Im Test:
Heimkehr
Wei Shen hat das perfekte Alibi: Der amerikanische Polizist ist in Hongkong unter den Triaden aufgewachsen. Er kennt sie, sie kennen ihn. Obwohl seine Loyalität deshalb in Frage steht, ist er auf dem Papier der perfekte Undercover-Mann. Und so trifft Wei auf seinen Jugendfreund Jackie, der ihn seiner Triade, der Sun On Yee, vorstellt. Weis Ziel: Er soll die Triade unterlaufen und schließlich zu Fallen bringen. Einfacher gesagt als getan...
Vor allem ist es einfacher geschrieben als gezeigt. Weis Vergangenheit spielt nämlich eine große Rolle: Wie zerrissen ist der Polizist zwischen seiner Arbeit und den ehemaligen bzw. neuen Freunden? Wird es ihm leicht fallen, in der Mitte einer großen Triade Fuß zu fassen? Oder erschlägt ihn die Angst, er könne ebenso wie sein Vorgänger bei lebendigem Leib begraben werden? Albträume plagen ihn immer wieder – ein geschickter Kniff der Erzähler, denn wenn sich Wei am Morgen erschöpft Mut zuspricht, konnte ich seine Angst nachvollziehen.
Lückenhafte Erzählung
Über die restliche Einleitung stolpern die Autoren allerdings. Denn wer ist dieser Wei eigentlich? Viel zu wenig hatte ich bis zum Abschluss der Geschichte über den Mann erfahren, als dass ich seinen Konflikt nachempfinden konnte. Viel zu
Im Wesentlichen gleicht die PC-Fassung dem Hongkong der Konsolen - sie profitiert dabei selbstverständlich von höheren Auflösungen und einer schärferen Darstellung.
Gamepad-Besitzer sind allerdings auch am PC im Vorteil, denn die Steuerung mit Maus und Tastatur ist vergleichsweise unhandlich. Zum einen ist es für PC-Spieler unbequem, in der Standardeinstellung über die Leertaste zu sprinten und zum anderen darf man Wei nicht über die Pfeiltasten bewegen. Alle anderen Tasten können aber frei belegt werden. lückenhaft werden Figuren eingeführt oder das Aufkeimen einer Freundschaft dargestellt - Sleeping Dogs ist eine Stichpunktliste mit vielen Freiräumen. Und wie gelingt es Wei eigentlich, das Vertrauen der Sun On Yee zu erschleichen? Weil er zum Beweis seiner Loyalität etwas tun muss, das sein Vorgänger nicht übers Herz brachte: Er muss selbst töten...
Gute Idee! Doch hatte ich zu diesem Zeitpunkt längst etliche Ganoven auf den Asphalt geklatscht, verdroschen und erschossen. Auf einmal verlangen Weis Kameraden aber dieses scheinbar große Opfer. Es gibt nicht einmal eine wirkungsvolle Szene, keine Hinrichtung Auge um Auge - nur eine Mission, eine stinknormale Ballerei. Es fehlt der drastische Aha-Moment, das erkennbare Umdenken in Wei. Die Schießerei verpufft emotionslos - und plötzlich ist Wei der neue beste Kumpel. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass dies kein großes "Hollywood-Spiel", sondern nur ein weiterer einfacher Sandkasten, ein ganz normaler GTA-Klon ist.
Buddeln, bauen, Kuchen backen
Sleeping Dogs hat es sich selbst zuzuschreiben: Viel zu früh erlaubt es das Ausführen von Missionen, die den kompletten Katalog der Gewaltdelikte ausfüllen - lange bevor Wei emotional in der Triade ankommt und von ihr akzeptiert wird. Die
Manchmal gibt es durchaus Höhepunkte. Die drei oder vier Momente etwa, in denen sich Wei foppen lässt und für eine gute Tat mit einer geklauten Geldbörse belohnt wird, hatte ich z.B. nicht kommen sehen. Er trifft außerdem ulkige Zeitgenossen, von denen mich einer sogar laut und lange zum Lachen brachte. Alles abseits der Geschichte. Das Angenehme ist die Abwechslung, auch in den für die Handlung wichtigen Missionen: Mal muss Wei ein Rennen gewinnen, mal ist er mit dem Boot unterwegs, mal sprintet er in einem Hindernislauf über Baustellen, mal liefert er sich nächtliche Verfolgungsjagden mit explosiven Schießereien, mal singt er Karaoke, knackt Schlösser, hackt Sicherheitskameras oder knipst Fotos. Kein einziges Element ist eine spielerische Offenbarung, in den meisten Minispielen fehlt leider eine echte Herausforderung und vieles erinnert an Segas Yakuza-Serie. Ein unterhaltsamer Sandkasten ist das hier aber allemal.
