Lost Planet 206.05.2010, Jörg Luibl
Lost Planet 2

Im Test:

Wenn sich der Himmel verdunkelt und die Erde bebt, dann lacht das Actionherz: Capcom verlässt zwar den Schnee, aber bleibt seiner pompösen Tradition treu und lässt Kreaturen wie Vulkane aus dem Boden brechen. Können die Japaner noch mehr als Monstertheater der Marke XXL? Können sie mit diesem zweiten Planetentrip vielleicht an der Shooterspitze mitmischen? Wir haben uns durch sechs Episoden bis ins Finale gekämpft!

Kreuzfeuer in der Wüste

Die Wüste lebt: Ein gigantischer Sandwurmakride rast parallel zum fahrenden Zug und droht ihn zu verschlingen. Auf dem PC sieht das Ganze unter DirectX11 nochmal besser aus.
Zwei Züge rasen wie schwarze Projektile parallel durch die Wüste. Sie belauern sich. Und sie spucken Feuer. Auf dem größeren Zug hat sich eine Söldnertruppe im Dutzendpack mit Scharfschützen, schweren Waffen und Raketentürmen verschanzt. Auf dem kleineren Zug versuchen vier Kämpfer in wackligen Waggons zunächst zu überleben. Eigentlich wollen sie den Waffentransport kapern, aber das scheint im Kreuzfeuer des Gegners unmöglich. Es kracht und detoniert im Sekundentakt. Ich kann keine Sekunde verschnaufen.

Denn der Sand peitscht mir hier genau so um die Ohren wie die Projektile: Kaum bewege ich mich in Schultersicht durch den Waggon, um das Sturmgewehr aufzunehmen, jagt schon wieder eine Rakete heran und explodiert mit ohrenbetäubendem Lärm - danach werde ich zwei Meter durch das Abteil geschleudert und die Lebensenergie sinkt nach einem gleißenden Glühen in den roten Bereich. Verdammt, warum verhalten sich meine drei Kameraden so dämlich? Und soll gleich wieder Game Over sein? Nein, nicht wenn ich schnell genug die Starttaste drücke und damit meine Energie auflade!

Action ohne Gnade

Neu an Lost Planet 2 (ab 10,89€ bei kaufen) (LP2) ist nämlich, dass die Kampfanzüge die gesammelte Thermalenergie sofort in Gesundheit umwandeln können. Außerdem hat man ein Punktekonto für Neustarts ab dem letzten Speicherpunkt, das bei jedem Tod sinkt, aber bei jedem aktivierten Datenpfosten steigt. Das hört sich nach einer Vereinfachung an, aber der Alltag auf dem mittlerweile erwärmten und in diversen Klimazonen üppig wuchernden Planeten ist tödlich. Wer mit Shootererfahrung auf

Es geht immer eine Nummer größer: Capcom lässt bewegte Berge auf euch los.
dem normalen Schwierigkeitsgrad loslegt, wird des Öfteren laut fluchen, noch öfter sterben - das ist gut so, aber das liegt weniger an den cleveren, sondern eher an den vielen und fies platzierten Feinden. Auch wenn man jetzt in Kampfanzüge à la Big Daddy schlüpfen und glühende Schilde zur Abwehr errichten darf, ist der Tod also allgegenwärtig.

Denn zehn Jahre nach den Geschehnissen des Vorgängers Lost Planet streiten eine Hand voll Fraktionen um die wertvollen Rohstoffe. Sie nennen sich Carpetbaggers oder Slum Dwellers, sind bis an die Zähne bewaffnet und die Akriden sind mittlerweile aggressiv wie Hornissen. Ihr Verhalten ist deutlich verrückter und unberechenbarer als im Vorgänger. Eine drastische Erderwärmung hat den Schnee auf dem Planeten E.D.N. III schmelzen und die Bevölkerung explodieren lassen - was folgt ist gnadenlose, aber leider nicht gerade dramatische Rivalität: Die Story spinnt die Ereignisse um den Konzern Nevec über knapp zwölf Stunden weiter, ist aber leider für Nichtkenner des Vorgängers undurchsichtig und für Kenner so schwach, dass Gears of War dagegen wie ein Epos wirkt.

