DOTA 226.07.2013, Eike Cramer
DOTA 2

Im Test:

Defense of the Ancients (DotA) ist eine Modifikation für WarCraft 3 – und ein Phänomen. Es gibt nicht nur eine über das Hauptspiel hinausgehende Fanbasis, sie hat auch das Genre der "Multiplayer Online Battle Arena" (MOBA) mit begründet. Sieben Jahre nach der Mod erscheint der Nachfolger DotA 2 von Valve. Kann der Free-to-play-Titel im Test überzeugen?

Die Motivationsbremse: Blutbad in der Arena

Ich bin ein Noob. Ein verdammter Noob. Schon wieder beißt mein Held ins Gras, als ich unvorsichtigerweise den Radius meines eigenen Turmes verlasse. Natürlich, was habe ich mir gedacht? Zwei gegen einen zahlt sich selten aus in dieser frühen Phase des Spiels. Zudem habe ich meinen Ultimate-Skill noch nicht erlernt, mit dem ich kräftig Schaden austeilen kann. Außerdem hätte ich meinem Teammitglied, das mit mir in der oberen Lane unterwegs ist, mitteilen sollen, dass ich einen Ausfall wage. Sicher, er hätte mir geraten, am Turm zu warten, aber ich brauche schließlich Farm. Gerade mit dem Dragon Knight gibt es wenig, was essentieller ist, als viel Gold, gute Items und ein hohes Level.

Moment! Lane? Farm? Turm? Ultimate? Wer noch nie DotA gespielt hat, der hat vielleicht ein ganz gutes Gefühl dafür bekommen, wie es ist, das erste Mal in eine Partie einer "Multiplayer Online Battle Arena" (MOBA) geworfen zu werden. In den ersten Minuten prasseln eine Unmenge an neuen Informationen auf den Spieler ein. Das erfordert Kenntnis der Karte, des eigenen Helden und der notwendigen Gegenstände, bevor das Spiel überhaupt beginnt.

Läuft es erst einmal, erfährt man schnell, was es mit diesem Heldentod auf sich hat, denn den erlebt man als Anfänger ohne Führung zigfach. DotA 2 ohne Tutorial anzugehen, fühlt sich an, wie in eine Partie American Football einzusteigen, ohne die Regeln zu kennen - Zurechtweisungen der Mannschaftskollegen inklusive. Zum Glück gibt es eine umfangreiche Einführung, die dem Spieler grundlegende Mechaniken beibringt und in Übungsgefechten härtet, bevor er das erste Mal an einem öffentlichen Match teilnimmt.

Lernphase, Schritt I: Der grundlegende Spielablauf

Das Ancient der Dire, eine der beiden Basen im Spiel.
Das Ancient der Dire, eine der beiden Basen im Spiel.
DotA ist tatsächlich eher Sportspiel als Action-Rollenspiel oder Strategie-Modifikation, auch wenn Artdesign und Blickwinkel etwas anderes vermuten lassen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Jede Seite besitzt ein so genanntes "Ancient", quasi die Basis der Spieler. Die eigene muss verteidigt und die feindliche zerstört werden, um zu gewinnen. Die in der Mitte geteilte Karte besteht aus drei Wegen, so genannten "Lanes", auf denen je zwei Türme postiert sind.

An der Basis der Spieler befinden sich neben einer inneren und äußeren Verteidigung die Baracken, die in regelmäßigen Abständen automatisch agierende Monster (Creeps) erschaffen. Diese versuchen auf den Lanes die gegnerische Basis anzugreifen. Jedes Team besteht aus fünf Helden, die im Anfänger-Modus „Pick All“ aus einem Pool von ingesamt 102 Heroen gewählt werden können. Ziel ist es, auf wenigstens einer, bestenfalls allen Lanes bis zum Ancient durchzubrechen und durch dessen Zerstörung das Spiel zu gewinnen.

Lernphase, Schritt Ia: Das Spielfeld

Wie in jedem echten Sport gibt es nur ein Spielfeld, denn DotA 2 hat genau wie der Vorgänger nur eine Karte. Diese ist detailliert gestaltet, bietet unzählige Wege abseits der Lanes und ist perfekt auf das Konzept abgestimmt. Die Beschränkung auf eine Karte bietet zudem den Vorteil, dass es keine Balance-Verschiebungen durch unterschiedlich gestaltete Umgebungen geben kann. Jeder der 102 Helden ist exakt auf das Terrain abgestimmt und mit den anderen balanciert.

