Im Test:
Die schärfste Schere aller Zeiten
Activision hat es nicht leicht: Auf der einen Seite vertreibt das Unternehmen genau die Spiele, nach denen die Shooter-Fans aus aller Welt lechzen - nämlich die von id Software. Auf der anderen Seite haben wir hierzulande einen strengen Jugendschutz, der Dinge wie zerstückelte Körper, massig herumschwappendes Blut, abgesägte Körperteile und Ähnliches gar nicht gern sieht. Was tun, was tun? Eine Anpassung an den hiesigen Markt muss her! Das gelingt mal mehr (F.E.A.R.), mal weniger (Half-Life) gut. Und manchmal geht es so radikal in die Hose, dass man schreien könnte. Das wäre dann Quake 4 (ab 13,49€ bei kaufen): Der Kenner reibt sich schon aufgrund des blauen USK16-Stickers verwundert die Augen - das erste nicht 18er-Quake. Und wer die engl. Version des Spiels kennt, muss die Zähne tapfer zusammenbeißen: Schon das Intro ist geschnitten. Im Spiel gibt es
dann praktisch kein Blut mehr, außerdem sind sehr viele Zwischensequenzen geschnitten, verkürzt oder sonst wie verändert: zerstückelte Leichen verschwinden, da werden aus Plexiglasscheiben auf einmal massive Stahltüren, damit man nichts zu sehen bekommt - ein großer Teil der »Wir machen einen Strogg aus dir!«-Sequenz fehlt ersatzlos. Großes Heulen auch bei der Mehrspielergemeinde: Aufgrund der Vielzahl der Schnitte sind die deutsche und die internationale Version zueinander inkompatibel. Internetmatches gegen Spieler aus aller Welt (auch via Xbox Live) sind damit ausgeschlossen - und leider gibt es auch keinen Koop-Modus mehr.Wir müssen leider draußen bleiben: Die für die Story wichtigste Zwischensequenz wurde für die dt. Version erheblich gekürzt.
Zeitlich schließt Quake 4 unmittelbar an den direkten Vorgänger Quake 2 an - es wird sogar eine nette Anspielung in dieser Richtung gemacht. Ihr schlüpft in die Marines-gestählte Haut von Matthew Kane, der frisch zum toughen Rhino-Quad gestoßen ist. Und gleich beim ersten Einsatz des Jungspunds geht so ziemlich alles schief: Die Maschine, mit der man zum Strogg-Planeten unterwegs ist, legt eine Bruchlandung hin, die Hälfte der Besatzung ist hinüber. Kaum betretet ihr das nächstgelegene Gebäude, stürzt euch auch schon der erste Strogg kreischend entgegen - nach einer kurzen Pistolen-Argumentation ist das Borg-ähnliche Maschinenwesen genauso schnell tot wie es kam. Das Missionsdesign täuscht mit vielen Dialogen und einer Aufgabenliste Abwechslungsreichtum vor, doch letzten Endes dreht sich ausnahmslos jeder Auftrag um eine mehr oder weniger offensichtliche Variante von »Gehe da hin, mache alle Gegner platt!«. Darum ist es im Grunde egal, ob ihr einen Ingenieur finden, einen Wissenschaftler eskortieren, einen Schutzschild abschalten oder einen Strogg-Hangar zerstören sollt. Im Endeffekt lauft ihr immer jemanden
hinterher oder einer Gruppe vorneweg, erledigt heranstürmende KI-Abstinenzler und lauft auf völlig linearem Wege zum Ziel, wo dann irgendjemand einen Schalter oder eine Konsole drückt - und euch auf eine neue identische Mission schickt. Gelegentlich springt ihr auch an Bord eines Panzers oder bewaffneten Mech-Anzugs, um durch detailarme Außenlevels zu heizen und dort dem gleichen Spieldesign-Credo zu frönen.Eure Gegner sind keine Geistesakrobaten.
Wir sind die Roboter
Ganz in Quake-Tradition hamstert ihr im Laufe der Zeit ein beachtliches Waffenarsenal zusammen: MG, Schrotgewehr, Granatwerfer, Nailgun oder Raketenwerfer werden über kurz oder lang auch verstärkt - so dass ihr z.B. zielsuchende Nägel verschießt. Viel mehr als Draufhalten müsst ihr allerdings nicht, denn die gegnerische KI ist mit »schmalhirnig« recht gut umschrieben: Ausweichtaktiken kennen eure Feinde nicht, nur gelegentlich bricht einer mehr oder weniger unerwartet durch eine Wand oder den Boden - eine Schrecksekunde später liegt er aber auch auf selbigem.
Die Intelligenz eurer Kameraden ist hingegen gut gelungen: Die Kollegen ballern zielsicher und intelligent, was besonders bei den etwas serioussamigen Arena-Kämpfen nützlich ist, in denen es erst weiter geht, wenn ihr eine
bestimmte Feindzahl aus dem Weg geräumt habt. Zwischendurch warten auch dickere Widersacher auf ihre Lektion: In Doom 3-Tradition werden diese gigantischen Robo-Spinnen oder mit vielen Lasern hantierenden Strogg in einer kurzen Echtzeit-Zwischensequenz angekündigt und verlangen nach einer munitionsreichen Sonderbehandlung.Eure Kameraden stellen sich recht clever an.