Schwache Geschichte

Der Shooter hat sich in den letzten Jahren erzählerisch weiter entwickelt. Capcom verzichtet hingegen auf den Aufbau von charismatischen Helden oder Antagonisten, es wird während der Einsätze auch nicht miteinander gescherzt oder geflucht -

Gerade in diesem Level werden Solisten frustriert: Man muss viele Aktionen wie das Laden, das Kühlen und den Beschuss abstimmen, aber die KI steht nur dämlich herum.
man hat immer das Gefühl, dass man mit seelenlosen Bots unterwegs ist. Wie soll da ein Teamgefühl oder gar Identifikation entstehen? Schon das Hauptmenü lässt erahnen, dass die Japaner hier eigentlich einen Multiplayer-Shooter entwickeln wollten: Man muss als Solist sein eigenes Spiel offline hosten - wie doof ist das denn? Wenn man "MyPage" betrachtet, denkt man unweigerlich an die Sportspielmenüs von EA.

Diese Benutzeroberfläche erinnert eher an eine Art Lost Planet Online als an einen zweiten Teil. Und im Multiplayer warten ja auch vier Spieltypen von Eliminierung über Team-Eliminierung und Eroberung von Gebieten mit Ranglisten, Teambildung und allem Pipapo. Außerdem gibt es Trainingsarenen, in denen man sich vor virtuellem Publikum messen kann. Ist ja auch alles okay, aber warum lässt man denn die Kampagne inhaltlich wie ein Deathmatch wirken, indem man nach Abschluss einer Mission sofort Statistiken raushaut und Punkte verteilt?

Das ist schade. Denn obwohl man in jeder Episode eine andere Fraktion spielt, was theoretisch interessante Einblicke gewähren könnte, unterscheiden sich die Kampfgruppen nur äußerlich. Wenn schon auf Story verzichten, dann bitte richtig und es nicht erst versuchen: Capcom will ja die Geschichte weiter erzählen, denn man setzt teilweise gute Zwischensequenzen ein und will die unterschiedlichen Perspektiven der Piratengruppen deutlich machen. Aber das gelingt den Japanern nicht, denn die Geschichte kann an keiner Stelle für Identifikation oder Nervenkitzel sorgen. Es ist einem vollkommen egal, ob die KI-Kameraden links und rechts fallen - sie spawnen ja gleich wieder wie in Battlefield. Übrigens: So manche Szene erinnert frappierend an Resident Evil 5 ; vor allem der Auftritt der ersten Dschungelpiraten, die mit ihren gutturalen Befehlen auch als mutierte Muskelzombies durchgehen könnten. Allerdings wirkten nahezu alle Szenen in der Zombie-Action wuchtiger und bedrohlicher inszeniert.                 

Keine taktische Koordination

Dafür ist der Schwierigkeitsgrad schon auf normaler Stufe angenehm fordernd, die Action brachial und gnadenlos: Ich kann mich im Zug gerade noch selbst heilen und mir das Sturmgewehr schnappen, um aus dem fahrenden Abteil auf die Feinde zu zoomen und sie wenigstens etwas zu dezimieren. Vielleicht noch eine Scheiben- oder Plasma-Granate rüberwerfen, damit

Während die menschlichen Widersacher mit ihrer Lethargie ernüchtern, sorgen die Akriden mit ihrem coolen Figurendesign und wildem Auftreten für Neugier und Spannung.
die Jungs in blauen Blitzen erstarren? Leider verhalten sich meine drei KI-Partner derweil nicht besonders clever: Manchmal feuern sie aus allen Rohren, manchmal stehen sie blöd da oder folgen mir wie dumme Hunde - ich kann ihnen keine Befehle geben. Sobald man diese Stelle mit Freunde im kooperativen Modus spielt, entfaltet sie wie viele andere ihr unterhaltsames Potenzial: Capcom hat das Leveldesign eindeutig auf das clevere Teamplay ausgelegt und serviert Solisten dumme Bots. Warum hat man das Spiel nicht für Einzelkämpfer angepasst?

