Ryse: Son of Rome10.10.2014, Michael Krosta

Im Test: Dies ater!

Ursprünglich als reiner Kinect-Titel für die Xbox 360 angekündigt, krempelte Crytek das Konzept von Ryse: Son of Rome (ab 13,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) im Laufe der Jahre gehörig um: Aus dem potenziellen Gefuchtel in Egosicht wurde nicht nur ein Controller-Gemetzel mit cineastischer Inszenierung. Auch die Xbox One wurde als neue Plattform auserkoren, um gleich zum Start die technischen Möglichkeiten zu demonstrieren. Jetzt, fast ein Jahr später, ist das Gemetzel auf dem PC angelangt und wurde technisch weiter aufgemöbelt. Doch unter der auf Hochglanz polierten Oberfläche steckt leider immer noch das gleiche langweilige Spiel!

Was für eine Pracht!

Crytek kann Technik! Aber das ist nichts Neues, zeigte das Frankfurter Studio doch schon mit Far Cry, Crysis & Co, welche Leistung man mit der entsprechenden Technologie aus Grafikchips herauskitzeln kann. Mit Ryse öffnen die Mannen um Cevat Yerli, der hier sogar in die Rolle des Game Directors schlüpft, jetzt auch auf dem PC das nächste Kapitel für die hauseigene CryEngine 3: Wenn man mit dem römischen Zenturio Marius Titus durch die dichten Wälder Britanniens streift, die ehrwürdigen Mauern der Stadt York vor heranstürmenden Barbaren verteidigt oder den Glanz Roms erlebt, hält man gerne einen Moment inne, um die Pracht auf dem Bildschirm zu genießen. Viele Texturen, allen voran von diversen Felsformationen, sind knackscharf und lassen sogar feinste Strukturen erkennen. Atmosphärische Licht- und Partikeleffekte sind eine Augenweide und vor allem in den Zwischensequenzen kommen die fantastisch modellierten Figuren zur Geltung, deren Gestik und Mimik meist großartig eingefangen wird. Selbst beim Betrachten der Rüstung des Protagonisten stellt sich schon ein gewisser Wow-Faktor ein: Einen so detaillierten Zenturio sieht man sonst höchstens in einem Museum. Auch hier hauen einen die kleinen Feinheiten in den Strukturen und das glänzende Zusammenspiel mit Lichtreflektionen vom Hocker.

Auf dem PC wird die grafische Pracht noch weiter gesteigert.
Und am PC wird die Pracht der Konsolen-Version noch prächtiger: Statt 900p auf der Xbox One erstrahlt die Kulisse hier in der vollen HD-Auflösung von 1080p. Wer will und die nötige Hardware sein Eigen nennt, darf sich sogar in 4K, also der vierfachen 1080p-Auflösung, durchschnetzeln. Folglich wirken Kulissen und Figuren noch einen Tick schärfer als auf der Konsole und protzen mit zusätzlichen Details und weniger Kanten. Auch den mitunter etwas hakeligen Animationen hat man sich bei Crytek offenbar genauso angenommen wie den Problemen mit der Kollisionsabfrage, die am PC nicht mehr so häufig auftreten. Dank der höheren Bildrate ist das Spielgefühl am PC zudem angenehmer - die sporadischen Ruckler auf der Xbox One gibt es hier nicht mehr zu sehen. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es nur bei der Steuerung: Zwar lässt sich der Titel neben dem Controller jetzt auch mit Maus und Tastatur spielen, doch eine individuelle Anpassung wird PC-Römern leider nicht gewährt. Auch sind die Dialoge in Zwischensequenzen weiterhin nicht lippensynchron und auch bei der Lautstärke-Abmischung gibt es noch den einen oder anderen Aussetzer. Trotzdem: Was die Entwickler hier technisch auffahren, ist absolut beeindruckend! Gleichzeitig ist Ryse ein gutes Beispiel dafür, dass der PC  - entsprechende Komponenten vorausgesetzt - die technischen Möglichkeiten aktueller Konsolen übertrifft. Honos reddaturus dignis.

