Afterfall: Insanity10.05.2012, Michael Krosta
Afterfall: Insanity

Im Test:

Eine Gesellschaft, die vom Wahnsinn befallen wird? Klingt ein bisschen nach Bioshock. Düstere Gänge, flackerndes Licht und entstellte Mutanten? Dead Space lässt grüßen. Ein Leben auf und unter der Erde nach der nuklearen Apokalypse? Hallo Fallout, hallo Stalker. Afterfall Insanity orientiert sich an einigen Hits, aber kann es die Stärken der Vorlagen auch vereinen?

Seelendoktor

Die Welt liegt in Trümmern, ein Großteil der Oberfläche ist nuklear verstrahlt. Es sind die üblichen Folgen eines Atomkriegs, der die Überlebenden dazu zwingt, sich in unterirdische Bunkeranlagen zurückzuziehen. Hier sieht die Situation im Jahr 2032 aber gar nicht so übel aus, wie man sie nach post-apokalyptischen Vertretern wie Rage oder Metro 2033 erwartet: Statt Not und Elend in heruntergekommenen Barracken sowie einem verzweifelten Kampf ums Überleben, finden sich hier hübsch eingerichtete Appartements, Einkaufszentren und sogar Bars. Also alles halb so wild? Nicht ganz - warum sollten Psychologen wie Albert Tokaj sonst so gefragt sein? Es gibt trotz der Fassade der Normalität noch genug Ängste und Sorgen, die die Menschen unter Tage quälen.

Doch nicht nur die Patienten, sondern auch Albert leidet seit geraumer Zeit an psychischen Problemen, bei denen sich Schlafstörungen und Alpträume die Hand geben. Und auch in den unteren Quartieren der mächtigen Anlage scheint sich etwas zusammen zu brauen: Berichte von ausgetickten Mechanikern und durchgeknallten Wissenschaftlern rufen den Kommandanten des Militärregimes auf den Plan, der ausgerechnet Albert mit der Mission betraut, den seltsamen Vorkommnissen nachzugehen. Doch was ihn dort erwartet, übersteigt seine schlimmsten Befürchtungen…

Die etwas andere Therapie

Verschollen?

Eigentlich sollte Afterfall Insanity bereits im letzten Jahr erscheinen - und das sowohl als Download als auch im regulären Handel. Zwar wird der Titel immer wieder auf Plattformen wie Amazon gelistet und die bevorstehende Veröffentlichung in Pressemitteilungen angekündigt, doch bekommt man die internationale Fassung derzeit nur über Origin (ab 23 Uhr) und Gamersgate. Ob und wann eine (lokalisierte) Fassung im Handel erscheint, ist also weiterhin offen. Wenn wild gewordene Typen mit Schraubschlüsseln, Hämmern sowie anderen Werkzeugen auf den Seelendoktor zustürmen und dabei völlig psychopathische Laute von lautem Gebrüll über krankes Gekicher von sich geben, ist die Zeit offensichtlich vorbei, ihnen den Wahnsinn in einer netten Therapiesitzung bei Kaffee und Kuchen auszureden. Albert ist auf den ersten Blick also der völlig falsche Mann für den Job, der bei bewaffneten Spezialeinheiten besser aufgehoben wäre. Doch zur Überraschung schlägt sich der Psychiater im wahrsten Sinne des Wortes ganz gut, sobald er sich neben seinen Fäusten ebenfalls mit Brecheisen, Feueraxt & Co zur Wehr setzt.

So erinnert Afterfall Insanity am Anfang an einen bundesweit beschlagnahmten Psycho-Titel von Monolith, in dem ebenfalls blutige Nahkämpfe im Vordergrund standen. Auch hier geht es hart zur Sache, wenn Albert ordentlich austeilt und die Widersacher bei spritzendem Lebenssaft einen Kopf kürzer macht. Dumm nur, dass fast jede Auseinandersetzung mit dieser Animation endet - und sogar dann, wenn man das Oberstübchen gar nicht anvisiert. Alternativ lassen sich Gegner auch mit einem Finishing-Move zu Tode trampeln, wenn sie erstmal zu Boden gegangen sind, doch auch hier sind ständige Wiederholungen vorprogrammiert.

Simples Kampfsystem

Panik unter den Wissenschaftlern: Ein Mutant betritt das Labor!
Panik unter den Wissenschaftlern: Ein Mutant betritt das Labor!
Das Kampfsystem fällt simpel aus - egal, ob man mit dem 360-Controller oder der Kombination aus Maus und Tastatur spielt, wobei ich Ersteres vorziehen würde. Per Tastendruck visiert man den Gegner an und kann in anschließend vermöbeln. Trotz einer zusätzlichen Funktion zum Blocken wirken die Keilereien nicht besonders dynamisch, da zum einen die Attacken meist nur sehr langsam ausgeführt werden und zum anderen die Animationen sehr abgehakt und billig rüberkommen.   

