Im Test:
Der fleißige Botenjunge
Aber an das Gockeljogging gewöhnt man sich mit der Zeit. Im Gegensatz zur verschenkten Chance innerhalb einer Erzählführung, die weder innere Monologe kennt noch einen anderen Versuch der glaubwürdigen Charakterzeichnung unternimmt – dafür wird man wie ein Kleinkind vom personifizierten Piratenlady-Kitsch namens Patty begleitet. Die Tochter von Stahlbart ist zwar wesentlich besser animiert als die Roboterfrauen in Risen, aber so geheimnisvoll wie Frau Antje aus Taka-Tuka-Land. Dass sie einem keinen Käse verkauft, sondern in einer der ersten Quests in die Küche geschickt werden kann, wenn man denn die Fähigkeit der Silberzunge trainiert hat, sorgt immerhin für einen frühen Höhepunkt. Dramaturgisch, versteht sich.
Idyllische Inselwelt
Die steife Mimik und unfreiwillig komische Gestik der Figuren ist komplett veraltet, aber die Kulisse kann auf den ersten Blick punkten: Idyllisch, karibisch, ansehnlich! Nicht nur der Dschungel wirkt mit seiner üppigen Vegetation, dem klaren Wasser am Strand sowie dem kargen Fels angenehm authentisch, vor allem die markante Architektur im kolonialen Stil vom Holzpalast bis zur mehrstöckigen Spelunke sticht heraus – da wurden Gebäude und Landschaften sehr liebevoll entworfen, so dass auch eine interessante Vertikale entsteht. Ein großes Lob gebührt den Artdesignern auch für die Kleidung und die Figuren, die markanter wirken als im Vorgänger. Die stilistische Inszenierung ist jedenfalls sehr gut und sorgt für wesentlich mehr Stimmung als die erzählerische.
Aber auf den zweiten Blick wird man regelrecht vor den Kopf gestoßen, denn so schön das alles aussieht - technisch ist die Inselwelt ein Fehlerfestival. Schon auf wenigen Metern ploppen zig kleine Gegenstände, Steine, Blumen oder andere Details ins Bild, es flackert hier und gibt alle paar Meter dort Clippingfehler und Matschtexturen. Diese Schwächen gibt es zwar auch in anderen Spielen, aber hier zeigen sich Pop-up, Tearing & Co in ungewohnter Häufigkeit, so dass einem vor den Konsolenversionen mal wieder angst und bange werden muss. Hinzu kommt ein Phänomen, das zunächst wie gewollt ausschaut: Manche Pflanzen bewegen sich wie lebendige Kreaturen, wenn man sich ihnen nähert – sie ziehen sich zusammen und rollen sich wieder aus. Trotz dieser Schwächen bleibt festzuhalten, dass Risen 2 ein ansehnliches Abenteuer ist.
Undercover mit Augenklappe
Aber von einer äußeren Bedrohung ist genauso wenig zu spüren wie von einer Spannung angesichts dieses Undercover-Einsatzes, denn so richtig misstrauisch ist nach ein, zwei Dialogen niemand mehr. Bezeichnend für die fehlende Dramaturgie ist auch die frühe Befreiung eines Piraten aus dem Knast der Inquisition: Wenn man ihm einen Dietrich beschafft, öffnet er die Tür und rennt raus, so dass die Wache ihre Waffe zückt. Während der Pirat in sein Lager joggt, kann man die Wache im Kampf besiegen. So weit, so gut, aber sobald sie wieder aufsteht, wird man nicht etwa von ihr zur Rede oder gar unter Arrest gestellt, sondern kann wieder normal mit ihr quatschen – und das, obwohl sie nichts vom Undercover-Einsatz weiß. Nicht nur hier verliert das Spiel an Faszination, die erst durch spürbare Konsequenzen auf der zweiten Ebenen der Reaktion entsteht.
Glaubwürdiges Figurenverhalten
Allerdings wird dieses System nicht konsequent genutzt: Manchmal kann man auch vor den Augen der Besitzer einfach alles stehlen, was herum liegt. Gleich zu Beginn ermahnt einen die Wache auf Takarigua, man solle ja nix anfassen und dann kann man auf den ersten Tisch springen und Vorräte klauen. Warum wird man gerade als Fremder da nicht zurechtgewiesen? Ernüchternd sind auch so manche Dialoge, die in Endlosschleife laufen: Als sich Stahlbart und der Wirt Booze vor der Taverne unterhalten, muss man sich bei jedem Kontakt das „Naaaaa, kommst du auch mal aus deiner Hütte gekrochen, du Landratte““ anhören.
