Im Test:
Wo kein Hahn kräht
Acht Uhr, die Sonne ist aufgegangen ohne dass ein Hahn gekräht hätte. Es zwitschern zwar ein paar Vögel aus dem Off, aber zu sehen sind keine Lebewesen, weder Schafe noch Kühe oder Pferde. Und doch befinde ich mich wohl auf einem Bauernhof. Ungläubig schaue ich nochmal auf die Packung: "Landwirtschafts-Simulator" steht da...sogar "Gold-Edition". Hmm, "28 Days Later-Edition" würde eigentlich besser passen, obwohl: Zombies habe ich auch noch keine entdeckt. Was soll's, sage ich mir und inspiziere erstmal meinen Fuhrpark. Ein alter Traktor, ein klappriger Mähdrescher, zwei Anhänger und einige ankoppelbare Geräte warten auf ihren Einsatz. Was genau zu tun ist, darüber lässt mich das Spiel im Unklaren - das ist dann wohl der sprichwörtliche Sprung ins kalte Wasser. Ich breche hier erstmal ab, speichere und schaue mir zunächst die 20 Missionen und Tutorials an....hätte gar nicht gedacht, dass das tatsächlich notwendig ist. Tatsächlich eine Erleichterung in der Gold-Edition: Mit dem Ballentransportwagen erledigt sich dieser Job einfacher.
Eine Insel mit zwei Bergen....
Verpackt in kleine Aufgaben wie Parcours fahren, Mähdreschen oder Pflügen mache ich mich erstmal mit der Steuerung der Nutzfahrzeuge, dem An- und Abkoppeln von Anhängern, sowie dem Heben und Senken der angehängten Gerätschaften vertraut.
Das Lenken der Fahrzeuge geht mit einem Gamepad oder Lenkrad recht gut von der Hand, mit Maus und Tastatur klappt's aber auch. In den Missionen werde ich mit der Spielwelt in Form einer Insel vertraut gemacht. Den Charme einer Nordseeinsel beispielsweise lässt das sterile Eiland allerdings vermissen; alles wirkt sehr kalt und künstlich - Tiere oder Passanten? Fehlanzeige. Wichtige Stationen wie der Hafen, die Mühle oder die Brauerei werden mir auf Erkundungsfahrten vorgestellt und auch Funktionen wie meinen PDA (eine Karte, plus Wettervorhersage sowie den aktuellen Marktpreisen für Getreide) lerne ich kennen. Gestatten: Der HORSCH Terrano 8 FX. Ein dreibalkiger Grubber zur intensiven Bodendurchmischung.
Bereits beim Absolvieren der eher zähen und eintönigen Einzelmissionen und Tutorials drängt sich ein Verdacht auf: Kann es sein, dass im Spiel (im Gegenzug zur Realität) zwischen Mähdreschen, Ernten, Pflügen, Aussähen oder Düngen spielinhaltlich genausowenig ein Unterschied besteht, wie zwischen dem Anbau von Gerste, Raps, Mais oder Weizen? Ich hoffe, dass die Karriere darüber Aufschluss geben wird und setze meine Laufbahn als Bauer fort.
Bauer sucht....Spielspaß?
Ziel ist es also, durch Aussaat und Ernte genug Geld zu verdienen um sich modernere Maschinen zu kaufen. So mache ich mich ans Werk, entere meinen Traktor und mache mich daran das erste Feld zu bestellen. Zu meiner Enttäuschung wird schnell klar:
Auch in der Karriere spielt es grundsätzlich keine Geige, welches Getreide ich anbaue, es macht auch keinen Unterschied ob ich das Feld dünge oder pflüge oder ernte...ständig fahre ich mit einem Nutzfahrzeug in monotonen Bahnen über eines von etwa 20 unterschiedlich großen Feldern und verrichte im wahrsten Sinne meine "Arbeit". Je nach Getreide oder Tätigkeit sieht das zwar etwas anders aus, es fühlt sich aber immer gleich an. Was ich gerade anbaue und ernte spielt nur insoweit eine Rolle, als dass ich Raps nicht an der Brauerei abliefere und Mais nicht bei der Mühle. Immerhin: Die Preise schwanken immer mal, so dass eine gewisse wirtschaftliche Komponente zum Tragen kommt. Die Tatsache, dass ich zunächst mit einem Oldtimer-Fuhrpark beginne und mich dann zu den teuren Luxus-Maschinen hocharbeiten muss, motiviert anfangs ein wenig, kann aber auf Dauer nicht als Ansporn für die langweilige Arbeit genügen. Außerdem kann ich mir von genau einem KI-Assistenten helfen lassen. Dann mäht der weiter, während ich minutenlang zur Mühle fahre. Nur leider scheinen die Entwickler entweder keine gute Meinung vom durchschnittlichen Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft zu haben oder die KI-Routinen sind ihnen schlichtweg misslungen - jedenfalls macht der CPU-Kollege seinen Job so schlecht, dass man sich am Ende doch wieder selbst auf den Traktor schwingt. Insgesamt ist die Karriere eine recht monotone Form der Telearbeit ohne Bezahlung. Spaß ist was anderes. Mit der Selbstfahrspritze werden besonders große Felder gedüngt. Wirklich schnell geht das aber auch nicht.
