S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl26.03.2007, Jörg Luibl
S.T.A.L.K.E.R.: Shadow of Chernobyl

Im Test:

Tschernobyl. Der Name steht für Atomkatastrophe, Russland, Verseuchtes, Tote. Er hat 20 Jahre nach dem gößten Nuklearunfall der Welt einen festen Platz im Bewusstsein der westlichen Zivilisation. Er ist Mahnung und schlechtes Gewissen zugleich. Aber wen interessiert das? Das ist alles so lange her, oder? Und alles auch so verdammt weit weg. Nein, das Grauen ist ganz nah. Wenn ihr wollt, wütet der Alptraum einer verstrahlten Zukunft mitten in eurem Wohnzimmer.

An der Gurgel gepackt

Der Geigerzähler rattert, die Luft knistert. Überall verzerren Anomalien die Sicht, auf dem Boden zischen Elektrostränge wie Schlangen zwischen Toten. Hier hilft keine AK-47, hier hilft nur ein Schutzanzug und hochprozentiger Wodka gegen die

In den Tunneln herrscht das Grauen: Stalker überrascht mit feinem Survival-Horror.
Verstrahlung. Trotzdem droht Schlimmeres: Leichen liegen im Dunkel, manche erschossen, manche angefressen oder bis auf die Knochen abgenagt. Und was ist das? Schon wieder diese schnellen Schritte. Zombies können das nicht sein, die schlurfen nur oberirdisch. Und die habe ich rund um das Labor erledigt. Irgendetwas anderes verfolgt mich, seitdem ich diesen verdammten Keller betreten habe.

Aus den Augenwinkeln erkenne ich plötzlich etwas geduckt Laufendes. Ein Mann mit einem Buckel? Dann taucht eine Fratze auf - halb Oktopus, halb Mensch: Tentakel zappeln vor dem Maul, eine Klaue gräbt sich in meinen Schutzanzug, fünf blutige Streifen zeigen meine Verwundung an. Okay, schnell die Schrotflinte gezückt, aber wo ist das Monstrum? Ich drehe mich, drück ab, treffe etwas - Glück gehabt! Aber dann wird diese Kreatur vor meinen Augen unsichtbar! Sie schleicht weg, lauert irgendwo. Ich schmeiß die Taschenlampe an - wo ist sie? Irgendwo funkelt ein Augenpaar...

Mutanten & Monster

Dieses Spiel schnürt euch die Kehle zu. Es gibt in den verstrahlten Katakomben Größeres und Unheimlicheres als diese Blutsauger - eine ganze Phalanx an Mutanten und Monstern. Wenn Telepathen euch plötzlich ihren Willen aufzwingen und eure Beine lähmen, wenn euch Psioniker mit Kisten jagen, dann herrscht in den Tunneln Survival-Horror pur. Hier spielt das russsische Team Adrenalinjoker aus, die es mit jedem Konkurrenten der Marke Capcom aufnehmen können. Das Herz rast, die Munition ist knapp und die Taschenlampe ein Witz angesichts pechschwarzer Höhlensysteme. Aber wer wissen will, was es mit dem Schriftzug S.T.A.L.K.E.R. auf dem eigenen Unterarm auf sich hat, muss sich auch in diese Tiefen hinabwagen, die zu den großen Highlights des Abenteuers gehören.

Dabei fängt alles an der Oberfläche an: Im Jahr 2012 will ein Totenlaster aus der so genannten "Zone" irgendwo seine Leichen abladen, aber landet nach einem Unfall im Straßengraben. Ein Mann stöbert in den Überresten auf der Suche nach Beute und findet tatsächlich einen Überlebenden - euch! Wie kann das sein? Das ist ebenso seltsam wie die Tätowierung. Er bringt euch zu seinem Hehler Siderowitsch, der euch in seinem büroähnlichen Erdloch neugierig durchsucht. Als er auf ein PDA mit dem Hinweis "Töte Strelok!" stößt, erwachen eure Lebensgeister und mit ihnen die Fragen: Wer seid ihr? Was ist die Zone? Wieso sollt ihr Strelok töten? Und wer ist das überhaupt? Wer von Weltkriegseinerlei mit blödem Pathos oder 08/15-Storys samt Weltrettung genug hat, darf hier in ein erzählerisch anspruchsvolles Abenteuer abtauchen.

