The Second Guest13.03.2012, Jan Wöbbeking
The Second Guest

Im Test:

Dass Werbetexte gerne das Blaue vom Himmel versprechen, ist nichts Neues. Aber Headup Games treibt es auf die Spitze: „Mit einer guten Mischung aus Gruselatmosphäre und witzigen Dialogen bietet The Second Guest (ab 15,90€ bei kaufen) alles, was man von einem fesselnden Adventure erwarten kann.“ Aber sicher doch, ohne ein paar Totalabstürze ist so ein Adventure nicht komplett. Auch verschwindende Menüs gehören einfach dazu. Und ausgeblendete Figuren, falsch beschriftete Hotspots, nicht anklickbare Gegenstände, stumme Gesprächspartner,…

Das Geheimnis der verschollenen Qualitätssicherung

Ich könnte das Aufzähl-Spielchen noch eine ganze Weile fortführen, denn falls es

Gestatten: Jack Ice, auf dem Weg zu seiner großen Erbschaft.
Gestatten: Jack Ice, auf dem Weg zu seiner großen Erbschaft.
eine Qualitätskontrolle gab, hat die mindestens zwei Augen zugedrückt. Auch Titel und Verpackung versprechen mehr, als sie halten können: Der Name und das Schloss auf einem Felsen haben mich auf Anhieb an „The 7th Guest“ erinnert. Der Adventure-Klassiker kurbelte im Jahr 1993 mit aufwändigen Rendergrafiken und Filmsequenzen den Absatz von CD-Laufwerken an. Beide Spiele haben im Grunde nichts miteinander zu tun, doch Entwickler Twice Effect bedient sich dreist beim Vorbild: Wie damals verschlägt es mich in ein Anwesen auf einem gruseligen Eiland. In der Packung stecken übrigens die ersten beiden von fünf geplanten Episoden. 

Inhaltlich gibt es wichtige Unterschiede zum Vorbild. Die Umgebung besteht diesmal aus schlicht gehaltenen Zeichnungen, außerdem dreht sich das Spiel nicht um ausgelagerte Puzzles wie in Professor Layton. Stattdessen erforsche ich die Insel und löse klassische Umgebungs- und Inventar-Rätsel. Die Geschichte führt mich ins England der Zwanziger Jahre. Ich schlüpfe in die Rolle des jungen Erwachsenen Jack Ice, welcher durch einen Brief von einer gewaltigen Erbschaft erfährt. Er hat zwar noch nie von dem Verstorbenen gehört, macht sich aber sofort auf den Weg zur felsigen Insel an Englands Westküste. Schon der Einstieg ist lieblos inszeniert: Eine Stimme aus dem Off liest den Brief vor und schon tapse ich ohne große Einführung an der Küste entlang.

Auf der Suche nach Rätselspaß

Im Anwesen angekommen werde ich Zeuge einer geheimnisvollen Mordserie.

Für hübsche Hintergründe war nach dem Engagement von Star-Sprechern wie Oliver Rohrbeck offenbar kein Geld übrig.
Für hübsche Hintergründe war nach dem Engagement von Star-Sprechern wie Oliver Rohrbeck offenbar kein Geld übrig.
Nachdem mein Alter Ego beinahe selbst von einem vermummten Phantom über den Haufen geschossen wurde, starte ich meine Ermittlungen. Ich frage Figuren wie den Kommissar, den Butler oder die kratzbürstige Schwester des ermordeten Lords aus. Der Großteil der Dialoge ist weder lustig noch auf andere Weise interessant. Die meisten Gespräche habe ich lustlos abgeklappert, denn an Dialogrätsel hat Entwickler Twice Effect nicht gedacht. Auf dem Weg über die Insel besuche ich Orte wie den verwunschenen Friedhof, ein Schiffswrack und einen alten Leuchtturm. Die verschrobenen Charaktere und einige verdorrte Baumstümpfe wurden in verschnörkelt-morbidem Stil gezeichnet, die meisten Kulissen sehen aber ziemlich karg aus. Auch die hölzernen Animationen fallen negativ auf. Zugegeben: Daedalics Edna bewegte sich vor ein paar Jahren auch nicht viel eleganter, doch dort passte der Minimalismus besser zum überdreht-trashigen Stil.

