterteilt ist und seinen Weg in die Unterwelt nachzeichnet: Abwechslung ist hier Trumpf, denn mal seid Ihr Chauffeur, mal Saboteur, mal Leibwächter, mal Rache-Engel oder Schmuggler. Unerwartete Wendungen und dramatische Zwischenfälle machen aus jedem Kapitel eine spannende Mini-Story, die sich teilweise in über zehn Unterkapitel aufspalten kann. Hinter harmlosen Routine-Jobs verbirgt sich meist brisanter Nervenkitzel.

Rauchende Colts

Falls kein Auto in Sicht ist oder eine Schießerei ansteht, geht`s zu Fuß in Schulterperspektive durch die Straßen von Lost Haven. Die Maus-Tastatur-Steuerung ist schnell verinnerlicht und macht keine Probleme. Lediglich die Aufnahme von Waffen und Munition hätte etwas unkomplizierter sein können - vor allem im Gefecht bedeuten das Gesuche samt Klick schnell den Tod. Tommy kann Brüstungen erklimmen, zur Seitwärtsrolle ansetzen und im Kampf in Deckung gehen. Das ist auch bitter nötig, denn die Schlägereien und Schusswechsel sind teilweise äußerst happig. Nur die richtige Taktik und die mangelhafte KI helfen gegen die meist in Überzahl befindlichen Angreifer. Lobenswert ist, dass Angriffe von hinten und Kopftreffer meist tödlich enden.

 

Auch wenn Euch im Laufe des Spiels über ein Dutzend historische Pistolen, Colts, Schrotflinten etc. zur Verfügung stehen, sind schnelle Alleingänge meist zwecklos. Denn die herrlich realistischen Schusseinwirkungen machen jedes Gefecht unberechenbar: Ruhiges Dauerfeuer ist fast nicht möglich, weil das Fadenkreuz bei jedem Schuss vom Rückschlag versetzt wird - insbesondere die schnell feuernde Tommy-Gun jagt das Fadenkreuz schon nach wenigen Salven in die Höhe. Und falls Euch die Kugeln des Gegners treffen, werdet Ihr zunächst nach hinten geworfen und könnt nicht sofort zum Gegenangriff ansetzen. Die Physik-Engine sorgt übrigens dafür, dass Wagen mit dem Baseballschläger zertrümmert, dass Fenster ein- und dass Reifen plattgeschossen werden können.

Fahrlastiges Gameplay

Aber trotz der Baller-Action steht das Fahren eindeutig im Vordergrund: Untermalt von unbeschwert vor sich her dudelnder Swing-Musik verbringt Ihr mehr als die Hälfte der Zeit in diversen Autos. Auch wenn sich die Entwickler mit Chauffeur-Missionen, Verfolgungsjagden, Drive-by-Shooting, Zeitlimit-Fahren und einer waschechten Rennstrecke (die übrigens ohne Gamepad oder ähnliche Steuerungshilfen fast nicht zu schaffen ist) viel haben einfallen lassen, dürfte so mancher Spieler ohne ausgeprägten Oldtimer-Fetischismus schnell einen Straßen-Koller kriegen.

Racing-Fans werden hingegen jubeln: Denn habt Ihr alle Kapitel erfolgreich beendet, wartet mit der "Freien Fahrt extrem" noch ein interessanter Zusatzmodus auf Euch, wo Ihr 20 knackige Einzelaufgaben innerhalb der Stadt meistern müsst: U.a. sollt Ihr einen Lkw bei konstanter Geschwindigkeit zu einem bestimmten Punkt bringen. Falls das Tacho einen Wert unterschreitet, explodiert das geladene Dynamit.

Leider gibt es keine Belohnungen für besonders gute Fahr- oder Schießleistungen - weder Geld, noch Waffen oder Titel. Jede Mission wird mit einer bestimmten Ausrüstung gestartet. Ob Ihr den Baseballschläger, Molotow-Cocktails oder Schusswaffen mitnehmt, liegt nicht an Euch. Die einzige Spielentwicklung besteht in der Möglichkeit, neue Autos zu knacken und der damit verbundenen Erweiterung des Fuhrparks, wo mit der Zeit immer mehr Karossen zur Verfügung stehen.

__NEWCOL__Zu strenges Drehbuch

So stimmungsvoll Story und Kulisse auch sind: Die Regisseure von Illusion Softworks haben ein Drehbuch geschrieben, das Euch zwar ein höchst abwechslungsreiches, aber auch streng lineares Missionsdesign aufzwingt - ohne spielerische Freiheit, ohne Kompromisse, ohne alternative Lösungswege. Ihr müsst einen bestimmten Weg gehen, oder die Mission scheitert. Leider sorgt das für so manches Frustmoment - ein Beispiel:

Ihr wisst, dass ein Dieb seinen Wagen vor dem Motel geparkt hat, schießt in weiser Voraussicht die Reifen platt und besteht die Feuergefechte im Motel. Irgendwann will der Dieb mit dem Mafia-Geld verschwinden und rennt raus zum Auto. Ihr könnt ihn jetzt trotz eines gut getimten Kugelhagels weder im Auto erschießen noch hindern ihn die vier platten Reifen an der Flucht. Die gnadenlosen Scripte lassen keine andere Lösung zu als die Verfolgungsjagd.

