Need for Speed World16.08.2010, Michael Krosta
Need for Speed World

Im Test:

Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul - und einem kostenlosen Need for Speed nicht unter die Motorhaube? Falsch: Wir haben uns den Client des Online-Ablegers für eine Probefahrt geladen und uns mit anderen Fahrern und Gesetzeshütern angelegt. Geht das Konzept auf oder versteckt sich hinter den Free to Play-Ausflügen doch noch eine Kostenfalle?

Freifahrtschein statt Führerschein

Ein kostenloses Need for Speed klingt grundsätzlich nicht schlecht. Und wer jetzt glaubt, nur eine Sparversion mit einer Strecke und zwei Autos zu bekommen, dürfte positiv überrascht werden: In World steckt ein ähnlich umfangreiches Paket, wie man es von Most Wanted oder Carbon kennt. Tatsächlich wurden Teile der beiden Städte aus den alten Teilen zusammengelegt und bilden damit eine große Spielwelt, die sich

Sieht bekannt aus? Ein Großteil der Spielwelt besteht aus Schauplätzen, die man bereits in Most Wanted und Carbon besucht hat.
weiterhin frei erkunden lässt. Events wie Sprint- oder Rundkurs-Rennen werden dabei wie gewohnt auf der Karte angezeigt und können umgehend im Einzel- oder Mehrspielermodus gestartet werden - man muss also nicht wie bei Test Drive Unlimited erst mühsam zum Veranstaltungsort tuckern, bevor man endlich um Positionen kämpfen darf.

Cop-Geplänkel

Doch auch die freie Fahrt ist ein wesentlicher Bestandteil der Spielerfahrung: Zum einen erkundet man hier abseits vom hektischen Renngeschehen die abwechslungsreiche Landschaft. Wem das zu langweilig ist, kann aber auch die Idylle gegen eine aufregende Verfolgungsjagd eintauschen: Dazu muss man lediglich einen Polizeiwagen rammen und schon nimmt das motorisierte Katz- und Mausspiel seinen Lauf. Dabei versteht es sich von selbst, dass die Gesetzeshüter mit der Zeit immer härtere Geschütze auffahren. Nach einigen Minuten ist man regelrecht von jaulenden Sirenen umzingelt und muss sich auch mit Unannehmlichkeiten wie Nagelbändern auseinander setzen. Um sich die Verfolger vom Hals zu schaffen, nutzt man als Verkehrs-Rowdy die altbekannten Pursuit Breaker und richtet mit einstürzenden Hindernissen ein kleines Chaos auf den Straßen an, das die Männer in den Streifenwagen ablenkt. Leider werden die Cops momentan noch ausschließlich von einer minder bemittelten KI gesteuert - für zukünftige Erweiterungen plant man aufgrund der großen Nachfragen aber auch menschliche Spieler in die Rolle der Polizisten

Im Stützpunkt darf man die Boliden nicht nur begutachten, sondern auch lackieren und tunen.
zu versetzen. Auf eine Hintergrundgeschichte mit Zwischensequenzen wird allerdings verzichtet, was einige erleichtert aufnehmen, aber andere vermutlich enttäuscht zur Kenntnis nehmen werden.

Geld regiert die Welt

In bester Serientradition ist aller Anfang schwer und die finanziellen Mittel reichen gerade mal für Modelle wie den Toyota Corolla GT-S oder einen Dodge Charger R/T. Später darf man auch in hochwertigeren Flitzern wie dem Audi S5, BMW Z4 M oder in einem Lotus Elise Platz nehmen. Unter den Stufe 3-Fahrzeugen finden sich dagegen Traumboliden vom Schlag eines Audi R8 4.2 FSI oder Nissan GT-R (R35), deren Anschaffung aufgrund der verhältnismäßig niedrigen Preisgelder erst mal in weite Ferne rückt. Es sei denn, man macht es sich einfach und wird damit genau zu dieser Art von User, die man bei Electronic Arts vornehmlich sehen möchte: Mit der Überweisung von realen Geldbeträgen (via Paypal & Co) kann man so genannte Boost-Packs erwerben. Dabei handelt es sich um die Währung, mit der man innerhalb den Spiels bezahlt. Ein Starterpaket mit 8000 Speedboost ist momentan für 20 Euro zu haben. Zur Orientierung: Ein Hochklasse-Flitzer wie der BMW M3 GTR lässt sich vorzeitig mit 1440 Boost freischalten. Alternativ kann man Fahrzeuge aber auch für einen begrenzten Zeitraum mieten und zahlt für diesen Service "lediglich" 600 Boost.  