Die wichtigste Wende erfolgt etwa zur Mitte des Spiels: Hier werdet ihr gefangen genommen und mittels Kreissäge zum Strogg verwandelt. Leider fehlt diese etwa vier Minuten lange Sequenz in der deutschen Version völlig, was natürlich den Story-Verlauf ziemlich durcheinander haut – außerdem erfahren hiesige Spieler so nie am eigenen Leibe, dass die Strogg nicht gerade Filigranchirurgen sind. Seid ihr einer von »denen«, begegnen euch nicht nur eure Kameraden fortan mit einer gesunden Portion Misstrauen, ihr gewinnt auch zusätzliche Fähigkeiten – so könnt ihr Strogg-Konsolen bedienen und eure Energie an speziellen Stationen wiederherstellen.
Widerstand ist zwecklos
Optisch bietet Quake 4 genau das, was man mittlerweile von einem Spiel auf Basis der Doom 3-Engine erwarten kann: großartige Licht- und Schatteneffekte, sehr viel Dunkelheit, in der ihr euch per Taschenlampe Sicht verschaffen dürft, jede Menge metallische Gänge und Rohr-Konstrukte. Die Action spielt zum größten Teil innerhalb von Gebäuden, nur gelegentlich werdet
ihr an die frische, bleihaltige Luft gelassen. Die detailreichen, teilweise sehr großen Figuren sind perfekt animiert, sehen allerdings wie ihre Doom-Pendants sehr nach Plastik aus. Viele geskriptete Szenen sorgen für Action auf dem Schlachtfeld, coole kleine Details (wie der Atem der Soldaten in einer kälteren Umgebung, das extrem realistische Hitzeflimmern oder der Verwackeleffekt, nachdem man von einem Gegner im Nahkampf getroffen wurde) halten die Grafikkarte auf Trab. Allerdings sind einige Texturen auch auf hoher Detailstufe teilweise sehr schwach, außerdem gibt es hierzulande keinerlei Blut zu sehen. Die einzige Besonderheit der Xbox 360-Version ist die bei schnellen Drehungen ruckelige Grafik - ansonsten ist die Fassung identisch.Ihr seid immer wieder an der frischen Luft unterwegs: in einem Panzer, einem Mech-Anzug oder als ballernder Beifahrer.
Die deutsche Version wirkt dahingehend etwas inkonsequent, als dass es keine deutsche Version ist: Die hervorragende Sprachausgabe ist nach wie vor komplett englisch und bietet keinerlei Untertitel – wenn ihr Pech habt und nicht aufpasst, entgehen euch so viele Sprüche und Dialoge, die nebenher abfallen und für Atmosphäre sorgen. Ärgerlicherweise lässt sich die Lautstärke von Soundeffekten und Sprachausgabe nicht getrennt regeln, so dass im Getose der fetten Explosionen, Ballereien und Strogg-Gekreische viel untergeht. Dazu gibt es dramatische Musik, die aber ebenfalls lautstärketechnisch nur die zweite Geige spielt.
Fazit
Wäre die englische Version von Quake 4 nicht indiziert, würde ich euch raten, unbedingt die deutsche zu meiden – denn die Schere von Activision muss gigantisch und verdammt scharf sein: Ich habe noch nie eine derart verkrüppelte Version eines Spiels gesehen! Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe nichts gegen Anpassung. Aber ich habe etwas gegen Kastration. Gegen wüste Schnitte. Und gegen Entseelung. Quake 4 ist ohnehin kein sehr inhaltsreiches Spiel. Aber wenn selbst das wenige noch beschnitten wird, kann man auch gleich zu einem anderen Game greifen. Die Versuchung, genau das bei Quake 4, das auch in der englischen Version keine wesentlich höhere Bewertung kassiert hätte, zu tun, ist ohnehin ziemlich groß: Es spielt sich genau wie ein Doom 3-Add-On, bei dem die Designer die Rot- und Blau-Palette entdeckt haben. Es fühlt sich an wie Doom 3, es sieht aus wie Doom 3, es klingt wie Doom 3 - und es ruckelt bei schnellen Bewegungen auf der Xbox 360! Der einzige wirklich offensichtliche Unterschied ist, dass man hier keine Höllenmonster, sondern diverse Strogg-Varianten umnietet. Das Spiel zieht sich wie ein Kaugummi, von echter Spannung jenseits der altbekannten »Dunkler Raum mit Flackerlicht + Monster, das irgendwo rausbricht«-Routine ist kaum was zu spüren. Die Action ist gut und aufregend, aber bei weitem nicht spektakulär, was vor allem an den hirnlosen Gegnern liegt, die, egal in welcher Variation, keine Zeichen künstlicher Intelligenz zeigen, durch die Bank zur Kategorie »Kanonenfutter« zählen und nur in größeren Gruppen wirklich gefährlich sind. Sorry, aber ich bin durch F.E.A.R. mittlerweile echt verwöhnt. Im Vergleich dazu ist Quake 4 nämlich wirklich ein laues Lüftchen - selbst auf der Xbox 360, die ja gegenwärtig noch nicht mit guten Shootern überhäuft wird. Wenn ihr auf einen Spannungsbogen à la Doom 3 steht, dann werdet ihr mit Raven Softwares neuestem Shooter glücklich werden. Solltet ihr aber eher der Mehrspielerfraktion angehört, dann lasst die Finger von der dt. Version von Quake 4: die ist zu der internationalen nicht kompatibel, wodurch Internet-Matches ausgeschlossen sind. Und so seid ihr die auf Hand voll deutscher Server angewiesen, auf denen gegenwärtig ziemlich genau nichts los ist. Deswegen verzichten wir auch auf eine Multiplayerwertung.
Pro
Kontra
Wertung
360
PC
Technisch guter, spielerisch halbgarer, in der deutschen Version extrem gekürzter Strogg-Shooter.
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