Das Spiel fühlt sich deshalb oft chaotisch, unfair und unübersichtlich an, obwohl man sehr viel infiltrieren muss. Neben der schwachen Story dämpft auch das die Spielerfahrung für Solisten, wenn ich etwa zwei räumlich entfernte Datenstationen gleichzeitig halten muss oder darauf angewiesen bin, dass man mir clever über den Einsatz des neuen Schildes (man kann es auch als Waffe nach vorne rammen) oder der zahlreichen Mechs (Vital Suits) Feuerschutz gibt. All das passiert höchstens zufällig - oder eben nicht. Es ist unheimlich ärgerlich, wenn man einen Abschnitt erneut spielen muss, weil man sich zu viert mit den Bots einfach nicht abstimmen kann. Warum hat man nicht wenigstens ein "Stellung halten!" oder "Folgen" eingebaut?

Schwieriger ohne Helfer

Was im kooperativen Modus mit vier Freunden über Chat natürlich wunderbar klappt, vermisse ich in der Kampagne: Wenigstens rudimentäre taktische Koordination. Der einzige Vorteil der Mitläufer: Sie gestalten das knackige Spiel im

Viele Gefechte lassen sich im Team besser lösen: Das Spieldesign ist auf Kooperation ausgelegt. Warum gibt es dann eine Kampagne für Solisten?
Regelfall etwas einfacher, da sie selbstständig Feinde und Bosse unter Beschuss nehmen. Das kann jedoch so weit gehen, dass die KI eine Kreatur fertig macht, während man gemütlich Waffen & Co einsammelt. Das wirkt alles nicht richtig durchdacht. Immerhin: Wer das nicht mag, schaltet die Helfer einfach ab und erlebt Capcom'sche Action für Männer - die ein Repertoire saftiger Flüche abschussbereit in der Kehle haben.

Dann habe ich endlich das Gefühl, der wichtige Held zu sein, denn ich muss mir den Raketenwerfer schnappen und die beiden schweren Geschütztürme zerstören, bevor sie unser Abteil in Stücke schießen. Aber was ist das? Kaum detonieren die Stahlkanonen, zeigt eine Zwischensequenz wie unser Zug von einer böse glühenden Kurzstreckenrakete verfolgt wird. Also heißt es: Absprung auf den anderen Zug! Einen Reaktionstest später lande ich drüben und baller mich von Waggon zu Waggon vorwärts. Das Maschinengewehr rattert, Schrot kracht und Granaten detonieren mächtig - wer explosive Action sucht, wird hier fündig.

Moment: Reaktionstest? Ja, richtig gehört. An einigen Stellen muss man mal ein Knöpfchen drücken. Das wirkt allerdings sehr aufgesetzt, denn erstens zieht man das nicht konsequent in den Filmszenen durch und zweitens ist das wiederum viel zu leicht, weil man zu viel Zeit hat und keine kniffligen Kombinationen nachahmen muss - dagegen ist Heavy Rain quasi ein Alptraum. Da ist es fast schon anspruchsvoller, die Knöpfe bei der Aktivierung der Datenstationen oder der neuen Reparatur von Mechs so schnell wie möglich zu drücken, bevor man von einem Scharfschützen weggepustet wird.

Bosse der Marke XXL

Groß, größer, Akriden: Capcom lässt gewaltige Kreaturen von der Leine. Allerdings sind sie das einzige Highlight des Spiels.
Wo Capcom keiner etwas vormachen kann: Bosse. Die Figurendesigner der Japaner haben sich bei den fauchenden Akriden selbst übertroffen. Was einem im Einstieg vielleicht noch groß und gefährlich vorkommt, weil es mit Fühlern und Klauen vier Meter erreicht, schrumpft mit jeder Episode in sich zusammen: Da wälzt sich ein pompöser Mulch wie eine Lawine aus Fleisch und Gift durch ein Tal, während man auf Hügeln oder in Höhlen Schutz sucht, um das Ungetüm zu bestaunen. Und kaum denkt man, dass der ganz schön groß war, bricht ein Wüstenwurm wie ein Berg aus dem Sand und verschluckt mal eben ganze Waggons - das ist im wahrsten Sinne des Wortes großartig, was Capcom da inszeniert!