Die Welt der Power-Ups

Doch damit nicht genug: NfS World führt außerdem ein Power Up-System ein, wie man es von Mario Kart oder zuletzt Blur kennt. Insgesamt darf man für die drei Bereiche Rennen, freie Fahrt und Verfolgung sein Fahrzeug individuell mit bis zu vier Arten von Extras bestücken. Dazu zählen z.B. Nitros, Schilde, Aufholfunktionen oder die Möglichkeit zur sofortigen Flucht, wenn man von Cops umzingelt ist. Als besonders wirkungsvoll und gemein erweist sich der Verkehrsmagnet, den man dem Führenden aufbrummen kann. In diesem Fall visiert der mäßig modellierte Verkehr den Spieler an und setzt alles daran, ihn in einen Unfall zu verwickeln. Gerade hier wird deutlich, dass man sich beim Ausbalancieren keine großen Gedanken gemacht hat, denn der Verkehrsmagnet ist eindeutig zu mächtig. Zumindest ist die Anzahl

Mittlerweile sieht das HUD schon deutlich anders aus als auf diesem Bild. NfS World soll ständig weiterentwickelt und verbessert werden. Nach der Veröffentlichung ist noch nicht Schluss...
der Power-Ups begrenzt - außerdem dauert es eine Zeit, bis sich das entsprechende Icon nach der letzten Benutzung wieder regeneriert. Nachschub an den Extras gibt es - welch Überraschung - gegen Boost, wobei EA hier mit wechselnden Rabatt-Aktionen lockt. Alternativ wandert nach jedem Rennen per Los neue Ausrüstung ins Inventar.

Daneben winken abhängig von der Platzierung Geldprämien (virtuelle Dollar, also kein echtes Geld) sowie Prestigepunkte. Letztere sind für den weiteren Fortschritt im Spiel nötig, denn genau wie bei einem Rollenspiel steigt man auch hier mit der Zeit in Rängen auf, mit denen man nicht nur zusätzliche Events freischaltet, sondern auch Zugriff auf neue Fahrzeuge, Tuningteile und weitere Garagenplätze bekommt. Allerdings bleibt das System sehr oberflächlich: Wurde bei Shift z.B. die Fahrweise (aggressiv oder präzise) noch beim Levelsystem berücksichtigt, spielen einzelne Faktoren wie fehlerfreie Sektoren etc. hier keine Rolle. Steigt man auf, hat man zumindest die Wahl, den gewonnenen "Skill-Punkt" in neue Fähigkeiten zu investieren. Dazu zählt z.B. eine automatische Aufholfunktion, wenn man im laufenden Rennen hinter dem dritten Platz liegt oder Vorteile beim Start, wenn man im richtigen Drehzahlbereich bleibt.

Gratis...oder doch nicht?

Nach dem Erreichen des zehnten Fahrerlevels muss man die "mautfreie Zone" gezwungenermaßen verlassen: Ab diesem Zeitpunkt erhält man erst mit dem Kauf des Starterpakets Zugriff auf weitere Wettbewerbe und Fahrzeuge. Damit ist Need for Speed: World nicht so komplett kostenlos spielbar, wie man es sich vielleicht am Anfang vorgestellt hat. Böse ausgedrückt, könnte man es sogar als eine umfangreiche Demo mit Freischaltfunktion beschreiben...

Tuning in Paketen

Seit Need for Speed: Underground zählt das Aufmotzen der Boliden zu den Markenzeichen der Serie. Es dürfte also kaum überraschen, dass man auch hier dem fahrbaren Untersatz ein paar zusätzliche PS und ein besseres Fahrverhalten spendieren kann. Die Tuningteile können allerdings nur in Paketen erworben werden - das Kaufen einzelner Teile wie Bremsen oder Spoilern ist hier

