Das Schwarze Auge: Demonicon29.10.2013, Jörg Luibl
Das Schwarze Auge: Demonicon

Im Test:

Wo sind die großen Rollenspiele? Für Abenteurer mit einem Faible für Schwert, Schild und Magie ist dieses Jahr bisher ein mageres. The Witcher 3, Dark Souls 2, Deep Down und Dragon Age Inquisition erscheinen ja erst 2014. Aber es gibt noch einen Entwickler aus Berlin, der die Lücke schließen will. Ob Das Schwarze Auge: Demonicon (ab 3,85€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) von Kalypso Media für frischen Fantasywind sorgen kann, verrät der Test.

Inzest in den Schattenlanden

Wenn man sich Calandra ansieht, zeigt sich die ganze Misere pubertären Storytellings. Der billige Effekt steht einfach immer im Vordergrund. Wie kann man eine Frauenfigur so schlecht, so primitiv designen? Nichts gegen Erotik oder Sex in Rollenspielen – man denke an The Witcher 2 oder Mass Effect 3. Aber hier kann man nur mit dem Kopf schütteln. Man muss mal auf ihre Kleidung achten, denn die Artdesigner haben sich ein besonders kreatives Schnittmuster ausgedacht: Calandra zeigt nicht nur ihre prallen Titten, sie hat auch extra Teile des Stoffes dafür zur Seite geblättert – schließlich will sie in all den Gefechten in Brusthöhe besonders verwundbar sein. Oder sie will all die Kannibalen, Untoten und Hexer geil machen, die im Laufe des linearen Abenteuers in ihre Richtung schlurfen.

Das könnte angesichts der nekromantischen Story in den finsteren Schattenlanden sogar im Bereich des erzählerisch Möglichen liegen – schließlich werden hier auch Huren in Untote verwandelt. Cairon und Calandra? Das hört sich nicht nur kitschig an, das ist es auch. Die Geschichte um das inzestuöse Geschwisterpaar, das mit der Vermischung seines Blutes ein Unheil beschwört, wird so plump erzählt, dass man locker eine Fantasy-Serie für RTL2 daraus machen könnte. Eigentlich stehen die Schattenlande für die unheimliche Seite der Fantasywelt Aventurien, für den düsteren Osten mit seinen Vampiren, Werwölfen und Dämonen – nicht umsonst erinnert die Region Warunkai auch lautlich an die europäische Walachai.

Fantasy auf RTL2-Niveau

Calandra, die Schwester von Cairon, begleitet einen meist automatisch.
Calandra, die Schwester von Cairon, begleitet einen meist automatisch.
Aber all das, was an Faszination in dieser Region steckt und von einem Regionenbuch von Ulisses im Jahr 2011 ausführlich behandelt wurde, wird von diesem Spiel nicht mal ansatzweise transportiert. Hier wird nicht behutsam mit Aberglauben und Ritualen, mit Schrecken und Dunkelheit gearbeitet, sondern mit teilweise peinlichen Überleitungen in einer Einbahnstraße der Langeweile, in der Sätze wie „Möchtest du mir dein määäächtiges Schwert zeigen?“ oder "Ich will dich. Hier, auf dem Boden. Das ganze verfluchte Kloster soll uns hören!“ exemplarisch für die Qualität des Drehbuchs sind. Die Dialoge sorgen nicht für zwielichtige Atmosphäre, sondern für unfreiwillige Komik, die jede ernste Situation ad absurdum führen. Wenn die Regie wenigstens die klare Linie der Satire verfolgen würde, doch sie will ja mit dem Schrecken arbeiten, wenn sie immer wieder all die Krankheiten und Gräuel betont – trotzdem kann man in einem verarmten Viertel natürlich grell markierte Truhen plündern.

