WildStar30.06.2014, Mathias Oertel

Im Test: Das Action-Adventure-MMO

Wer hätte gedacht, dass dieses Jahr eine Renaissance der abobasierten Online-Rollenspiele mit sich bringen würde? Nach The Elder Scrolls Online versucht auch NCsoft mit Wildstar (ab 4,69€ bei kaufen) den zahlenmäßig immer stärker werdenden Free-to-play-Titeln und natürlich dem allgegenwärtigen World of WarCraft den Kampf anzusagen. Was hat der Ausflug auf den Planeten Nexus zu bieten?

Auf zu neuen Ufern

Seit Jahrhunderten fliehen "Die Verbannten" vor dem "Dominion", einem interstellaren Imperium, gegen das Palpatine und seine Schergen beinahe wie Musterschüler wirken. Auch auf dem jüngst entdeckten Planeten Nexus ist das Bündnis aus Söldnern, Flüchtlingen und Gesetzlosen zahlreicher Welten nicht sicher - das Dominion hat schon ein Auge auf den Himmelskörper geworfen und hegt Ansprüche. Doch die Verbannten sind schon zu lang davon gelaufen. Zu schön ist der Planet, auf dem sie ihre Zelte aufgeschlagen haben. Zu groß die Geheimnisse, die nur darauf warten, aufgedeckt zu werden. Der Kampf kann beginnen. Doch bevor man den Planeten selbst erforschen kann, müssen erst ein paar Entscheidungen gefällt werden, die sich teils massiv auf das Erlebnis auswirken. Davon ist die Wahl der Fraktion eher untergeordnet und vorrangig im Hinblick auf die Gefechte von Spielern gegen Spieler (PvP) interessant. Mit der Klassenwahl hingegen kann man bestimmen, wie die generelle Kampfdynamik  abläuft. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, mit welcher Figur man in die Gefechte zieht.

Um diesen idyllischen Planeten streiten sich Verbannte und Dominion.
Während der brachiale Krieger eigentlich vor nichts und niemandem Angst haben muss und sich entsprechend geradlinig spielt, ist der Techpionier mit seiner langsamen Waffe und seinen ergänzenden Bots oder Gimmicks wie aufzuladende Elektroschocks taktisch fordernder. Der Arkanschütze (eine Art Magie nutzender Pistolero) ist aus der Entfernung ebenfalls deutlich effektiver, wohingegen der Meuchler mit seiner Tarnfunktion oder den schnell aufeinander folgenden Attacken gegen ganze Gruppen wiederum eine andere Herangehensweise erfordert. Sehr schön: Zwar blühen die jeweiligen Klassen erst im Zusammenspiel richtig auf, doch auch die in anderen Online-Rollenspielen klassischen Unterstützungs-Charaktere wie der Sanitäter können problemlos alleine losziehen, ohne Angst haben zu müssen, jenseits der sicheren Stadtgrenze sofort das Zeitliche zu segnen. Für den Test habe ich mich auf vorrangig einen Meuchler der Verbannten sowie als Sekundärfigur auf einen Techpionier des Dominion konzentriert. Bei beiden ist allerdings ein generelles Problem innerhalb der Charakter-Erstellung aufgefallen: Es gibt zu wenig Auswahlmöglichkeiten. Nachdem man eines der gut ein Dutzend Gesichter pro Volk ausgesucht hat, kann man zwar mit Schiebereglern nachbessern. Doch bei allen anderen Optionen gibt es nur überschaubare Voreinstellungen ohne Eingriffsmöglichkeit. Besonders bedauerlich ist dies nicht nur beim Körperbau, der keine wesentliche Individualisierung erlaubt, sondern vor allem bei den Farben die zur Verfügung stehen, um z.B. Augen oder Haare zu kolorieren. Da waren Klassiker wie Everquest 2 schon deutlich weiter.

