Patrizier 410.09.2010, Bodo Naser
Patrizier 4

Im Test:

Auch in Patrizier IV dreht sich alles darum, ein echter Pfeffersack zu werden, der sich dann in die lokale Politik der Hanse einmischt. Die bei Kalypso erschienene Wirtschaftssimulation setzt dabei auf Evolution statt Revolution - große Veränderungen scheint es auf den ersten Blick nicht zu geben. Kann der im Detail modernisierte Trip ins Mittelalter trotzdem motivieren?

Logistik in früheren Zeiten

Im Mittelalter gab es eigentlich nur einen sicheren Handelsweg - den per Schiff. 

Man kommt ganz schön rum im mittelalterlichen Europa. Neben dem Meer kann man auch Flüsse wie den Rhein befahren, der einen nach Köln führt. 
Mangels gescheiter Straßen war der Wasserweg der einzige, mit dem sich auch größere Mengen auf weitere Entfernung transportieren ließen. Für Schüttgut wie Getreide oder sperrige Waren wie Holz war der Landweg auch deshalb ungeeignet, weil er unzuverlässig war. Die Handelsstraßen waren seit der Römerzeit nicht mehr erneuert worden und zwischen den befestigten Orten lauerte Gesindel, das einem das letzte Hemd raubte. Was blieb waren Meer, Seen und Flüsse - die nur von wenigen Piraten heimgesucht wurden und zudem kostenlos zur Verfügung standen. Kein Wunder also, dass die Hanse hauptsächlich aus See- und Binnenhäfen bestand. Keine Regel ohne Ausnahme - so wurde das schmucke Einbeck 1368 Mitglied der Hanse, obwohl es an keinem großen Fluss lag.

Alle 300 Städte, die jemals Mitglied der berühmten Handelsorganisation waren, kommen in Patrizier IV zwar nicht vor. Aber man kann die 32 wichtigsten Häfen von London über Bergen, Hamburg, Danzig bis Riga anlaufen. Die bedeutendste Hansestadt an der Ostsee war Lübeck, wo auch die einzige Kampagne des vierten Teils beginnt. Leider darf man nur im freien Spiel einen anderen Heimathafen wählen, denn Lübeck bietet eigentlich bis auf seine zentrale Lage zwischen den Meeren wenig. Es gibt zwar Salz, Nahrung und Bier, aber das so wichtige Holz für die Schiffsbauten muss man von weit her holen. Das heute polnische Thorn ist da schon besser dran, da es mitten im Wald liegt, Pech, Honig und Holz produziert und sogar ab und an Gewürze auftauchen.

Rückkehr an vertraute Gestade

Von der erste Minute an kommt einem vieles vertraut vor: Die mittelalterlichen Handelswaren wie Stockfisch, Hanf oder Tuche,

Unter der Fuchtel der Gilde. Für alles und jedes braucht man eine oft teure Erlaubnis der Kaufmannsvereinigung.
der lukrative Ostwest-Handel mit Luxuswaren wie Pelze, Wein und Gewürze oder die sofortige Investition des Profites in Produktionsstätten und Wohnhäuser. Das Wiedersehen ist durchaus freudig, denn man hat das Szenario vermisst. In keinem anderen Spiel ließ sich der Aufstieg vom einfachen lokalen Händler zum Eldermann der Hanse derart eingängig nachvollziehen. Wer erinnert sich nicht gerne an seine erste eigene Kogge, die Belagerung des Landesfürsten oder die Wahl zum Bürgermeister, das so etwas wie der Ritterschlag für Händler darstellte?

Das meiste davon lässt sich jetzt wieder erleben, denn das Spiel wurde nur ganz behutsam verbessert. Dafür haben die Gaming Mind Studios gesorgt, bei denen Leute arbeiten, die auch schon für die Vorgänger und Port Royale verantwortlich waren. Zudem hatten die Entwickler immer ein Ohr für die Patrizier-Fans, deren Vorschläge einflossen. So gibt es nun Konkurrenten, die man hinter sich lassen muss, um beliebtester und reichster Händler zu werden. Leider konnte hier nicht alles umgesetzt werden, so dass bislang noch interessante Dinge wie die eigene Familie oder auch ein Multiplayer fehlen. Einiges davon soll aber per Patch nachgeliefert, wie das erste Update beweist. Aber auch ohne diese Zusatzinhalte macht Patrizier IV durchaus Spaß.