                

Hol mich die Zone!

Bevor ihr Antworten bekommt, müsst ihr für Siderowitsch arbeiten. Der unwirsche Mann kennt die Gegend, hat Kontakte und bietet euch Geld für die Erledigung kleiner Aufträge. Zunächst seid ihr ein unbeschriebenes Blatt, schlecht ausgerüstet und

Ein Rudel Hunde auf der Jagd: Die Landschaft überzeugt mit natürlichen Höhenzügen und wunderbaren Wäldern.
ohne Kampferfahrung. Lediglich mit einem Messer, einer kleinkalibrigen Pistole und etwas Proviant verlasst ihr das Erdloch von Siderowitsch. Ein paar Treppenstufen später begrüßt euch ein Sturm, die Sonne strahlt und eine riesige Welt à la The Elder Scrolls IV: Oblivion lädt zur Erkundung ein. Das Rollenspiel in einer apokalyptischen Endzeit hat begonnen.

Und mit ihm die Stunde der gut bestückten Systeme: Vergesst die Angaben auf der Verpackung: 1 GB Ram? 256 MB Grafikkarte? Das ist empfohlen? Lächerlich. Das, was für Half-Life 2 vollkommen ausreicht, ist hier definitiv zu wenig. Nach ewig langer Installation und Ladezeiten aus der Hölle werdet ihr mit Rucklern in die Welt stolpern - jede Bewegung lässt die Festplatte rödeln. Wenn ihr das Spiel in allen Details und 1280x1024 flüssig genießen wollt, braucht ihr 2 GB RAM, eine 512 MB Grafikkarte und einen 3 Ghz-Rechner. Und erst dann läuft es bis auf gelegentliche Abstürze butterweich. Alle anderen müssen Abstriche bei der Sichtweite machen, die Schatten ausstellen und Details runterfahren.

Landschaft zum Genießen

Schnürt euch die unterirdische Welt mit ihren Schrecken die Kehle zu, wird euch die oberirdische erstmal den Atem rauben: Nicht, weil hier alles so idyllisch ist, sondern so unheimlich authentisch. Die Landschaft begeistert nicht nur mit natürlichen Höhenzügen und enormer Sichtweite, sondern mit einer gedämpften Farbwahl, die die Flora der russischen Wälder wunderbar einfängt. Der Wind pfeift euch die Blätter um die Ohren, rast über rotbraune Moose und graugrüne Gräser und biegt die riesigen Bäume sanft im Wind - geht man ganz nah ran, erkennt man die plastischen Konturen der Rinde.

Vor allem das architektonische Flair ukrainischer Plattenbauten wurde klasse eingefangen. Die Städte sehen unheimlich authentisch aus.
Am Horizont locken Berge, die Wolken jagen über den Himmel und plötzlich setzt Regen ein. Das erste Dorf lockt in ein paar Metern Entfernung mit seinen baufälligen Hütten und an Bauruinen erinnernden Gebäuden. Irgendwo rattert ein Hubschrauber, Hunde jaulen, eine Stimme macht die ganze Zeit über Durchsagen à la Half-Life 2 . Big Brother is watching me? Man fühlt sich mit jedem Schritt nicht nur in eine glaubwürdige Natur, sondern in eine lebendige Spielwelt versetzt - es gibt keine Brüche, alles wirkt harmonisch. Hut ab: Hier wird schon in der ersten Stunde mehr Rollenspielflair verströmt als in Gothic 3 nach zehn! Man will sich voller Entdeckerdrang seiner Situation und der Welt hingeben.