Solche Traumflitzer wird man sich nicht so schnell leisten können...
also genau so wenig möglich wie optische Anpassungen, wie man sie noch von dem Autosculpt-System kennt. Dafür darf man die Karossen aber erneut mit Folien, Lack sowie Aufklebern individuell gestalten, sofern man die entsprechenden Sets mit Speedboost oder dem Erreichen von Rängen freischaltet. Schicke Felgen tragen außerdem zum Bling-Faktor bei. Das Problem an der ganzen Tuning-Geschichte ist folgendes: Da die Pakete an den Rang gekoppelt sind und gemessen an den niedrigen Preisgeldern relativ teuer ausfallen, wird das Aufmotzen zum Geduldspiel. Man merkt an jeder Ecke, dass EA die Spieler regelrecht dazu verführen will, sich Speedboost-Pakete zu kaufen. Wer will z.B. erst bis Rang zehn warten, bis man endlich einen zweiten Stellplatz für die virtuelle Garage bekommt? Und so gibt es kaum einen Bildschirm, in dem mal nicht für die virtuelle Währung geworben wird - und das gleich mit einem Link zum Online-Store. Ganz schön aufdringlich...   

Mangelhafte Fahrphysik

Um Feineinstellungen beim Wagensetup braucht man sich hier keine Gedanken zu machen. Aber warum auch? Es fällt schwer, im Zusammenhang mit dem Verhalten der Boliden überhaupt das Wort Fahrphysik in den Mund zu nehmen, denn sämtliche Autos fahren sich wie auf Schienen. Der Vorteil: Selbst mit einer Tastatur lassen sich die Flitzer noch halbwegs komfortabel über den Asphalt dirigieren - besser hat man die Boliden aber mit den unterstützten Controllern (u.a. das 360-Pad) sowie Lenkrädern im Griff. Der Spaß bleibt dabei jedoch schnell auf der Strecke, wenn man zum schwachen Motorensound nicht nur auf den Geraden, sondern auch in den meisten Kurven den Fuß auf dem Gaspedal stehen lassen kann. Und sollte man doch mal in der Mauer landen, ist alles nur halb so schlimm: Zwar gibt es bei

Für ein vermeintlich kostenloses Spiel macht der Titel eine gute Figur - im Vergleich zur Vollpreis-Konkurrenz wirken die Kulissen aber bestenfalls durchschnittlich.
aktiviertem Schadensmodell ein paar Kratzer in den Luxus-Lack, doch wirken sich Kollisionen niemals auf die Fahrphysik aus. So fährt man in der Innen- oder Außenansicht überwiegend gelangweilt der Ziellinie entgegen, auch wenn die Rennen gegen die bis zu sieben KI-Piloten mit steigendem Rang immer anspruchsvoller werden.

Rempel-Rennen

Mit spannenden Positionskämpfen, wie man sie vom Motorsport kennt, haben die Duelle in Need for Speed allerdings wenig gemeinsam: Stattdessen erinnert das ständige Rempeln und Schubsen viel mehr an ein Destruction Derby. Was im Kampf gegen die KI-Fahrer nervt, wird bei Begegnungen mit anderen Spielern endgültig auf die Spitze getrieben. Es kracht quasi in jeder Kurve - warum aber auch nicht, wenn man sich durch unfaire Fahrweise so einfach einen Vorteil verschaffen kann... Ein vollwertiges Schadensmodell oder ein Strafsystem hätten hier gut getan, um Pisten-Rowdies auszubremsen. Doch manchmal kommt es auch ohne ein bewusstes Abschießen zu Kollisionen: Schuld daran haben die z.T. heftigen Lags, die während unserer Testfahrten immer wieder den Spielfluss störten. Diese Probleme sind für die NfS-Serie nicht neu: Vor allem mit Carbon erreichte der Netzcode seinen vorläufigen Tiefpunkt und so war der Onlinemodus in der Anfangsphase kaum spielbar. Ganz so schlimm ist es hier zwar nicht, doch bleiben störungsfreie Rennen weiterhin die Ausnahme.

Schwächelnde Technik

Doch auch unabhängig von Lags läuft der Technikmotor nicht rund: Obwohl die Kulissen recht detailarm ausfallen und dabei gerade mal das grafische Niveau von Most Wanted aus dem Jahr 2005 erreichen, kommt es selbst bei leistungsstarken PCs immer wieder zu Einbrüchen in der Framerate. Dabei ist die Spielwelt nicht gerade lebendig: Passanten und Zuschauer gibt es keine und selbst der Verkehr erinnert eher an ein Kuhdorf als an eine Großstadt. Hinzu kommt, dass die Fahrzeuge der Sonntagsfahrer im Vergleich zu

Rennen gegen die KI oder andere Mitspieler enden meist in einer lagverseuchten Crash-Orgie.
den acht Boliden des Starterfeldes nur mäßig modelliert wurden. Zumindest fallen die Hardwareanforderungen nicht zu hoch aus, so dass man auch mit schwächeren Prozessoren an den Start gehen kann - es ruckelt ja so oder so. Gemessen an anderen kostenlosen Spielen hebt man sich in Sachen Präsentation trotzdem von der Konkurrenz ab.