Jede Nahkampfwaffe unterscheidet sich hinsichtlich Schaden, Geschwindigkeit und Blockfähigkeiten. Leider erfährt man beim Aufsammeln nicht direkt die Vor- und Nachteile im Gegensatz zum aktuellen Schlaggerät - hier hätte man sich besser ebenfalls an Monoliths Psychotrip halten sollen. Stattdessen muss man hier den umständlichen Umweg über den PDA gehen: Dieser erlaubt nicht nur einen Blick in die Personalakten von Freunden und Gegnern, aufgenommene Notizen und Sprachaufnahmen sowie die aktuellen Missionsziele, sondern eben auch das Waffenarsenal mit all seinen Vor- und Nachteilen. Leider nutzen sich die Waffen nicht mit der Zeit ab - ein Faktor, der Afterfall durchaus bereichert hätte.          

Orientierungslos

Am Anfang setzt man sich vorwiegend im Nahkampf zur Wehr - später werden Äxte & Co von Schusswaffen abgelöst.
Am Anfang setzt man sich vorwiegend im Nahkampf zur Wehr - später werden Äxte & Co von Schusswaffen abgelöst.
Was ich trotz des meist sehr linearen Spielablaufs vermisst habe, sind eine Karte und deutliche Hinweise, wohin ich mich begeben muss. Zwar werden Schalter und andere Objekte markiert, sobald ich mich ihnen nähere, doch oft bin ich ziellos durch die Gegend gelaufen, weil ich nicht genau wusste, was ich machen sollte, was in Abschnitten unter Zeitdruck den einen oder anderen Neuversuch erfordert hat. In solchen Momenten wird einem dann auch bewusst, dass sich die Entwickler um die Rücksetzpunkte scheinbar keine großen Gedanken gemacht haben, denn besonders sinnvoll sind sie nicht platziert.

Bis auf die vereinzelten Orientierungsprobleme hält sich die Herausforderung in Grenzen: Kämpfe lassen sich bis auf die wenigen unspektakulären, aber hartnäckigen Bossgegner einfach meistern - vor allem, sobald man Schusswaffen wie MGs, Pistolen und Pump-Guns in den Händen hält, die die anspruchsvolleren Nahkämpfe dank großzügiger Munitionsverteilung viel zu schnell ablösen. Auch die eingestreuten Rätsel und Reaktionstests bringen die grauen Zellen kaum in Wallung. So verlässt sich das Hacken von Türen z.B. auf ein Trial & Error-Prinzip, bei man sich lediglich die Reihenfolge merken muss, in welche Richtung(en) man den Stick bzw. welche Tasten man zu drücken hat. Dazu gesellen sich ein paar Logikrätsel, die man allerdings schnell durchschaut hat, sobald man weiß, was man überhaupt machen muss. Leider lassen einen die Entwickler oft alleine und geben keine konkreten Anweisungen. Ansonsten reichen die Aufgaben von dämlich („Finde die Keycard, die genau zwei Meter neben dem Schloss liegt“) bis hin zu cool, wenn man für die Kombination aus Retina- und Fingerabdruck-Scanner erst einen abgetrennten Kopf sowie eine abgehackte Hand auftreiben muss. Insgesamt wiederholen sich gerade die Hacking-Elemente zu oft und es wird zu viel Potenzial verschenkt.

Wundersame Heilung

Bumm!Weglaufen braucht man nur selten - meist ist man gut gewappnet, um es mit den Gegnern aufzunehmen.
Das gilt auch für einige weitere Spielmechaniken, bei denen ich mich frage, warum die polnischen Entwickler von Intoxicate nicht mehr daraus gemacht haben. Nehmen wir z.B. die Taschenlampe, die sich jederzeit ein- und ausschalten lässt. Warum koppelt man sie nicht wie bei F.E.A.R., Alan Wake oder anderen Titeln an eine Batterie, die nur für eine bestimmte Zeit Energie liefert und sich danach wieder regenerieren muss? Eine solche Idee kam den Verantwortlichen lediglich beim Heilsystem: Genau wie bei Vorbild Isaac Clarke aus Dead Space wird der (in diesem Fall geistige) Gesundheitszustand ebenfalls an einem Bereich der Kleidung sichtbar, doch benötigt Albert keine Heilpakete oder Medikamente, um sich wieder fit zu machen. Stattdessen stellt er sich nur ein paar Sekunden in eine Ecke und wird wieder gesund. Hier schleppt man sich nicht halbtot durch die Gänge, bei jedem Geräusch den Angstschweiß auf der Stirn, von einem Psychopathen oder Mutanten angefallen zu werden. Hier geht nicht einfach das Licht aus, weil man keinen Saft mehr für die Taschenlampe hat. Kein hilfloses Kauern in der Dunkelheit. Stattdessen werden die dramaturgischen Chancen vergeben und weichen einem überwiegend vorhersehbaren Weg durch die Gänge der Bunkeranlage.