Natürlich ist das kein Crysis , kein Gears of War. Gerade in Sachen Animationen sieht man nur Durchschnitt, auch so manche Textur deutet auf die lange Entwicklungszeit. Und die Physik ist nur marginal spürbar: Ja, man kann einzelne Latten von Türmen schießen, Kisten zertrümmern. Aber man kann weder Lampen ausschießen noch überall die Holzbarrikaden wegsprengen. Trotzdem: Die Spielwelt wirkt wie aus einem Guss, man erntet überall die Früchte der Recherche, ohne die der Charakter dieser russischen Industrielandschaft nie zum Ausdruck kommen würde: All diese verrotteten Betonsilos, diese riesigen Trümmer, verlassenen Stadtbezirke, mehrstöckige Hochhäuser, marode Eisenbahnlinien, gigantische Müllhalden, mannshohe Rohre, verborgene Tunnel. Selbst feine Holzfaserungen, die Baumrinde oder der bröckelnde Putz werden richtig gut dargestellt.

          

Rollenspiel oder Shooter?

Ihr steuert euren Helden in Egosicht klassisch per WASD, könnt springen, um die Ecke schauen, euch ducken und hinknien, zwischen Automatik, Feuerstoß und Einzelschuss wählen, Granaten abfeuern oder mit dem Scharfschützengewehr den Feind

Es wird nicht lange gefackelt: Mehrere Fraktionen kämpfen um die Macht in den Straßen.
ganz nah ranholen - alles altbekannt. Aber Stalker ist kein einfacher Shooter à la Far Cry oder Half-Life 2 , obwohl das Spiel im letzten Drittel bei einem hohen Bodycount fast zu einem Run&Gun-Endspurt ansetzt. Hier scheinen den Entwicklern plötzlich die Ideen ausgegangen zu sein. Man ballert sich alleine oder im Team durch endlose Straßensysteme. Aber bis man diese Shooter-Phase erreicht, herrscht lange Zeit überaus angenehmes Rollenspielflair.

Das fängt schon damit an, dass Wunden bluten: Es gibt zwar kein Körperschadenssystem, aber sobald ihr getroffen werdet, verliert ihr Blut und die Lebensenergie sinkt. Ihr müsst erst einen Schnellverband anlegen, damit die Blutung gestoppt wird und dann ein Heilpaket einschmeißen. Davon gibt es drei Varianten, darunter auch solche, die gegen Verstrahlung helfen oder kurzfristig immunisieren. Vorbereitung ist alles: Wer sich ohne Verbände in die Tunnel wagt, wird dort unten verbluten.

Gegen den Packesel

Ihr könnt nur eine begrenzte Menge tragen. Habt ihr zu viel auf dem Buckel, sinkt eure Ausdauer oder ihr könnt gar nicht mehr weiter. Solltet ihr schwer beladen zum Spurt ansetzen, geht euch ebenfalls schnell die Puste aus und ihr müsst ein paar Sekunden verschnaufen - werdet ihr gerade verfolgt, kann das tödlich enden. Hinzu kommen Hunger und Durst: Ihr müsst in regelmäßigen Abständen essen und trinken, sonst sinkt eure Lebensenergie. Richtig gefährlich ist auch die Radioaktivität: Ohne Schutzanzug könnt ihr gewisse Regionen nicht betreten; tut ihr es doch, werdet ihr verstrahlt und könnt in wenigen Sekunden sterben.

Euch helfen lediglich Schutzanzüge oder Artefakte. Diese Relikte der Atomkatastrophe sind eine wertvolle Sammelware und wirken sich sofort auf euch aus. Bis zu fünf davon könnt ihr in den Gürtel stecken: Sie modifizieren mit ihren Eigenschaften eure Fähigkeiten und sollten klug kombiniert werden. Ein "Nachtstern" erhöht zwar die Strahlung um 5%, aber gibt euch

Gasmasken und schwere Kampfanzüge gehören zum Standardoutfit in der Zone. Wollt ihr in verseuchte Gebiete, empfiehlt sich ein Schutzanzug.
auch 5% mehr Schutz - er alleine würde euch allerdings ständig Lebensenergie abziehen. Packt ihr jedoch einen "Dorn" hinzu, wird die Strahlung gleich um 10% reduziert, also negiert, und eure Wundheilung um 100% erhöht.

