Black Sails - Das Geisterschiff30.04.2010, Jan Wöbbeking
Black Sails - Das Geisterschiff

Im Test:

Deck 13 wagt den Schritt ins Horror-Genre: Nach den Comedy-Adventures Ankh und Jack Keane haben die Frankfurter einen spielbaren Thriller im Programm. Black Sails nennt sich das Abenteuer und der deutsche Untertitel »Das Geisterschiff« gibt einen guten Vorgeschmack darauf, was mich erwartet: Eine junge Frau, ein verlassenes Schiff, unheimliche Notizen über seltsame Experimente - all das erinnert mich sofort an Daedalics experimentelles Grusel-Adventure Experience 112 . Black Sails versetzt mich allerdings noch etwas weiter in die Vergangenheit als der Konkurrenztitel aus Frankreich.

Wer bin ich?

Es ist der 4. Januar 1884. Ich schlüpfe in die Rolle von Anna, eine Journalistin der New York Times, welche auf dem Weg nach Portugal Schiffbruch erleidet und sich nach stundenlanger Odyssee auf ein verlassenes Segelschiff rettet. Viel mehr verrät mir das knappe Intro nicht. Lex wirkt noch nebulöser. Er ist die einzige Person, welche es ebenfalls auf das Schiff geschafft hat und setzt jetzt alles daran, mir auf den Senkel zu gehen.  Statt mir beim Ausbruch aus der verrammelten Kajüte zu helfen, lässt er ein paar

Nicht gerade ein Herz und eine Seele: Journalistin Anna...
Chauvi-Sprüche vom Stapel und verzieht sich wie ein bockiger Teenager in eine Zimmerecke. Obwohl wir im wahrsten Sinne des Wortes im gleichen Boot sitzen, will er eine Gegenleistung für seine Hilfe. Also wühle ich mich erst einmal auf eigene Faust durch die Schubladen.

Abgedroschener kann man den Einstieg eines Adventures wirklich nicht gestalten, aber keine Angst: Schon ein paar Minuten später wird es um einiges interessanter. Weil der eingebildete Sturkopf bei unserem nächsten Zoff unbedingt handgreiflich werden musste, liegt er nun röchelnd unter ein paar Kisten begraben. Selbst Schuld. Und siehe da: Jetzt ist er derjenige, der um Hilfe bettelt. Ein Druck auf die Leertaste verrät mir alle wichtigen Objekte. Eines davon ist eine Verschlusskappe: Schnell schraube ich sie auf, lasse den Pfeffer auf den Boden rieseln und hieve die leichter gewordene Kiste von Lex herunter.

Was mache ich hier?

Die Entwickler haben sich Mühe gegeben, dem Spieler nicht mit unnötig vielen Gegenständen oder Menüs auf die Nerven zu gehen. Alles wirkt sehr durchdacht: Nur über benutzbaren Dingen prangt das Rädchen-Symbol, alle anderen lassen sich nur betrachten.

...und ihr grantiger Leidensgenosse Lex.
Fällt der Hauptfigur z.B. auf, dass eine Tasche des Mantels eine ausgebeulte Tasche besitzt, teilt sie mir das auch mit und schon lassen sich dort ein Schlüssel oder ähnlich nützliche Dinge finden. Hält man einen Gegenstand über ein Lupen-Symbol am linken oberen Bildrand, wird er näher untersucht. Starte ich das Spiel am nächsten Tag wieder, helfen mir im Tagebuch ein paar stichpunktartige Hinweise auf die Sprünge.

Oldschool-Fans, Pixelhunter und beinharte Rätselprofis mögen die Nase rümpfen, doch das schlanke, komfortable Rätsel- und Menüdesign passt gut zum Spiel. Die Erforschung des unheimlichen Schiffs wird zu keiner Zeit dadurch ausgebremst, dass man sich in der Suche nach Kleinkram verzettelt. Wer den PC an den Fernseher angeschlossen hat, kann sich übrigens gemütlich mit der Maus aufs Sofa lümmeln und tastaturlos knobeln. Befindet man sich auf dem Holzweg, versteckt Anna in ihren Monologen gerne den einen oder anderen dezenten Hinweis. Sogar das Ekel Lex lässt sich ab und an zu Tipps hinreißen. Da er durch den Angriff der Ladekisten reichlich angeschlagen ist, mache ich mich alleine mit Anna auf den Weg durch das düstere Schiff. Nachdem ich die Lichtversorgung repariert habe, wird es immerhin etwas heller, aber keineswegs weniger gruselig.

Wer bist du?

