Max Payne27.07.2001, Jörg Luibl
Max Payne

Im Test:

Elender Hype oder einzigartiges Highlight? Nach vier Jahren Entwicklungszeit drängen die finnischen Entwickler von Remedy Entertainment mit einem Action-Spiel auf den Markt, das bereits im Vorfeld für Furore und auf der E3 für ungläubiges Staunen sorgte: Max Payne (ab 9,99€ bei kaufen). Die Trailer versprachen eine packende Story, beeindruckend detaillierte 3D-Grafik und vor allem Zeitlupeneffekte à la Matrix. Schnell kamen Zweifel auf, ob das Gesehene spielerisch überhaupt umsetzbar und grafisch nicht geschönt sei.

Rache im Blut

Die düstere Story wird von filmischen Stilmitteln bereichert - es weht ein hauch Film noir.
Die düstere Story wird von filmischen Stilmitteln bereichert - es weht ein hauch Film noir.
Er verliert seine Frau, er verliert sein Kind und er schwört Rache. Als Undercover-Agent der DEA (Drug Enforcement Administration) macht sich Max Payne auf die Suche nach den Mördern seiner Familie, die er irgendwo im New Yorker Mafia-Milieu vermutet. Sein einziger Hinweis bleibt die neue Designer-Droge namens Valkyr, die sich wie ein Virus in den Slums ausbreitet und mit der auch die Mörder seiner Familie vollgepumpt waren. Kurz vor einem Ermittlungserfolg wird Max Payne jedoch des Mordes an einem Kollegen beschuldigt. Und weil es nicht viel schlimmer kommen kann, geht er in die Offensive und ballert sich durch die miesesten und gefährlichsten Viertel New Yorks, gejagt von Mafia und Polizei. Der Tanz der Patronen kann beginnen...

Max Payne katapultiert Euch dank des spielbaren Rückblicks zur Hauptstory schnell und schonungslos in die düstere Hintergrundstory: Ihr kommt in Euer Haus, die Türen sind aufgebrochen, Kisten und Schränke durchwühlt und die Schreie von Frau und Kind lassen Euch panikartig zur Waffe greifen. Ihr hetzt die Treppe hoch, die Schreie werden lauter, Schüsse fallen und dann starrt Ihr in die hässliche Fratze der beiden Mörder und betätigt instinktiv den Abzug: BUM!BUM!BUM! Allein diese Einleitungssequenz ist so packend und kinoreif, dass man sich wie in einem interaktiven Film vorkommt.

Insgesamt warten drei Kapitel mit bis zu zehn Levels auf Euch. Die einzelnen Abschnitte und Storywendungen werden nicht durch In-Game-Sequenzen, sondern durch kleine Comics mit Sprachausgabe verbunden - dafür bereiten Euch kleine Filmchen innerhalb der Levels auf besonders heikle Situationen und schwere Gegner vor.

Die Macht der Zeitlupe

Die innovative Zeitlupenfunktion sorgt für spektakuläre Ansichten.
Die innovative Zeitlupenfunktion sorgt für spektakuläre Ansichten.
Die Steuerung geht absolut flüssig von der Hand und Shooter-Fans dürften sich sofort heimisch fühlen: Ihr bewegt Max aus der Schulterperspektive und er kann rennen, springen, sich ducken und in Kombination mit der Sprungtaste elegante Seit- und Rückwärtsrollen aufs Parkett legen. Trotzdem sollte man sich das kurzweilige Tutorial nicht entgehen lassen, um sich mit dem Sahnehäubchen der Bewegungsmöglichkeiten und dem innovativen Hauptaspekt des Spiels vertraut zu machen...

...der Zeitlupenfunktion (Bullet-Time-Feature): Per Druck auf die rechte Maustaste verlangsamt Ihr Max´ Bewegungen um ein Vielfaches und habt so ordentlich Zeit, um Eure Gegner gezielt aufs Korn zu nehmen. Dieses Feature ist so faszinierend, dass man sich schon im Tutorial Dutzende Male just for fun damit austobt. Sobald Ihr Eure Waffe abfeuert, könnt Ihr die Schmauchspuren der Projektile verfolgen, bis diese endlich ihr Ziel finden. Eine Sanduhr zeigt an, wie lange Ihr dieses lebenswichtige Feature einsetzen könnt. Wer also zu verschwenderisch in Zeitlupe durch die Gegend hechtet, muss vielleicht an einer kritischen Stelle in Echtzeit überleben - nicht einfach. Und um den kostbaren Sand wieder in die Uhr zu bekommen, solltet Ihr fleißig Mafiosi und Cops ins Jenseits befördern.