Und es ist nicht nur Polygongepose der Marke XXL: Wie schon im Vorgänger gilt es die verwundbaren orangen Stellen zu treffen, um die Giganten zur Strecke zu bringen. Meist führen dabei mehrere Wege zum Ziel. Man kann gezielt Gliedmaßen abschießen oder kleine Wunden schaffen oder sich mit großer Feuerkraft ans Nervenzentrum wagen. Das Schöne ist auch, dass man sich während der Bosskämpfe teilweise wie Siegfried im Drachenkampf vorkommt, denn man kann als Winzling über das clevere Ausnutzen von Bodenvertiefungen oder Schächten fiese Nadelstiche von unten abgeben. Allerdings wäre Capcom nicht Capcom, wenn das Ganze zu einfach wäre: Wer sich zu lange Zeit lässt, darf auch das Nachwachsen von Klauen und Beinen beobachten. Und sobald man kooperativ loslegt, agieren die Bosse nochmal einen Tick unberechenbarer - sehr schön! 

Alterserscheinungen

Auch im Dunkeln ist man unterwegs und kann auf Nachtsicht schalten. Trotzdem bleibt es beim Run&Gun-Spieldesign ohne große Abwechslung.
An die grafische Wucht dieser riesigen Kreaturen kann der Rest der Kulisse nicht immer anknüpfen: Die Technik beruht zwar auf der MT Framework 2.0-Engine, die bereits Resident Evil 5 stemmte und erweitert wurde, aber mittlerweile wirkt sie nicht mehr so grandios. Wer im Oktober letzten Jahres mit Nathan Drake durch den Dschungel gestapft ist und dann hier unterwegs ist, wird quasi auf allen Detailstufen ernüchtert - selbst der Schnee im Tutorial sieht aus wie brüchige Pappe im Vergleich zum körnigen Pulver im Himalaya. Lost Planet sieht wirklich gut aus, aber kommt nicht an Modern Warfare 2 & Co heran.

Denn auf den zweiten Blick offenbaren sich in den Landschaften kleine Schwächen: Die Sonnenreflexionen auf Oberflächen wirken künstlich, die Felsstrukturen nicht markant genug, Pflanzen bewegen sich ständig im Wind, aber nicht bei Kontakt, man vermisst die Plastizität von und Schusswirkungen auf Holz. Außerdem stockt es in schweren Gefechten auch in den finalen Versionen - so ganz flüssig läuft das Spiel weder auf 360 noch PS3.

Und so abwechslungsreich das Leveldesign hinsichtlich der Schauplätze auch ist, wirken vor allem die vielen Industrieanlagen und Katakomben uninspiriert. Capcom hat den markanten Schnee aufgegeben und sich auf Spielplätze gewagt, die schon zig mal in Shootern inszeniert wurden: Urwald, Wüste, Fabriken, Labors. Hätten die Japaner am Schnee festhalten und das Weiß perfektionieren sollen? Vielleicht. Obwohl es dank Physik-Engine auch zerstörbare Türme und Türen gibt, hält sich die destruktive Interaktion in Grenzen.

Man stößt gerade zu Beginn sehr schnell an unsichtbare Levelbarrieren; erst später werden die Abschnitte größer und

In den Mechs (Vital Suits) hat man wesentlich mehr Feuerkraft - man kann mit ihnen schweben und sich in die Höhe katapultieren.
verwinkelter, aber nach einem ersten Durchlauf sind sie leer. Es gibt allerdings auch Highlights wie die Unterwasserwelt inklusive elegant tauchender Tiefseemonstren, gedämpfter Geräuschkulisse und spannender U-Boot-Suchechos. Nur warum fühlt sich die Action unter Wasser genau so an wie darüber? Man marschiert ohne große Trägheitsänderungen einfach am Grund herum.

