Ship Simulator Extremes09.09.2010, Mourad Zarrouk
Ship Simulator Extremes

Im Test:

Knapp über ein Jahr ist vergangen, seit wir mit der Gold-Edition des "Schiff-Simulator" auch  Alltags- und Techsimulationen besprechen. Viel Mist haben wir dabei gesehen, aber auch durchaus Passables. Nun taucht eine "extreme" Version der maritimen Simulation auf. Handelt es sich dabei um alten Wein in neuen Schläuchen? 

Stapellauf mit Hindernissen

Auf der Brücke eines Schleppers im Hamburger Hafen.
2008 debütierte das holländische Entwicklerstudio Vstep mit dem Schiff-Simulator. Nach einer Erweiterung, folgte die Gold-Edition und nun beglückt man Wohnzimmer-Kapitäne mit einer "extremen" Variante. Extrem war zunächst der Ärger, den wir und hunderte Käufer mit der Registrierung des Spiels über Steam erleben mussten (wir berichteten). Erst wollte der Key nicht akzeptiert werden und nur das umständliche Herunterladen des kompletten Spiels (obwohl man die DVD sein Eigen nannte) löste dieses Problem zunächst. Doch man kam nach der Installation nicht ins Spielmenü, sondern musste sich stattdessen mit dem Anblick eines virtuellen Ozeans begnügen. Dann endlich, ein komplettes Wochenende und drei Werktage später, wurde via Steam  ein Update bereitgestellt, mit dem das Spiel schlussendlich startete, weswegen der Test mit einiger Verspätung einläuft. Hat sich das Warten gelohnt? Oder will uns der neue Publisher einen abgetakelten  Kahn als Luxusyacht verkaufen?

Greenpeace und Co.

Der gleiche Schlepper aus der Außenansicht. Die Liebe zum Detail ist den Entwicklern nicht abzusprechen.
Zu den wichtigsten Neuerungen zählen die drei spielbaren Kampagnen. Das Herzstück ist eindeutig das Greenpeace Abenteuer.  Hier bestreite ich als Kapitän der "Esperanza" oder "Rainbow Warrior III"  etwa zehn Einsätze. Da müssen mal Fischer des illegalen Walfangs überführt werden, indem ich mich ihnen so weit  nähere, dass sich eindeutige Beweisfotos schießen  lassen, oder es müssen Umweltsünder beim Verklappen von Giftmüll in der Nordsee auf frischer Tat ertappt werden. Als Belohnung warten anschließend Videos mit Interviews und Berichten der echten Aktivisten.  In der zweiten Kampagne "Touristengeschichten" dreht sich  alles um das  Thema Tourismus in all seinen maritimen Facetten: Hier wollen gigantische Kreuzfahrtschiffe aus verwinkelten Häfen heraus in tropische Archipel manövriert, oder auch mal ganz profan ein Ersatzteil zum Luxusliner befördert werden.  In der "Kernkampagne" wiederum, geht es weit weniger Glamourös zu. Hier wird der "normale" Alltag der Seeleute thematisiert. Da müssen Lotsen befördert oder riesige Tanker per Schlepper aus dem Hamburger Hafen manövriert werden - das täglich Brot der Seefahrt sozusagen. 

Was ist sonst noch neu an Bord?

Hättet ihr's gefunden? Ganz unten rechts verbirgt sich die ersehnte Autopilot- und Zeitraffer-Funktion.
Außerdem  unterscheidet sich diese Version von der letztjährigen darin, dass zu den 24 Wasserfahrzeugen weitere fünf  hinzukommen, die allerdings ebenfalls  motorbetrieben sind. Lediglich das Greenpeace-Flaggschiff "Rainbow Warrior" verfügt  über Segel, die aber im Spiel nicht zur Fortbewegung genutzt werden können; dafür muss  der Dieselmotor ran, auch wenn das sicher nicht immer im Sinne der Öko-Aktivisten sein dürfte. Erstmals kann aber mehr als ein Schiff gleichzeitig gesteuert werden: So lotse ich in einer der ersten Greenpeace-Missionen die Rainbow Warrior aus dem Rotterdamer Hafen, da auf dem offenen Meer ein Containerschiff im Verdacht steht, Giftmüll zu verklappen. Sobald ich in Sichtweite des Schiffes bin, wird mir aufgetragen  eines der beiden Zodiac-Schnellboote zu bemannen, um die Umweltsünder daran zu hindern weitere Fässer über Bord gehen zu lassen. Nachdem ich von dem Ausflug wieder zurück bin, docke ich  an der Rainbow Warrior  an und übernehme wieder ihr Ruder. Das ist in der Tat eine Bereicherung des Spiels.

Die Zahl der Einzelmissionen fiel allerdings den Kampagnen zum Opfer (denn dort findet sich eine Vielzahl der Missionen der Gold-Edition wieder) und schrumpfte von 71 auf null! Trotzdem: Das Beste kommt erst noch und ich habe es eher zufällig entdeckt, weil davon weder im Handbuch noch auf der Packungsrückseite ein Sterbenswörtchen verloren wird. Einer der größten Kritikpunkte der Vorgängerversionen wurde nämlich ausgemerzt.

