Pass damit auf, sonst gibt's Narben!
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K.O.-Cocktail gefällig? |
Der trashige Zeichenstil passt ebenfalls prima ins Konzept. Er wurde zwar aus der Not des Vorgängers geboren (der erste Teil wurde zum Großteil von Müller-Michaelis im Alleingang erschaffen), unterstützt aber auch die ausschweifende Erzählweise. Der visuelle Minimalismus lenkt die Aufmerksamkeit auf die wichtigen Dinge – und nicht vom Text ab. Schon das Intro ist ein Sinnbild dafür: Minutenlang sieht man nur einen gezeichneten Wollzwirn durch das Bild scrollen, während der vom Edna-Erfinder gesungene Titelsong "Nadel und Faden" erklingt. Der finstere Text gibt bereits einen guten Vorgeschmack auf den rabenschwarzen Humor, welcher sich wie ein roter bzw. stoffhasenblauer Faden durchs Abenteuer zieht. In besonders nahen Einstellungen und im späteren Spielverlauf wirken manche Zeichnungen allerdings schon zu detailarm.
Die auf einer Goblin-Statue hängenden Knallfrösche schnappe ich mir mit der Hilfe eines anderswo eingesammelten Schwertes. Dazu muss ich die Klinge allerdings erst einmal in den Zeiger der defekten Schuluhr stopfen. Wenn ich auf den großen Zeitmesser klicke, gibt der Sprecher übrigens einen entsprechenden Hinweis, dass die Zeiger seltsamerweise in Klingenform gestaltet wurden. Und wenn ich auf den Goblin klicke, erzählt er ausgiebig davon, wie instabil die schwere Skultur an der Wand befestigt ist.
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Die lustigen kleinen Zensur-Gnome pinseln alle Dinge über, mit denen Lillis Psyche sich lieber nicht auseinandersetzen möchte. |
Mysteriöse Unfälle
Also nichts wie hinein mit der Hieb- und Stichwaffe, drehen, und schon habe ich die Böller samt Goblin von der Wand gestoßen. Seltsam, dass urplötzlich auch die beiden Turteltäubchen verschwunden sind. Standen sie nicht eben noch direkt unter der Statue? Wenn die Hormone verrücktspielen, machen Teenager eben seltsame Sachen.
An ihrer Stelle sind jetzt die lustigen kleinen Zensur-Gnome aufgetaucht, die Lilli manchmal sieht. Sie malen all das hübsch rosa an, mit dem ihre Psyche sich lieber nicht auseinandersetzen möchte. Wie praktisch! Während Lilli sich durch das Kloster rätselt, verschwinden nach und nach immer mehr Mitschüler von der Bildfläche. Für die naive Antiheldin ist das noch lange kein Grund zur Skepsis, doch ich als Spieler finde mit fortschreitender Spieldauer immer mehr Gefallen daran, unter dem Deckmantel der Etikette Gemeinheiten anzustellen. Schließlich liefert mir mein Alter ego mit der unschuldigen Miene die perfekte Rechtfertigung für mein Handeln: Wenn man sich nur an Regeln und Sitte hält, wird schon alles seine Richtigkeit haben!
Nicht mit dem Feuer spielen!
In den folgenden Kapiteln wird es noch abgedrehter. Wer sich so wenig wie möglich spoilern möchte, sollte den Rest des Tests überspringen und zum Fazit wechseln (und auch keinen Blick in die äußerst lesenswerte Anleitung oder auf den Klappentext werfen). Da es sich um ein zentrales Feature der Spielmechanik handelt, will ich es aber nicht unerwähnt lassen: Als Lilli einen Brief von Edna findet, versucht sie natürlich, auch aus dem Kloster zu entkommen und ihrer Freundin zu helfen. Leider kommt ihr Dr. Marcel in die Quere. Als er sie in seiner Gewalt hat, wird klar, was es mit dem Titel des Spiels auf sich hat: Er hat Ednas alten Stoffhasen Harvey in eine Hypnosepuppe mit rot glühenden Augen verwandelt. Mit Hilfe des teuflischen Werkzeugs verpflanzt sie noch mehr psychische Blockaden in das ohnehin gebeutelte Hirn der armen Klosterschülerin.
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Wuuuuuuuuuuugiii! |
Immer, wenn sie etwas tut, was sich für ein braves Kind nicht gehört, erscheint eine Projektion von Harvey auf der Bildfläche und betet mit mechanischer Stimme ein Verbot herunter. Versucht sie, Löcher in ein Laken zu stanzen, ermahnt sie der flauschige Anstandswauwau z.B. „Du sollst nicht mit spitzen Gegenständen hantieren.“ Ein versuchter Ausflug in eine finstere Höhle quittiert Harvey mit „Du sollst dich nicht an gefährlichen Orten herumtreiben!“ Natürlich hat der „lustige Hase“ auch einen Gegenvorschlag parat: „Es gibt doch so viel schönere Orte, an denen Kinder sich aufhalten können. Das Berufsinformationszentrum des Arbeitsamts zum Beispiel. Oder ein Rolf-Zuckowski-Konzert!“