Mechs für alle Fälle

Eine weitere Stärke des Spiels: Die Vital Suits. Es gibt zig Mech-Konstruktionen, in die man auf Knopfdruck steigen kann und die sich teilweise so unterschiedlich steuern, dass man im Spiel eigene Gebrauchsanweisungen für die unterschiedlichen Typen anbietet. Der Einstieg in die neue Kampagne findet im Schnee statt und das Tutorial macht kurz mit der Steuerung der einfachen Mechs vertraut. Es gibt klassische Zweibeiner mit Gatling-Gun, schwere Kampfroboter mit Schub und Schwebefunktion, wendige Gleitanzüge mit mächtig Geschwindigkeit im Boost und sogar Mech-Hubschrauber mit einem Auftrieb in Wolkenhöhe, die sehr weit fliegen und feuern können - sehr imposant. Und das Nützliche ist: Man kann die schweren Gatling-Guns, Schrot-Wummen, Super-Laser auch abmontieren, selber nutzen oder gegen andere Waffensysteme tauschen.

Gerade im kooperativen Modus macht es einen Heidenspaß, sich mit bis zu vier Leuten einen Mech zu schnappen: Einer steuert, zwei sitzen an schweren Kanonen und einer hängt sich leger an die Seite des Stahlkolosses - das sieht richtig cool aus. Nervig ist im Koop-Modus allerdings, dass alle Teilnehmer denselben Fortschritt in der Kampagne haben müssen, so dass niemand einfach so einsteigen kann! Warum überlässt man den Spielern nicht die freie Wahl, wie das auch Gears of War gemacht hat?

Und weniger cool, um nicht zu sagen peinlich, sieht die KI der Feinde aus, denn sie zeigt einige katastrophale Aussetzer. Es

Im Multiplayer kämpfen bis zu 16 Mann gegeneinander - natürlich auch in Mechs. Vier Spielmodi und zig Individualisierungen warten auf Online-Kämpfer.
kann nicht sein, dass man bis auf zwei, drei Meter bei klarer Sichtlinie in einem engen Raum an eine Wache heran kommt, ohne dass diese in irgendeiner Form reagiert oder gar feuert. Das geht so weit, dass die Feinde selbst an hart umkämpften Stellen mitten im Gefecht lethargisch warten, so dass man sie abschießen kann. Noch dämlicher: Manchmal schießen selbst mächtige Geschütztürme in Wände oder auf eigene Leute, weil sie mich oder Teammitglieder dahinter vermuten.

KI und Missionsdesign

Capcom bekommt einfach keine anspruchsvollen KI-Routinen hin, die abseits von der Überzahl, der tödlichen Scharfschützen oder einfacher Überraschung dank überlegener Waffensysteme punkten können. Zwar nutzen Gegner auch mal den Schild und drehen sich clever mit ihm in Schussrichtung, aber sie werden nicht von ihren Kameraden unterstützt, die sich etwa an den Seiten postieren. Manchmal verharren sie vollkommen isoliert an einer offenen Stelle des Schlachtfeldes. Warum kann man nicht mal beobachten, dass die KI im Team und koordiniert agiert? Selbst Uncharted 2 ist da viel anspruchsvoller, denn da wird sichtbar flankiert und umlaufen.

Auch das Missionsdesign ist ein zweischneidiges Schwert: Zum einen freut man sich darüber, dass es tatsächlich mal zur Abwechslung vom Run&Gun eine Art Schleicheinsatz gibt, als man mit seinen Froschmännern im Dunkeln auftaucht und eine Anlage infiltriert. Aber dann wirkt der Abschnitt mit seinen düsteren Durchsagen wie ein schlechter und beliebig platzierter Abklatsch von Killzone 2 , der trotz der Flammenwerfer nicht an die Intensität des Sony-Shooters heran kommt. Wenn etwas in den drögen Häuserkampfsituationen begeistert, dann sind es die Akriden, die plötzlich auftauchen und für Panik sorgen - aber die militärische Situation ist weder anspruchsvoll noch gut inszeniert. 