Der Beruf als entscheidendes Element

Zwar gibt es Klassen, die nicht jeder der jeweils vier Volksgruppen pro Fraktion zur Verfügung stehen. Doch es ist schade, dass es keine gibt, die nur dem Dominion oder nur den Verbannten zuzurechnen ist. Zwar mindert dies den Wiederspielwert nur unwesentlich - auch so wird genug Anreiz geboten, die anderen Klassen zumindest auszuprobieren. Doch abgesehen von den Startgebieten und der Tonalität, mit der man seine Aufträge erhält, hätte mit fraktionsexklusiven Figurengruppen eine höhere Motivation geboten werden können, auch das gegnerische Bündnis kennenzulernen. Doch diese fehlende Differenzierung wird schnell vergessen. Denn Carbine hat mit den vier so genannten "Pfaden" quasi eine Sekundärklasse eingebaut, die sich massiv darauf auswirkt, wie man die Welt von Nexus erlebt. Hier kann man wahlweise als Kundschafter, Siedler, Soldat oder Wissenschaftler durch die weiten Gebiete ziehen und bekommt auf den Pfad zugeschnittene Erlebnisse, Missionen, Beute und Sonderfähigkeiten. Der Kundschafter z.B., auf den ich mich mit dem Meuchler festgelegt hatte, muss Eroberungspunkte setzen oder kann sich an Schnitzeljagden beteiligen (bei denen mehrere Gegenstände in den Gebieten verteilt werden). Diese Fund- bzw. Zielorte liegen häufig an schwer zugänglichen Stellen, die nur über teilweise fordernde Sprungsequenzen erreicht werden können. So kommt hier schnell Action-Adventure-Flair auf, das die üblichen Rollenspiel-Mechaniken kreativ ergänzt.

Der Kundschafter bekommt als Belohnung für anstrengende Aufstiege immer wieder schöne Panorama-Schwenks...
Zumal die Pfade auch immer wieder in Abhängigkeit zu- und voneinander stehen. Nur wenn ein Kundschafter eine Flagge gesetzt hat, kann ein Siedler z.B. Hilfseinrichtungen aufbauen, an denen man seine Gesundheit schnell regenerieren kann oder einen Bonus auf die Laufgeschwindigkeit bekommt. Der Wissenschaftler mit seinem Hilfsroboter hingegen sorgt dafür, dass die umfangreiche interne Nexus-Enzyklopädie mit neuem Wissen gefüllt wird, während der Soldat mit seinen Attentatsversuchen und dem Verteidigen von Stellungen dafür sorgt, dass die PvE-Welt (Player-vs-Environment, Spieler gegen Umgebung) sicherer wird. Das quasi „asynchrone“ Koop-Spiel ist aber ein eher untergeordneter Faktor. Wichtiger ist, dass jeder Pfad unterschiedliche Anforderungen stellt. Das wiederum sorgt dafür, dass man nicht nur das Spielerlebnis auf seine Bedürfnisse zurechtschneiden kann – von der Berserker-Kombo Krieger/Soldat bis hin zum meuchelnden Wissenschaftler. Damit werden gleichzeitig Spiel- und Missionsdesign um eine neue Ebene ergänzt.

Konservative Missionsstrukturen

In vielen anderen Bereichen hingegen ist Wildstar sehr konservativ – manchmal sogar zu sehr. Bei der Art der Missionsvergabe z.B. bedient man sich eines Elements, das in Zeiten von immer aufwändigerer und umfassender Sprachausgabe eigentlich vergessen schien: Questbeschreibungen als reiner Lesetext. Dies kann durchaus als Kniefall vor der in dieser Hinsicht durch World of WarCraft verwöhnten Vertreter der "Klick-und-Weg-Ich-will-doch-nur-Monster-kloppen"-Fraktion verstanden werden. Doch in Zeiten, in denen andere Online-Rollenspiele sich mit der Zahl an gesprochenen Dialogzeilen übertreffen möchten, wirkt dies anachronistisch. Andererseits: Auch die Sprachausgabe in den anderen "modernen" Genre-Vertretern kann abgebrochen werden. Letztlich bleibt es den Spielern hier wie da überlassen, ob sie in die Welt eintauchen möchten oder nur das schnelle Auflevel-Vergnügen suchen.