Oberflächliches Kampfsystem
Immerhin steigt der Anspruch im Kampf bei größeren Kreaturen wie den gut designten Krabben oder Spinnen sowie menschlichen Feinden. Dann sollte man per rechter Maustaste den Gegner fixieren und sowohl fiese Tricks wie Tritte, Sand in die Augen oder Kokosnuss auf den Kopf als auch besondere Schläge wie schwere Hiebe sowie schnelle Schüsse aus der Pistole einsetzen. Allerdings sind die Animationen eher spartanisch, denn Wurfwaffen und Schusswaffen zeigen bis auf einen Puff kaum eine Rückstoßwirkung. In diesen Situationen sind die Gefechte abwechslungsreicher, aber alles andere als spannend, zumal zum einen die Steuerung nicht präzise genug ist: Man kann zwar um den Feind herum tänzeln, um den richtigen Moment für einen Konter abzuwarten, aber der dafür notwendige Angriffsklick kurz vor dem Schlag des Gegners gleicht einem Glücksspiel. Zum anderen zeigen die Figuren dämliche Aussetzer – manchmal reagieren sie viel zu spät auf Hiebe oder Trupps von drei Leuten lassen sich einfach trennen, obwohl Sichtkontakt besteht. Wie effizient der Einsatz von Tritt, Säbel, Machete, Pistole oder Muskete ist, entscheidet man über die Entwicklung der Fähigkeiten, für die man Lehrer aufsuchen, genug Ruhm besitzen und Gold zahlen muss.
Eingeschränkte Erkundung
Obwohl das Rollenspiel auf einem soliden Fundament ruht, fehlt ihm die epische Sogkraft. Man hat nach sechs Stunden nicht das Gefühl, dass man überall etwas machen und erledigen, sondern dass man sich auch in eine Hängematte legen könnte - so belanglos wirken Aufträge und Abläufe. Lediglich die Begegnung mit einem der Meerwesen konnte einen mysteriösen Akzent setzen, obwohl gerade diese Szene schrecklich albern gesprochen wurde; das hatte fast Kinderbuch-Charakter. Wer darauf gehofft hat, ein erwachsenes Piraten-Abenteuer im derben Ton der ersten Gothic-Teile zu erleben, wird
Machtpolitische Hoffnungen
Wie wirkt sich z.B. der Beitritt zu einer der drei Fraktionen aus? Es gibt die Inquisition, die Piraten sowie die Eingeborenen. Man konnte mit seinen Aufträgen aber bisher keine numerisch sichtbare Sympathie bei einer Partei sammeln – auch die Quests sind nicht nach Fraktionen geordnet. Hier bleibt noch abzuwarten, wie sich das Abenteuer in dieser Hinsicht entwickelt, denn die machtpolitische Freiheit könnte die Motivation nochmal erhöhen. Auch die Entwicklung der Fähigkeiten sowie die Story können noch Pluspunkte bringen.
Die Wahl der Crew
Diese Wahl des Partners bereichert das Spielerlebnis von Risen 2, denn zum einen kann man sich mit ihnen unterhalten und zum anderen haben sie oftmals Tipps oder ein spezielles Training im Angebot. Zwar darf man ihnen im Kampf keine Befehle geben oder ihnen ein Verhalten zuweisen, aber auch ihr automatisches Zuschlagen ist hilfreich. Vor allem die Ureinwohnerin Chani ist eine sehr gute Unterstützung, denn sie heilt den Helden, wenn es im Kampf mal brenzlig wird; außerdem kann sie Spuren lesen und so manchen Konflikt erahnen. Leider kommen diese Charaktere trotz ihrer teilweise süffisanten Kommentare nicht über einen Mitläuferstatus hinaus: Man muss keine Beziehung zu ihnen über clevere Dialoge aufbauen oder diese über bestimmte Gefallen pflegen wie etwa in Dragon Age. Und wenn sie mal sterben, stehen sie einfach wieder auf.
Die Geschichte plätschert…
Aber dieser atmosphärische Funke will nicht auf die Erzählung überspringen. Zwar wird die Story durch die exotischen Begleiter und wenigstens kleine Intrigen ein wenig belebt, aber sie will für viele Stunden einfach nicht in Fahrt kommen – man bleibt selbst dann unbeteiligter Zuschauer, wenn etwas Tragisches passiert. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass der namenlose Held so viele Identifikationspunkte anbietet wie ein Holzklotz; man kann ihn weder im Vorfeld individualisieren noch im weiteren Verlauf über moralische Entscheidungen entwickeln; er sinniert nicht in inneren Monologen und kommentiert auch nichts.