Zu wenig Highlights

Neu sind die Schilde: Man kann sich mit ihnen bewegen und sie zur Attacke nach vorne stoßen. Leider nervt die träge Steuerung bei Sprints.
Aber der gigantische Bosskampf der dritten Episode, in der man auf einem fahrenden Zug sowohl die Kanone beladen, die Geschosse aufladen als auch Feuer über eine Sprenkleranlage eindämmen sowie Geschütztürme besetzen muss, sorgt endlich für packende Abwechslung: Hier muss man mal koordiniert vorgehen und betet, dass die KI die richtigen Aktionen durchführt, denn sie lädt z.B. selbstständig das Magazin - und das sorgt schon aufgrund der intellektuellen Defizite für Nervenkitzel. Trotzdem zeigt Capcom hier, was an Überraschungen möglich ist, wenn der Zug plötzlich von Akriden geentert wird oder die Außenhülle an Überhitzung zu platzen droht.

80 Prozent der teilweise sehr kurzen, zwischen einer Viertel- und halben, maximal eine knappe Stunde währenden Einsätze, laufen auf das Schema F hinaus: Datenstationen aktivieren. Wie schon im Vorgänger bringen sie eine Karte des Gebiets samt Zielmarkierung ins Spiel. Mal muss man eine, mal zwei, mal vier oder mehr aktivieren. Danach Feinde erledigen. Das wiederholt sich viel zu oft. Danach wieder drei oder mal andere Energiestationen, die möglichst parallel laufen sollen, obwohl der Feind sie abstellen will. Es gibt zwischendurch auch recht langweilige Abwehrmissionen, in denen man relativ gefahrlos und leider sehr lange mit Raketen oder Geschützen auf Flieger ballert. Unterm Strich halten sich die inhaltlichen Highlights der Missionen also in Grenzen. Hier wurde scheinbar das Multiplayer-Spieldesign mit kurzen Levels einfach über die Kampagne gestülpt.

Träge Steuerung

Immer wieder geht es um das Aktivieren der Datenstationen - das Missionsdesign wiederholt sich hier zu oft.
Apropos Steuerung: Es gibt sowohl acht vorgefertigte Belegungen als auch die Möglichkeit, gewisse Aktionen den eigenen Wünschen anzupassen - hier hat man also genug Komfort. Allerdings hat Capcom einige behäbige Elemente des Vorgängers nicht verfeinert. Sobald man spurten will, schaltet die Kamera ähnlich wie bei Gears of War in eine schräge Hinteransicht mit Wackelsicht. In diesen starren Momenten kann man kaum die Richtung bestimmen oder gar feuern. Und man kann den behäbigen Sprint auch nicht mit einer Hechtrolle oder einer Grätsche in Deckung abschließen.

Außerdem gibt es nervige Automatismen. Zwar freut man sich über den erneuten Einsatz des Greifhakens, mit dem man sich elegant in die Höhe ziehen kann, aber vor allem beim Sprung in die Tiefe wird er oft ohne eigenes Zutun ausgefahren, so dass man zum Abschuss bereit wie eine fette Fliege am Faden hängt. Und ab und zu macht er Zicken, wenn es um höhere Simse gibt, auf die man sich ziehen will. Springt man ein wenig umher, steckt man auch schon mal mit der halben Figur in einem Baum oder Stein - zwar sind das nur Clippings, keine Sackgassen, aber das sieht übel aus.

Auch das Aktivieren der Lebensenergie über die Start-Taste macht zu oft Zicken: Es gibt Momente, in denen der Knopf einfach nicht reagiert - und das ist verdammt nervig, wenn man dann draufgeht, obwohl man rechtzeitig die Thermalenergie in Gesundheit umwandeln wollte. In diesen Momenten verflucht man das Spiel, wenn dann auch noch die Kampfpunktezahl so niedrig ist, dass man ganz von vorne starten muss.