Artefakte & Talente

Dieses System ist einfach, effektiv, aber auf lange Sicht etwas unbefriedigend, wenn man seinen Charakter wirklich gezielt aufbauen oder verstärken will - das geht hier nicht. Es gibt weder zu entwickelnde noch zu kaufende Talente à la Schleichen, Schlösser knacken & Co wie in anderen Rollenspielen. Wer Nahkämpfer sein will, nutzt die Schrotflinte; wer Scharfschütze ein will, nutzt das entsprechende Gewehr mit Zielfernrohr. Und wer seine körperlichen Attribute oder Widerstände gegen Klauen, Strom oder den Aufprall stärken will, zieht am besten einen anderen Kampfanzug mit an. Vielleicht hätte hier ein Implantatsystem im Stile von Deus Ex geholfen, um gezielt Fähigkeiten zu entwickeln.

Die letzte Rollenspielkonsequenz haben die Entwickler scheinbar gescheut. Ihr müsst z.B. nicht schlafen, könnt trotz Tag- und Nachtwechsel quasi nonstop unterwegs sein. Und das seid ihr zu Fuß, in schier endlosen Märschen. Dieses Spiel ist in Sachen Erkundung erzkonservativ, verlangt euch die alte Tugend der Langsamkeit ab: Es gibt weder einzelne Fahrzeuge noch öffentliche Verkehrsmittel oder gar Teleporter. Nur Hubschrauber donnern ab und zu über eurem Kopf - ansonsten rattern weder Panzer noch Jeeps. Ihr müsst die komplette Welt Stück für Stück erlaufen. Die ist übrigens nicht aus einem Guss: Zwischen den Regionen sowie zwischen Ober- und Unterwelt gibt es Wegpunkte, an denen nachgeladen wird. Hier wird immerhin auch etwas Weg abgekürzt, der auf der Landkarte weiter erscheint.

       

Neugier & Fußmärsche

Das Stöbern in unzugänglichen Gebieten lohnt sich: Wer sich in einen vollkommen verstrahlten, vor Radioaktivität nur so knisternden Tunnel wagt, findet z.B. eine modifizierte Pistole namens "Der Drache", die man nicht kaufen kann - diese 45er

In den unterirdischen Labors lauern nicht nur schwer bewaffnete Vagabunden und Artefakte...
ist zwar weniger zielgenau, aber ihr Schaden ist enorm. Sie ist ideal, um starke Feinde wie Mutanten mit einem oder zwei Schüssen niederzustrecken. Richtig klasse ist, dass die Karte ständig mit neuen Depots, Verstecken oder interessanten Punkten aktualisiert wird - lila Zeichen deuten auf diese Orte: So hat man abseits der Quests immer genug interessante Anlaufstationen, die auf die Hinterlassenschaften gefallener Söldner hinweisen. Das kann ein Rucksack voll mit Medikamenten sein, eine Waffe oder ein Artefakt.

Trotzdem zehren die Fußmärsche spätestens dann an den Nerven, wenn man zum zehnten Mal eine Strecke zurücklegt, um sich z.B. eine Belohnung in der Basis abzuholen. Zwar werdet ihr im Laufe der Zeit mehrere Auftraggeber finden, die auch gut verteilt sind, aber ihr könnt auch keine Gegenstände bequem transportieren. Sprich: Füllt ihr eine Truhe mit scheinbar nützlichem, aber leider zu schwerem Kram irgendwo, auf deren Inhalt ihr z.B. zur Erledigung einer Quest in einer Basis weit nördlich angewiesen seid, müsst ihr zurücklatschen. Hier habe ich mich oft beim Fluchen ertappt.

Derbe Männerwelt

Immerhin passt das zur rauen Männerwelt. Frauen gibt es nicht, für Sentimentalitäten ist keine Zeit. Vor allem an den Grenzübergängen wird nicht lange gefackelt: Wer mit gezückter Waffe auftaucht, wird sofort angebrüllt und in einen Gewehrlauf schauen. Wer ohne Zollgebühr an Regierungstruppen vorbei will, wird sofort erschossen. Wer einem Fremden gutgläubig sein Geld für eine "besondere Waffe" anvertraut, wird ausgelacht und weggejagt.