Grausiges Spieldesign

Die Barbaren stehen vor den Toren Yorks.
Die Barbaren stehen vor den Toren Yorks.
Ja, Crytek kann Technik. Aber was das Studio nicht kann, ist Spieldesign – zumindest, wenn man sich abseits der vertrauten Shooter-Pfade bewegt. Und diesen Schuh muss sich im Fall von Ryse besonders Studioleiter und Mitbegründer Cevat Yerli anziehen, der als Regisseur auch für das Konzept der Sandalen-Action verantwortlich zeichnet. Das geht schon beim Kampfsystem los, dem es nicht nur an Komplexität, sondern auch an Dynamik fehlt: Zwei Tasten stehen für Angriffe zur Verfügung. Hält man sie länger gedrückt, fallen die Attacken entsprechend stärker aus. Eine weitere ist für das Blocken mit dem Schild reserviert, wobei ein perfektes Timing Chancen für einen Konter eröffnet. Alternativ weicht man auf Tastendruck mit einer Rolle aus. Ein Kombosystem sucht man vergeblich – stattdessen bleibt man von Anfang bis zum Ende der kurzen, etwa sechsstündigen Kampagne auf das lächerlich kleine Schlagrepertoire beschränkt. Positiv ist die Möglichkeit, jederzeit zwischen den Belohnungen für erfolgreiche Tötungen über das Digipad umschalten zu können, wobei hier Gesundheit, das Auffüllen der Fokus-Anzeige, mehr Erfahrungspunkte für Rangaufstiege und den Zugriff auf Verbesserungen sowie stärkere Angriffe zur Auswahl stehen.

An den brutalen Hinrichtungen in Zeitlupe hat man sich schnell satt gesehen.
An den brutalen Hinrichtungen in Zeitlupe hat man sich schnell satt gesehen.
Aber warum sollte man auch mehr Variationen bieten? Immerhin sind die Angriffsmuster der Gegner so simpel gestrickt, dass man nicht mehr braucht. Oft metzelt man sich mit wildem Knopfgehämmer durch und auch die Barbaren mit Schilden sind schnell geknackt, wenn man mit einem schweren Angriff ihre Deckung öffnet. Erst später mischt ein weiterer Typ mit, bei dem mehrere gut getimte Blocks nötig sind, um die Serie an Schlägen abzuwehren. Aber auch hier ist das Muster genauso schnell durchschaut wie bei den wenigen unspektakulären Bosskämpfen. Und zur Not lässt sich bei voller Fokus-Anzeige ja noch die Zeitlupe aktivieren, mit der die Kämpfe endgültig zum Kinderspiel werden. Doch es geht noch anspruchsloser: Wie schon bei der ersten Demonstration auf der E3 oder auf der Xbox One negativ aufgefallen ist, spielt es auch am PC bei Hinrichtungen keine Rolle, ob man die Reaktionstests meistert oder nicht. Selbst wenn man die Folge von Knopfdrücken komplett verweigert, werden die brutalen Tötungssequenzen erfolgreich beendet. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Szenen trotz der optionalen Freischaltung neuer Variationen ständig wiederholen, ist diese Mechanik einfach nur lächerlich und wird nur noch von den grausigen Geschützsequenzen und dem völlig überflüssigen Befehlssystem unterboten. Ryse ist von Anfang bis Ende primitive, dumme und flache Action mit einem furchtbar monotonen Spielablauf, von dem man nach einer halben Stunde schon genug hat. Tatsächlich hat man in dieser Zeit auch schon fast alles gesehen, denn egal ob die spaßfreien Kämpfe mit Schwert oder Speer (inkl. automatischer Zielerfassung), dem spannungsfreien Vormarsch im Schildpanzerverband oder das Verteidigen von Stellungen: Fast alles, was man im ersten der acht Kapitel zu sehen bekommt, wird später einfach immer und immer wieder aufgegriffen und erneut durchgenudelt. An Redundanz und Langeweile ist Ryse kaum zu überbieten.