Alles Gold was glänzt?
Die "Gold Edition" wartet mit vier zusätzlichen Einzelmissionen auf, in denen einige der sieben neuen Geräte zum Einsatz kommen, die fortan auch in der Karriere zur Verfügung stehen: Kurzscheibeneggen zur Bodenbearbeitung (Grubben), Zinkensähmaschinen, eine Selbstfahrspritze und ein Ballensammelwagen. Außerdem wurde ein Konfigurationsmenü integriert, mit dem die Tastenbelegung komplett frei belegt und beliebig auf Gamepad/ Lenkrad zugewiesen werden kann; das ist praktisch. Das war es dann aber auch schon:Funktionale Außenspiegel oder dynamische Wetterwechsel haben ihren Weg ebensowenig in die goldene Version des Spiels gefunden wie eine überarbeitete Physik-Engine. Aber gerade letztere wäre dringend nötig gewesen.
Die gröbsten Kritikpunkte der Standardversion sind weiter mit an Bord. Obwohl von Nvidia lizenziert, fabriziert die Physik die sonderbarsten Stilblüten. Da hüpfen tonnenschwere Landmaschinen wie Flummis in die Luft, weil sie eine Bordsteinkante streifen oder Heuballen bringen einen Traktor in Schieflage. Mit den NPC-Autos lässt sich aber immerhin ganz gut Fußball spielen. Außerdem trüben weitere Unzulänglichkeiten das bescheidene Gesamtbild: Warum kann ich auf der Karte keine Wegpunkte setzen und warum gibt es nicht ein einziges Tier auf der ganzen Insel? Ich assoziiere mit Landwirtschaft zumindest mal Kühe, ärgerlich genug, dass Nutzviehwirtschaft auch in der Gold-Version keinen Einzug halten durfte. Aber zumindest zur Deko (oder als Hindernisse) hätten ein paar Pferde, Schafe oder Kühe doch mal herhalten dürfen? Selbst Menschen sieht man immer nur in ihren Autos über die Straße juckeln und meinen Protagonisten bekomme ich außer beim Fahren nie zu Gesicht. Ich darf mich zu Beginn der Karriere nicht mal für das Geschlecht meines Alter Egos entscheiden (dabei soll es doch auch ganz tüchtige Bäuerinnen geben). Eine Identifikation mit meiner Spielfigur ist da nicht möglich. Das Einzige womit ich im Spielverlauf "belohnt" werde, sind optisch "bessere" Maschinen und Gerätschaften (besser geht die monotone Telearbeit mit denen aber auch nicht von der Hand) - das ist als Motivation zu wenig. Die Möglichkeit vor allem besseres Personal einstellen zu können oder auch zu heiraten und somit einen Familienbetrieb aufzubauen, das wäre was. Etwas "Die Sims - Farm Life" hätte dieser staubtrockenen, sterilen Techsim sicher gut getan und vor allem: Mehr, viel mehr Abwechslung bei der eigentlichen "Arbeit". Auch neu in der Gold-Edition: Die Zinkensämaschine Sprinter 8 ST, der stolz eines jeden Landwirts.
Fazit
Welche Faszination übt dieser sterile Arbeitsalltag bloß auf tausende Käufer aus? Es bleibt mir ein Rätsel, denn Spaß macht das auf dem ersten und zweiten Blick nicht. Erst auf den dritten kann man die Motivation erahnen: Liegt es am günstigen Preis? Ist es die glaubwürdige Darstellung der Maschinen und Fahrzeuge, die auch auf weniger starken Rechnern noch sehr ansehnlich wirkt? Oder sind es die Wettereffekte und Tag/Nachtwechsel, die wenigstens für etwas Stimmung sorgen? Ansonsten kommt man sich die ganze Zeit über vor wie auf einer Roboter-Kolchose ohne Lebewesen, aber mit modernem Fuhrpark. Das Spiel wird wohl nicht ohne Grund unter dem Titel "Farming Simulator" erfolgreich lizenziert. Farming? Da war doch was? Richtig: Nicht umsonst verwendet man bei Zeitfressern wie World of WarCraft genau diesen Begriff für das monotone Anhäufen von Items - nur dass es hier keine Raids sind, sondern Felder, die man immer wieder bestellt und aberntet. Und dabei kann man sich im Gegensatz zum Online-Rollenspiel noch nicht mal gegen Bezahlung von Chinesen helfen lassen...vielleicht eine Marktlücke? Ich weiß es nicht. Man muss dem landwirtschaftlichen Phänomen immerhin attestieren, das es sich eher um eine ansehnliche Geräte-Techdemo als um Software-Schrott handelt. Der Sammeltrieb sowie die Aussicht auf die Steuerung "fetter Maschinen" dürfte zum Siegeszug dieser Serie beigetragen haben, die lediglich einfachste "Spielspaß"-Bedürfnisse befriedigt.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Auch in der Gold-Edition trüben monotone Telearbeit, Physik-Schnitzer und eine sterile Spielwelt den Spielspaß erheblich. Daran ändern eine Hand voll neue Maschinen auch nichts.
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