X² - Die Bedrohung17.02.2004, Marcel Kleffmann
X² - Die Bedrohung

Im Test:

Welche Spiele sind typisch für Deutschland? Na? Etwa Actionspiele? Nein, es sind die guten alten Wirtschaftssimulationen! Auf den Spuren der Genre-Urgesteine Elite und Privateer will X² die Tradition der im Weltraum angesiedelten Sims fortführen - wie es schon der Vorgänger X - Beyond the Frontier tat.

Pirat im Pech

X² beginnt mit einem ausführlichen Film in Spielgrafik, der euch den verkorksten Versuch von Julian Garner und seinem Kollegen Bret zeigt, ein herrenloses Raumschiff aus einem Dock zu klauen. Aber die Sicherheitskräfte sind schneller und setzen dem Diebstahl ein Ende. Beide Langfinger werden festgenommen und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Da Julian jedoch ein grandioser Pilot ist, kommt er mit einem blauen Auge davon. Allerdings unter der Bedingung, dass er fortan für den argonischen Geheimdienst arbeitet. Natürlich nimmt der freiheitsliebende Held an…

Solch wunderschöne Raumschiffe gibt es nur bei X².

Anschließend wird euch in einem grausam inszenierten Gespräch der erstn Einsatz auf´s Auge gedrückt: Ihr sollt mit einer gesponserten Schrottschüssel von Raumschiff durch ein Sprungtor fliegen und eine weitere Station aufsuchen. Dort angekommen, sprecht ihr mit einem Mitglied der TerraCorp. Ab jetzt schreitet, nein schleicht die Story allmählich voran, bis ihr langsam, ganz langsam einer Alien-Bedrohung auf die Schliche kommt.

Aller Anfang ist lang

In Sachen Präsentation hat Egosoft gehörig geschludert, denn selten wurde eine halbwegs nette Geschichte in solch bescheidenen Zwischensequenzen erzählt. Die Cinematographie mit etwaigen Zooms und dem Shake-Effekt einer Handkamera sind zwar nett, aber total unpassend. __NEWCOL__

Richtig lächerlich sind die hakeligen Animationen der Figuren; lippensynchrone Sprachausgabe ist ebenfalls Fehlanzeige. Im gesamten Story-Bereich hat Freelancer die Nase um Längen vorn.

Aber anders als bei Digital Anvils kinoreif inszeniertem Weltraumepos dient die Erzählung hier wirklich nur als Rahmen, um das auf Angebot und Nachfrage konzentrierte Händlerleben abenteuerlich aufzuwerten – es geht eben um Simulation, nicht um Action.

Die ersten Stunden verbringt ihr daher damit, von Sternensystem zu Sternensystem zu juckeln, die Raumstationen abzuklappern und die günstigsten Preise für bestimmte Produkte herauszufinden.

Danach wird die Ware in euer Raumschiff gepackt und irgendwo anders möglichst teuer verscherbelt. Nur durch dieses kaufmännische Hin-und-Her-Gefliege könnt ihr euch neue Ausrüstung kaufen oder ein neues Schiff bestellen.

Oh! Nein! Er kommt direkt auf uns zu...

Erst wenn ihr einige Zeit lang Geld verdient habt, könnt ihr die Geschichte lohnend fortsetzen und sogar an teilweise gigantischen Raumschlachten teilnehmen. Bis ihr allerdings so weit seid, vergehen viele, sehr viele, sehr sehr viele Spielstunden (mindestens acht bis zehn), in denen ihr locker Max Payne 2 auf allen Schwierigkeitsgraden durch die Levels jagen könnt.

WiSim im Weltall

Das Handelssystem ist dafür ausgesprochen komplex, basiert auf dem dynamischen Prinzip von Anfrage und Nachfrage und lässt Freelancer alt aussehen. Habt ihr irgendwann genügend Geld gesammelt, könnt ihr Schiffe erwerben, diese in einer Handelsflotte organisieren und sogar via KI inklusive bestimmter Befehle auf eigene Routen zur Geldvermehrung schicken.