Barbaren aus der Klonfarbrik

Die Gestaltung der barbarischen und römischen Gegner trägt ihren Teil zum Dauergähnen bei: Meine Güte, sind denn hier nur Inzest-Opfer unterwegs? Immer wieder trifft man auf die gleichen Fratzen in ihren Einheitsklamotten, die teilweise sogar als Zwillings- oder gar Drillingspaar gemeinsam auftreten – egal ob in den Straßen Roms, in York oder den dunklen Wäldern Britanniens. Ständig werde ich von „alten Bekannten“ eingekreist und attackiert. Es ist erschreckend und gleichzeitig peinlich, wie wenig Wert man bei Crytek auf Variationen beim Gegnerdesign gelegt hat.

Ein glücklicheres Los haben die Hauptcharaktere gezogen, die sehr viel aufwändiger und individueller gestaltet wurden. Dabei bedient sich Crytek zwar an historischen Figuren wie Kaiser Nero, Commodus, Barbaren-König Oswald oder der rebellischen Boudica, wirft dabei aber sämtliche Fakten über Bord und mischt sie passend zur fiktiven Handlung nach eigenen Vorstellungen zusammen, die Historikern angesichts dieser „kreativen Freiheiten“ vermutlich einen Brechreiz bescheren dürften. Eigentlich egal, denn die Story zählt genauso wenig zu den Stärken wie das Spieldesign und strotzt nur so voller Klischees rund um Verrat und Rache. Ihren Tiefpunkt erreicht sie allerdings durch das Einstreuen von göttlichen Charakteren, die in die Handlung eingreifen und ihr dadurch einen übernatürlichen Touch verpassen, der hier völlig deplatziert wirkt. Dazu gesellen sich teilweise unterirdische Dialoge, die nicht nur schlecht abgemischt wurden, sondern den Situationen sogar eine gewisse Slapstick-Komik verleiht – und das in einem Spiel, das sich selbst an allen Ecken und Enden viel zu ernst nimmt und sich gerade dadurch lächerlich macht.    

Dumm und dümmer

Meist ist man von Gegnern umringt - Hilfe von seinen Kameraden darf man nicht erwarten.
Meist ist man von Gegnern umringt - Hilfe von seinen Kameraden darf man nicht erwarten.
Bei den Mitstreitern, die ab und zu an der Seite von Marius kämpfen, sieht es nicht viel besser aus. Wobei sich auch ihre Unterstützung in Grenzen hält: Meist stehen die römischen Unterstützungseinheiten nur dumm in der Gegend herum und sehen mir dabei zu, wie ich mich mit vier oder mehr Barbaren alleine herumschlagen muss. Bei der Erstürmung von York sind sie sogar zu blöd, selbst mal auf die Idee zu kommen, die Leitern umzustoßen, mit denen die Wilden die Mauern erklimmen. Nein, ich muss mich hier um alles selbst kümmern – es sei denn, es wird ein Skript ausgelöst. Ganz schlimm war eine Mission, in der ich römische Gefangene aus den Käfigen der Barbaren befreien musste, bevor diese abgefackelt werden. Ein Schwerthieb reichte im ersten Lager noch aus, um die Tür zu öffnen. Aber das diente offenbar nur zu Demonstrationszwecken, denn in den darauf folgenden Camps musste ich erst Wellen von Fackelläufern und Standard-Bastarden ausschalten, bevor meine Schläge auf die Käfigtüren von Erfolg gekrönt waren. Auch hier standen meine zuvor befreiten Landsleute übrigens genauso passiv in der Gegend herum wie in den Kämpfen. In solchen Situationen würde ich angesichts des unterirdischen Missionsdesigns und dieser traurigen Situationskomik am liebsten sofort laut schreien.

