Im Test:
Die Idee
Um wie so oft im Genre einen Flop zu vermeiden, konnte der französische Spiele-Produzent für Syberia einen großen Namen engagieren: Benoit Sokal, den Comic-Autor und Schöpfer von Amerzone. Dieser kündigte eine atemberaubende Reise kreuz und quer durch ein fiktives Europa an, von Valadilene in den französischen Alpen über das märchenhafte Barockstadt bis ins ferne russische Komkolzgrad und nach Aralbad - garniert mit den skurrilsten Charakteren, die man sich nur vorstellen kann. Die Rätsel sollten anspruchsvoll, aber auch zugleich einsteigerfreundlich sein. Darüber hinaus wurden Innovationen noch und nöcher versprochen...dass derart hohe Erwartungen nicht erfüllt werden konnten, musste eigentlich von Anfang an jedem klar sein.
Die Story
Die Story rangiert irgendwo zwischen Jules Verne, Pinocchio und Bladerunner: Seit Jahrhunderten stellt die Familie Voralberg mechanisches Spielzeug her. Das Geschäft läuft jedoch zusehends schlechter, denn im Zeitalter der Next-Generation-Konsolen scheint niemand mehr die aufwändigen Spielautomaten haben zu wollen. Die Chefin, Anna Voralberg, versucht trotzdem so gut es eben geht, die Firma am Laufen zu halten. Doch dann interessiert sich unverhofft ein amerikanischer Spielzeug-Großproduzent für die Fabrik und schickt die Anwältin Kate Walker, um Anna ein Kaufangebot zu unterbreiten. Als Kate in Valadilene eintrifft, muss sie feststellen, dass Anna Voralberg leider kurz zuvor verstorben ist. Einziger Erbe des Unternehmens ist ihr Bruder Hans, der aber vor langer Zeit auf mysteriöse Weise verschwand...
Das Gameplay
Hier beginnt das eigentliche Spiel, in dessen Verlauf Kate das Geheimnis um den Verbleib von Hans Voralberg klären muss. Vom Spielprinzip her ist Syberia ein klassisches Point & Click-Adventure: Immer auf der Suche nach neuen Hinweisen arbeitet Ihr Euch in 3rd-Person-Perspektive und per Maus durch den viel zu linearen Handlungsstrang. Wehe dem, der sich abseits der festgefahrenen Pfade begeben will. Solch ein Missverhalten quittiert die brünette Hauptdarstellerin flapsig mit einem: "Dahin muss ich nicht!" oder "Das brauche ich nicht!" Sie nicht, aber ich vielleicht, denkt sich mancher traurig.
Das Gameplay ist dabei allenfalls durchschnittlich, denn auch die wenigen Interaktionen gehen keinesfalls über das Normalmaß eines mittelprächtigen Adventures hinaus. Wer denkt, dass in Syberia mehr Gespräche zu führen seien als etwa in Myst III: Exile oder im vielfach überschätzten Amerzone, der irrt sich gewaltig. Abgesehen von wenigen festgelegten Gesprächsthemen herrscht bei den meisten NPCs Funkstille, was dazu führt, dass die Charaktere ohne Tiefe bleiben. Man ist halt unter Automaten, die von Natur aus holzschnittartig sind. So bleibt auch die angebliche Entwicklung der Kate von der Karrieristin zum netten Menschen blass.
Auch die viel zu simplen Puzzles, die Einsteigern das Rätseln erleichtern sollen, sind eigentlich kein Kaufargument für Syberia. Logik-Rätsel light: Zumeist gilt es, die wenigen eingesammelte Gegenstände andernorts wieder anzubringen. So findet Ihr beispielsweise vier Lochkarten, von denen Ihr eine in den richtigen Schlitz stecken müsst, schwierig, schwierig, ob Ihr das wohl hinbekommt...? Gelegentlich dürft Ihr auch die NPCs um Hilfe fragen, bisweilen sogar mehrmals hintereinander - verschärft! Derart infantiles Gerätsele verspricht zwar schnellen Erfolg, wird aber auch recht schnell langweilig. Ganz selten sind die Rätsel auch an den Haaren herbei gezogen, was zwar eine Abwechslung aber sicher nicht besser ist. Das gehobene Niveau von Myst III erreicht leider keines der Puzzle.
Die Atmosphäre
In punkto Grafik präsentiert Benoit Sokal natürlich sein ganzes Können: Syberia bietet wohl mit die großartigste Optik, die es je in einem Adventure gab, teilweise sogar mit 3D-Effekten. Zuerst sind die atemberaubenden gerenderten Hintergründe zu erwähnen, die dem Spiel einen märchenhaften Glanz verleihen. Allein die ungewöhnliche, jugendstilartige Architektur sorgt für eine fast unwirkliche Stimmung. Uns ist es diesmal sogar schwer gefallen, eine Auswahl an Screenshots zu treffen, da diese allesamt Hingucker sind. Echtzeit-Effekte wie glitzerndes Wasser oder aufsteigender Rauch bringen genau so wie die gelungenen Kamerawechsel Bewegung in die Szenerie. Mehrere Auflösungen und Effekte wie Kantenglättung sind wählbar. Toll sind auch die gerenderten Videos, welche eindrücklich die Handlung vorantreiben.
Fast ebenso gelungen ist das klassische Thema, das gleichsam als Erkennungs-Melodie von Syberia gespielt wird. Habt Ihr ein Rätsel richtig gelöst, so ertönt praktischerweise jedes Mal eine Melodie. Viele lebensechte Geräusche, wie das Zwitschern von Vögeln, hauchen dem Adventure wenigstens etwas an Vitalität ein. Die Lokalisierung und die deutsche Sprachausgabe sind professionell und ohne Übersetzungsfehler erfolgt. Wer lieber Untertitel möchte, kann diese auf Wunsch einschalten. Trotz gelungener Optik und dem tollen Sound wirkt Syberia jedoch wie die meisten Mystery-Adventures seltsam leer und künstlich.
Fazit
Syberia gehört ohne Zweifel in die Schublade "Außen hui, innen pfui!", in der sich schon so manches Grafik-Adventure tummelt. Trotz atemberaubender Optik und gutem Sound schafft es das Abenteuer aus dem Hause Microids einfach nicht, inhaltlich zu überzeugen: Die Rätsel sind lächerlich, die Interaktionen mau und die schön dargestellte Spielwelt wirkt seltsam leer. Auch die angekündigte Charakterwandlung bei Kate Walker bleibt doch nur oberflächlich. Dass es Benoit Sokal trotz des immensen Aufwands nicht gelingt, ein überzeugendes und innovatives Spiel abzuliefern, verwundert angesichts seines zumindest inhaltlichen Versagens bei Amerzone eigentlich nicht. Sokal bleibt eben ein genialer Zeichner und Visionär, Gameplay und ausgefeilte Story waren nie sein Ding. Trotz alledem kann man Syberia zumindest den Hardcore-Fans, die einfach alle Adventures haben müssen, eingeschränkt empfehlen - besser als manch billige Massenware ist es allemal!
Pro
Kontra
Wertung
PC
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