OMSI - Der Omnibussimulator11.04.2011, Mourad Zarrouk
OMSI - Der Omnibussimulator

Im Test:

Dies wird nicht der alltägliche Simulations-Test, wie man ihn aus den letzten zwei Jahren kennt: Dieser Test wird anders, denn dieses Spiel ist anders. Warum? Dies ist wirklich eine Simulation, und zwar eine waschechte! Die Entwickler entführen in die Welt der Doppeldecker-Omnibusse der achtziger Jahre.

Der Titel vor dem Genre?

Startpunkt Rathaus Spandau. Dasselbe Szenario einmal aus der Fahrersicht...

OMSI steht ganz groß auf der Verpackung und erst darunter:  "Der Omnibussimulator". Der Schriftzug "Simulator" ist wie so oft in MS-Flight- Manier kursiv gedruckt, aber weder in der typischen silbernen Farbe noch mit dem eigentlichen Titel verbunden. Sind die Entwickler etwa so überzeugt von ihrem Spiel, dass sie es nicht vor das übliche Zugpferd spannen müssen? Nach Totalausfällen wie dem Bus-Simulator 2009 oder dem zwar deutlich besseren City Bus Simulator 2010 bin ich gespannt, ob dieser mehr Qualität bietet. "Realistisch" und "detailliert"  wollen sie zwar alle sein, aber niemand konnte dieses Ziel innerhalb der Berufssimulationen bisher erreichen.   MR - Software lässt mich indes aufhorchen - von denen hatte ich bislang noch nichts gehört. Ein gutes Omen?

Zwei Freunde, vier Jahre

 ... und einmal mit Blick von außen auf den Bus.

Bei dem "Studio" handelt es sich um zwei (!) angehende Verkehrsingenieure, die diese Simulation in vier Jahren parallel zu ihrem Studium programmiert haben. Kann so etwas gutgehen? Meine Neugier bleibt trotz der langen Ladezeit geweckt. Nachdem ich im spartanischen Auswahlmenü als Szenario "Spandau" auswähle,  verstehe ich allerdings nur noch  Bahnhof - und zwar im Wortsinn. Ich schaue aus der Vogelperspektive auf den S-Bahnhof Spandau, das Rathaus und den Altstädter Ring. Und nun? Kein weiteres Auswahlmenü, kein klassischer Startbildschirm. Ich gebe zu: Die mitgelieferte Streckennetzkarte und die sechs detaillierten farblichen Abbildungen mitsamt der 42 Beschreibungen der Bedienelemente hätten Hinweis genug sein müssen. Im Gegensatz zu allen Berufssimulationen vorher, gilt hier doch tatsächlich: Handbuch lesen! Dort erfahre ich von einem Tutorial, an das ich mich sogleich heranwage.

Vor Spandau liegt Grundorf

Ein Blick auf das beleuchtete Armaturenbrett. Alles, was man sieht, ist bedienbar!

Das fiktive Dorf dient als Trainingsgelände für angehende Bedienstete der Berliner Verkehrsbetriebe. Es handelt sich um ein überschaubares Örtchen mit einer Hauptbuslinie bestehend aus sieben Haltestellen. Im Handbuch wird mir dann erklärt, wie ich meine Fahrerakte anlege, einen Bus auswähle und bereitstelle, den Fahrplan aktiviere und den Bus in Betrieb nehme. Von da an werde ich allerdings meinem Schicksal überlassen. Getreu dem Motto "Übung macht den Meister" lässt man mich ohne weitere Hilfen oder Hinweise (Ausnahme: virtuelle Pfeile zu den Haltestellen)  auf die Fahrgäste los. Ob das gut geht? Schon nach der ersten Kehre und einer eher missglückten Anfahrt an die Haltestelle merke ich: Mit der Tastatur reiße ich hier gar nichts. Schließlich steuert man einen tonnenschweren Doppeldecker auch nicht mit "Pfeiltatsten". Ok, das ist dann neu: Ein Lenkrad muss ran. Es "könnte"  nicht verwendet werden, es "sollte" tunlichst Verwendung finden - bestenfalls mit Kraftrückkopplung (Force Feedback).  Warum auch nicht? Solange es vom Spiel sauber erkannt  und sinnvoll genutzt wird, spricht nichts dagegen - im Gegenteil! Beim  Einrichtungsmenü geht erneut Zweckmäßigkeit vor Komfort, aber mit etwas Übung ist mein Logitech MOMO-Racing Wheel eingerichtet und auch die wichtigsten Funktionen wie Blinker, Haltestellenbremse oder Türöffner belegt. Beim zweiten Anlauf in Grundorf funktioniert  alles schon deutlich besser und ich fühle mich sichtlich wohler auf meinem "Bock".         