Nahe der Straße
An Yakuza erinnern auch die brutalen Schlägereien, denn genau wie in Tokios Vergnügungsviertel spritzt nach handfesten Kombos viel Blut. Nur von zufällig auftauchenden Passanten wird Wei nicht angegriffen und auch das Kampfsystem ist ein anderes: Die Kombination verschiedener Schlagvarianten, Griffe und Konter
Im Detail kann Sleeping Dogs dem Superhelden dabei nicht das Wasser reichen: Dafür sind die Übergänge vieler Bewegungen zu holprig und dafür setzt die Steuerung meine Eingaben nicht immer präzise genug um. Im Gegenzug nutzt Wei seine Umgebung, um Feinde mit dem Kopf gegen eine Wand zu drücken oder über eine Brüstung zu werfen. Mit brutalen Finishern setzt er martialische Höhepunkte. Hier ist die Action weiter als die ähnlicher offener Welten.
Auch der Hindernislauf - das Springen, Klettern oder Schlittern über Tische, Zäune und Abgründe - ist ein Aspekt, den sich Sleeping Dogs von Yakuza abgeschaut haben könnte. Mich stören zwar die automatischen Bewegungen, dank derer Wei viele Meter wie auf Schienen gleitet – dass eine heiße Verfolgungsjagd von der Straße auf den Fußweg wechselt und schließlich in einem Handgemenge endet, gibt der Action aber einen bodenständigen schmutzigen Anstrich. Schade nur, dass ich einen Gangster nie im Lauf zu Boden reißen kann, weil ich stets nur den Anschluss halten muss. Die Gegner sind immer zuerst am Ziel sein, auf dass das Duell dort in einer Schlägerei ende.
Der Weg ist nicht das Ziel
Überhaupt ärgern mich die Feinheiten der interaktiven Inszenierung. Wieso haben die Regisseure nicht genauer hingeschaut, als Red Dead Redemtion und das erzählerisch so ähnliche Mafia II glaubhafte Szenen schufen, die vom Betreten
Glücksspiel
Ein weiterer Schwachpunkt ist das Fahrverhalten der Zwei- und Vierräder und auch das der Schiffe. Natürlich ist es toll, dass Wei jederzeit an Bord gehen und um ganz Hongkong surfen kann - zumal die Darstellung des Wassers eine der größten
Ärgerlich ist das besonders in einem Zweiradrennen, denn schon ein kleiner Fehler wird fast immer mit dem Verlust des Wettlaufs bestraft. Die Kontrahenten ziehen ja mit Leichtigkeit an Wei vorbei – doch sobald er ihnen im Heck klemmt, fahren sie ungeachtet seiner Geschwindigkeit im gleichbleibenden Abstand vorweg. "Glück" im Unglück: Für den Sieg musste ich deshalb auf einen ihrer zahlreichen tollpatschigen Fehler warten. Nein, so macht Rennsport keinen Spaß. Die Boliden eines Saints Row 3 fühlten sich griffiger an, das Fahrverhalten in Mafia II war um Welten edler!
Viele Köche verderben Hongkong?
Auf der einen Seite macht Sleeping Dogs spielerische und dramaturgische Fehler, weil es sich nicht aus seiner altmodischen Haut traut. So kann sich Wei etwa gewaltlos an Wachen vorbei mogeln, wenn ihm im richtigen Moment eine zündende Idee kommt. Ich muss dafür schnell eine Taste drücken - doch warum ist
Auf der anderen Seite ist das starre altmodische Nebeneinandersetzen solcher und anderer Elemente aber auch eine Stärke. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Sleeping Dogs so viele Elemente unterschiedlicher Vorbilder zusammen fügt, dass es sich alleine darüber definieren kann. Neben ausgefeilter Nahkampf-Action und Verfolgungsjagden spielen etwa auch Bleiwechsel eine Rolle, in denen Wei wie in einem aktuellen Shooter Deckung sucht, blind in seine Gegner feuert oder in Zeitlupe über das Hindernis springt, um möglichst viele Gegner in schneller John Woo-Folge auszuschalten. Das ist nicht neu, aber durchaus spannend. Zumal der Schwerpunkt bis zum Schluss auf den dreckigen, intensiven Nahkämpfen liegt.
Wer bist du, Wei?
Die Charakterentwicklung scheint ihren Ursprung hingegen in Japan zu haben, denn ähnlich wie Kazuma Kiryu entwickelt Wei im Lauf seiner Undercover-Operation verschiedene Fähigkeiten. Darunter fallen neue Kampftechniken, Vorteile wie erhöhter Schaden beim Rammen eines anderen Fahrzeug oder Preisnachlässe für Vehikel und Kleidung. Mit dem Erfüllen freiwilliger Aufgaben
Polizeiliche Arbeit sowie Aufträge für seine Gang finden dabei fast ausschließlich im Rahmen der Erzählung statt, weshalb Wei keine nennenswerte Wahl beim Ausbau seiner Fertigkeiten bleibt. Ich musste mich zwar immer für die jeweils nächste Fähigkeit auf einem von zwei Ästen entscheiden - zum Ende wird allerdings fast jeder Wei die meisten aller Lektionen gelernt haben. Interessant ist dabei, wie das Spiel Weis charakterlichen Hintergrund stärkt, denn jede zentrale Mission steigert zwei Entwicklungen: die als Verbrecher und die als Polizist. So erhöhen z.B. Kopfschüsse seine Triadenpunkte, während seine Punktzahl als Staatsdiener sinkt, falls er die Umgebung zerstört oder gar Unbeteiligte tötet. Auch wenn Weis Entwicklung dennoch zu geradlinig bleibt, ist das ein durchdachtes Stilmittel!