Ähnlich wie in Piranha Bytes derber Fantasy herrscht hier ein rauer Ton: Vom "Arschloch" über den "Hurensohn" bis zur "verdammten Scheiße" reicht das Vokabular der Söldner, Banditen und Wachen. In der Arena soll man euch "Ins Gesicht schießen", in den Tunneln wird der "Dreckskerl" gejagt. Nur an den vielen kleinen Lagerfeuern wird ab und zu mal die Gitarre rausgeholt, leiser gemurmelt und sogar gesungen. Ansonsten herrscht das Gesetz des Stärkeren, die sich in mehrere, teilweise bekriegende Fraktionen aufteilen.

Fraktionen

...auch mutierte Kreaturen wie dieser Vampir, der seine Opfer auffrisst und sich unsichtbar machen kann. 
Es gibt freie Stalker, die das Land nach Schätzen absuchen, die sie verhökern können. Sie kämpfen vor allem gegen die in Banden organisierten Banditen, die als Gesetzlose ihre Überfälle starten. Noch organisierter sind einmal die Wächter, die die Zone schützen wollen und freie Stalker anheuern. Sie haben ein Lager, eine Führung und gelten als erzkonservativ. Ihre Widersacher sind die freien Anarchisten. Auch sie haben ein Lager, liefern sich Scharmützel mit den Wächtern, aber kämpfen vor allem gegen die religiösen Eiferer der Monolithen. Hinzu kommt die Regierung, deren Spezialeinheiten viele Gebiete schützen oder per Helikopter landen und regelrechte Hetzjagden veranstalten.

Eure Stellung gegenüber den einzelnen Fraktionen kann von freundlich, neutral bis hin zu feindlich reichen. Je nachdem, für wen ihr Aufträge erfüllt, kann sich der Status ändern. Allerdings ist das politische System bei weitem nicht so nachvollziehbar und spürbar wie etwa in Deus Ex: Invisible War , denn es fehlen bis auf einige Anführer echte Schlüsselfiguren auf Seiten der Fraktionen. Man vermisst charismatische Figuren, die euch auf die eigene Seite ziehen wollen und die Ziele ihrer Fraktionen darlegen. Natürlich wird die Weltanschauung in Dialogen erklärt, aber irgendwie vermisst man stärkere Anknüpfungspunkte und auch lohnende Aussichten.

Hier hat das Spiel eine dramaturgische Schwäche: Ich habe mich die ganze Zeit über gefragt, warum ich mein lukratives Einzelgängerdasein aufgeben soll? Was habe ich für Vorteile auf Seiten einer Fraktion? Quests bekomme ich so, Geld hat man ohnehin sehr schnell im Überfluss und die Rätsel der eigenen Geschichte kann man auch ohne Verbündete lösen. Also reicht es, wenn man sich die wichtigsten Fraktionen schön neutral hält.

       

Kreative Aufgaben

Das Abenteuer motiviert auch ohne persönliche politische Ausrichtung immer wieder mit seinen Aufträgen: Von kleinen Hol- und Bringdiensten über Eskortierungen und Schatzsuchen bis hin zu gezielten Eliminierungen ist alles dabei. Mal müsst ihr

In der Bar gibt es Aufträge, Gerüchte und nützlichen Kram wie Munition, Verbände & Co zu kaufen.
einfach Fell, Klauen oder Überreste von mutierten Tieren besorgen, mal ein Familienerbstück unter Trümmern finden, einen Vampir jagen, eine Herde Monster abwehren, einen Verräter töten oder ganze Lager von Banditen säubern.

Dabei begeistert vor allem die Lebendigkeit der Situationen: Irgendwo stehen Stalker unter Beschuss und rufen per Funk um schnelle Hilfe. Wenn ihr euch zu viel Zeit lasst, werden sie gnadenlos aufgerieben oder sind schon schwer verwundet und kampfunfähig. Man muss immer auf der Hut und schnell sein: Manchmal werden einem die Gesprächspartner noch vor den Dialogen gnadenlos weggeschossen. So entsteht ein glaubwürdiges Abbild der chaotischen Zustände.