Spandau ist nicht Liberty City

Fast schon romantisch: Sozialer Wohnungsbau in Spandau vor der untergehenden Abendsonne

Nach etlichen Runden in Grundorf starte ich meine erste "echte" Dienstfahrt in Spandau. Zur Wahl stehen eine längere (92) und zwei kürzere (13N/92E) Routen. Natürlich wage ich mich erst mal an eine der kurzen Strecken und zwar unter besten Wetterbedingungen. Ich kenne Berlin Spandau selbst ganz gut und bin von der ersten Sekunde an verblüfft, wie detailliert die Entwickler den Stadtteil nachgebildet haben. Zwar stimmt nicht unbedingt jedes einzelne Geschäft mit jenen aus den späten 80'er Jahren überein, aber Tankstellen, bestimmte Läden oder z.B eine bekannte Eisdiele haben ihren Weg in die Simulation gefunden. Ich finde mich tatsächlich zurecht! Nun ist das Spandau des OMSI ist weder Liberty- noch Empire City. Häufige Pop-Ups und zweidimensionale Polygonscheiben mit teilweise sehr niedrig aufgelösten Fototexturen sind an der Tagesordnung. Eine möglichst hohe Darstellung und die Aktivierung von Anti-Aliasing direkt im Konfigurationsmenü der Grafikkarte bewirken da auch keine Wunder, können der Optik aber immerhin etwas von ihrem Schrecken nehmen. Es ändert aber nichts daran: Ein Grafikwunder wie in Mafia 2 darf und kann man hier nicht erwarten. Hier waren zwei Leute am Werk, nicht 200. Aber im Gegensatz zu Empire City gibt es Spandau tatsächlich und noch niemand hat jemals einen deutschen Stadtteil (geschweige denn eine Stadt) derart detailliert und korrekt nachempfunden (ausgenommen aus der Luft).  Schließlich geht es den beiden Entwicklern auch gar nicht darum. Es geht den beiden in erster Linie um die Busse und deren Streckenverlauf. Alles andere verstehen die zwei als Kulisse. Die Fahrgäste sind notwendige Statisten und der übrige Verkehr schmückendes Beiwerk. Wichtig ist ihnen einzig und allein der Wiedererkennungswert der Busse und der reale Streckenverlauf der Linien.

Fühlt sich an wie Busfahren ...

Dicker Fleck auf der Weste: Die Fahrgäste scheinen direkt Dr. Frankensteins Gruselkabinett entsprungen.

Ok, die Frankenstein-Fahrgäste in Spandau sind also derselben Totengruft entstiegen wie ihre ländlichen Pendants aus dem Grundorf-Tutorial und auch die Bäume wirken ebenso eingeklebt. Wenn es nur um Passanten und Bäume ginge, wäre der OMSI auch nicht besser als die sonstigen Berufssimulationen. Gottlob fallen diese unschönen Ausrutscher aber nicht so stark ins Gewicht. Warum? Weil man sich technisch nichts vorwerfen lassen kann und das Drumherum ansonsten stimmt. Wendekreis, Bremsweg, An- und Abfahrt, alles passt und "fühlt" sich authentisch an und im Gegensatz zu den Fahrgästen in   anderen Bus-Simulationen haben die Spandauer viel mehr zu sagen. Da wird mal passend Geld hingelegt oder um die korrekte Fahrkarte gebeten, mal ein (schöner alter) Zehnmarkschein präsentiert und artig gefragt: "Ich fahre den ganzen Tag noch, was nehme ich denn da?" Gebe ich zu wenig oder auch mal zuviel heraus, werde ich korrigiert. Bremse ich zu abrupt an einer Halstestelle oder Ampel, oder gehe ich zu scharf in die Kurve, beschweren sich die Gäste lauthals: "Na, machen wir heute mal wieder einen auf Schumacher" (auch wenn dessen "Ära" erst in den 90'ern begann). Im schlimmsten Fall bestehen sie sogar darauf, sofort aussteigen zu wollen und das auch schonmal in rotzfrechem Berliner Dialekt - dufte!