Vereinfachter Warenaustausch

Eine Konzession an die neue Zeit ist, dass der Handel etwas einträglicher ist,

Salz in der Suppe: In jedem Hafen gibt es was zu handeln. Was die einen im Überfluss haben, fehlt anderen wieder gänzlich.
so dass man nicht mehr so lange braucht, bis sich der Geldbeutel spannt. Zwar gibt es immer noch dieselben Waren und Handelsstädte wie beim Vorgänger, aber selbst kürzere Fahrten lassen die Kasse klingeln. Man kann zwar immer noch Felle von Nowgorod nach Hamburg fahren, was auch viel einbringt. Meist reicht es aber, wenn man sich anschaut, was eine Stadt produziert und was sie benötigt. So fehlt in London fast immer Wolle, in Lübeck Holz und in Stockholm wird viel Bier getrunken. Auf der anderen Seite wollen alle Salz, Met und Korn, so dass man einträgliche Routen planen kann. Wem das ewige Hin und her zu mühsam ist, der kann seine Schiffe auch automatisch fahren lassen, was allerdings ein wenig komplex zum Einstellen ist.

Zwar gibt es nicht alle zeitgenössischen Waren, aber dafür spielen Gewürze eine zentrale Rolle, denn sie kann man irgendwann per Expedition aus fernen Landen holen. Auch die Jahreszeiten machen sich bemerkbar, denn im Winter kommt es fast regelmäßig zu einer Knappheit von Getreide im Norden. Leider legt sich eine Eisschicht übers Land und mancher Hafen friert sogar zu, so dass man die benötigte Nahrung gar nicht nach mehr hinschippern kann. Nicht nur die Preise werden nach Angebot und Nachfrage bestimmt, es kommt auch zu Ereignissen wie Missernten oder Belagerungen, die den Preis erhöhen. Zum einen wird man fast als Held gefeiert, wenn man die seit Wochen ersehnte Ware endlich liefert. Andererseits sinkt das Ansehen, wenn man Waren kauft, die in der Stadt selbst knapp sind. Blinklichter sorgen dafür, dass man weiß, was man "gefahrlos" kaufen kann.

                             

Ruhm und Kaufmannsehre

Das Ansehen spielt auch bei mancher Aufgabe eine Rolle,

Der Aufstieg zum Kaufmann geht schrittweise voran, wobei jeder seine persönliche Geschichte schreibt.  
denn man muss es bisweilen verbessern, um ein Ziel zu erreichen. Überhaupt sind die Ziele ganz unterschiedlicher Natur: Mal muss man eine Summe Geld scheffeln, ein Gebäude bauen oder seine Flotte erweitern. Bisweilen muss auch nur eine automatische Route einrichten, um weiter zu klommen. Das erinnert eher an ein Tutorial und ist selbst auf dem schweren der drei Schwierigkeitsgrade zu einfach. Es gibt aber auch Quests, wo man etwa zum Fernkaufmann aufsteigen muss, was schon einige Zeit dauern kann. Allerdings muss man selten richtig grübeln oder über wirtschaftliche Strategien brüten - das bleibt die Ausnahme: So soll man in einer anderen Stadt ein Kontor errichten, wofür man ein bestimmtes Ansehen innerhalb der Gilde erreichen muss. Wie soll das gehen, wenn man nix bauen kann?

Eine Neuerung ist, dass es virtuelle Konkurrenten gibt, die man überflügeln muss. Es gibt eine Reihenfolge, wer der beliebteste Händler in jeder Stadt, wer am meisten Arbeiter hat und wer am reichsten ist. Wenn man in einer Stadt tätig ist, wird man öfters von den Gegnern angepflaumt, deren Gesichter etwas eckig aussehen. Man solle doch verschwinden, da sie sich schon alles gesichert hätten. Allerdings bleibt es bei den Lippenbekenntnissen, denn die Konkurrenz hat wenige Möglichkeiten, einem eins auszuwischen. Man kann sie nicht wie bei Die Gilde anschwärzen oder gar überfallen lassen, so dass das alles sehr passiv wirkt. Die Sabotage soll auch erst mit dem ersten Update Einzug halten, das aber wegen Fehlerhaftigkeit zurückgezogen wurde. So machen die Kollegen derzeit noch einen zahnlosen Eindruck.

Eins nach dem anderen

Der persönliche Aufstieg bringt trotz der wenig präsenten Konkurrenz Spaß, auch weil der Ausbau der Städte interessant ist.