Die Story kommt so schnell zur Sache, dass es weder Geheimnisse noch Fragen zu geben scheint – die wilde Fahrt geht einfach ab. Das Verhältnis zwischen Schwester und Bruder ist kaum bekannt, schon liegen sie sich knutschend in den Armen. Die Gefahr der Vermischung des Blutes wird gerade beschworen, schon zeigt Cairon dämonische Züge. Was so klar scheint, wirft mit der Zeit durchaus Fragen auf: Was genau ist mit den Geschwistern passiert? Sind sie jetzt auf Ewigkeit verflucht? Ist es der Trieb oder etwas anderes, das sie zusammentreibt? Immerhin kann man in den Dialogen etwas mehr über die Fraktionen und Motive erfahren, wenn man „Mehr Informationen“ als Frage anklickt. Wer sich in der Welt des Schwarzen Auges nicht so gut auskennt, kann zudem Hintergründe nachschlagen. Aber wie lieblos werden da kurze Texte zu Völkern, Regionen, Rechten, Mythen und Göttern präsentiert? Es gibt keinerlei Zeichnungen und selbst die Monster werden mit kleinen Beschreibungen abgespeist. Dabei sind es nur so wenige!

Freie Charakterentwicklung

Sieht einigermaßen urig aus, wird umgehend lächerlich, wenn die Feinde auftauchen: Die Kämpfe sind viel zu leicht.
Sieht einigermaßen urig aus, wird umgehend lächerlich, wenn die Feinde auftauchen: Die Kämpfe sind viel zu leicht.
Es gibt keine Party, sondern einen Solisten: Man schlüpft lediglich in die Rolle von Cairon, den man allerdings frei entwickeln kann. Und das ist schon die größte Stärke des Abenteuers, denn man sammelt ohne klassischen Aufstieg ständig Punkte, die man jederzeit auf zig Werte und Talente verteilen kann. Von Körperkraft bis Konstitution, von Klugheit bis Fingerfertigkeit – selbst Kampf und Zauber gehören dazu, so dass man immer wieder die Qual der Wahl, was man denn verbessern will. Trotzdem ist gerade das Magiesystem eine Enttäuschung: Mehr als Eis, Feuer, Pest und dämonische Aura in jeweils vier schnöden Stufen gibt es nicht. Mal abgesehen davon, dass man hier kaum taktisch variieren muss, fehlen markantere und coolere Aktionen oder auch Beschwörungen, Illusionen, Rituale und Flüche.

Die gut geplante Karriere des Charakters kann selbst bei einfachen Aktionen entscheidend sein, denn man darf Pflanzen nur aufsammeln oder Bücher nur lesen, wenn man sich kundig gemacht, sprich: Aktionspunkte so lange vergeben hat, bis man einen Rang aufsteigt. Das zwingt zu einer gewissen Spezialisierung, denn das gilt auch für das Brauen von Tränken, Knacken von Schlössern oder Entschärfen von Fallen. Dort gibt es übrigens kein Minsipiel oder eine prozentuale Chance über einen Würfelwert, was für etwas Spannung sorgen würde. Hier muss man mit Statik leben:  Die Truhe ist mit Rang 5 gesichert? Da hilft auch kein Glück! Dieses Entweder-oder gilt auch für die kommunikativen Talente: Wer in Gesprächen überzeugen, lügen oder verhandeln will,

Die deutschen Sprecher machen einen guten Job - die Regie versagt nahezu immer, wenn es um Spannungsaufbau geht.
Die deutschen Sprecher machen einen guten Job - die Regie versagt aber nahezu immer, wenn es um Spannungsaufbau geht.
sollte sein Charisma nicht vergessen, damit diese Optionen nicht ausgegraut bleiben. Die Investition lohnt sich, denn viele Dialoge bieten Entscheidungen an. Ihr wollt den (bescheuert designten) Kannibalen überzeugen, dass er die Gier nach Menschenfleisch bekämpfen soll? Dann braucht ihr dort den ersten Rang.

