Full Pipe13.08.2010, Jan Wöbbeking
Full Pipe

Im Test:

Die Entwickler beim russischen Pipe Studio mögen es kurz und knackig. In ihrem Adventure "Full Pipe (ab 8,90€ bei kaufen)" landet der Spieler ohne Umschweife in einer skurrilen Röhrenwelt voller noch skurrilerer Comic-Wesen: Kein Intro, keine Story, keine Dialoge - nur knallharte Rätsel mit viel Trial & Error. All das erinnert stark an das ähnlich puristisch konzipierte Gobliiins 4 oder Amanita Designs Machinarium , welches hierzulande von Daedalic vertrieben wird. Offenbar hat den Edna-Schöpfern aus Hamburg auch das russische Röhren-Abenteuer derart gut gefallen, dass sie es hierzulande veröffentlichen.

Folge dem Kaninchen

Held des Spiels ist »Dude«, ein kugelrundes Comic-Männchen, welches mit Nickelbrille und einem kleinen Schneckenhaus auf dem Rücken durch die Fantasiewelt watschelt. Eines Nachts taucht eine riesige Hand unter seinem Bett auf und stibitzt ihm einen Pantoffel.

Ein gutes Geschäft: Zum Preis von nur einem Dominostein lässt der linke Spieler den Hammer fallen. 
Also hopst er schnurstracks in das entstandene Loch und landet in einem  Labyrinth unterirdischer Räume, welches von absonderlichen Kreaturen bewohnt wird.

Der sympathische Protagonist lässt sich mit klasssicher Point&Klick-Steuerung durch die Räume navigieren. Je nach Einsatzort verwandelt sich der Mauszeiger: Ein Fuß zeigt z.B. an, dass Dude zum Ziel laufen kann - theoretisch jedenfalls. Praktisch trippelt er nur zu einigen der anklickbaren Positionen. Finde ich ein Stück poröse Wand und will sie mit dem Hammer aus dem Inventar bearbeiten, reagiert die Steuerung ebenfalls ein wenig ungenau. Oft muss ich mittig auf das Objekt zielen, was mangels Hotspot-Anzeige zu nervigem Pixelhunting führen kann. Verwandelt sich der Cursor-Fuß in eines von drei Hand-Symbolen, lässt sich der Gegenstand aufnehmen oder mit anderen Dingen benutzen; durch Röhren klettern und von Leitern hüpfen kann der kleine Dude ebenfalls.

Was war zuerst da: Sonnenbrille oder Ei?

Das Highlight der surrealen Welt sind ihre Bewohner. Um ihre Vorlieben und Verhaltensweisen kennenzulernen, experimentiere ich ausgiebig mit ihnen herum. Eine der Figuren rückt z.B. ihre Sonnenbrille heraus, wenn ich ihr im Gegenzug eine Schublade überlasse, welche sie prompt als Kopfbedeckung missbraucht. Diese Tauschgeschäfte sind ein zentrales Element im Spieldesign. Eine andere Figur erinnert ein wenig an die Mumins und besitzt eine praktische Schublade im Bauch. Stecke ich die Sonnenbrille hinein, legt sie kurz darauf ein Ei, in welchem sich nun die Sehhilfe befindet. 

Die Minispiele sind Teil des Mysteriums: In diesem Fall klickt man einfach auf Dude und bewegt die Maus zur Seite, um die Wurfstärke zu bestimmen. 
Auch andere Dinge lassen sich auf diese Weise verpacken. Zur Not befreit der grimmige Nachbar im angrenzenden Zimmer das Objekt mit einer Kopfnuss aus der Schale.

Diesmal kommen mir die Eier aber sehr gelegen: Ich kann sie in einem der geschickt in die Rätsel eingebundenen Minispiele benutzen. Das Känguruhwesen fängt nämlich liebend gerne Kugeln mit seinem Beutel und lässt sich so vor einem versperrten Eingang weglocken. Leider geben die Entwickler nur wenige Rätsel-Hinweise. Es ist also viel Trial & Error nötig, bis man die mitunter abstrusen Zusammenhänge des Spiels entschlüsselt hat. Happig wird es auch dadurch, dass viele Objekte nach dem Benutzen nicht einfach verschwinden, sondern in einem anderen Teil des wachsenden Labyrinths wieder und wieder benutzt und mehrmals hin- und hergetauscht werden müssen. Immerhin beruhigt der locker-flockige Jazz-Soundtrack die Nerven. Die kurzen Musik-Loops wiederholen sich allerdings schnell und sind recht holprig miteinander verbunden. Wer keinen Wert auf Verpackung und Poster legt, kann sich Full Pipe übrigens auch für nur 4,99 Euro auf Steam herunterladen, Daedalics Retail-Fassung kostet dagegen 19,99 Euro.     

Fazit

Full Pipe ist zusammen mit Amanita Designs Samorost -Spielen das bislang puristischste Knobel-Adventure. Wer auf epische Geschichten pfeift und einfach nur entdecken und rätseln möchte, ist also an der richtigen Adresse. Das verschrobene Design erweist sich gleichzeitig als Fluch und Segen: Einerseits macht es eine Menge Spaß, wie ein Kind in der fremdartigen Welt auf Entdeckungsreise zu gehen, alles zu erforschen und auszuprobieren. Auch die beschwingte Jazz-Musik klingt erfrischend anders. Die Minispiele passen ebenfalls in das Entdecker-Konzept, da sie in die Rätsel eingebunden wurden: Ich muss z.B. erst einmal herausfinden, wann und warum ich mit Dude auf eine Wippe springe, damit mir die Aktion weiter hilft. Zum Abenteuer gehört allerdings auch, sich in die abstruse Logik der Entwickler hineinzudenken. Oft hilft nur stupides Trial & Error weiter. Wer nicht viel Ausdauer mitbringt, schaut also schnell in die Röhre. Ein paar Hinweise oder eine Hilfe-Funktion wie in Machinarium hätten die Erkundungstour deutlich entspannter gestalten können. Mutige Gehirnakrobaten mit einem Faible für verschrobene Comicfiguren können den Sprung in die faszinierende Röhrenwelt trotzdem wagen - falls ihnen die rund fünf Spielstunden nicht zu kurz sind.

Pro

<P>
skurrile Röhrenwelt
liebenswert trashig gezeichnete Comic-Wesen
surreale Bildmontage-Kulissen
ungewöhnliche Jazz-Musikbegleitung...
Minispiele sind in die Rätsel eingebunden</P>

Kontra

<P>
teils unlogische Rätsel mit zu viel Trial &amp; Error
Mangel an Hinweisen macht das Knobeln sehr knifflig
unpräzise Cursor-Steuerung
...zu kurze, falsch miteinander verbundene Soundloops
nur rund fünf Stunden kurz</P>

Wertung

PC

Full Pipe schickt den Spieler auf eine faszinierende Entdeckungsreise, krankt aber an zu abstrusem Rätsel-Design und zu wenigen Hinweisen.

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