Run&Gun mit Arcadeflair

Schade ist auch, dass es keine Möglichkeit der aktiven Deckung, des leichten Herauslehnens oder des blinden Feuerns aus sicherer Position gibt: Man kann sich lediglich ducken, springen oder sprinten und sehr behäbig für einen Schlag ausholen. Dabei sind einige verwinkelte Abschnitte prädestiniert dafür, dass man sich an eine Wand schmiegen oder hinter eine Mauer wuchten kann. Andererseits entsteht so natürlich arcadiges Run&Gun-Flair inklusive vieler multipler Kills - leider auch, weil die KI wie doof immer aus einem Gang oder einer Tür spawnt. Zum Arcadeflair tragen auch die schwebende Kisten bei, die man nach der Erledigung von Bossen einsammeln kann, um sie einzutauschen. Manchmal ist ein neuer Waffentyp drin, sehr oft sind es Credits.

Ihr könnt auch im Splitscreen mit einem Freund offline loslegen: Links der kleine, aber maßstabsgetreue Bildausschnitt, rechts die Karte. 
Leider sorgen die nicht immer für Freude beim Einarmigen Banditen: Hier kann man 2000 Credits einsetzen und etwas gewinnen. Darunter Spektakuläres wie "Spitznamen". Wer soll sich bitte darüber freuen, dass man sich "Spartaner" oder "Wilder Mann" nennen kann? Immerhin kann man hier auch Gesten, Waffen, Kleidung, Spielermodelle und Fähigkeiten freischalten.

Es gibt zig Individualisierungen, so dass man sich auf lange Sicht einen Kämpfer nach Wahl schaffen kann - selbst fettleibige Chaoten in Knallrot sind möglich. Interessanter als dieser Karneval ist da schon das Fähigkeitensystem: Man kann seinen Charakter mit bis zu zwei Eigenschaften etwas aufwerten - das kann mehr Sprengkraft für die Granaten, eine höhere kritische Trefferchance oder Ähnliches sein. Auch Statistikfreunde kommen auf ihre Kosten: Capcom zeichnet quasi alles auf, was man wo erreicht und führt Buch über alle explosiven Aktivitäten. Außerdem kann man prominente Charaktere wie Wesker (Resident Evil) oder Frank West (Dead Rising) freischalten sowie auf der Xbox 360 noch die Muskelberge aus Gears of War. Und wer nach Multiplayer-Herausforderungen sucht, kann sich abseits der gewöhnlichen Deathmatch- und Gebietseroberungs-Modi an wöchentlichen Kämpfen für eine von fünf Fraktion versuchen - darunter auch eine komplett weiblich modellierte. Bis zu 16 Spieler legen hier in allen Waffensystemen los. Aber warum heißen die Fraktionen eigentlich "Faktionen"?     

Fazit

Warum hat Capcom das Spiel nicht Lost Planet Online genannt? So werde ich als Solist schon im Hauptmenü verwirrt, wenn ich meine Kampagne "hosten" soll - wie doof ist das denn? Und richtig ernüchtert werde ich, wenn ich mir in der Geschichte wie in einem Deathmatch vorkomme - ich mag die brachiale Action zwischen Raketenwerfer und Plasmagranate, ich freue mich über den knackigen Anspruch, aber die Story ist verdammt schwach und die Kameraden sind nicht mehr als seelenlose Bots. Man kommt sich eher vor wie in sechs hoch explosiven Arenen eines Unreal Tournament als in sechs Episoden einer Geschichte. Das Gute: Es knallt und zischt an allen Ecken! Das Schlechte: Das Team ist mir egal und das Leveldesign wirkt manchmal unfair. Denn das Figurenverhalten ist eine Farce: Meinen dämlichen Bots kann ich keine Befehle geben, so dass unfaire Situationen entstehen. Im Gegensatz zum Vorgänger, der mit einem markanten Szenario im Schnee punkten konnte, wirkt der Nachfolger manchmal austauschbar - Dschungel, Wüste, Fabriken und Labors hat man schon so oft gesehen, zumal sich das Missionsdesign auf Dauer gleicht und die KI einige lethargische Totalaussetzer zeigt. Hört sich nach Verriss an? Wäre es auch, wenn es nicht drei motivierende Sicherheiten geben würde: Zum einen das kooperative Erlebnis für bis zu vier Mann, in dem das Spiel deutlich mehr Laune macht, weil es endlich mal zu taktischer und koordinierter Action kommt. Dann die verdammt cool designten Mechs und Waffensysteme wie der Schild oder das Laser-Schwert, die zum martialischen Experimentieren einladen. Und last but not least die spektakulären Bosse, die den Bildschirm verdunkeln und den Boden beben lassen: Freut euch auf Monster wie wälzende Lawinen und aus dem Boden brechende Wurmberge. Für diese XXL-Momente lohnt sich die Reise auf den verlorenen Planeten, denn hier gibt es endlich Nervenkitzel. Aber das sind zu wenige Highlights! Als Solist wird man so oft von gewöhnlicher Ballerei mit teilweise träger Steuerung ernüchtert. Wie soll man mit grenzdebilen Bots Spaß an einer Mission haben, die auf Koordination ausgelegt ist? Heraus kommen Chaos und Frust! Capcom verpasst vor allem aufgrund des inkonsequenten Kampagnen-Designs die Chance, an der internationalen Shooterspitze mitzumischen.