Keine leichte Aufgabe, besitzt doch jeder mindestens drei Fähigkeiten sowie den Ultimate-Skill, die alle in Einklang gebracht werden müssen. Dennoch hat Valve hier einen richtig guten Job gemacht: Die Balance ist exzellent! Die Helden gewinnen Erfahrung durch das Besiegen feindlicher Pendants, das Zerstören von Türmen sowie das Töten von Creeps - (Farmen). Hier kann auch Gold verdient werden, allerdings einzig durch den „Last Hit“ - nur wer den Gegner tötet, bekommt das Gold aufs Konto. Schon beim Farmen ist Timing also essentiell.

Lernphase, Schritt II: Die Gegenstände und der Shop

Es gibt insgesamt 102 Helden, die in einem übersichtlichen Menü gewählt werden können.
Es gibt insgesamt 102 Helden, die in einem übersichtlichen Menü gewählt werden können.
Hat man als Anfänger den Spielablauf erst einmal verstanden, gilt es, sich an die Feinheiten zu machen. Erster Schritt sind die Items, von denen man im Shop unzählige kaufen kann. Jeder Held besitzt drei Attribute (Stärke, Agilität und Intelligenz), von denen eines -  je nach Heldentyp - das Hauptattribut ist. Dies gilt es besonders zu verbessern, um den Angriffsschaden zu erhöhen. Dazu sind besondere Gegenstände notwendig, die neben den Attributen auch Bewegungsgeschwindigkeit, Angriffsgeschwindigkeit oder Rüstungswerte beeinflussen. Hier gilt es, in bestimmten Phasen des Spiels die richtigen Gegenstände im sechs Plätze großen Inventar mit sich zu führen, um auf die Fähigkeiten des Gegners reagieren zu können.

Was sich zunächst einfach anhört, kann ein Grundstudium von Guides und Replays nach sich ziehen, da die Items zahlreich und die Kombinationsmöglichkeiten unendlich groß sind. Zudem ist es für einen effektiven „Build“ dringend notwendig, die Fähigkeiten der feindlichen Helden in der eigenen Lane zu kennen, um ihnen mit den entsprechenden Gegenständen zu begegnen. Viele von ihnen sind außerdem mehrteilig: Sange & Yasha etwa, eine Kombination aus zwei Schwertern, die Stärke und Beweglichkeit erhöhen,

m Shop gibt es dutzende Gegenstände zu erstehen - jeder abgestimmt auf bestimmte Helden oder Situationen.
Im Shop gibt es dutzende Gegenstände zu erstehen - jeder abgestimmt auf bestimmte Helden oder Situationen.
bestehen aus sechs Gegenständen, die kombiniert werden müssen, um das Produkt zu erhalten. Auch hier ist wichtig zu entscheiden, in welcher Reihenfolge die Objekte gekauft werden, damit im richtigen Moment die gewünschten Statusaufwertungen stattfinden. Die so entstehende taktische Komplexität ist immens und fordert Absprache, Spielkenntnis sowie überlegtes Handeln. Ein Fehlkauf ist eine echte Goldverschwendung, da der Gegenstand nach wenigen Sekunden nur noch mit Abzug verkauft werden kann - und dies kann sich gerade im frühen Spiel kaum ein Held erlauben.  

Zum Transport der Items gibt es die Möglichkeit einen Kurier zu erstehen, den einer der  Spieler zu Beginn kaufen muss und der nach etwa einem Drittel der Spielzeit von anderen verbessert werden sollte. Eine Absprache ist sinnvoll, auch wenn erfahrene Spieler aufgrund der Heldenwahl meist wissen, wessen Aufgabe der Kurierkauf ist. Der Helfer kann von allen Mitspielern verwendet werden, so dass nur ein Kauf pro Spiel notwendig ist.