Das Innere der Stadtmauern füllt sich immer mehr. Später darf man gößere Bauten in Auftrag geben.  
Auch hier gilt eine strenge Reihenfolge, denn zu Beginn darf man nur die einfachen Gebäude bauen wie Bauernhöfe, Lagererweiterung oder Wohnhäuser. Später dann auch ne Brauerei, wenn man die entsprechende Lizenz der Gilde bekommt. Wer irgendwann Bürgermeister wird, darf auch was für die Stadt tun, denn darf er ein besseres Dock für größere Schiffe, eine Kirche oder gar eine Universität bauen, was für zusätzliche Motivation sorgt. Daneben gibt es auch Schutzbauten wie Mauern, die dem gierigen Landesherren eine Belagerung erschweren. Leider ist es mit dem Scrollen in der Bauansicht vorbei, denn sie hängt, wenn man nach rechts strebt: So muss man über die Minikarte den Ort wählen, anstatt bequem direkt dorthin zu kommen.

Die produzierten Waren bringen noch mehr Gewinn als die gekauften, auch wenn man bisweilen Rohstoffe braucht. So braucht man beispielsweise Holz, um Pech zu kochen - die Produktionsketten bleiben aber meist recht kurz. Die produzierten Waren kommen in das Kontor, wo man sie verkaufen oder verschiffen kann. Hier muss man genau aufpassen, denn das Menü wechselt nicht immer automatisch zum gerade Wichtigen. So ist oft noch das zuletzt angeklickte Schiff gewählt, wenn man einen Hafen betritt, obwohl da ein anderes ist. Dann wundert man sich, warum man nix verkaufen kann. Auch die große Karte mit Nord- und Ostsee hängt öfters, so dass man nicht nach ganz rechts scrollen kann. Hier wie in der Stadtansicht hilft die Minikarte, um Nowgorod zu sehen. Allerdings sind Städte darauf winzig, so dass man häufig daneben tippt.

Koggen der Hanse

Auch die historischen Schiffe entsprechen dem, was man aus den Vorgängern kennt.

Jede Handelsreise beginnt mit dem Schiffbau. Wer hier das Falsche in Auftrag gibt, wird sein blaues Wunder erleben. Für Kämpfe muss man gerüstet sein.
Zu Beginn fährt man Schnigge, Kraier und Kogge, später kommen noch andere dazu, wenn man sie erforscht. Wer mit seinen fetten Hansekoggen in die Flüsse fahren will, etwa um nach Thron zu segeln, wird gestoppt. Denn hier kommen nur Schiffe mit geringem Tiefgang durch, wie das auch schon vom Vorgänger war. Erst später löst die Flusskogge das Problem, das keines ist, denn die Kapazität reicht eigentlich immer. Dass man etwas da lassen muss, weil der Platz nicht reicht, kommt nicht vor - schon eher geht die Ware aus. Allerdings wird der Raum enger, wenn man Kanonen einbauen lässt. Zum Kriegschiff wird die Kogge aber erst, wenn sie dafür zugewiesen wurde. Nun spielen endlich auch die Kapitäne eine Rolle, da sie die Kampfkraft der Flotte und ihre Wendigkeit beeinflussen.

Auch die Kämpfe gehen bei Patrizier erst dann los, wenn es Zeit dafür ist. Man hört zwar immer wieder von Piraten, aber man tastet sich langsam heran, wozu auch die Kampagne beiträgt, bei der man zuerst einen Feind vertreiben muss. Die Piraten sind wesentlich aktiver als die Konkurrenten, weshalb man irgendwann überfallen wird. Die Seeschlachten erinnern an Pirates!, wobei man sich auch umkreist und feuert. Anders als im Handbuch beschrieben läuft das Feuer automatisch, was natürlich weniger interessant ist. Der Wind spielt keine Rolle, aber immerhin darf man noch die Munition wechseln, was wichtig ist, wenn man den Feind versenken will. Da die Piratenschiffe schlecht gewartet sind, kann man sie auch in Unterzahl niederringen. Unterm Strich ist der Seekampf recht simpel, da vieles von selbst läuft.

           

Grafisch vertraut

So wurde das Spiel vor allem äußerlich modernisiert,

Mittelalterliche Idylle. Die Stadtansicht kann sich sehen lassen, ohne zu protzen.
wobei aber eher ein gelungener Kompromiss aus Alt und Neu heraus kam. Zum Glück keine quietschbunte Grafik, wie man sie oft bei Neuauflagen ertragen musste zuletzt auch bei M.U.D. TV. Hier ist alles in gedeckten Tönen gehalten, die auch besser zum Mittelalter passen. Konservative werden sich denken, dass alles beim Alten geblieben ist, und Modernisierer werden die grafischen Details loben, die insbesondere in den Städten zu sehen sind. Deren 3D-Grafik ist ebenfalls sehr dezent gehalten. Obwohl es Bettler in den Straßen gibt, hat man nicht versucht, den Wuselfaktor von Die Siedler zu kopieren. Leider gibt es auch hier einige Fehler wie Grafikflackern, wenn man die Stadt betritt. Zudem sollen die Hafenkräne noch per Patch animiert werden, was aber ein zu vernachlässigendes Detail ist.