Allen, die zur ersten Gruppe gehören, möchte ich an dieser Stelle raten, nicht nur die Missionsbeschreibungen, sondern auch die Bücher, Datenwürfel (hier wird enzyklopädisches Wissen sogar gesprochen vermittelt) und sonstigen Interaktionsmöglichkeiten mit der Welt zu nutzen. Denn erst dann wird deutlich, mit wie viel Liebe zum erzählerischen Detail Carbine Studios an der Geschichte des Planeten gearbeitet hat, die bis hinunter in jedes einzelne Gebiet und jede neu entdeckte Ortschaft reicht - dazu empfehle ich auch den Artikel zum GDC-Auftritt von Epics James Brown zum Thema Storytelling. Und wer zur zweiten Gruppe gehört, wird sich auch darüber freuen, dass sich die Missions-Bandbreite in erster Linie auf Variationen der üblichen Hol- und Bring-Dienste sowie "Töte soundsoviele Monster X" konzentriert. Das ist im Prinzip nicht verwerflich, zumal die Integration gut gelungen ist. Doch für mich wurden die Missionen erst dann interessant, wenn sie über solche Elemente hinausgingen und Puzzle (wie mehrstufiges Senso), leichte Geschicklichkeitsaufgaben oder Jump&Run-Elemente beinhielten. Noch mehr von diesen sperrigeren Versatzstücken und Wildstar hätte endgültig den Sprung vom Online-Rollenspiel hin zum Online-Action-Adventure mit Charakter-Entwicklung geschafft. Wobei schon jetzt das Element des unbekannten Planeten, dessen Flora, Fauna sowie Historie man mit jedem Schritt kennen lernt, hervorragend getroffen wurde: Entdeckerdrang wird nicht nur gefordert, sondern auch gefördert - sei es nun durch kleine Missionen, Gespräche oder mehrseitige Bücherpassagen, die man studieren kann.

Kampf mit Ansage

Die Markierungen auf dem Boden zeigen den "gefährlichen" Bereich bei gegnerischen Angriffen an - man kann immer noch ausweichen.
Auch das Kampfsystem schlägt einen gleichermaßen interessanten wie gelungenen Bogen zwischen klassischer Mechanik und frischer Kreativität. Und damit meine ich weniger die unterschiedlichen Grundvoraussetzungen für die Nutzung der üppigen Speziafähigkeiten - der Meuchler z.B. nutzt die sich kontinuierlich aufladende Energie seines Nano-Anzugs, während der Techpionier erst über Angriffe Energie laden muss, bevor er sie in besonderen Aktionen einsetzen und z.B. die Gegner mit Stromschlägen traktieren kann. Es ist vielmehr die Dynamik, die sich während der Kämpfe entwickelt, obwohl sie im Kern auf ein klassisches Fähigkeitensystem mit Abkühltimer setzen.  Es gibt jedoch kleine, aber feine Unterschiede. Zum einen gibt es keine automatische Standardattacke, die wie in einigen Klassikern in Endlosschleife läuft, bis entweder der Feind erledigt ist oder eine Sonderaktion initiiert wird.

Man entscheidet beim Level-Aufstieg nicht nur über Fähigkeiten...
Jeder Angriff und jede Spezialfähigkeit muss manuell ausgelöst werden. Zum anderen werden sowohl bei allen eigenen als auch bei besonderen Angriffen der Feinde die ggf. nötige Aufladezeit sowie der Ort bzw. Bereich, der von der Aktion beeinflusst wird, angezeigt. Diese „Ansage“ wiederum sorgt für die Dynamik in den Auseinandersetzungen, die ebenfalls an Action-Adventure im Stile eines Ratchet & Clank erinnert. Denn man ist außer bei Einfluss von Effekten nicht an einer Stelle festgenagelt, sondern immer in Bewegung. So muss man nicht nur dafür sorgen, dass der eigene Angriffskegel oder -Balken auch Gegner im Visier hat, sondern hat die Möglichkeit, gegnerischen Attacken mit Seitwärtsschritte oder (limitierten) Ausweichrollen zu entgehen. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass man noch mehr Richtung Tabula Rasa gehen und die Gefechte noch mehr auf Echtzeit setzen würden, doch der Wildstar-Kompromiss ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Meine Figur, meine Wahl

