Robin Hood12.11.2002, Jörg Luibl
Robin Hood

Im Test:

Legt den Colt zur Seite, greift zum Langbogen: Spellbound verlässt den Wilden Westen von Desperados und schickt den berühmtesten englischen Volkshelden in den Kampf - Robin Hood (ab 110,00€ bei kaufen). In altbewährter 2D-Grafik sollen Echtzeit-Taktiker mit Mut und Köpfchen die Tyrannei des verhassten Prinz John beenden. Ob sich hinter schicken mittelalterlichen Kulissen taktische Delikatessen und Spielspaß verbergen, verrät unser Test!

Armer, akrobatischer Rebell

Als Robin von Locksley ausgelaugt und abgekämpft von einem Kreuzzug ins heimische England zurückkehrt, meint es das Schicksal nicht gut mit ihm: Sein Vater ist tot, sein Erbe ist futsch und über dem ganzen Land liegt der düstere Schleier der Unterdrückung. Prinz John und sein gnadenloser Handlanger, der Sheriff von Nottingham, lassen das Volk bluten.

Ein hervorragender Intro-Film stimmt Euch auf die verzweifelte Situation der Bauern ein: Häscher des Königs quälen arme Bauern, bis Locksley heroisch eingreift. Robin stehen für den Widerstandskampf zwei Verbündete bei: Sein Ruf, der ihm viele Gefolgsleute einbringt, und sein taktisches Geschick, das ihn zum Rebellen par excellence macht.

Und er ist außerordentlich fit: Er kann über Häuserdächer springen, am Efeu hochklettern, mit dem Schwert kämpfen, Pfeile schießen wie kein Zweiter und Gegner k.o. schlagen. Das Ganze sieht zudem sehr gut aus und erinnert an beste Erol Flynn-Zeiten - der Rächer der Enterbten springt elegant auf Tische, hechtet über Abgründe und Dächer oder landet katzengleich auf einem Fels im Burgraben.

__NEWCOL__Hut auf, Strumpfhose an, los geht`s!

Ausgestattet mit waldgrünen Strumpfhosen, dem Mut des Verzweifelten und einem guten Langbogen stehen Euch etwa 40 abwechslungsreiche Missionen bevor: Gesetzlose befreien, in Burganlagen eindringen, Karawanen überfallen und später gar an Feldzügen teilnehmen.

Die Spielstruktur ist erfrischend offen: Ihr entscheidet in Eurem Lager, welchen Auftrag Ihr als nächstes angehen wollt. Meist habt Ihr die Wahl zwischen kleinen Überfällen oder komplexeren Burginfiltrationen. Allerdings könnt Ihr Euch bei einem gescheiterten Versuch nicht einfach zurückziehen: Erst, wenn Ihr erfolgreich seid, könnt Ihr Euch im Lager erholen.

Hier lassen sich dann wichtige Ressourcen wie Äpfel, Hammelkeulen, Kräuter, Pfeile und Netze herstellen, wenn Ihr vor dem nächsten Auftrag Leute zurücklasst. Die Daheimgebliebenen können außerdem ihre Schwertkampf- und Bogenfähigkeiten verbessern, so dass Ihr bestimmte Figuren gezielt fördern könnt.

Kein Zuckerschlecken

Es gibt leider keinen eigenständigen Tutorial-Modus, sondern eine Art Learning-by-doing innerhalb der Aufträge: Überall liegen Schriftrollen, die die Spielmechanik erläutern und wichtige Hinweise geben. Für Desperados-Kenner ist dieser dynamische Einstieg kein Problem, für Anfänger eventuell schon, denn bereits die ersten Levels sind im normalen Modus kein Kinkerlitzchen. Die strenge Missionsstruktur verlangt zudem, dass Ihr möglichst alle Bettler aufsucht, die gegen Gold spielentscheidende Tipps geben. So manche Sackgasse lässt sich erst nach einem Pläuschchen mit ihnen auflösen...

Erledigt man schnell und effektiv nur die Primärziele, ohne die Umgebung genauer zu erkunden, kommt man auch schnell in Gesundheits- und Nachschub-Not. Deshalb empfiehlt es sich, gleich zu Beginn die Karte möglichst gut nach Heilkräutern und Pfeilen abzusuchen, damit Robin einen guten Start hinlegen kann. Ansonsten landet Ihr verletzt im Lager, wo man leider nicht sofort geheilt wird.

Otto-Normal-Spieler sollte unbedingt mit dem einfachsten der drei Schwierigkeitsgrade starten, denn hier regeneriert sich Robins Energie automatisch und die duldsamere KI der Wachen gestaltet das Burgerkunden und Kämpfen stressfreier.