Aber mit dieser tödlichen Effektivität ist es noch nicht getan, denn Ihr könnt aus den reinen Ballerorgien wahre Kunstwerke machen, wenn Ihr z.B. in der Slow-Motion-Phase zum Hechtsprung ansetzt, Euch in der Luft um 180 Grad dreht und dann entspannt mit der abgesägten Schrotflinte Gegner in Eurem Rücken begrüßt - aber halt: Damit ist es auch noch nicht getan, denn ganz eitle Action-Helden können genau in diesem Moment die Pause-Taste drücken und die Szene einfrieren: Entspannen, 360-Grad-Kamerafahrt bestaunen und dazu hungrige Schrotkugeln in der Luft samt dem entsetzten Gesichtsausdruck der Mafiosi genießen.

Waffen, Gegner & Kamera

Glück gehabt! Sitzt der nächste Schuss?
Glück gehabt! Sitzt der nächste Schuss?
Das Besondere am Schwierigkeitsgrad ist, dass er sich dynamisch an Euer Können anpasst: Je nachdem, wie viel Schüsse Ihr für einen Gegner oder wie lange Ihr für einen Level braucht, modifiziert er sich automatisch nach oben oder unten - insgesamt gibt es sieben Stufen. Zu Beginn starten alle auf Stufe 3.

Das Spiel ist angenehm fordernd und die Gegner verhalten sich klug: Sie verstecken sich hinter Kisten, rennen weg und werfen plötzlich Granaten oder setzen auf geballte Feuerkraft. Und wenn Ihr die Hälfte einer Gang aus der Deckung getötet habt, dürft Ihr sicher sein, dass die anderen sich verschanzen und nicht wie lebensmüde vor Eure Flinte laufen. Lobenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Kameraperspektive, die sich zwar manchmal automatisch verändert, aber dem Spieler selten Orientierungsprobleme bereitet - nur ab und zu verschwindet der kleine Visierpunkt.

Schummelt die Feind-KI?

Und damit der Ballerspaß auch genug ballistische Abwechslung bietet, kann Max Payne auf ein authentisches Waffenarsenal zurückgreifen, das für jede Entfernung, Gegnerzahl und Situation die richtige Antwort parat hat: Vom Baseball-Schläger über diverse Pistolen und Schrotflinten bis hin zu Handgranaten und Molotow-Cocktails ist alles vorhanden -

Mord und Totschlag: Wer steckt hinter dem Ganzen?
Mord und Totschlag: Wer steckt hinter dem Ganzen?
Scharfschützengewehr und Granatwerfer nicht zu vergessen.

Trotzdem gibt es gerade bei den spektakulären Feuergefechten einige Kritikpunkte: Zum einen wissen Gegner manchmal genau, wo Ihr seid, ohne Euch gesehen zu haben. Wenn sie Euch dann noch durch die Wand erschießen kommt schon mal Frust auf. Außerdem gibt es ballistische Unstimmigkeiten bei den Waffen, die gerade Realismus-Fanatiker stören werden: Die Schrotflinte hat z.B. eine viel zu große Reichweite - und das bei gleichbleibender Effektivität. Dadurch verlieren die eigentlichen Fernwaffen natürlich an Attraktivität. Und im Nahkampfbereich bleibt der Baseballschläger Geheimtipp Nr.1: Ihr könnt ihn so schnell schwingen wie eine Fliegenklatsche und so -Überraschung vorausgesetzt- ganze Gegnerhorden versemmeln.

Abwechslung ist Trumpf

Zwischendurch gibt es auch ruhige Passagen.
Zwischendurch gibt es auch ruhige Passagen.
Auch wenn schnelle Action das Hauptmerkmal von Max Payne ist, gibt es zwischendurch immer Abwechslung im Leveldesign: Unter Drogeneinfluss müsst Ihr in bizarren Traumleveln Ausgänge finden, an anderer Stelle als Scharfschütze glänzen oder einem höllischen Flammeninferno entkommen. Habt Ihr alle Gegner erledigt, gilt es Schränke und Räume nach Waffen und Medi-Packs (Pain Killer) zu durchsuchen, Schalter zu finden oder kleinere Rätsel zu lösen. Das Maß an Interaktivität geht so weit, dass Ihr Fernseher oder Radios anschalten, Wasserhähne aufdrehen und Getränke-Automaten bedienen könnt - so mancher Gag ist garantiert. Sobald Max einen wichtigen Gegenstand erblickt, erscheint ein Ausrufezeichen über seinem Kopf. Die Story wird dann durch Comic-Strips weitergeführt und wartet mit überraschenden Wendungen auf.