Außerdem fehlen charismatische Antagonisten und der Held kann relativ gefahrlos seine vielen Aufträge angehen, die sich linear aneinander reihen und viel monotone Laufarbeit verlangen. Selbst als anerkannter Pirat und gefeierter Held nach ersten großen Endgegnern muss man zum größten Teil dieselben Botengänge abarbeiten. Man bleibt immer der Questlaufbursche. Daher ist das Teleportsystem eher ein komfortabler Segen als ein moderner Fluch.
Fraktionen? Wo?
Man hat auch nicht den Eindruck, dass sich wenigstens diese einzige Entscheidung irgendwie auf das Verhalten der Parteien auswirkt – es geht weiter linear vorwärts, denn selbst mit einer Eingeborenen im Schlepptau spaziert man munter durch die Orte der Blauröcke oder umgekehrt. Man kann es sich nirgends so verscherzen, dass es spürbare Konsequenzen oder Tabuzonen gibt. Die Story kann auch keine charismatischen Antagonisten aufbauen. Kaum begegnet man einem potenziellen Kontrahenten, wird dieser auch schon in einem Duell besiegt. Lediglich im letzten Drittel gibt es mal eine überraschende Wendung – gerade für eine Piratengeschichte fehlt es aber über weite Strecken an Intrigen und Überraschungen.
Angenehmer Spielfluss
Vor Ort gibt es immer viel nebenbei zu tun: Man kann Affen zähmen und diese in unzugängliche Bereiche schicken, man kann legendäre Gegenstände und weitere Schätze suchen. Vor allem beim zweiten Besuch von Caldera machen auch die Hauptaufträge Spaß, weil z.B. Voodoo clever eingesetzt werden muss – man kann fremde Körper übernehmen, um sich so höhere Belohnungen oder Zugang zu bisher verbotenen Orten verschaffen. Man manipuliert Stimmabgaben, verkleidet sich und erlebt endlich etwas Abwechslung von Bring-mir-dies-oder-das. In der Bucht von Maracai sorgt die Erkundung des Dschungels dann für gute Unterhaltung in der Wildnis, denn hier hat man lange Zeit keine Karte, darf auch mal an Simsen – schrecklich hölzern animiert, voller Clippings- irgendwo hinauf klettern und durchstreift einen labyrinthischen Urwald mit vielen Höhlen und Ruinen. Es gibt abseits der Pfade also einiges zu entdecken, zumal man sich auch mit dem Brauen von Tränken, Schmieden von Schwertern oder Pistolen beschäftigen kann.
Mehr Masse als Klasse
In manchen wichtigen Szenen fehlt zudem die Glaubwürdigkeit: Da hat man gerade mit einem Geist der Ahnen gesprochen und kann einfach so dessen Sarkophag plündern, obwohl das Plündern der alten Tempel laut Story ein Sakrileg ist? Da hat man gerade den Piraten Hawkins aus dem Knast der Inquisition befreit und der darf einfach mit Patty unten am Hafen palavern, obwohl dort Wachen patrouillieren? Man übernimmt einen Kommandeur mit Voodoo und kann die Truhen im eigenen Haus nicht öffnen, weil der Schlüssel fehlt?
Richtig ärgerlich sind seltene, aber schwere Bugs im Figurenverhalten, die so manche heikle Quest zum Treppenwitz degradieren: Man soll Kanonen sabotieren, die bewacht werden. Wie bekommt man bloß die sture Wache Benito da weg? Erstens gibt es hier weder über Voodoo noch Rhetorik in Dialogen eine Chance, was schon mal schade ist. So besteht der einzige Weg darin, ihr eine aufs Maul zu hauen, was plump, aber immerhin akzeptabel ist. Aber wenn man den Säbel zieht und sie attackiert, lässt sie sich einfach so ohne Gegenwehr fertig machen (siehe Video) – das zerstört jegliche Spannung.