__NEWCOL__Harter Drill, strenge Disziplin, gute KI

Trotzdem sind die Gegner selbst im einfachen Modus sehr hellhörig und alleine aufgrund ihrer Übermacht eine Herausforderung. Hinzu kommt eine überzeugende KI, die Euch selten mit 08/15-Idioten konfrontiert, sondern eine gedrillte, aufmerksame und hierarchisch strukturierte Burgbesatzung gegenüberstellt. Wenn eine Patrouille mit Hauptmann unterwegs ist, lassen sich selbst die dummen Soldaten nicht mehr so einfach ablenken, denn die glatzköpfigen Anführer brüllen ihre Jungs sofort zusammen. Schaltet Ihr den Leithammel aus, habt Ihr einfacheres Spiel.

Es macht Spaß mit anzusehen, wie die KI bei Gefahr eine realistische Kettenreaktion auslöst: Eine Wache entdeckt uns, rennt zum Hauptmann und meldet Eindringlinge, der gibt den Befehl zum Ausschwärmen und schon durchkämmen Lanzenträger ein ganzes Stadtviertel. Werdet Ihr jetzt entdeckt, steht Ihr einer Übermacht entgegen, die Euch eigentlich überwältigen müsste.

Vor allem, weil sich die Bogenschützen hinten formieren, während vorne einige Kameraden einen Schildwall bilden - die Jungs sind trainiert. Gut, dass Spellbound hier den geordneten Rückzug ermöglicht hat: Mit gezücktem Schwert könnt Ihr langsam rückwärts gehen, die Angreifer auf Distanz halten und irgendwann die Beine in die Hand nehmen.

Mit Schwert, Stab & Keule

Der Schwertkampf ist zwar nicht komplex, aber dafür sehr intuitiv und abwechslungsreich zu handhaben: Neben normalen Hieben und Paraden kann Robin auch einen mächtigen Rundumschlag ansetzen, wenn man bei gedrückter Maustaste ein "S" nachzeichnet. Landet man so einen Treffer, werden die meisten Gegner sofort ins Jenseits befördert.

Die Animationen bei Ausfallschritten, Attacken und Paraden gehören übrigens zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Bogen-Fetischisten werden weniger glücklich sein: Zwar zeigen die Pfeile eine ähnlich tödliche Wirkung wie die Spezialschläge, aber dafür flattern sie durch die Luft wie harmlose Federbälle - ein knackiges Sehnenschwirren samt zischendem Holzprojektil hätte dem Helden besser gestanden.

Wer angesichts der Kampf-Optionen Blut geleckt hat, ist allerdings auf dem Holzweg: Falls Ihr zu viele Gegner tötet, sinkt Euer Ruf und dementsprechend wenig Gefolgsleute werden sich Eurer Sache anschließen. Besser ist es, auf leisen Sohlen und mit sanfter Faust- und Knebelgewalt vorzugehen. Für jeden Charakter lassen sich übrigens drei Aktionen im Voraus planen und später per Hornsignal auslösen.

__NEWCOL__Mit Gold, Köpfchen und Muskelkraft

Zu Beginn des Spiels schließen sich Euch zunächst unbekannte Gesetzlose an, die genau so wie Bruder Tuck, Will Scarlet oder Marian unterschiedliche Fähigkeiten haben. Doch erst die kluge Kombination der einzelnen Spezial-Manöver wie Pfiffe, gezielte Apfel- oder Bienen-Nest-Würfe bringt Erfolg. Ein Beispiel:

Robin wirft einen vollen Geldbeutel vor eine marschierende Patrouille. Die gierigen Männer schlagen sich um das Gold, bis nur noch zwei übrig bleiben. Diese lockt man mit einem Pfiff ins Unterholz, wo schlagkräftige Gesetzlose warten, um auch diese beiden auszuknocken. Abschließend werden alle gefesselt, geknebelt und hinter einem Gebüsch verstaut.

Hat man diese Methode perfektioniert, kann vor Nottingham schon mal ein Hügel entstehen. Es ist nämlich kaum möglich, ganz unbemerkt an den zahlenmäßig weit überlegenen und gut postierten Wachen vorbei zu schleichen - schon gar nicht in einer Gruppe. Und da es nur selten Geheimwege gibt, bleibt es meist bei roher Gewalt oder der Lock-und-Knebel-Taktik.

Edles Burgpanorama

Neun hochdetaillierte Schauplätze warten auf den Mittelalter-Freund: Darunter fünf weitläufige Burganlagen wie die von York oder Nottingham sowie drei Lichtungen und Robins Lager im Sherwood Forest. Vor allem die imposante, gestochen scharfe Architektur und die lebensechten Animationen der Wachen und Hauptleute sorgen für eine stimmungsvolle Spielkulisse - Ferkel frühstücken an Mama Schwein, Kinder spielen Fangen und farbenfrohe Wimpel wehen im Wind. Stronghold oder Anno 1503 müssen sich im direkten Grafik-Vergleich geschlagen geben.