Besonders gelungen sind die mehrstufigen Aufträge, die zu regelrechten Kleinkriegen führen: Erst helft ihr den "Wächtern", einen Scharfschützen von einem Turm zu schießen. Dann können sie eine Bombe an der Wand des Lagers legen und stürmen mit fast einem Dutzend Mann hinein. Sie fragen euch, ob ihr die letzten Türme säubern wollt - wollt ihr? Es liegt an euch. Ihr könnt auch ablehnen und einfach beobachten, wie sie ohne eure Hilfe an den "Anarchisten" scheitern. Das wird euch später vielleicht nützlich sein, denn die Freiheitskämpfer halten Regionen nahe der Zone. Und es gibt auch direktere Auswirkungen: Sobald der Anführer dieser Wächter beim Sturm gestorben ist, fragen sich die Überlebenden plötzlich, ob sie nicht doch ins Lager der Anarchisten wechseln sollen - sehr schön.

Packende Story

Die Tristesse der oberirdischen Spielwelt trifft auf den Terror der unterirdischen. Das ist wahrlich keine schöne Welt, die man durchstreift. Aber selbst hier gibt es Hoffnung: Abseits der Aussicht auf Antworten über das persönliche Schicksal, gibt es da draußen noch seltsame Gerüchte. Anscheinend droht in der Zone nicht nur der Tod, sondern auch eine Art Erlösung und unermesslicher Reichtum. Oder was hat es mit der "Wunschgönnermaschine" auf sich? Die Story streut langsam diese Gerüchte ein, die immer wieder die Neugier wecken. Man kommt seinem Schicksal immer ein Stück näher.

Lautsprecherdurchsagen und Militärhubschrauber der Regierung sorgen ständig für ein Gefühl der Überwachung.
Dass die sich trotz der vielen kleinen Aufträge und Scharmützel immer weiter an einen roten Faden halten kann, liegt auch an den Zwischensequenzen: Nach der Erledigung großer Aufträge zeigen euch zunächst undurchsichtige Flashbacks Teile der mysteriösen Vergangenheit des Helden. Man hört zunächst nur Stimmen, sieht Fetzen von Gebäuden, aber irgendwann hört man Namen, der seltsame Strelok wird immer greifbarer und die mysteriöse Wunschgönnermaschine taucht auf. Diese sehr ansehnlichen Renderfilme sind das wichtige dramaturgische Bindegelied innerhalb des Abenteuers. Sie verknüpfen die wirklich packende Hauptaufträge und halten die Motivation bis zum Finale aufrecht.

Tausend Tode

Man hat auch immer das Gefühl, nicht der einzige Vagabund zu sein, nicht der einzige Held zu sein, auf den alle gewartet haben. Gerade in der Anfangsphase fühlt man sich wie eine kleine Nummer, viele Fragen vor der Nase, den Tod immer im Nacken. Trotzdem fühlt man sich auch beobachtet - immerhin ist man der Gezeichnete. Und irgendwann heißt es dann: "Da kommt er. Macht ihn fertig!" Und das tun sie.

Ihr werdet tausend Tode sterben und sehr oft nachladen - schon auf dem zweiten der vier Schwierigkeitsgrade. Eure Feinde schießen gut, gehen in Deckung und lauern euch auf. Sie schlagen Alarm, rufen sich zu, warten in guter Position oder stürmen mit geballter Kraft hinter euch her. Sie reagieren auf Geräusche und Sicht, falls ihr zu plump herankommt. All das sorgt für ein forderndes, wenn auch nicht immer authentisches Kampfgefühl. Die Gefechte gegen Monster mit ihren Psi- und Spezialfähigkeiten wie Supersprünge oder Telekinese sind spannend, aber leider sind die gegen menschliche Gegner nach einiger Zeit vorhersehbar.