... sondern auch über Buffs, deren Erweiterungen man später erst finden muss.
So wenig initiale Einstellmöglichkeiten für das Aussehen der Spielfigur zur Verfügung stehen, so umfangreich kann man seine Figur hinsichtlich der Fähigkeiten entwickeln. Nicht nur, dass mit dem Aufstieg innerhalb der Klasse je nach Stufe neue Fähigkeiten, Annehmlichkeiten oder Funktionen freigeschaltet werden. Auch beim Erreichen eines neuen Pfadlevels kann man sich über Neues freuen, wobei die hier zur Verfügung stehenden Fähigkeiten deutlich sparsamer ausfallen. Hinsichtlich der Kampfoptionen hat man jedoch nach kurzer Zeit bereits mehr Attacken zur Verfügung als freie Plätze in der Schnellzugriffsleiste, so dass man alsbald taktieren und auswählen muss. Hat man die Fähigkeit nicht nur theoretisch freigeschaltet, sondern für Spielwährung erworben, die gar nicht so üppig ausgeschüttet wird, kann man jederzeit die Belegung der Hotkeys ändern, um so z.B. Änderungen beim Spiel mit der Gruppe unkompliziert bewerkstelligen zu können.

Kostspielig werden die Änderungen jedoch beim so genannten VIP-System, für das man ab Stufe 5 mit jedem Aufstieg einen Punkt bekommt. Diese Punkte kann man für permanente Buffs in den Bereichen Angriff (z.B. Bonus auf kritischen Schaden), Unterstützung oder Nützliches sowie drei Zwischenstufen ausgegeben.  Der Clou: Dieses in drei Stufen unterteilte System setzt für die Freischaltung der Punkte in der zweiten und dritten Ebene Gegenstände voraus, deren Standort man erst einmal finden muss. So werden zentrale Elemente wie Gebietserforschung und Charakterfortschritt wieder effektiv miteinander verknüpft.

Mein Haus, meine Welt

Ein Online-Rollenspiel, das etwas auf sich hält, muss seinen Figuren auch die Möglichkeit eines eigenen Domizils bieten. Und Wildstar schickt sich an, in diesem Bereich neue Standards zu setzen. Denn mit Stufe 14 wird nicht nur ein Zimmer oder eine schicke Kleinimmobilie freigeschaltet, sondern eine ganze Parzelle, die im Orbit über Nexus schwebt. In deren Zentrum steht zwar immer noch ein Platz für die eigenen vier Wände, doch drumherum gibt es noch ein paar andere Baumöglichkeiten. Und die kann man nach eigenem Gutdünken (bzw. der Fülle der Goldschatulle) nutzen. So kann man nicht nur Handwerks-Stationen errichten, sondern z.B. auch ein Klo oder einen Kristallfelsen, mit dem man wiederum eine spezielle Herausforderung freischaltet. Natürlich kann man auch seine Freunde einladen. Und man kann je nach Bebauung verschiedene Boni einstellen, von denen der XP- und Goldbuff sicherlich einer der beliebtesten sein dürfte.

Und auch hier findet eine Verknüpfung mit der Erforschung der Nexus-Welt statt. Als Beute kann man an Dekorations-Gegenstände und Boxen mit Bauoptionen kommen, die ansonsten teuer zu erstehen sind. Und es reicht den Carbine Studios nicht, die Deko-Optionen "einfach nur so" zu nutzen und dem Spieler die Gelegenheit zu geben, den Baum, den Tisch, die Lampe oder die Teetasse aufzubauen. Man gibt ihm die Möglichkeit, die Gegenstände zu skalieren und so z.B. ein Interieur zu schaffen, in dem man sich wie Alice im Wunderland fühlt. Man kann sogar Mobiliar physisch miteinander verbinden und so ganz neue Kreationen schaffen. Das kann aber in Fällen, in denen man nicht das Glück hat, auf Beute oder eigene Handwerksfähigkeiten zurückgreifen zu können, ziemlich teuer werden. Dennoch sind die Domizil-Optionen schlichtweg bemerkenswert - auch wenn sie etwas besser hätten erklärt werden dürfen.