Die Frage der Entscheidungen

Gibt man eine Urkunde zurück oder nicht? Tötet man ein Monster oder lässt man Gnade walten? Übergibt man ein Bordell den Wachen oder der Diebesgilde? Je nachdem wie man sich entscheidet, gibt es eine andere erzählerische Zusammenfassung sowie anschließend Reaktionen in der Spielwelt. Da wird man von den einen freundlich als Held begrüßt, von den anderen misstrauisch betrachtet oder angepöbelt. Außerdem kann man sich über die Wahl der Aufträge z.B. den Wachen oder der Diebesgilde anschließen. Und das ist noch das Beste, was man von der Regie sagen – dass sich die eigenen Taten durchaus auswirken. Dabei gelingt es der Story zwar, den Spannungsbogen mit der Zeit etwas zu straffen, aber man muss sich immer wieder zusammenreißen, sich immer wieder durch die unbelebten

Man steigt nicht im Level auf, sondern verteilt Aktionspunkte auf zig Fähigkeiten.
Man steigt nicht im Level auf, sondern verteilt Aktionspunkte auf zig Fähigkeiten.
Levelschläuche zu klicken – selbst das Dungeon des Einstiegs muss mehrmals herhalten.

Man vermisst einfach eine atmende Spielwelt. Mehr als zwei Jahre nach The Witcher 2, das mit der ersten Siedlung  Flotsam für Leben sorgte, muss man sich in der Stadt Warunk die Augen reiben. Kein Gedrängel, kein Gefeilsche in den Gassen: Die Städte wirken nicht nur grafisch steril mit ihren platten Texturen. Man kann immer nur bestimmte Schlüsselpersonen wie Händler oder Questgeber ansprechen. Die langweilen dann mit simplen Hol- und Bringaufgaben à la „Verarzte drei Kranke“. Von einem geregelten Tagesablauf der Bewohner ist keine Spur, man kann kaum Gebäude betreten und viel zu schnell begegnet man Klonfiguren mit Klonsprüchen. Die Überleitungen zu Konflikten und Kämpfen aus einem normalen Spaziergang heraus sind dann mitunter schrecklich abrupt. Und wie reagieren Bewohner auf blutige Gefechte? Gar nicht!

Vorsicht, gleich gibt es einen Überfall!

Das "Kampfsystem" ist ein Witz: Selbst große Gruppen macht man ohne viel Taktik zu schnell platt.
Das "Kampfsystem" ist ein Witz: Selbst große Gruppen macht man ohne viel Taktik zu schnell platt.
Dass der Himmel eine graue Texturtapete ist und die Huren alle gleich aussehen, ist nicht so schlimm. Dass die Karte sofort alle Ausgänge, Händler sowie Zielorte für Neben- und Hauptaufgaben zeigt, gehört eben zur Komfort-Fantasy. Da wird allerdings mit der Kreuzergasse ein gefährlicher Ort aufgebaut, nur um ihn gleich wieder einzureißen. Kaum betritt man das Rotlichtviertel, wird man vor Angriffen gewarnt: „Was willste hier? Ne Faust ins Gesicht?“ oder  „Hier hast du schneller ein Messer in der Kehle, als du…!“ Ach ja, wo denn? Das Viertel ist ein langweiliger Schlauch ohne Gefahr, den man zig mal hin und her latschen muss. Das Beste ist: Noch bevor man die Leute sieht, die einen vielleicht mal überfallen wollen, zückt Cairo sein Schwert – so macht man jede Spannung zunichte. Und kaum betritt man das Bordell, haut man dort alles weg.

Schwaches Kampfsystem

Die Regie baut Gegner groß auf, nur damit sie danach wie Seifenblasen platzen – man macht sie spielend leicht fertig. Wer einigermaßen Hand und Auge koordinieren kann, wird hier selbst auf dem höchsten der drei Schwierigkeitsgrade nur müde gähnen. Man stirbt auf der normalen Stufe nur dann, wenn man sich wirklich Mühe gibt, nicht blind auf die Angriffstaste zu hämmern oder die Heiltränke über das Steuerkreuz nicht zu nehmen. Selbst wesentlich besser ausgerüstete Wachen werden wie Butter geschnitten, man haut

Die Regie baut mächtigere Gegner auf, die dann im Kampf wie Herbstlaub fallen.
Die Regie baut mächtige Gegner auf, die dann im Kampf wie Herbstlaub fallen.
locker durch Wände und trifft in einem Bogen gleich sechs, sieben Feinde. Spannung? Fehlanzeige? Dazu trägt auch ein schlechter Scherz namens Konter bei: Ohne Schild (!) hält Cairon seinen Arm auf Schultertastendruck zur Abwehr hoch, bis nach einem gegnerischen Angriff eine Anzeige für den fatalen Hieb erscheint – das wird nicht nur schlecht animiert, sondern ist viel zu einfach. Riposten der Gegner? Ach, wozu denn! Wie ein anspruchsvolles Kontersystem aussieht, hat Castlevania: Lords of Shadow demonstriert. Von Dark Souls fange ich erst gar nicht an.