         

KI mit Schwächen

Denn vieles bleibt in Sachen KI zu wünschen übrig. Es ist meist weniger die taktische Finesse der Gegner als vielmehr ihre Zahl und schwere Bewaffnung, die das Kämpfen knifflig macht. Man vermisst nicht nur intelligente Teamroutinen wie das

Diesen Nasenmaskentypen werden "Schnork" genannt. Dank ihrer mutierten Sehnen können sie bis zu drei Meter hoch springen.
gezielte Umzingeln oder Flankieren, sondern auch das nachvollziehbare Stürmen von Gebäuden. Das wird auch in den Arenakämpfen deutlich: Im Lager der Wächter kann man sich wie ein Gladiator bis ins Finale schießen. Alles beginnt mit einfachen Banditen, mal ist man zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen oder bekommt eine schlechtere Waffe. Hier agieren die Feinde leider viel zu vorhersehbar - man braucht im Grunde nur an einer Position warten und dann schießen. Das ändert sich in höheren Klassen, wenn die Feinde endlich auch mal um euch herum gehen wollen. Aber das Gewinnen ist selbst im Finale mit einem Messer und vier Granaten gegen einen hoch gerüsteten Elite-Soldaten mit Hightechgewehr zu einfach.

Ein anderes Beispiel aus dem Kampfalltag im Gelände: Man hat in einem Militärlager (!) einen Alarm ausgelöst, zieht sich in ein von allen Seiten über Fenster sowie eine Tür zugängliches Gebäude zurück, die Wachmannschaft stürmt heran.

Bis hierher ist alles okay, aber das Militär versagt dann auf ganzer Linie wie eine suizidfreudige Lemmingfamilie: Anstatt Granaten in das Gebäude zu werfen, mit Feuerschutz vorzugehen oder Scharfschützen einzusetzen, dackeln alle einzeln zur einzigen Öffnung und werden Mann für Mann von mir niedergemäht, bis sich die Leichen zu einem kleinen Hügel der Dummheit türmen. Schade, denn hier verspielt man einiges des authentischen Flairs. Dass die KI keine Granaten einsetzt ist ebenso ärgerlich wie ihr fehlender Hang zur organisierten Verfolgung - sie verharren zu statisch. Außerdem gibt es hin und wieder Aussetzer wie mit dem Rücken zu euch wartende Feinde oder unlogische Skripte wie Angriffe im Dunkeln ohne Nachtsichtgeräte, bei gleichzeitig zielsicherem Geballer.

Wer Rainbow Six: Vegas kennt, wird sich hier unterfordert fühlen, zumal man irgendwann auch die Positionen der Feinde in bekannten Gebieten kennt: Säubert man die Stadt vom Militär, das mit Scharfschützen auf einem Parkhausdach wartet, kann man sicher sein, dass sie am nächsten Tag wieder dort lauern. Und man kann sie erneut aus derselben Position heraus wie die Fliegen abschießen, sie danach erneut plündern. Immerhin serviert euch das Spiel nicht immer dieselben Banditen oder Monster, man merkt, dass nach einiger Zeit gewechselt wird.

Was bietet das Finale? Was hat es mit der Wunschgönnermaschine auf sich? Stalker spielt mit eurer Neugier und serviert ein erzählerisch interessantes Abenteuer.
Trotz aller Kritik im taktischen Detail: Das Figurenverhalten ist unterm Strich keine Katastrophe, denn auch ohne Finesse wird euch die KI tausend Tode sterben lassen. Und in manchen Bereichen ist es auch überaus gelungen. Man kann beobachten, wie Militärs eine Gegend im Zickzack durchkämmen und sich gegenseitig schützen. Und vor allem das schnelle Schießen aus der Deckung heraus wird euch Kopfzerbrechen bereiten. Es gibt sogar ein Fluchtverhalten bei Tieren: Einzelne Hunde fliehen, sobald ihr sie anschießt - sehr schön. Erst, wenn sie sich in einer großen Meute oder in der Nähe ihrer Beute befinden, greifen sie euch wild an.