Dass in The Second Guest trotzdem eine geheimnisvolle Stimmung aufkommt, liegt vor allem an der hervorragenden Vertonung. Star-Sprecher wie David Nathan (Johnny Depps deutsche Stimme) und Oliver Rohrbeck liefern eine filmreife Leistung ab: Fast jede Betonung sitzt perfekt. Auch der Soundtrack von Luigi-Maria Rapisarda verströmt mit eingängigen Cembalo- und Synthesizer-Melodien eine wunderbar mysteriöse Atmosphäre (und liegt übrigens auf einer Extra-CD bei). Sobald es ein Rätsel zu lösen gibt, ist die aufgebaute Stimmung aber sofort wieder futsch. Eigentlich gibt es in den rund vier Stunden gar nicht so viel zu knobeln – und all zu schwer fallen die Rätsel auch nicht aus. Schuld am Ärger ist ein niemals versiegender Quell neuer Bugs und die allgemein unkomfortable und inkonsequente Steuerung: Durch Türen komme ich nur mit „benutzen“, durch Tore dagegen durch eine einfachen Klick. Einen öligen Lappen kann ich immer aufheben – egal wo ich mich befinde. Das Öffnen eines Sicherungskastens klappt dagegen nur, wenn ich direkt davor stehe. Oder aber ich dupliziere auf magische Weise einen Maiskolben: Nachdem ich ihn aufgehoben habe, liegt er sowohl in meinem Inventar als auch auf dem Boden.

Das funktioniert so nicht!

Ebenfalls unlogisch: Wenn ich eine von zehn leeren Flaschen greifen will, lässt Jack

Bei diesem Rätsel muss man einen Windmühlenflügel in die Luft bewegen, um eine darunter versteckte Tafel zu finden.
Meist gibt es Inventar-Rätsel zu lösen: Hier muss man z.B. einen Windmühlenflügel in die Höhe bewegen, um eine darunter versteckte Tafel zu finden.
einen genervten Kommentar ab. Greife ich zu einem etwas abseits stehenden Exemplar, hat er keine Einwände. Das ist umso ärgerlicher, weil ich das Behältnis kurz darauf zwingend benötige, um Petrolium hinein zu füllen und in einem dunklen Kellerraum für Licht zu sorgen. Das Ergebnis: Meist irre ich ahnungslos von einem Schauplatz zum nächsten. Irgendwann realisiere ich dann, dass ich das Rätsel schon längst gelöst habe, ein Bug aber eine wichtige Aktion verhindert hat.

Auch die Dialoge können das Problem nicht entschärfen, denn sie geben kaum Hinweise. Mein Alter Ego gibt ebenfalls nur stumpfe Beschreibungen von sich, wenn ich z.B. einen Sicherungskasten untersuche: „Ein Kasten mit elektrischen Sicherungen“. Wer hätte das gedacht? Ab und zu stoße ich immerhin einen mysteriös formulierten Hinweis-Zettel, welcher mich wie auf einer Schnitzeljagd an den nächsten Ort führt.

Fazit

Das nenne ich einen misslungenen Serienstart: Ich hätte nicht gedacht, dass man im Adventure-Genre so viel falsch machen kann wie in den ersten zwei Episoden von „The Second Guest“. Das größte Problem ist, dass Headup Games sich offenbar die Qualitätskontrolle gespart hat. Wenn das Spiel nicht gerade komplett abschmierte oder Teile der Grafik ausblendete, stolperte ich meist ahnungslos über die Insel. Oft hatte ich des Rätsels Lösung längst gefunden, doch einer der zahllosen Bugs funkte dazwischen. Selbst wenn ein Patch eines Tages alle Probleme beheben sollte, ist das Spiel eine Enttäuschung. Die Krimi-Story plätschert ohne Höhepunkte vor sich hin, die Dialoge sind meist langweilig, Rätsel beschränken sich auf einfache Kombinationen und die Steuerung gestaltet sich schrecklich unkomfortabel. Schade ist es nur um die hervorragende Vertonung:  Der geheimnisvolle Soundtrack und die professionellen Sprecher schaffen eine gemütliche Gruselatmosphäre. Doch das allein ist für ein Adventure zu wenig.

Wertung

PC

Zahllose Bugs, eine hakelige Steuerung und seichte Dialoge machen The Second Guest zu einem Frusterlebnis.

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