Aber auch sonst lässt Euch die Spielwelt fast keine Freiheiten: In Salieris Hauptquartier dürft Ihr in einer Mission nicht mal die Vordertür öffnen, geschweige denn die Toiletten. Und nach einem Schusswechsel mit der Polizei endet ein Sturmlauf mit der Schrotflinte in einer Sackgasse: Denn hinter der Tür, aus der eben noch Polizisten strömten, befindet sich bloß eine kleine Zelle - keine Treppe, kein Ausgang. Eigentlich fehlen nur noch die Schilder "Hier nicht lang!".

Natürlich entdeckt man diese Inkonsequenzen meist nur, wenn man abseits der vorgegebenen Pfade etwas ausprobiert. Spieler, die jeder Anordnung folgen und keine Umwege machen, werden die Beschränkungen der Spielwelt vielleicht gar nicht wahrnehmen und sich am abwechslungsreichen Missionsdesign erfreuen, das immer eine überraschende Wendung parat hält.

Dass man nicht überall speichern kann, stößt angesichts des hohen Schwierigkeitsgrades so mancher Mission etwas bitter auf. Warum gibt es nicht wenigstens noch einen Anfänger-Modus? So ist man gezwungen, einige Kapitel so oft zu spielen, bis man weiß, wie die Entwickler es gerne hätten. Ein Segen sind daher die vielen Unterkapitel einer Mission, bei denen sofort ein Spielstand gesichert wird.

Kriminelle KI

Ist die Linearität noch zu verschmerzen, hinterlässt die KI jedoch deutliche Frustmomente. Auf den ersten Blick machen die Figuren noch einen intelligenten Eindruck: Passanten springen zur Seite, beim Schusswechsel schreien Unschuldige um Hilfe, rennen wild durcheinander oder kauern sich jammernd in eine Ecke.

Aber es gibt auch Schattenseiten: Wenn Ihr in Begleitung eines Mafiosi eine schmale Treppe hinaufgeht und wieder umdrehen wollt, will der Gute einfach nicht aus dem Weg gehen; hier hilft nur ein Neustart oder die harte Methode, die ebenfalls eine KI-Schwäche entlarvt: Euer ansonsten nicht zimperliche Kumpan lässt sich ohne Protest oder Gegenwehr mit dem Baseballschläger die Treppe runterprügeln. Erst ein paar Missionen später springt die KI an und er droht bei erneuten Übergriffen mit Gegenwehr.

Und nicht nur die eigenen Mafiosi hinterlassen manchmal einen dämlichen Eindruck: Wenn Ihr Euch während eines Schusswechsels zurückzieht, justieren sich Gegner plötzlich neu und zielen in eine ganz andere Richtung, obwohl sie ganz genau wissen müssten, wo Ihr steckt. Auch von Taktik und Teamplay scheinen sie ab und an nichts gehört zu haben: Trotz Sichtkontakt und Überzahl verharren Polizisten an einem Punkt und lassen sich bequem niederschießen. Schließlich sei noch der Wachhund am Motel erwähnt - ein einziger vierbeiniger Witz: Scheinbar ohne die Sinne seiner Spezies ausgestattet, lässt er Euch viel zu nahe rankommen und in die ewigen Kläffgründe befördern.

Mafia verspielt hier all sein Hitpotenzial, denn die Illusion einer in sich stimmigen Spielwelt wird durch die KI-Probleme zerstört. Sicher gibt es auch positive Beispiele, wo Gegner relativ klug agieren, Verstärkung fordern und zusammen angreifen. Trotzdem könnte man noch weitere Negativbeispiele wie z.B. unlogische Staus auflisten. Insgesamt hätte das Spiel gerade im Figuren-Verhalten noch einiges an Feintuning und Entwicklerarbeit nötig gehabt, um langfristig zu begeistern. Ältere Spiele wie Dark Project oder Metal Gear Solid sind da wesentlich überzeugender.

__NEWCOL__Prächtige Karossen, prächtige Kulisse

Ein absolutes Grafik-Highlight wurde mit den Gesichtern bereits erwähnt, aber die unangefochtene Hauptrolle spielen die über 60 fahrbaren Untersätze. Oldtimer-Liebhaber werden vor Freude jauchzen. Mafia belebt die Zeit der noblen Karossen auf höchstem Fahr- und Grafikniveau. Egal ob kleiner, wendiger PS-Zwerg oder kraftstrotzende Limousine: die Automobile glänzen mit feinen Texturen und tollen Spiegelungen. Aber vor allem das verblüffend realistische Fahrverhalten sorgt im Zusammenspiel mit dem Motorenbrummen für echtes Oldtimer-Feeling. Und damit Ihr Euch richtig austoben könnt, haben die Entwickler eine riesige Stadtkulisse im Stil der amerikanischen 30er gezaubert - inklusive herrlich animierter Bewohner, die stilecht durch die Straßen spazieren. "Lost Haven" bietet vom Rotlichtbezirk über verruchte Hafengegenden bis hin zum exquisiten Nobelviertel alles, was das Metropolenherz begehrt. Riesige Brücken verbinden drei große Areale; hinzu kommen ein Flughafen und kleine Motels bzw. Farmen auf dem Land.