"Da kann ich drüber!"
Da ich sehr zeitig möglichst viele Nebenmissionen erledigt hatte, hatte Wei dabei schon früh zwei der vier Entwicklungsmöglichkeiten (Ansehen und Polizei) ausgefüllt und meine Lust auf freiwillige Aufträge sank spürbar. Mein Glück:
Ein schneller Wagen ist auch deshalb von Vorteil, weil man nur mit den richtigen PS weite Sprünge und andere Rekorde packt, die wiederum in Onlineranglisten festgehalten werden. Das Spiel blendet bei jeder Aktion, vom unfallfreien Fahren über die Anzahl aufeinander folgender Treffer bei Scheißereien bis hin zu einem möglichst langen Motorrad-Wheelie sofort die Punktzahl der Freundesliste ein. Wen es nervt, der schaltet die Einblendungen aus. Wen es anspornt, der findet so zusätzliche Herausforderungen. Wer selbst nerven will, schickt dem besten Kumpel sogar selbst eine Herausforderung.
Altbackener Radau
Spätestens bei einer langen fehlerfreien Rundfahrt über den "Autobahnring" habe ich so Hongkongs exotische Skyline genossen. Architektonisch sind GTA IV oder Mafia II zwar selbst heute noch eindrucksvoller - mir fehlen markante kleine Gassen oder andere Blickfänge. Im nächtlichen Neonlicht macht Sleeping Dogs diesen Nachteil allerdings fast wett. Besonders im Regen, wenn das farbenfrohe Leuchten im rauen Asphalt verschwimmt, lässt das Spiel seine technischen Muskeln spielen. Neben dem Wasser ist die Straße damit der eindrucksvollste Blickfang. Mir gefallen außerdem wertvolle Kleinigkeiten wie hörenswerte
Und dann gibt es schließlich den Punkt, an dem die sowohl spielerisch als auch erzählerisch holprige Geschichte plötzlich Fahrt aufnimmt. Irgendwann hat Sleeping Dogs seine Köder ausgelegt und zieht die Leinen langsam ein: Der oberflächliche Einstieg verdichtet sich dann zu einem spannenden Milieuthriller, das Machtgerangel der Triaden entlädt sich in explosiven Höhepunkten. Trockenes Gewehrfeuer rattert da durch nächtliche Häuserschluchten und irgendwann steckte ich sogar so in Weis Haut, dass ich auf einen eleganten Kampfstil pfiff und mit einer groben Klinge auf seine Feinde losging. Diesen altbackenen Radau beherrscht Sleeping Dogs ganz vorzüglich! Schade, dass es abseits davon nur ein weiterer unterhaltsamer Anarcho-Sandkasten sein darf.
Fazit
Harte Schlägereien, rasante Verfolgungssprints, Charakterentwicklung, Online-Herausforderungen und Minispiele: Sleeping Dogs hat in den offenen Welten aus Ost und West sehr viel für sich entdeckt. Keiner der Bausteine wächst über sich hinaus, aber Sleeping Dogs fügt sie souverän zusammen. Die Kämpfe, die Schusswechsel und die vielen kleinen Aufgaben sind alle unterhaltsam, haben aber alle spielerische Schwächen. Die Geschichte beginnt hingegen schwach, steigert sich jedoch in fulminante Höhepunkte. Mich ärgert allerdings, dass sich Sleeping Dogs so kampflos in sein Schicksal ergibt: Als könne es sowieso keinen anderen Weg geben, wirft es Drama, Minispiel und Nebenquest zu beliebig übereinander. Es fehlen sanfte spielerische Übergänge sowie erzählerische Hintergründe, mit denen ich ruhige Momente aktiv und damit emotional erleben kann. Mir fehlt die logische Verknüpfung des anarchischen Sandkastens mit dem erzählerischen Rahmen. Wäre Sleeping Dogs das gelungen, könnte es eine packende Milieustudie sein. So bleibt es unterhaltsame, aber auch gewöhnliche Action in offener Welt.
Pro
Kontra
Wertung
360
Viel Action, viel Abwechslung, aber die Potenziale der offen Thriller-Welt blitzen nur auf - da war mehr drin!
PlayStation3
Unter der exotischen Oberfläche erlebt man vielfältige, aber gewöhnliche Action mit erzählerischen Defiziten.
PC
Der PC profitiert von höheren Auflösungen und mehr Schärfe, aber die Maus/Tastatur-Kombo hakt.
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