Probleme im Kampf entstehen nur aufgrund der Überzahl oder dann, wenn die zickige Kamera mal den Blick auf das Gefecht versperrt. Für künstlichen Anspruch sorgt zudem, dass man beim ewig gleichen Klingentanz auf einen kleinen Bereich beschränkt wird. Die Gefechte sind nicht nur deshalb langweilig, weil man meist in aller Ruhe wegrollen und mit immer gleicher Knopfdrückerei zum Erfolg kommen kann: Eiszauber auf den Boss, schwere Attacken folgen lassen, wegrollen, viel Kroppzeug verkloppen für Mana, dann wieder Eiszauber auf den Boss, schwere Attacken folgen lassen etc. Dieses Schema reicht je nach Feind mit variierter Magie für das komplette Abenteuer aus. Es kommt auch deshalb Langeweile auf, weil sich die Kamera immer automatisch auf den nächsten Gegner ausrichtet, der manchmal nichts Besseres zu tun hat, als einem mitten im Kampf den Rücken zuzukehren – richtig gehört: selbst Bosse drehen plötzlich ab. Kurzum: Die KI ist mangelhaft.

Fazit

Was für ein primitiver, unheimlich schlecht designter Murks! In Zeiten von The Witcher 2 und Dark Souls kann man das kaum ertragen. Ich habe nichts gegen eine Inzest-Story mit Bruder und Schwester plus etwas blutiger Nekromantie hier und Dämonen-Flair da. Aber was hilft das, wenn man sich angesichts der Dialoge und plumpen Inszenierung immer wieder fremdschämt? Die Schattenlande sind hier nur deshalb schrecklich, weil man sich so auch eine Fantasy-Serie bei RTL2 vorstellen könnte. Dass die Berliner technisch nicht auf der Höhe der Zeit sind, ist noch verschmerzbar. Schlimmer als steife Animationen, veraltete Mimik und sterile Kulissen ist vielmehr die leblose Spielwelt mit ihren Levelschläuchen und das komplett langweilige Kampfsystem: Wer soll denn damit Spaß haben? Die Bosse sind lächerlich, die Feind-KI ist dämlich, das Kontersystem ist ein Witz, die Kamera nervt und es gibt nur vier öde Zauber. Immerhin werden mittelmäßige Abenteuer wie Dragon Age 2, Risen 2 und selbst das ernüchternde Game of Thrones durch so eine 08/15-Fantasy aufgewertet.

Pro

freie Charakterentwicklung
Entscheidungen mit Auswirkungen treffen
mit Maus oder Gamepad spielbar
DSA-Lexikon zum Nachschlagen
gute deutsche Sprecher

Kontra

kommt leider noch für PS3 und 360
unfassbar schlechtes Kampfsystem
einfallslose 08/15-Zauber
keine Erkundungsreize
statisches Fähigkeitensystem
nervige Kamerazicken im Gefecht
leblose Städte mit wenig Interaktion
simple Hol
und Bringquests
viel zu enge Levelschläuche
unfreiwillig komische Dialoge
peinlich designte Frauenfigur
Bosse viel zu leicht zu besiegen
Schläge durch Wände
grottenschlechte Feind-KI
zu wenig Monster/Gegner-Variation
lächerliche Umgebungsgeräusche in Dungeons
ein Dungeon, es ewig zu erkunden?
sterile Kulisse, steife Animationen
kein freies Speichern
Clipping
& Grafikfehler, spätes Texturladen
veraltete Mimik & Gestik, Klonfiguren

Wertung

PC

Was für ein primitiver, unheimlich schlecht designter Murks! In Zeiten von The Witcher und Dark Souls kann man das kaum ertragen.

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