Insbesondere im Lager des Sherwood Forest zeigen die Grafiker eindrucksvoll, dass auch die zweite Dimension verzaubern kann: Das malerische Baumlager lädt dank liebevoller Details und prächtiger Farben zum Erkunden ein. Ein Bach plätschert hervorragend animiert vor sich hin und sogar die Blätter wiegen sich sanft im Wind - einfach klasse. Leider bekommt man das bewegte Laub nur hier serviert, denn in den Missionen bleiben die Bäume starr.

Optisch schade und spielerisch ab und an nervig ist auch, dass nicht alle Räume, die man betreten kann, einsehbar sind. So hetzt man blind durch Türme oder Treppenaufgänge, bis man irgendwann an der nächsten Pforte rauskommt. Dabei sorgen gerade die Innenräume mit ihrem Fackelschein für

Abwechslung.

__NEWCOL__Die liebevoll gezeichneten Kulissen lassen sich maximal mit 1024 x 768 Bildpunkten begutachten. Und selbst die höchste der drei Zoomstufen zeigt trotz grober Aufpixelung noch eine verschmerz- und spielbare Perspektive. Das beeindruckende Ausmaß der weitläufigen Burganlagen wird natürlich erst in der letzten Zoomstufe deutlich, die sich zum ersten Abschätzen und Planen eignet.

Stimmungsvolle Sounds

Spellbound hat das Mittelalter-Flair optisch sehr gut, akustisch allerdings "nur" gut eingefangen: Eure Aktionen werden von schönen Melodien begleitet, die je nach Situation und Tageszeit von sanften Panflöten-Passagen sowie leichtem oder wildem Trommeln bestimmt sind. Ähnlich gut wie die Hintergrundmusik ist die Sprachausgabe dank schauspielerisch überzeugender Sprecher.

Allerdings kommt diese viel zu selten ins Spiel - so mancher Text wird nicht vorgelesen. Schade, denn der konsequente Einsatz einer Erzählerstimme hätte dem Spiel noch wesentlich mehr epische Atmosphäre einhauchen können. So wird der gelungene akustische Ersteindruck abrupt durch trockene Textpassagen unterbrochen. Etwas nervig sind auch die sich wiederholenden Kommentare mancher Burgbewohner, die das Ohr ständig mit "Oh, da ist Robin Hood!" oder " Ihr Bande von Unfähigen!" penetrieren.

Fazit


Spellbound hat das Flair der guten alten Robin Hood-Verfilmungen hervorragend eingefangen und präsentiert nach Desperados erneut Echtzeit-Taktik auf hohem Niveau. Nicht nur die Story, der Humor und die lebensecht animierten Charaktere sorgen für Atmosphäre, sondern vor allem die malerische Mittelalter-Kulisse. Die weitläufigen Burganlagen und verträumten Wälder reizen die Möglichkeiten zweidimensionaler Grafik voll aus. Hinzu kommen abwechslungsreiche Aufträge, eindrucksvolle KI-Reaktionen und taktische Möglichkeiten, die viele Stunden Spielspaß garantieren. Trotzdem bleiben kleine Wermutstropfen: Es gibt keine durchgehende Erzählerstimme, manche Texte werden nicht vorgelesen und viele Bewohnersounds wiederholen sich zu schnell. Einsteiger werden zudem ein Tutorial vermissen und einige Frustmomente überwinden müssen, weil das Leveldesign keine großen Fehler toleriert. Trotzdem: Für mich hat Robin Hood das sehr gute Desperados noch übertroffen. Kein Echtzeit-Taktiker sollte sich dieses Schmuckstück entgehen lassen!

Pro

<li>tolle Animationen</li><li>traumhafte Kulissen</li><li>hervorragendes Intro</li><li>offene Spielstruktur</li><li>drei Schwierigkeitsgrade</li><li>gut inszenierte Nahkämpfe</li><li>innovative Teamplay-Ideen</li><li>sehr gute Musikuntermalung</li><li>eindrucksvolle KI-Reaktionen</li><li>viele interessante Fähigkeiten</li><li>geordneter Rückzug möglich</li><li>nostalgisches Robin Hood-Flair</li>

Kontra

<li>kein klassisches Tutorial</li><li>zu selten Sprachausgabe</li><li>teils strenges Leveldesign</li><li>gesalzener Schwierigkeitsgrad</li><li>sich wiederholende Kommentare</li><li>nicht alle Gebäude bei Betreten einsehbar</li>

Wertung

PC

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