Max Payne dürfte besonders für Hobby-Regisseure und Filmfreunde interessant sein, denn die Entwickler haben bewusst zahlreiche Dramaturgie-Elemente von John Woo-Filmen und dem Film Noir einfließen lassen. Erwähnenswert ist daher noch der Editor, der Euch die technischen Mittel an die Hand gibt, um ein Ballerszenario nach eigenen Wünschen zu zaubern: Egal ob im Wilden Westen oder in der fernen Zukunft - Eurer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wer mehr über die Möglichkeiten des Editors erfahren möchte, sollte sich übrigens unser kommendes Special nicht entgehen lassen.

Spektakuläre Kulisse

Die Kulisse ist schlichtweg phänomenal: Max Payne hält genau das, was es auf der E3 technisch versprochen hat.
Die Kulisse ist schlichtweg phänomenal: Max Payne hält genau das, was es auf der E3 technisch versprochen hat.
Es gab im Vorfeld viele Zweifel an der Grafikpracht von Max Payne, aber die Entwickler von Remedy zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie mächtig ihre eigens entworfene MAX-FX-Enginge ist: Freut Euch selbst ohne High-End-Rechner auf hochauflösende Texturen, die ein nahezu fotorealistisches New York-Szenario auf Eure Monitore zaubern.

Aber nicht nur die Technik stimmt, sondern auch die Liebe zum Detail - egal ob bei den Gesichtern der Gegner, den vielen Einzelheiten in der Innenausstattung der Räume, der U-Bahnen oder den vielen Graffitis. Auch wenn die Hochhaus-Fassaden auf den Dächern eher schwammig wirken, werden die verschneiten Straßen und vor allem die versifften Hotels und Absteigen sehr überzeugend dargestellt. Hinzu kommen die Partikel-Effekte, die jede Schießerei zu einer optischen Augenweide machen. Denn Mündungsfeuer, Rauch und Explosionen bestehen nicht aus Bitmaps, sondern sind vollständig dreidimensional gestaltet - das Feuerinferno im zweiten Kapitel ist absolut faszinierend und dürfte jeden Feuerwehrmann nervös zum Wasserschlauch greifen lassen.

Die atmosphärische Dichte wird durch die stimmige Musik- und Sounduntermalung abgerundet: Neben gelungenen Sprach-Samples, Detonations- und Feuergeräuschen ist vor allem die dynamische Hintergrundmusik hervorzuheben, die an entscheidenden Stellen für eine erhöhte Portion Dramatik sorgt. Zu bemängeln bleibt der relative Gleichklang der verschiedenen Waffen und die Tatsache, dass Bodenbeläge ab und zu akustisch falsch (Metall hört sich wie Stein an) wiedergegeben werden.

Fazit

Bin ich im Film oder was? Mit Max Payne ist das intensivste und packendste Spielerlebnis des Jahres. Es ist einfach unglaublich, wie schnell man von der dichten Atmosphäre gefangen wird und wie sauber die Steuerung trotz der scheinbar komplizierten, aber angenehm innovativen Zeitlupenfunktion von der Hand geht. Max' Rachefeldzug lässt technisch die gesamte Konkurrenz alt aussehen, glänzt mit spektakulären Ballerorgien und abwechslungsreichem Leveldesign. Die finnischen Entwickler haben ein Action-Feuerwerk abgeliefert, das dem Shooter-Genre eine gehörige Portion Innovation verpasst und eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass die Verschmelzung von Filmdramatik und Spielspaß äußerst fruchtbar sein kann.

Pro

packende Story
Kinoflair am PC
flüssige Steuerung
mächtiger Editor
hervorragende Grafik
stimmungsvolle Akustik
dynamischer Schwierigkeitsgrad
nie gespielte Slow-Motion-Effekte
abwechslungsreiches Level-Design
realistische New York-Atmosphäre

Kontra

kleine Akustikfehler
ballistische Unstimmigkeiten
Gegner wissen, wo man steht

Wertung

PC

Intensive Action, innovative Zeitlupe, dazu ein Hauch Film noir und Kugelhagel à la John Woo - ausgezeichnet!

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