...hört sich an wie Busfahren...

Auch bei Eis und Schnee: Der Fahrplan muss eingehalten werden.

Die akustische Untermalung darf an dieser Stelle ebenfalls hervorgehoben werden. Von den unterschiedlichen charakteristischen Midi - Startsignalen der Bordelektronik über die authentischen Geräusche der Türhydraulik bis zum Pfeifen der Motorbremse - alles hört sich genauso an, wie man das von einem Bus gewohnt ist. Dass auch tatsächlich die individuellen Betriebsgeräusche der  jeweiligen Bus-Typen aufgenommen wurden, ist schön zu wissen, für mich zählt aber nur was mir meine Ohren sagen: Alter, du fährst hier gerade einen Bus! Ich bin verblüfft von den Details: Natürlich leuchtet die Anzeige "Haltewunsch" korrekt innerhalb des Busses (neben dem Tacho sowieso), wenn ein KI-Fahrgast diese gedrückt hat. Natürlich kann ich bei Dunkelheit das obere Deck getrennt vom unteren beleuchten. Selbstverständlich lässt sich der  Fahrgastraum genau wie mein Führerhaus individuell beheizen. Und wenn ich es im Winter zu frostig werden lasse, hagelt es Beschwerden. Genauso kann und muss ich im Sommer während der Betriebspausen an den Endhaltestellen die Fenster zum Lüften öffnen. Im SD 85 befindet sich sogar ein "versteckter" Kassettenrekorder, mit dem ich mir (bei Bedarf) z.B.ein 80' Jahre Internetradio streamen lassen kann, damit auch wirklich alles an das Ende dieses geilen Jahrzehnts erinnert.

...ist Busfahren!

Die Kirche "Maria, Hilfe der Christen" an der Flankenschanze, Ecke Galenstrasse. Originalgetreu implementiert.

Ich könnte noch viele Beispiele aufführen. Doch ich spare mir das. Ich denke, es wird deutlich, was ich zum Ausdruck bringen möchte: Der OMSI macht (fast) alles richtig und zeigt seinen Mitbewerbern eindrucksvoll wie es geht. Das Fahrerlebnis ist authentisch, da kann ich auch darüber hinwegsehen, dass ich mit meinem Alter Ego keine "Geschichte erlebe". Andere offene Wünsche fallen da eher ins Gewicht: Ein sichtbares Schadensmodell und einen  Mehrspielermodus genauso wie mehr PKW-Typen und Motorräder nebst vernünftig animierten Fahrgästen hätten es schon sein dürfen. Ich kann aber  damit leben, dass ich eben "nur" die Arbeit als Busfahrer verrichte, denn die ist allemal unterhaltsamer und abwechslungsreicher als z.B. die eines Straßenkehrers. Klar: Chirurgen, Notärzte, Feuerwehrleute, Trucker oder  Landwirte erleben in der Realität sicher spannendere Herausforderungen. Aber virtuell konnte mich noch niemand dieser Zunft davon überzeugen - ausgerechnet ein  Busfahrer war der erste, dem dies gelang.

Ausblick

Das Eiscafe "Florida" an der Klosterstraße 15. Wer mal in Spandau ist, unbedingt hinfahren - am besten mit dem Bus.

Der OMSI "fühlt" sich einfach echt  an. Regelmäßig patrouilliert über dem Mauerverlauf ein authentischer sowjetischer Militärhubschrauber, den es auch tatsächlich gab. Oder der Kassettenrekorder im SD 85, oder der D92, der eben erst ab '92 fuhr, aber mit von der Partie ist, um auch etwas aktuellere Technik einzubringen. Das sind alles Puzzlestücke, die zur Glaubwürdigkeit des Gesamtbildes beitragen. Zwei ambitionierte Teilzeitprogrammierer beweisen, was alles möglich ist, wenn man es denn richtig angeht: Lieber eine überschaubare Strecke, die dann aber richtig! Lieber nur zwei Bus-Baureihen (mit ihren Untergruppen) aber die dann bis ins kleinste Detail. Der OMSI ist aktuell die  mit weitem Abstand authentischste und technisch ausgereifteste Berufssimulation mit dem glaubwürdigsten Fahrmodell. Übrigens: Dank der offenen Programmierstruktur und der aktiven Community wird ambitionierten Busfahrern auch in Zukunft nicht so schnell langweilig - kostenlose Szenarien anderer Großstädte sind schon angekündigt und teilweise schon verfügbar.