Sterile Stadt

Dennoch zeigt auch die Grafik Schwächen: Der Größe der Stadt mussten die Entwickler Tribut zollen. So zeigen sich trotz ansehnlicher Fassaden, schöner Lichtspiele und stimmungsvoller Hinterhöfe ab und an hässliche Texturtapeten und platte Übergänge. Auch Clipping-Fehler wie Gegner-Beine in Türen oder in der Luft stolzierende Figuren trüben die ansonsten bestechende Optik. Und der Stadtverkehr kann zwar mit Passanten, die im Ernstfall herrlich animiert zur Seite springen, sowie dem simuliertem Verkehr überzeugen, hätte aber etwas mehr Interaktivität vertragen können: Kein Restaurant, keine Bar und kein Geschäft lässt sich betreten und nichts kaufen. Lediglich einige gescriptete Ereignisse wie Unfälle sorgen für Abwechslung. Sobald man sein Auto verlässt wirkt die Stadt daher schnell steril. GTA 3 war da wesentlich lebendiger, weil die Bewohner mehr soziales Feedback gaben - auch wenn es sich meist um Schlägereien, Pöbeleien und zweideutige Angebote handelte.

Fazit


Jörg:
Die Vorhänge sind gefallen, der Film ist aus - was sagt das Publikum? Trotz einer hollywoodreifen Präsentation, bestechenden Sprechern und einer mitreißenden Story kann sich keine Award-Euphorie breit machen. Man fühlte sich 20 spannende, aber streng lineare Missionen lang wie ein Schauspieler, der von einem sturen Regisseur an der kurzen Leine geführt wird. Die Geschichte des Tommy Angelo kann sich zwar dank der hervorragenden Zwischensequenzen stimmungsvoll entfalten, aber leider haben sich die Entwickler an ein Drehbuch mit gnadenlosen Scripten gehalten: Jede noch so kleine Alternative wird im Keim erstickt. Als Zuschauer ist mir das egal, aber als Spieler nervt mich die Gameplay-Zwangsjacke, die absolut keine Freiheiten zulässt. Und wenn sich dann noch gravierende KI-Mängel zeigen, verlieren selbst so faszinierende Kulissen wie Lost Heaven oder die an sich packenden Schusswechsel ihren Reiz. Die absolute spielerische Erfüllung werden daher nur Oldtimer-Fans erfahren, die sich auf Hochglanz-Limousinen samt realistischer Fahrphysik freuen dürfen. Dass Mafia trotz des durchschnittlichen Spielniveaus sehr gute Action-Unterhaltung bietet, verdankt es seiner Story und der kinoreifen Umsetzung.

Paul:
Was soll ich sagen? Ich bin von Mafia hin und weg: Story, Missionsdesign und Atmosphäre sind kinoreif, die langen Aufträge dank knackiger Gegner und begrenzter Speichermöglichkeit herausfordernd. Allerdings hat Jörg mit den Flecken auf der weißen Programmweste recht; wenn man genau hinsieht, haben KI und Grafik teilweise böse Macken. Mich persönlich stört außerdem, dass man, im Gegensatz zu GTA3, in der Stadt praktisch keinerlei Freiheiten außerhalb der Missionen hat: Taxifahren und Schnitzeljagd gibt es nur im Freeride-, beziehungsweise Freeride-Extreme-Modus, die klasse Rennstrecke lässt sich, abgesehen von der einen Mission, überhaupt nicht benutzen - wieso nur? Sonst herrscht eitel Sonnenschein über Lost Heaven: die Missionen und Zwischensequenzen gehören zum Besten, was man bislang am PC bestaunen konnte, die professionelle Sprachausgabe trägt ihren Teil dazu bei, dass man sich in »Der Pate 4« versetzt fühlt. Die Entscheidung zwischen GTA3 und Mafia ist wirklich nicht einfach: im Zweifelsfall greift Ihr einfach zum Ambiente, das Euch eher liegt - mit keinem der beiden Spiele macht Ihr einen Fehler.

Pro

<P>
gute Story
riesige Spielwelt
simulierter Verkehr
sehr gute Fahrphysik
Hollywood-Atmosphäre
freispielbare Zusatzmodi
realistische Schusswechsel
fast fotorealistische Gesichter
Force Feedback-Unterstützung
abwechslungsreiche Missionen
authentisches Oldtimer-Aufgebot
sehr gute Lokalisierung &amp; Synchronisierung</P>

Kontra

<P>
große KI-Probleme
zu Automobil-lastig
teilweise sehr schwer
nervige Clipping-Fehler
streng lineare Spielstruktur
sterile, wenig interaktive Städte
nur automatische Speicherungen</P>

Wertung

PC

Spannend erzählt und toll präsentiert - ein Baller-Schmuckstück!

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