Während sie vorsichtig über die knatschenden Holzbohlen schreitet, wird das Heulen des Windes immer wieder von einem Klappern und undefinierbaren Geräuschen übertönt. Was geht auf diesem Schiff vor? Warum sind überall Rohre und merkwürdige Apparaturen angebracht? Die rostigen Nieten und faserigen Holzbohlen machen übrigens einen äußerst hübschen Eindruck. Ganz so viele Details wie in The Book of Unwritten Tales gibt es nicht zu sehen, da in Black Sails auch die Hintergründe aus Polygonen bestehen.

Wie in einem Actionspiel: Die Polygongrafik von Black Sails protzt mit jeder Menge ansehnlicher Details.
Trotzdem protzen das kleine Schiff und die Charaktere mit jeder Menge beeindruckender, sanft beleuchteter Feinheiten.  All zu schwach darf der PC daher nicht sein. In den Grafik-Optionen lässt sich nämlich lediglich das Anti-Aliasing herunterschrauben und das arg düstere Bild per Gamma-Korrektur aufhellen. Deck 13 empfiehlt einen Prozessor mit 2,8 Gigahertz, 1,5 Gigabyte Arbeitsspeicher und eine DirectX-9-kompatible Grafikkarte mit 256 MB RAM; Mindestvoraussetzung ist eine CPU mit 2 Gigahertz und 128 Megabyte Speicher in der DirectX-9-Karte.

Da Anna oft alleine unterwegs ist, ist viel Bastelarbeit gefragt: So muss ich z.B. einen Nagel in einem Schraubstock umbiegen, um ihn kurz darauf als Haken an einer Angel zu benutzen. Mit ihrer Hilfe fische ich einen Knochenbohrer aus einer Nische. Versuche ich damit wahllos an diversen Gegenständen herumzubohren, teilt mir Anna mit, dass sie ihn woanders bestimmt besser gebrauchen könnte. Spaßvögel können hier also keinesfalls herumexperimentieren wie in Edna bricht aus .             

Spurensuche

Die ersten Hinweise auf die ehemalige Crew liegen direkt vor den Füßen meiner Protagonistin. Hier und da findet sich immer mal wieder eine ausgeblichene Tagebuchseite oder Notizzettel auf dem Boden, welche von einem Streit zwischen Crew-Mitgliedern, Medikationseinheiten und seltsamen Ereignissen auf dem Schiff berichten.

Auf dem verlassenen Kahn wurden allerlei rätselhafte Apparaturen installiert.
Auch als ich mich ans Steuerrad vorgeknobelt habe, weiß ich immer noch nicht, wo ich mich befinde, da der Kompass und andere Instrumente verrückt spielen. Auch die Kamera weiß nicht so recht, aus welcher Perspektive sie das Geschehen einfangen soll und wandert dementsprechend nervös durch den Raum. Vielleicht wollten die Entwickler das Gefühl die Enge auf dem kleinen Schiff verdeutlichen, trotzdem wäre hier weniger mehr gewesen. Manchmal werden sogar wichtige Gegenstände erst dann sichtbar, wenn man im Raum herumwandert. Nachdem ich mir die wenigen Räume eingeprägt hatte, hat mich der Mangel an Übersicht aber kaum noch gestört.

Geradezu verstörend fällt dagegen die Kameraregie in den Zwischensequenzen aus. Die Schockmomente schlagen immer genau dann zu, wenn ich wieder einmal gedankenverloren durch einen Korridor spatziere und z.B. darüber nachgrüble, mit welchen notdürftig zusammengesteckten Werzeugen ich die Kran-Mechanik in der Messe reparieren könnte. Urplötzlich ertönt ein fieses Quietschen und die Kamera zoomt an Anna vorbei - hinter ihr ein dreckig grinsender Matrose. Eine Zehntelsekunde später ist er wieder verschwunden. Es sind immer nur kurze Momente, welche mich zusammenzucken lassen und Anna unsicherer machen, doch genau dieser spärliche pointierte Einsatz macht das Abenteuer so schön schaurig.

Szenenwechsel

Ein wenig später verliert sie sogar komplett das Bewusstsein und das Bild färbt sich langsam weiß. Als es wieder dunkler wird, steuere ich plötzlich eines kleines, blondes Mädchen. Alles wirkt größer und die Kamera huscht nicht mehr so hektisch an der Decke entlang. Doch auch sie scheint sich auf dem gleichen Schiff zu befinden, 

Welche Rolle spielt das verschreckte Mädchen auf dem Geisterschiff?
auf der Flucht vor einem nicht sonderlich Vertrauen erweckenden Mann im weißen Kittel. Da Fiona weder lesen noch sonderlich viel Muskelkraft aufbringen kann, muss ich versuchen, meine Verfolger mit Tricks abzulenken.