Gold statt Ehre - nicht mehr am PC

Die kooperativen Arena-Kämpfe sind ein kleiner Lichtblick im drögen Römer-Alltag.
Die kooperativen Arena-Kämpfe sind ein kleiner Lichtblick im drögen Römer-Alltag.
Neben der aufpolierten Technik können sich PC-Spieler auch über eine Umorientierung hinsichtlich einer oft kritisierten Design-Entscheidung freuen: Der traurige Trend namens Mikrotransaktionen, dem Crytek bei der Konsolen-Fassung noch gefolgt ist, wurde komplett aus der PC-Umsetzung verbannt. Hier wird nur noch mit Ehre gezahlt und der Griff ins Portemonnaie für den Kauf von Gold-Paketen fällt flach - hurra! So bleibt es bei der Ingame-Währung, mit der man Zeug freischaltet. Allerdings war man schon auf der Xbox One nicht zwingend auf die Investitionen in Mikrotransaktionen angewiesen, da sich alle Verbesserungen auch mit Ehre und mehr Spielzeit freischalten ließen. Immerhin machen die gemeinsamen Arena-Kämpfe im Duett mit wechselnden Aufgaben und einem Kolosseum mit Holodeck-Anleihen mehr Spaß als die verkorkste Solo-Tour, auch wenn die Spielmechanik hier genauso flach ausfällt. Trotzdem ist der Mehrspieler-Ansatz nicht mehr als ein netter Bonus, der die große Enttäuschung über Cryteks Römer-Gemetzel nur minimal lindern kann. Gleiches gilt für die DLC-Pakete, die in der PC-Umsetzung bereits enthalten sind.

Fazit

Alea iacta est: Ryse: Son of Rome ist das perfekte Beispiel dafür, was man als Grafikblender bezeichnet. Betrachtet man einzig die abwechslungsreichen Kulissen, ist Cryteks Sandalen-Epos mit seinen knackscharfen Texturen, den wunderschön gestalteten Schauplätzen und der famosen Beleuchtung auch am PC eine Wucht, die das imposante Konsolen-Vorbild sogar noch übertrifft. Es ist eine Tech-Demo, wie man sie sich nur wünschen kann – die CryEngine 3 lässt ihre Muskeln erneut spielen. Aber Grafik allein ist nicht alles, auch das dazugehörige Spiel muss überzeugen! Und hier versagt Crytek mit ihrem Chef Cevat Yerli als Game Director: Dem Kampfsystem mangelt es an Tiefe und Dynamik, die Klon-Gegner mit ihren beschränkten Angriffsmustern sind mindestens so peinlich wie die passiven KI-Dummbrote. Der redundante Spielablauf ist zudem so unfassbar öde, dass man schnell die Lust am Gemetzel mit seinen inflationären und anspruchslosen Hinrichtungen sowie grausigen Geschützsequenzen verliert. Von der klischeebehafteten Geschichte mit unfreiwilliger Situationskomik will ich erst gar nicht anfangen. Einzig die kooperativen Gladiatorenkämpfe im Holodeck-Kolosseum sind einen kleinen Abstecher ins virtuelle Rom wert, verlieren aber ebenfalls schnell an Reiz. Neben den technischen Errungenschaften und Verbesserungen am PC kann man Crytek zudem noch für die Abkehr der Mikrotransaktionen gratulieren. Davon abgesehen bleibt alles beim Alten. Leben oder Tod? Ich senke erneut meinen Daumen!

Pro

überwiegend fantastische & abwechslungsreiche Pracht-Kulissen
großartig modellierte Gesichter / Figuren
vier Belohnungsarten im Kampfsystem
unterhaltsamer Koop-Modus
Mikrotransaktionen gestrichen
DLC-Pakete inklusive

Kontra

ödes Kampfsystem ohne Dynamik und Kombos
furchtbar redundantes Spieldesign
mitunter abgehakte Animationen
Widersacher aus der Klonfabrik
inflationäre & repetitive Hinrichtungen in Zeitlupe
überflüssiges Befehlssystem
Mitstreiter-KI agiert viel zu passiv bzw. dumm
kaum vorhandene Variationen bei Angriffsmustern
lächerliche Götter-Einbindung in Klischee-Geschichte
kurze Kampagne (kann auch als Pro-Punkt aufgefasst werden)
dämliche Geschützsequenzen
z.T. starke Lautstärkeschwankungen bei Dialogen
sinnlose Sammelaufgaben (Sehenswürdigkeiten, Schriftrollen etc.)
kein Versagen bei Hinrichtungen möglich
Tastaturbelegung lässt sich nicht anpassen

Wertung

PC

Technisch ist Ryse auf dem PC noch beeindruckender als auf der Konsole. Doch das ändert nichts am spielerisch mauen Gemetzel.

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Kommentare

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johndoe945852

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Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 10 Jahren