Musik & Lokalisierung

Die Lokalisierung ist durchweg gelungen: Ich liebe den russischen Akzent der deutschen Sprecher. Und es ist eine gute Entscheidung gewesen, nicht alle Sprüche der Nebenfiguren aus dem Russischen zu übersetzen - so fühlt man sich sehr schnell in einer anderen Welt. Allerdings ist mir nicht ganz klar, warum man bei der Vertonung mancher wichtiger Gebiete so sehr auf akustische Wiederholungen gesetzt hat: Warum höre ich z.B. im Labor von Prof. Sacharow so oft, so pentrant dieses dämliche "Hallo, hallo?". Da man sich hier gezwungener Maßen häufiger aufhält, geht einem dieses Gebrabbel einfach auf die Nerven.

Dafür ist die bittersüße Musik über alle Zweifel erhaben: Die Titelmelodie entführt euch mit ihren Streichern direkt in eine Welt der Tristesse. Sie ist episch, langsam, aufwühlend. Aber sie deutet mit ihren lieblichen Untertönen an, dass zwischen all dem Grau und Tod noch irgendwo ein Fünkchen Hoffnung besteht. Ein Stückchen Heimat im Schrecken wird auch schnell die weibliche Stimme im Wächterlager, die aus den Lautsprechern singt. Dazu tragen auch die kleinen Gesänge der anderen Stalker bei, wie "Schwarzer Rabe" & Co.

       

Fazit

Das Grauen hat mich an der Gurgel gepackt und bis zum Finale nicht mehr losgelassen. Wer bin ich? Was verbirgt sich in der Zone? Ich konnte für einige Tage voll und ganz in der postatomaren Ukraine untertauchen. Das Team von GSC hat nicht nur das Kunststück vollbracht, die Gegend um Tschernobyl unheimlich authentisch und nachvollziehbar darzustellen - diese wunderbare Landschaft mit ihren peitschenden Winden, diese deprimierenden Plattenbauten und diese vor Radioaktivität und Mutanten fast berstenden Keller! Viel wichtiger ist: All das wirkt lebendig. Man fühlt sich ständig von kleinen und großen Ereignissen umgeben, fühlt sich als Gezeichneter wie von Big Brother beobachtet. Survival-Horror trifft auf offene Erkundung, Rollenspiel trifft auf Shooter - eine fast perfekte Symbiose. Aber: Ein Abenteuer, das mich dermaßen oft in Schussgefechte verwickelt und das mit dem Nymbus von Spezialeinheiten spielt, muss in Sachen Kampfverhalten und KI einfach bessere Routinen servieren. Hinzu kommen enervierend lange Laufwege, viele geklonte Figuren und ein eher unbefriedigendes Fähigkeiten- und Fraktionensystem. Man hat den Rollenspielansatz lobenswert verfolgt, aber einfach nicht konsequent zu Ende gedacht. Vor allem im letzten Drittel zeigen sich die Schatten des einfachen Shooters. Zugegeben: Für ein Meisterwerk hat es nicht gereicht. Aber letztlich kann die Spielwelt trotz dieser Mängel bis zum Schluss faszinieren. Letztlich wird man erzählerisch besser unterhalten als in Half-Life 2, erfährt mehr Nervenkitzel als in Doom 3. Das ist kein 08/15-Shooter von der Storystange, sondern ein markantes Abenteuer mit einer unheimlich intensiven Stimmung: Bittersüße Tristesse, militärischer Terror und die Fratze des verstrahlten Horrors.


(Der Multiplayermodus konnte bisher aus Zeitgründen nicht getestet werden. Anm. d. Redaktion.)

Pro

Rollenspiel trifft Shooter
riesige & lebendige Spielwelt
durchdachte Story
bedrückende Atmosphäre
klasse Schockmomente
interessantes Szenario
gute Zwischensequenzen
bizarre Mutanten & Monster
authentische Architekturen
fast spürbares Wetter
Hör- und Sichtweite wichtig
hilfreiche interaktive Karte
gute deutsche Sprachausgabe
wunderbar designte Landschaften
hervorragende Musikuntermalung

Kontra

sehr lange Laufwege
kein Teamkampfverhalten
einige stupide KI-Skripte
hohe Systemanforderungen- Rollenspielansatz nicht konsequent verfolgt
viele geklonte Figuren

Wertung

PC

Tristesse. Terror. Horror. Dieses Abenteuer packt euch an der Gurgel, Spannung pur bis zum Finale!

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