     

Endlich: Eine Zeitmaschine!

Die gelben Punkte signalisieren die Stellen zum Vertäuen des Bootes. Per Mausklick wird das Tau entweder gekappt, oder befestigt.
Die kleine Karte im oberen rechten Bildschirmbereich lässt sich jetzt auf Radar umstellen - so weit so unspektakulär. Aber sie lässt sich auch auf den gesamten Bildschirm vergrößern. Zwar sieht man dann vorläufig sein Schiff nicht mehr, aber nur in dieser Einstellung ist neuerdings das eigenständige Setzen von Wegpunkten möglich. Und sofern diese Wegpunkte nicht zu nahe an der Küste liegen, darf man sein Schiff endlich in einen Autopilot-Modus schalten. Wenn das erfolgreich geschehen ist, (Trommelwirbel) ... darf man auch endlich die Spielgeschwindigkeit stufenlos um etwa das Zehnfache erhöhen! Ja richtig gelesen: Die überfällige Zeitraffer-Funktion hat es endlich ins Spiel geschafft - Hurra! Der Haken: Erstens wird   der Autopilot (und damit der Zeitraffer) unelegant und abrupt deaktiviert, sobald man sich der Küste nähert oder auch nur in flaches oder enges Fahrwasser gerät. Das Schiff kommt dann zum sofortigen (unrealistischen) Stopp. Zweitens sind weder der Autopilot noch die Beschleunigung "Live" an Bord zu genießen. Diese Funktionen kann man nur auf der zweckmäßigen, zum Vollbild vergrößerten Seekarte nutzen. Das ist blöd, aber vermutlich technischen Restriktionen der immerhin zwei Jahre alten Engine geschuldet, bzw. der Tatsache , dass diese Funktionen erst nachträglich implementiert wurden.

Überhaupt: Die Kulisse...

Ein Lotse muss zu einem gigantischen Erdgastanker im Hamburger Hafen befördert werden. Im Hintergrund die Köhlbrandbrücke.
Einen recht potenten Rechenknecht vorausgesetzt, kann man die "Gittergröße" der Wasserdarstellung im Vergleich zum Vorgänger noch ein Stück feiner darstellen, was zu einer recht glaubhaften und ansehnlichen Darstellung des Wassers führt. Aufpeitschende Gischt und Bugwellen bekommt aber auch die "extreme" Ausgabe nicht  überzeugend hin, das sieht immer noch zu künstlich aus. Die Schiffe sind neuerdings mit Positionslichtern ausgestattet, die  insbesondere bei Tag/Nachtwechseln und wechselndem Wetter schön zur Geltung kommen. Die Schiffe selbst sind nach wie vor absolut ansprechend und realistisch in Szene gesetzt und glänzen teilweise mit interessanten Details: Da kann man z.B. in der "Steuermann-Ansicht" die See-Karte auf den Monitoren moderner Großschiffe ablesen, oder die aktuelle Geschwindigkeit am Schubregler. Auch der "Rundgang-Modus" ist wieder mit von der Partie: Hier kann ich nahezu jede Stelle auf den Oberdecks und teilweise auch den Unterdecks der Schiffe "begehen", indem ich mich mit meinem fiktiven Charakter per WASD über das Schiff bewege. Besonders glänzt auch diese Ausgabe bei der Darstellung spezieller Sehenswürdigkeiten in berühmten Häfen wie Sydney, Hamburg, New York oder San Francisco. Es sieht schon wirklich cool aus, wenn mein gigantischer Luxusliner an der Freiheitsstatue entlang in die Morgenröte schippert. Das sind die Momente, wo der Schiff-Simulator überzeugen kann, die gab es allerdings genau so auch schon in der Gold-Edition. Neue spektakuläre Szenarien sucht man vergebens, immerhin: Die Antarktis ist  hinzugekommen.