Fazit

Was kommt heraus, wenn zwei Mittzwanziger sentimental auf ihre Kindheit zurückblicken und die täglichen Busfahrten zur Grundschule für ein Spiel nutzen wollen? Eine verdammt gute Simulation! Zwei Freunden gelingt das, was hunderten anderen Entwicklern bisher nicht gelungen ist: Eine glaubwürdige, authentische und nachvollziehbare Berufssimulation! Endlich einmal kein Etikettenschwindel, endlich ist auch Simulation drin, wo Simulation draufsteht. Klar, es wurden Abstriche gemacht: Das 1989'er Spandau kann als freie Stadt nicht ansatzweise mit Liberty City & Co mithalten, Bäume und Landschaft sehen schwach aus. Aber schließlich geht es nicht darum, auszusteigen und herumzulaufen. Und was die Busse angeht: Da ist der OMSI über jeden Zweifel erhaben! Vom speckigen Dreck an der Sonnenblende bis zur Beflaggung über den Frontscheinwerfen an Feiertagen stimmt wirklich alles. Außerdem übertrifft er grafisch jede Alltags/Berufssimulation seit Beginn des "Phänomens" vor gut drei Jahren - nur der City-Bus Simulator und der Landwirtschafts-Simulator 2011 können mithalten. Das muss man sich vor Augen halten, bevor man über die auf den ersten Blick "grausame" Grafik die Nase rümpft. Trotzdem hätten vernünftig animierte Fahrgäste und Passanten, ein visuelles Schadensmodell, eine Mehrspieler-Option und nicht zuletzt auch mehr Fahrzeug-Vielfalt nicht geschadet. Aber es muss ja noch Luft nach oben für einen Nachfolger bleiben. In diesem Sinne: Glückwunsch an die Entwickler und gute Fahrt!

Zum Video-Fazit
Zum Interview

Pro

originalgetreu nachempfundene Spielwelt
besonders detaillierte Darstellung der Busse...
...hier vor allem des "Arbeitsplatzes" des Fahrers
realistische, physikalisch korrekte Bussteuerung
realistische Geräuscheffekte
Technik wie ABS/Schlupfkontrolle etc. ...
...und "spürbar" (ABS=Längerer aber kontrollierter Bremsweg)
Verschmutzung des Busses...
reinigen und tanken möglich...
sämtliche Bedienelemente der Bustypen implementiert
Tag/Nachtwechsel
realistisches Wettermodell (Regen, Schnee, Matsch)...
...bei Online-Anbindung auch dynamisch
Verkehrsdichte stufenlos anpassbar
Lenkradunterstützung mit freier Tastaturbelegung
Original Busfahrpläne der Linen 92 und 13N von '89
Originallizenz (MAN)
sämtliche Doppeldecker Bustypen der Zeit verfügbar...
...plus eine modernere Variante aus 1992
"Mitfahren" möglich...auch in PKW
Sanktionen bei Unfällen und Personenschäden
Leistungskontrolle per Fahrerakte
Fahrtenprotokoll nach jeder Fahrt
Sprachausgabe mit Berliner Dialekt
direkte Rückmeldung der Fahrgäste zum Fahrstil

Kontra

gruselige Darstellung/Animation der Fahrgäste
PKW
Fahrzeugtypen sehr begrenzt
keinerlei Multiplayer-Optionen
lange Startladezeit
keine In-Game-Musik möglich (außer bei einem Bustyp)
überschaubarer Spielumfang
häufige Pop-Ups
 ... aber kein visuelles Schadensmodell
... aber nicht animiert (Schematisch)
teilweise unnötig "versteckte" Spieloptionen

Wertung

PC

Der OMSI hält als erste Berufssimulation, was sie verspricht: Die MAN Doppeldecker werden glaubwürdig und realistisch zum Leben erweckt. Und das vor erstaunlich authentischer Kulisse. So wird's gemacht !

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