Gleich gibt es einen großen Knall.

Damit aber nicht genug: Die gewieftesten Großhändler kaufen sich gleich ganze Raumstationen und produzieren selbst Rohstoffe, die wieder verscherbelt werden. Zwischendurch könnt ihr auf den Raumstationen immer wieder kleine, zufällig generierte Aufträge in Nebenquest-Manier annehmen, so dass etwas Abwechslung ins Spiel kommt.

Habt ihr schließlich euer Wirtschaftsimperium aufgebaut, ordentlich Kohle gescheffelt sowie ein gescheites Raumschiff mit allerlei Extras gekauft, dann könnt ihr euch an den weiteren Verlauf der Story wagen, den man ohne die vorangegangene Handelsphase nicht überleben würde. Denn mit einem schwachen Schiff wäre der Feldzug gegen die Khaak ein einziges Selbstmordkommando.

__NEWCOL__Kämpfe und Dynamik

Die Kämpfe im Weltall sind ansehnlich und actiongeladen, nehmen jedoch im Vergleich zum Handelspart nur eine kleine Zeitspanne in Anspruch.

Dafür ist der fließende Übergang zwischen Action und Handel wiederum sehr packend, denn auf jeder Reise durch das über 140 Sektoren große Universum können aus dem nichts Piraten auftauchen und nach eurer Fracht trachten.

Und nicht nur das Handelssystem ist komplett flexibel und passt sich dem Spielgeschehen an, auch das Auftauchen von Piraten ist dynamisch geregelt: Seid ihr zu Beginn alleine unterwegs, tauchen nur wenige Feinde auf; habt ihr dann eine kleine Flotte, bringen die Freibeuter schon dickere Pötte mit in die Schlacht.

Nur noch wenige Treffer fehlen...

Für Abwechslung im Bereich interstellarer Kontaktpflege sorgen die acht verschiedenen Alien-Rassen, zu denen ihr jeweils individuelle diplomatische Beziehungen pflegen könnt. Die Diplomatie-Optionen beschränken sich allerdings auf ein Minimum und sind weit entfernt von der Komplexität eines Master of Orion 3 .

Welche Zielgruppe?

X² richtet sich definitiv an den Spieler mit viel Geduld und Zeit, denn die ersten Stunden im Universum werden so mies präsentiert, dass man bei jedem Video mit der Escape-Taste liebäugelt. Nach dem Einstieg seid ihr zunächst komplett verloren im gigantischen Universum - ohne Geld, ohne Plan und ohne viel Spaß.

Achtung! Ein gigantischer Persil-Megaperl im Weltraum oder ist es bloß eine blaue Druckwelle?

Zwingt ihr euch trotzdem weiterzuzocken, werdet ihr spätestens beim nächsten Raumschiffkauf, Upgrade oder Erwerb einer eigenen Station entschädigt, denn jetzt beginnt X² weitaus mehr Spaß zu machen. Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass die tatsächliche Spielzeit von sogar 100 Stunden übersteigen kann und man selbst nach dem Ende der erzählten Kampagne als Wirtschaftsboss weiterzocken darf, relativiert sich die müde Anfangsphase.

Steuerung

Gesteuert wird X² mit einer Maus/Tastatur-Kombination. Dies geht ganz gut von der Hand, wenn auch nicht so komfortabel wie bei Freelancer - vor allem, wenn ihr die Upgrades für die Ruderkontrolle nicht gekauft habt. Mit einem Gamepad oder besser einem Joystick macht das Ganze natürlich wesentlich mehr Spaß. Dennoch ist die Tastatur unbedingt vonnöten, denn die Planung der interstellaren Routen sowie das Management des gesamten Wirtschaftsimperiums wird über ein verdammt verschachteltes und nicht wirklich schönes Menüsystem verwaltet.