Lernphase, Schritt III: Üben, üben, üben

Die auf der Source-Engine basierende Kulisse im Comic-Stil sowie die Effekte können sich sehen lassen.
Die auf der Source-Engine basierende Kulisse im Comic-Stil sowie die Effekte können sich sehen lassen.
Hat man das Tutorial, die Mid-Lane-Übungen mit zehn Helden und die ersten Übungsgefechte gegen Bots gemeistert und sich bis dahin noch nicht die Zähne an der weiterhin steilen Lernklippe ausgebissen, geht es in die ersten echten Gefechte. Hier stellt sich wieder einmal heraus, dass nicht das Training zählt, sondern „auf‘m Platz“ - und dass das Stahlbad der Arena nun zwar etwas zugänglicher ist, die wahren Feinheiten der Taktik und des Zusammenspieles aber immer noch relativ unklar sind. Ähnlich wie in jedem anderen Sport hilft nur Training, Training, Training.

Ich kann nur empfehlen, den Bekanntenkreis nach erfahrenen MOBA-Spielern abzugrasen, die sich bereit erklären dem Neuling ein wenig unter die Arme zu greifen. Sonst verschwindet die Motivation schneller als sie gekommen ist. Die Community von DotA 2 ist unheimlich gnadenlos mit Neulingen. Selbst die Ankündigung vor dem Spiel, dass sich ein Noob in den eigenen Reihen befindet, führt oft nur zu spöttischen Kommentaren oder Wut, statt sinnvollen Tipps oder Taktikanweisungen, die das Spiel vielleicht retten könnten. Sicher ist es z.B. unangenehm, wenn ein Anfänger bereits zu Beginn den Gegner füttert (feedet), indem er sich blindlings abschlachten lässt und so für größere Erfahrungs- und Goldvorsprünge aufseiten des Feindes sorgt. Trotzdem würden Tipps mehr helfen als von erfahrenen Spielern ständig als Noob beschimpft zu werden.

Lernphase, Schritt IV: Taktikfeinheiten, Spielverständnis und Ränge

Der Ultimate des Dragon Knight verwandelt ihn auf Zeit in eine mächtige Riesenechse, die kräftig austeilen kann.
Der Ultimate des Dragon Knight verwandelt ihn auf Zeit in eine mächtige Riesenechse, die kräftig austeilen kann.
Und dann, nach etwa 30 Stunden Spielzeit mit einem einzelnen Helden und Mitspielern, die geduldig Items, Taktiken (was ist eigentlich „Ganking“ und wann sollte man eine Lane „pushen“?) und Fähigkeiten erklären, ist man endlich an einem Punkt, an dem DotA 2 sich plötzlich nicht mehr anfühlt, als ob man als untrainierter Amateurspieler auf der Bank eines Bundesligisten sitzt. Nach diesen langen Lehrstunden hat man nämlich verstanden, wie der eigene Held funktioniert und welche Items man in welcher Situation sinnvoll anwendet. Zudem hat man gegen genug Helden gespielt, um eine Ahnung von ihren Fähigkeiten zu haben und läuft nicht mehr blindlings in brutale Stuns oder tödliche Schüsse. Man spielt endlich mit – und es macht neben der Anspannung auch endlich Spaß, im Team zu kämpfen. Man durchschaut die Taktiken und Strategien des eigenen Teams und des Gegners, beteiligt sich an Angriffsplanungen und reagiert auf Vorstöße des Feindes. Hier entfaltet sich erstmals die ganze taktische Tiefe des Titels und die langwierige Einarbeitungszeit zahlt sich aus. DotA 2, das wird an dieser Stelle deutlich, ist komplex, aber fair und fordert die Fähigkeiten der Spieler bis an ihre Grenzen.

Dennoch kann nicht davon die Rede sein, dass man DotA 2 damit gemeistert hätte: Einerseits warten weitere 101 Helden darauf, gespielt zu werden und andererseits stößt man immer wieder auf neue Situationen oder ertappt sich dabei, doch zu weit vorgerückt zu sein. Zudem verhält sich jede Partie wie ein StarCraft 2- oder FIFA-Match: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Jeder Sieg zählt nur bis zur nächsten Niederlage und jeder Kill nur bis zum nächsten Gank. Das Prinzip hat Suchtpotenzial und man spielt oft "nur noch kurz eine Runde", um dann festzustellen, dass es eigentlich vier waren. Zudem gibt es neben dem „All-Pick“-Modus auch beschränktere Wahlmodi, in denen man entweder mit einem zufälligen Charakter spielen muss oder abwechselnd aus zwanzig Helden wählen darf. Jeder Spieler hat zudem einen Rang, der gleichzeitig der Hauptindikator für das Matchmaking ist.