Sie wirkt mindestens genau so lebendig wie Lex und Anna: Lasse ich sie einfach stehen, wandert ihr Blick unsicher im Raum umher. Noch überzeugender wird ihr Auftritt durch die erstaunlich gut gelungene Synchronisation von Luisa Wietzorek. Trotz ihrer 24 Jahre hat sie sich offenbar ihr inneres Kind bewahrt oder kann sich unheimlich gut in die frühe Jugend zurückversetzen. Sämtliche Sätze kommen ihr derart flüssig über die Lippen, als seien sie ihr spontan eingefallen. In der deutschen Fassung des Kinofilms Speed Racer hat sie übrigens dem Jungen Spritle ihre Stimme verliehen. Auch die übrigen Routiniers wie Tilo Schmitz oder Natascha Geisler machen einen guten Job. Vielleicht lag es daran, dass die Anzahl der Mono- und Dialogzeilen deutlich überschaubarer ausfällt als in längeren Spielen und die Sprecher entsprechend mehr Zeit zum Einsprechen zur Verfügung hatten. In Black Sails kann man übrigens nicht wie es einem gefällt zwischen mehreren Charakteren wechseln wie z.B. in Ceville. Auch davon abgesehen gibt es keine frische Ideen im Rätseldesign. Die Kopfnüsse fallen alle sehr logisch aus, beschränken sich aber allesamt auf konservative Bastelaufgaben, wie man sie aus vielen anderen Genrevertretern kennt.         

Fazit

Gratulation nach Frankfurt: Black Sails ist ein waschechter interaktiver Thriller. Noch Stunden nach dem Abspann kreisten meine Gedanken um die Geschehnisse auf dem Geisterschiff. Die Geschichte ist nicht nur außergewöhnlich gut inszeniert, sondern versteht es auch, mit nur sparsam platzierten Schockmomenten, Szenenwechseln, viel Ungewissheit und Interpretationsspielraum einen vorbildlichen Spannungsbogen aufzubauen. Je länger ich auf dem Schiff unterwegs war, desto gruseliger wurde es, desto mehr stellte ich die psychische Stabilität der Figuren infrage. Schön auch, dass sie ihren eigenen Kopf besitzen und an manchen Stellen nicht so handeln, wie man es erwarten würde. Die Vertonung ist prima gelungen und trotz kleiner Macken wie der nervösen Kamera entsteht eine beklemmende Kulisse. Black Sails geht das Thema zwar weniger experimentell an als Daedalics Experience 112, doch im Gegenzug lässt es sich viel komfortabler bedienen. Das logische Rätseldesign und die wenigen, aber geschickt im Spiel integrierten Hilfen passen gut zur Inszenierung. Knifflig wird es dadurch leider nie und auch frische Ideen sucht man bei den Kopfnüssen vergeblich, aber andererseits wird die Story zu keinem Zeitpunkt durch zu viel Puzzelei ausgebremst. Wer Wert auf harte Kopfnüsse legt, kommt hier aber nicht auf seine Kosten. Ein weiterer großer Knackpunkt ist die Kürze: Mit rund sechs Stunden Gesamtspielzeit ist das Abenteuer nicht einmal halb so umfangreich wie The Book of Unwritten Tales oder The Whispered World . Trotzdem: Für mich war der Grusel-Snack ein erstes Highlight im angebrochenen Adventure-Jahr.

Pro

<P>
beklemmende Atmosphäre
subtile Schockmomente
glaubwürdige, geheimnisvolle Charaktere
ausgefeilte, sehr logische Rätsel...
viel Interpretationsspielraum
cineastische Kameraführung in den Cutscenes
außergewöhnlich gute Synchronisation
stimmungsvoller Thriller-Soundtrack
realistische Schiffskulisse
viele liebevolle Details
einfache Bedienung
ausgeklügelte Menüführung
alternative Ausgänge des Abenteuers</P>

Kontra

<P>
nur rund sechs Stunden kurz
für Hardcore-Knobler deutlich zu einfach
unruhige Kamera erschwert Orientierung
...aber keine frischen Ideen im Rätseldesign</P>

Wertung

PC

Kurz, aber packend: Der Adventure-Thriller mit viel Feinschliff zieht den Spieler dank subtiler Schockmomente immer tiefer in die Geschichte um das rätselhafte Geisterschiff.

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