Erst in der zweiten Hälfte der ca. achtstündigen Kampagne geht es auch an die Oberfläche, wo das Spiel endlich etwas mehr Fahrt und Abwechslung gewinnt, wenn man sich z.B. aufgrund der tödlichen Sonnenstrahlen nur im Schatten bewegen darf. Trotzdem halten sich Überraschungen wie diese in Grenzen und der Ablauf sowie Mechanik unterscheiden sich zu wenig von den Missionen der Bunkeranlage. Auch die KI bleibt größtenteils dämlich - dabei macht es keinen Unterschied, ob man auf der Oberfläche oder im Untergrund auf mental gestörte Freaks, bewaffnete Spezialeinheiten oder entstellte Mutanten trifft. Egal, wohin man schaut: Man bekommt ständig das Gefühl, bei Afterfall Insanity in einem Dead Space oder Stalker zweiter oder gar dritter Klasse gelandet zu sein.

Durchwachsene Präsentation

Was passiert?
Also kein Grund zur Panik - selbst wenn man von mehreren Feinden umzingelt wird.
Dieser Eindruck spiegelt sich auch bei Technik und Präsentation wider: Zwar wirkt die düstere Kulisse dank großartiger Beleuchtung und mitunter fantastischen Lichteffekten stellenweise enorm atmosphärisch, doch sorgen immer gleich aussehende Gänge und Räume schnell für Ernüchterung - erst an der Oberfläche geht es bergauf und die Schauplätze werden etwas abwechslungsreicher. Dilettantisch sind dagegen die schlecht inszenierten Zwischensequenzen mit ihren leblosen und teilweise seltsam animierten Charakteren, die nur noch von den grenzwertigen Dialogen und grottigen Sprechern getoppt wird. Gerade Letztere sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass jeder Hauch von Dramatik im Keim erstickt wird!

Die Klangkulisse trägt ebenfalls ihren Teil dazu bei: Zwar sorgt der eine oder andere Soundeffekt am Anfang noch für kleine Schockmomente, doch nutzt sich das Element schnell ab. Das wirre Gekicher der Verrückten wirkt zudem ungewollt komisch anstatt ein Gefühl der Bedrohung zu schaffen, das hier auch im Zusammenspiel mit dem niedrigen Schwierigkeitsgrad sowie regenerativer Heilung generell viel zu selten entsteht. Und dann wäre da noch die Musik, die zu sehr melodische Ansätze verfolgt und diese immer wieder in kurze Schleifen packt, die sich ständig wiederholen. Warum hat der Komponist nicht versucht, mit verstörenden Klängen im Stil von Dead Space oder Silent Hill der angepeilten Horroratmosphäre Rechnung zu tragen? Hinzu kommt die schlechte Abmischung, unter der leider auch viele Großproduktionen leiden: Der Soundtrack ist oft viel zu laut und übertönt dabei die Dialoge, die man oft nur dank der optionalen Untertitel „verstehen“ kann.

Fazit

Es war ein ganz schön ambitioniertes Vorhaben, das die Entwickler mit Afterfall: Insanity verfolgt haben. Dass ein kleines unabhängiges Studio wie Intoxicated nicht über die finanziellen Mittel wie Triple A-Produktionen im Stil von Dead Space, Fallout & Co verfügen, ist verständlich. Von daher will ich dem Titel auch nicht groß ankreiden, dass sich Präsentation und Inszenierung nicht auf einem ähnlich hohen Niveau befinden wie die namhaften Vorgänger. Im Gegenteil, denn teilweise kann die Kulisse dank dem gekonnten Spiel mit Licht und Schatten sogar bei EAs imposanten Weltraumhorror mithalten. Doch wenn es ums Spieldesign und kreative Ideen geht, versagen die Polen im Gegensatz zu vielen ihrer Independent-Kollegen: Das Missionsdesign ist höchstens durchschnittlich und von Wiederholungen und damit Langeweile geprägt, die Rätsel sind größtenteils belanglos und die Kämpfe verkommen spätestens mit dem Einsatz von Schusswaffen zu einer öden Ballerei - auch dank der grenzdebilen KI. Doch hauptsächlich scheitert man daran, eine packende Atmosphäre zu kreieren, die das Blut in den Adern gefrieren lässt. Kontraproduktiv sind auch das regenerative Heilsystem, die unendliche Batterieleistung für die Taschenlampe sowie die schlechten Sprecher in Kombination mit der unpassenden Musik. Was hier alleine mit Psycho-Spielchen im Stil von Eternal Darkness möglich gewesen wäre… Doch leider fehlte Intoxicated entweder der Mut oder die Ideen. Übrig bleibt ein ernüchternder Mix aus Bioshock, Stalker und Dead Space, der weder an die Vorlagen heran reicht noch eigene Glanzpunkte setzt.

Wertung

PC

Fragwürdige Designentscheidungen, miese KI und öde Rätsel verwandeln Afterfall Insanity in ein belangloses Gemetzel, dem es vor allem an Kreativität und Atmosphäre mangelt.

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