Thema: Simulation

Physik-Desaster: Das Frachtschiff säuft ab, bevor es überhaupt abgelegt hat.
Hier hat sich gar nichts geändert. Schon der Vorgänger konnte höheren Simulationsansprüchen vom Kaliber der Genrekönige MS Train oder MS Flight nicht gerecht werden, wo jede Taste der Tastatur  doppelt belegt ist (mindestens).  Die Steuerung ist nach wie vor zu anspruchslos und trivial für eine wirklich glaubhafte Simulation. Die "Präzisionssteuerung" unterscheidet sich von der regulären Steuerung lediglich in Bezug auf die Möglichkeit Maschinenschub und Ruder in feineren Schritten anstelle von "voller Schub" und "Alle Maschinen Stopp" zu regulieren. Und auch der Azimuth-Antrieb (d.h. Schub und Rotation werden gleichzeitig gesteuert) fordert Simulationsfreaks nicht wirklich heraus, überfordert Einsteiger indes schon. Hier wäre ein "Anfänger" - Modus und ein "Experten-Modus" überfällig, der beiden Seiten gerecht würde. Es ist immer noch nicht genau zu erklären  woran es liegt, doch auch in dieser Version habe ich  noch nicht wirklich das Gefühl, Kapitän auf meinem Schiff zu sein. Das liegt sicher auch daran, dass ich mich nie sehe. Es gibt halt immer noch keinerlei  Lebewesen im Spiel. Ich bin erneut eher Statist, denn Protagonist. Auch die  Spielphysik ist leider immer noch alles andere als überzeugend, da schlägt ein Kahn auch mal gleich zu Beginn bei spiegelglatter See ohne mein Dazutun derartig vehement gegen eine Kaimauer, dass er absäuft bevor ich überhaupt "Ahoi" sagen konnte. Oder Containerriesen vom Kaliber einer kleinen Kreisstadt hüpfen auf See wie ein junger Delphin. Das sind alles eher seltene Einzelfälle, aber trotz der unfreiwilligen Komik nicht minder unerfreulich.

Und sonst?

Wenn der Kahn erstmal fährt, sieht das Ganze ansehnlich aus. Im Vordergrund die berühnmte Sydney-Opera.
Wasserwerfer! Es gibt zusätzlich ein Küstenpatrouillen-Boot, das über Wasserwerfer verfügt, die zur Gefahrenabwehr  eingesetzt werden können. Dafür wurde das (allerdings ohnehin eher kosmetische) Schadensmodell ersatzlos gestrichen. Ein Mehrspielermodus war auch schon in der Gold-Edition durch das integrierte Add-On "Neue Horizonte" von der Partie und ist natürlich wieder mit an Bord. Da kann ich dann verschiedene Ausgangs-Szenarien wählen, mit anderen Spielern chatten, an deren Schiffe ankoppeln oder mich z. B. mit anderen verabreden einen Riesentanker zu dritt abzuschleppen - spannend ist das eher nicht. Der sich schnell wiederholende Sprechfunk wurde über Bord geworfen, was eigentlich schade ist, denn grundsätzlich trug er ja zu einer realistischen (Geräusch) Kulisse bei; man hätte ihn nur erweitern und situationsbedingt anpassen sollen. Das Ranking-System wurde indes beibehalten und noch ausgebaut: Durch das erfolgreiche Absolvieren der Kampagnen-Missionen kann ich bei sechs Klassen (Greenpeace, Fracht, Motorboot, Spezial, Tourist und Schlepper) in jeweils bis zu fünf Rängen aufsteigen, was durchaus motivieren kann. Schade: Die Möglichkeit, die Seekarte stufenlos transparent vor der Spielansicht einzublenden, wurde ebenso ersatzlos gestrichen wie die Option einen zweiten Monitor nur für die Karte zu verwenden. Spielern mit kleineren 4:3-Monitoren kommt das natürlich nicht entgegen.   

Fazit

Unfassbar, dass die Zeitraffer-Funktion sowie der Autopilot mit keiner Silbe im Handbuch oder auch auf der Packungsrückseite Erwähnung finden. Man stelle sich vor, jemand würde eine Segeljacht auf den Markt bringen, die, nachdem der Vorgänger ständig kenterte, endlich schwimmt und nicht damit werben! Diese Funktion rechtfertigt neben der Greenpeace-Kampagne durchaus den Neuerwerb dieser Edition - auch wenn es sich im Grunde nur um ein eigenständig lauffähiges Add-On handelt. Die bekannten Physik-Aussetzer, die nach wie vor viel zu sterile und leblose Spielwelt sowie die aufgrund zwangsweise deaktiviertem  Autopilot  immer noch sehr langatmigen Passagen  verhindern indes Ausflüge in höhere Sphären. Echte Simulationsfans, die jede Taste belegt wissen wollen, kommen aber nach wie vor nicht voll auf ihre Kosten; Einsteiger werden indes häufig überfordert.

Pro

<P>
Autopilot
Zeitraffer-Funktion
realistische Häfen
detaillierte Nachbildung der Schiffe
29 Schiffstypen
Umherlaufen auf&nbsp; allen großen Schiffen möglich
Videos und Postkarten als Belohnungen
glaubwürdige Wettereffekte
Tag/Nachwechsel</P>

Kontra

-&nbsp;Gebäude aus der Nähe weniger schön-&nbsp;Clippingfehler-&nbsp;kein Tutorial-&nbsp;sterile Spielumgebung, ohne Besatzung oder Passagiere-&nbsp;ganz dünne Soundkulisse-&nbsp;teilweise krasse Physik-Aussetzer -&nbsp;keinerlei Sprachausgabe-&nbsp;Add On zum Vollpreis
nur 34 in drei Kampagnen integrierte Missionen

Wertung

PC

Endlich inklusive überfälligem Autopilot und Zeitraffer. Greenpeace- sowie Kreuzfahrt-Abenteuer gibt’s noch dazu – das rechtfertigt eine klare Aufwertung.

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