Problematisches Matchmaking und faires Free-to-play

Sieg der Dire! Bis sich solche Erfolge einstellen können Tage vergehen.
Sieg der Dire! Bis sich solche Erfolge einstellen können Tage vergehen.
In seinen Grundmechaniken ist DotA 2 extrem ausgereift: Bewegung, Fähigkeiten, Shop, Farming und Balance fühlen sich griffig, direkt und ausgeglichen an. Auch die Kulisse kann mit detaillierten Helden, einem hübschen Comic-Stil sowie guten Effekten überzeugen und wirkt sehr stimmig. Bei Verbindungsabbruch oder Absturz hat jeder Spieler fünf Minuten Zeit, um sich wieder mit der Partie zu verbinden und so einem Punkt auf der Abbrecher-Statistik zu entgehen. Dennoch krankt das Matchmaking-System teilweise an zu langsamer Spielerstellung: Oft befindet man sich trotz einer angeblicher Spielerzahl von rund 225.000 Spielern fast fünf Minuten in der Warteschlage. Teilweise führen einzelne Sitzungen nach einem Start direkt zu einem Abbruch, was erneute fünf Minuten in der Warteschlange nach sich zieht. Ich habe schon 13 Minuten auf eine Partie warten müssen, auch wenn das die absolute Ausnahme darstellte. Zudem sind die Rankings oft fragwürdig, denn selten spielt man wirklich mit gleichwertigen Spielern zusammen.

Ähnlich wie seine Mitbewerber League of Legends (LoL) und Heroes of Newerth (HoN) setzt auch DotA 2 auf ein Free-to-play System. Anders als etwa bei LoL, in dessen Shop Helden gekauft werden können, darf man bei DotA 2 jeden Helden spielen, ohne einen Cent auszugeben. Einzig optische Veränderungen wie neue Umhänge, Waffen oder Rüstungen können im Shop erstanden werden, die aber keinerlei Einfluss auf die Balance des Spiels haben. Das ist fair und sorgt für ausgeglichene Matches.

Fazit

DotA 2 mit einer Wertung zu versehen ist nicht leicht. Das Spiel zwingt mich in einen repetitiven Spielablauf auf nur einer Karte, drängt mir seine eigene Sprache auf und zwingt mich, mir umfangreiche Kenntnisse anzueignen, um in den ca. 45 Minuten dauernden Matches überhaupt eine Chance zu haben. Bis sich die ersten Erfolge einstellen, können durchaus Tage oder Wochen ins Land ziehen. Doch nach langer und harter Lern- und Eingewöhnungsphase ist da dieses andere DotA. Dieser faszinierende Sport, der sich mir nach und nach erschließt und mich in seinen Bann zieht. Vor allem in einer eingespielten Gruppe macht DotA 2 Spaß, da es unheimlich taktisch ist und stark auf Kooperation und Timing basiert. Es fordert viel strategische Planung und schnelle Reaktionen, die richtige Zusammenstellung des Teams und die richtigen Absprachen untereinander. So entstehen mitunter  glorreiche Momente bei knapp gewonnenen Spielen oder dramatischen Niederlagen. Genauso wie bei anderen Sportspielen. Und wer würde schon Fußball oder American Football verstehen, wenn er ohne Vorkenntnisse des Regelwerkes in eine Partie geworfen wird? MOBAs sind ein Phänomen. DotA 2 ist durch seine Präsentation, seine phänomenal gute Balance, die ausgereiften Spielmechaniken und den Warcraft-Charme die Champions League seines Sports.

Pro

ausgewogene Balance
perfektionierte Mechaniken
viele Helden, faires Free-to-play
gute Kulisse
ordentliches Tutorial
Spielwiedereinstieg nach Verbindungsabbruch möglich
unterschiedliche Spielmodi

Kontra

zu steile Lernkurve
harter Spieleinstieg, lange Lernphasen
Verbindungsprobleme und langsames Matchmaking

Wertung

PC

Erst unzugänglich, dann aber taktisch und fesselnd: DotA2 ist die Königsklasse unter den MOBAs.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.