Lust auf bewegte Kritik? Zum Video-Fazit!

Nachtest zur PC-Version vom Oktober 2010:

Es gab mal eine Zeit, da musste man als PC-Spieler vor Capcom-Umsetzungen in Deckung gehen, weil die Japaner ihre Action in billiger Auftragsarbeit abkanzelten - die Folge: Resident Evil 4  sorgte anno 2007 für Platineuphorie auf dem GameCube, unter DirectX für einen 38%-Entsetzen. Diese Zeiten sind spätestens seit Resident Evil 5 vorbei, denn Capcom weiß um die Actionumsätze anderer Spiele und hat mit der potenten Grafikengine "MT-Framework" die Grundlage für hochwertige Kulissen am PC geschaffen. Und Lost Planet 2 sieht am PC sehr gut aus: In der Version 2.0 zeigt die Engine gestochen scharfe Bilder und Licht durchflutete Umgebungen, wahlweise unter DirectX9 oder DirectX11 sowie optimiert für nVidia-Karten. Das Ganze sieht en detail zwar besser aus als auf Konsolen und läuft auch auf Mittelklasse-Hardware flüssig, aber das Grundproblem bleibt die austauschbare Shootermechanik, die gerade mal für ein befriedigendes Erlebnis sorgt - Medal of Honor kam kürzlich auch nicht darüber hinaus. Und was die Online-Komponente von Lost Planet 2 angeht: Da gibt es auf dem PC einfach zu viel bessere Konkurrenz.

Pro

brachiale Action
spektakuläre Bosskämpfe
Bosse auf mehrere Arten erlegbar
gutes Lebenspunkte- Checkpointsystem
klasse Kreaturendesign
fordernder Schwierigkeitsgrad
abwechslungsreiche Schauplätze
üppige Waffenauswahl
zig Mechs mit Flug- & Schwebefähigkeit
ansehnliche Zwischensequenzen
Kampagne kooperativ für bis zu vier Spielern kooperativ erleben
vier Multiplayer für 16 Kämpfer inkl. Ranglisten & Teambildung

Kontra

ganz schwache Story
Leveldesign teilweise nicht für Solisten ausgelegt
Kampagne fühlt sich wie Arena-Deathmatch an
zu oft lethargisches bis dämliches KI-Verhalten
teilweise träge Steuerung mit zickigen Automatismen
Missionsziele wiederholen sich zu oft
Feinde spawnen oft plump aus dem Nichts
teilweise öde Katakombenpassagen
keinerlei Befehle für Teammitglieder
Teammitglieder wirken seelenlos und dumm

Wertung

360

Spektakuläre Bosse, brachiale Action, aber dieses Spiel wurde an Solisten vorbei entwickelt: Schwache Story, dumme KI und redundantes Missionsdesign.

PC

Auf dem Rechner sehen die Akriden noch mal schärfer aus, aber die Shootermechanik kommt nicht über solides Niveau hinaus.

PlayStation3

Es gibt keine relevanten technischen Unterschiede zwischen den Konsolen: Auch auf der PS3 gibt es brachiale Action auf solidem Niveau!

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