Kastrierte Rollenspielelemente
Und wer als Dieb an Truhen heran will, darf vor Freude jauchzen: Der eine Dietrich geht niemals zu Bruch und das Minispiel zur Öffnung derselben ist ein schlechter Witz, bei dem man selbst schwierigste Schlösser ohne Zeitlimit, Entdeckungsgefahr oder Anspruch öffnet – manchmal reicht es, den Dietrich einfach blind ganz schnell mit der Maus in alle Richtungen zu bewegen. Was soll das? Ähnlich idiotensicher läuft das Einschleichen: Geht der Held aufrecht in ein privates Gebäude, wird er zurechtgewiesen – sehr gut! Geht der Held eine Sekunde später geduckt von der Seite bei hellichtem Tage (!) in dasselbe Gebäude, darf er drinnen alles plündern – sehr armselig! Zumal man das auch noch mit einem Begleiter durchziehen kann, der nicht einmal automatisch mit in die Hocke geht, sondern aufrecht mit reinlatscht. Warum erlaubt man das Ausrauben nicht nur bei Nacht, nur solo oder nur dann, wenn der Besitzer wirklich weg ist? Auch das Wettsaufen sowie das Wettschießen reihen sich in die Belanglosigkeit ein. Ersteres kann man (im nüchternen Zustand) gar nicht verlieren, Letzteres ist nichts weiter als Moorhuhn.
Monotone Kämpfe
Selbst mit der Entwicklung der Fechtkunst über Konter und schwere Hiebe oder Speerwürfe kommt zu wenig Spannung auf. Immerhin kann man ein wenig variieren, indem man Tritte, Sand oder – das einzige Highlight im Kampf – einen Papageien zur Verwirrung einsetzt. Aber entweder sind die Klickorgien zu leicht oder man begegnet plötzlich zu schweren Situationen, die man in Tränke-schlucken-Bomben-werfen-und-durch-Manier bestehen muss. Nicht etwa weil die Feinde so clever agieren würden, sondern weil sie schnöde in Überzahl sind oder einen schon mal unfair mit der Muskete oder dem Speer durch die Wand treffen. Das sorgt dann ganz plötzlich für Trial&Error-Frust. Und am Ende bekommt man nicht viel mehr "Ruhmpunkte" dafür als für das primitive Weghauen von Truthähnen oder Affen. Lediglich einige der Bosskämpfe fordern mal die größere Aufmerksamkeit des Spielers.
Fazit
Pippi Langstrumpf war cool. Vor allem die Piraten habe ich als Kind verehrt: Messer-Jocke und Blut-Svente, die fiesen Halunken! Heute schmunzle ich darüber, aber die Folgen im Taka-Tuka-Land waren immer unheimlich spannend. Das kann man von Risen 2 nach 30 Stunden nicht sagen, obwohl Stahlbart & Co auch in Astrid Lindgrens Kinderwelt herum poltern könnten – von einer Piratenwelt für Erwachsene oder einer dramatischen Story ist nicht viel zu spüren. Wo sind die tragischen Momente, wo die charismatischen Antagonisten? Der Star ist einzig und allein die wunderschöne Landschaft: Trotz eines Festivals an technischen Macken ist dieses Abenteuer unheimlich idyllisch und stimmungsvoll. Leider wirkt das Figurenverhalten nur in seinen besten Momenten authentisch, denn viel zu oft ist es unglaubwürdig bis fehlerhaft. Dieses Risen 2 hat ein solides Fundament, was die Anzahl und Verflechtung der Quests angeht, sowie nette Ideen wie das dressierte Äffchen oder Voodoo - man kommt trotz zu vieler Hol- und Bringdienste in einen angenehmen Spielfluss. Doch letztlich entsteht dabei keine epische Sogkraft, man erlebt keine Höhepunkte: Man fühlt sich über weite Strecken nicht wie ein Undercover-Agent in Lebensgefahr, sondern wie ein anonymer Botenjunge auf Klickurlaub. Und dabei begegnet man einem wankelmütigen Figurenverhalten - Piranha Bytes hat sich zurückentwickelt: Als Rollenspieler vermisse ich ein freies Fraktionssystem (die eine Entscheidung ist ein Witz!) genauso wie gut inszenierte und konsequente Diebstahl-, Schlossknack- oder Einbruchsituationen. Obwohl das Abenteuer im letzten Drittel etwas offener wird und auch mal clevere Aufträge sowie mehr Erkundungsfreiheit anbietet, hat mir der größte Kritikpunkt immer wieder die Lust geraubt: Das schrecklich schwache Kampfsystem! Ich habe selten so viel so blödsinnig klicken müssen - von situativem Nervenkitzel ist bis auf wenige Bosskämpfe keine Spur. Am Ende war ich froh, dieses hübsche, aber flache Karibik-Abenteuer endlich zu verlassen.
Wertung
PC
Wunderschöne Landschaften, viele Quests, aber eine schwache Technik, viele Inkonsequenzen und ein schreckliches Kampfsystem trüben den Abenteuer-Spaß.
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