Ungeziefer an Bord

Das Spiel wird leider von allerhand Bugs und Fehlerchen geplagt. Zum Glück ist davon das Handelssystem kaum betroffen, so dass man lange spielen kann, ohne auf Ungereimtheiten zu treffen. Es gibt technische Fehler wie Grafik-Stolpern oder dass Patrizier IV auf Win 7 ab und an nicht starten will. Oder es gibt kleinere inhaltliche Unzulänglichkeiten, etwa dass man zwar in der Kirche für die Familie beten darf, es aber derzeit gar keine Familienfunktion gibt. Das widerspricht ebenso der Logik wie auch der vorkommende Ablasshandel, denn man muss zahlen, obwohl man nachweislich noch gar nichts gemacht hat. Es gibt ja kaum Möglichkeiten, Sünden zu begehen, so wurde etwa keine Flotte zum Piratenschiff umfunktioniert, was ein Verbrechen wäre.

Das ist nicht das Einzige, was im Ansatz stecken bleibt: Wofür die verschiedenen Bevölkerungsschichten eigentlich gut sind, wird nicht klar. Man hat eigentlich nie Probleme, die richtigen Arbeiter zu finden, so dass auch die Armenspeisung ihren Zweck verfehlt, neue Bettler anzuziehen. Auch das Verhältnis der Wohnhäuser zur Bevölkerung wird nicht deutlich, da man auch gut ohne sie auskommt, denn es gibt genug Häuser in der Stadt. Auch die Forschung, mit deren Hilfe man neue Schiffstypen erforschen kann, ist alles andere als nützlich. Sie kommt viel zu spät, da erst der Bürgermeister eine Klosterschule zur Uni umbauen darf. Dafür muss man aber Stunden gespielt haben, so dass mancher diesen Punkt gar nicht erreichen dürfte.

      

Fazit

Patrizier IV ist eine gelungene Neuauflage, da sie von der ersten Minute an den Geist der Vorgänger aufleben lässt. Da ist die mittelalterliche Welt der Krämerseelen, das bürokratische Gildenwesen und schließlich die unersättliche Hanse, bei der man sich erst einen Namen machen muss. Der lukrative Handel und kleinere Reisen bringen Profit, der das Konto allerdings schneller anschwellen lässt, als man das vom Klassiker kennt. Immerhin wurde nicht sämtlicher Anspruch auf dem Altar der Zugänglichkeit geopfert, auch wenn man während der einfachen Kampagne öfters diesen Eindruck gewinnen kann. Der persönliche Aufstieg als Kaufmann bleibt zum Glück schwer genug, auch wenn man hierfür nicht mehr Wochen wie früher, sondern nur noch Tage braucht. Echte Neuerungen findet man kaum - und wenn, sind sie nicht konsequent integriert: Die Konkurrenten sind zwar gut gemeint, aber letztlich viel zu harmlos. Eine Herausforderung sind da schon eher die Piraten, die einen zwar nicht ruinieren, aber doch Nadelstiche versetzen. Leider verhindern mancher Bug, einige inhaltliche Widersprüche und das Debakel mit dem ersten Update eine noch höhere Wertung. Da keiner der Fehler das Weiterspielen verhindert und sich im weiteren Verlauf interessante Möglichkeiten wie Expeditionen ins Mittelmeer eröffnen, läuft die Kogge letztlich aber noch in einen guten Hafen.

Pro

motivierender Aufstieg
lässt Mittelalter wieder aufleben
dynamisches Wirtschaftssystem
Konkurrenten überflügeln
Routen automatisieren
Jahreszeiten spielen eine Rolle
Piraten abwehren

Kontra

Kampagne oft zu simpel
keine großen Neuerungen
vieles erst im Patch nachgeliefert
Konkurrenten recht harmlos
manches bleibt im Ansatz stecken
einige Bugs
kein Multiplayer

Wertung

PC

Mit dem vierten Teil der Reihe macht das Handeln wieder Spaß, auch wenn es von Piraten, Konkurrenten und Bugs getrübt wird.

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