__NEWCOL__Auch Egosoft gehört zu den Entwicklern, welche die Maus-Technologie konsequent vernachlässigen und einen Menüdschungel bevorzugen. Als kleine Entschädigung für diesen Fauxpas werdet ihr in einem ansprechenden Tutorial in die Steuerung eingeführt.

Hochs und Tiefs

Wir haben die grottenschlechten Animationen der hoch detaillierten Charaktere im Puppentheater von X² schon erwähnt, aber auch die weitere Grafik hinterlässt einen zweischneidigen Eindruck. Während die Raumstationen und die Schiffe klasse aussehen, sind die manuellen Einflüge in diese Stationen äußerst unspektakulär. Und die schönen Licht & Schatteneffekte können sich zwar sehen lassen, aber die Clipping- und Designfehler werden dadurch auch nicht vertuscht. Dafür ist das Universum wiederum riesengroß und prächtig gestaltet, aber auch sehr hardwarehungrig: So ist das Spiel auf einem Athlon XP2000+ mit GeForce 4400 Ti, ohne Anti-Aliasing und Echtzeit-Schatten nicht immer ruckelfrei spielbar - schade!

Ihr wollt auch so eine Station haben? Dann spielt X².

Ohrwurm im All

Eine atmosphärische und dynamische Hintergrundmusik sowie passende, wenn auch zu lasche Soundeffekte bringen akustisches Leben in das Space-Szenario. Wesentlich besser gelungen als in der englischen Version ist die deutsche Sprachausgabe, die jedoch nicht lippensynchron ist.

Fazit

Um an X² richtig Freude zu haben, benötigt ihr nicht nur einen schnellen Rechner, sondern auch viel Zeit. Denn die quälend lange Eingewöhnungsphase ist ein Motivationsabgrund, den man erst tapfer überwinden muss. Viele Stunden später, wenn ihr so langsam seht, wie euer Wirtschaftsimperium wächst und euer Raumschiff besser wird, beginnt der eigentliche Spielspaß. Vor allem die grandiose Freiheit im Gameplay ist motivierend, denn egal ob ihr handeln, erkunden, bauen oder kämpfen wollt - alles ist möglich, obwohl die wirtschaftliche Seite deutlich überwiegt. Trotzdem hätte Egosoft die komplizierten Menüs entschlacken können - ein Mauszeiger hätte viel gerettet. Die Story ist nicht mehr als eine Rahmenhandlung, die durch schwach präsentierte Zwischensequenzen erzählt wird und im Vergleich zu Freelancer recht ärmlich wirkt. Weltraumhändler, Freiheitsfetischisten und Fans vom X-Universum dürften dennoch auf ihre Kosten kommen. Freelancer-Veteranen, die mehr Wert auf eine spannende Story und Action legen, sollten einen großen Bogen um diese zeitfressende Simulation machen.

Pro

riesiges Universum
große Handlungsfreiheit
viele Karriere-Möglichkeiten
sehr lange Spieldauer
dynamisches Handelssystem
Kauf von Flotten mit KI-Piloten
Aufbau von eigenen Raumstationen
viele politische Fraktionen
sinnvolle Zeitbeschleunigung
gute Tutorials, nette Rahmenstory
über 60 Raumschiffe, zahlreiche Upgrades
packende Gefechte im All
gute Raumschiff-Steuerung
komplexes Bump-Mapping auf den Schiffen
atmosphärischer Soundtrack

Kontra

schlechte Präsentation der Story
äußerst schwache Zwischensequenzen
sehr langatmiger und zäher Spieleinstieg
in der Startphase kaum motivierend
schlecht präsentierte Anflugsequenzen (abbrechbar)
monotone Aufträge
verkorkste Menüsteuerung
hässliches Menüdesign
Sprachausgabe nicht lippensynchron
schwache Soundeffekte
extreme Hardware-Anforderungen

Wertung

PC

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