Die soziale Komponente

NfS World will aber mehr sein als nur ein Rennspiel. Wie bei Facebook & Co soll auch die soziale Komponente im Vordergrund stehen: Im allgegenwärtigen Chat-Fenster kann man neue Freunde kennenlernen, die sich in Listen speichern und in Gemeinschaften zusammenführen lassen. Zudem verfügt jeder Benutzer über ein Fahrerprofil, in dem auch andere stöbern können. Dabei erhält man z.B. Einblicke in die Siegquoten des Fahrers, seinen Rang und wie gut er sich bei Verfolgungsjagden schlägt. Ein Nachrichtensystem ist ebenfalls integriert, so dass man sich nicht ausschließlich in den öffentlichen Chat-Kanälen austauscht. Wie mittlerweile fast schon üblich, gibt es außerdem auch hier eine Facebook-Integration.   

Fazit

Kostenlose Spiele, bei denen man nur alternativ die Geldbörse für Mikrotransaktionen zücken muss - das klingt doch zu schön, um wahr zu sein! Und genau so ist es: Im Fall von NfS World wird man spätestens nach dem Erreichen des zehnten Fahrerlevels aus der Traumvorstellung gerissen und zur Kasse gebeten, falls man weiter aufsteigen möchte. Dabei stellt sich die Frage: Hätte ich für das, was ich bis dahin erlebt habe, gut und gerne gezahlt? Meine Antwort ist eindeutig: NEIN! Keinen Cent. Denn dieses Need for Speed steht trotz Neuerungen wie dem Power Up-System mehr in der Tradition vergangener Serien-Vertreter, die mit Undercover ihren vorläufigen Tiefpunkt erreicht hatten. Eine Fahrphysik ist quasi nicht vorhanden, die Tuningoptionen wurden kastriert und technisch fährt man mit ständigen Lags und Rucklern nur im hinteren Mittelfeld. Zwar macht der Titel nach Free 2 Play-Maßstäben damit sogar noch eine gute Figur, doch gemessen an der Vollpreis-Unterhaltung im Stil von Colin McRae: Dirt, Forza Motorsport 3, Blur und Need for Speed: Shift erinnert World eher an eine rostige Schrottkiste, die man besser gleich entsorgen sollte, bevor noch etwas Schlimmeres passiert. Denn selbst wenn man noch gezwungenermaßen Geld in diese Karre investiert, wird sie qualitativ nie an einen Neuwagen heran reichen. Oder anders ausgedrückt: Aus einem klapprigen Lada kann man einfach keinen Ferrari machen. Wem das nichts ausmacht und wer die Motivation findet, sich dem rüpelhaften Verhalten der meisten Online-Fahrer anzupassen, kann dem Abstecher in die NfS-Welt sicher etwas abgewinnen. Ich würde nach der Probefahrt dem Verkäufer aber die Autoschlüssel wieder in die Hand drücken und mir einen Händler suchen, bei dem man zwar mehr zahlen muss, aber dafür auch mehr Qualität bekommt.

Pro

lizenzierte Fahrzeuge
große, freie Spielwelt
Verfolgungsjagden
auch alleine spielbar
Tuning (optisch & Leistung)
selbst mit Tastatur noch gut zu steuern
neue Fähigkeiten lassen sich freischalten

Kontra

Fahrzeuge fahren wie auf Schienen
schwaches Schadensmodell (und nur optisch)
furchtbare Staubsauger-Motorenklänge
immer wieder Framerate-Einbrüche
Online-Lags
dumme (Rempel-)KI
Rangsystem zu oberflächlich
Power-ups nicht sonderlich gut ausbalanciert
eingeschränkte Tuningfunktionen
leblose Kulissen mit viel Recycling
Cops (noch) nicht spielbar
zu wenige Spielmodi

Wertung

PC

Mit NfS World geht EA mit vermeintlicher Free to Play-Flagge einen Schritt zurück in die düstere Vergangenheit der Serie.

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