Do-It-Yourself

Nexus hat nicht nur idyllische Fleckchen zu bieten - man darf sich auch über düster-bedrohliche Schauplätze freuen.
Besser erklären können hätte man auch das Handwerk. Das gestaltet sich zwar nicht ganz so üppig wie die Hausbau-Optionen, doch es ist immer noch umfangreich genug und bietet mehr als man auf den ersten Blick erfasst. Zwar versucht Carbine, die Spieler in diesem Bereich etwas an die Hand zu nehmen und mit praktischen Arbeitsaufträgen in die Mechanik einzuführen. Doch vieles muss man sich autodidaktisch aneignen. Hat man die Grundlagen erst einmal intus und weiß, worauf es hier ebenso wie beim Wiederverwerten von nicht genutzten, veralteten oder nicht nutzbaren Gegenständen ankommt, hat man auch hier viele Optionen, entweder für sich, seine Freunde oder seine Gilde nützliche Ausrüstung oder Hilfsmittel wie Tränke usw. herzustellen.

Lobenswert: Ein funktionierendes Auktionshaus zum Start eines Online-Rollenspiels.
Sehr schön: Im Gegensatz zu Klasse oder Pfad kann man hier stets wechseln - was vor allem dann Sinn ergibt, wenn man feststellt, dass man sich für Handwerksoptionen entschieden hat, die entweder nicht gut miteinander oder mit der Klasse harmonieren. Dabei verliert man jedoch keine der in der jeweiligen Sparte angesammelten Erfahrung, so dass man entsprechende Geduld (und erneut viel Kleingold) vorausgesetzt zum handwerklichen Tausendsassa werden kann. Allerdings gibt es nach einem Tausch eine Abkühlzeit, die man absitzen muss, bis man wieder die Profession wechseln kann, so dass man trotz der angebotenen Option tunlichst überlegen sollte. Doch abermals setzt sich hier fort, was schon in zahlreichen Elementen klar wurde: Wildstar versucht nicht, auf Teufel komm raus, Elemente einzubauen, um die Spieler unter einen Hut zu bringen, sondern nutzt vorhandene Ideen, um sie sinnvoll in die Welt von Nexus zu implementieren, um ein ganzheitliches Erlebnis zu schaffen. Dazu gehören auch das Auktionshaus bzw. die Börse für Handwerksmaterial. Die Nachfrage-Preis-Regulierung funktioniert, der Handel zwischen Spielern scheint zu boomen und man kann sogar Aufträge abgeben.

Das Spiel danach

Einzig bei den Missionen scheint Carbine auf den ersten Blick die Muse verlassen zu haben. Nicht nur, dass wie erwähnt das Design sehr stark auf bekannte Mechaniken setzt oder dass ein Großteil der Inhalte auch solo weitgehend problemfrei zu bewältigen ist. Es scheint weiterhin, als ob PvE-Gruppeninhalte überhaupt nur sekundär auf der Agenda standen. Ja: Es gibt Dungeons, in denen man alleine nicht einmal den Hauch einer Chance hat. Und mit den Kopfgeldern, die auf mindestens zwei Nexus-Erforscher im Team zurecht geschnitten sind, trifft man auf Monster, die man solo nicht einmal schief anschauen sollte - es sei denn, man möchte zu dem herrlich zynischen Kommentar der Wiederbelebungsmaschine wieder auferstehen. Und ebenfalls ja: Die öffentlichen Schlachtfelder kann man auch nicht allein bewältigen. Doch irgendwie bleibt das Gefühl, dass in erster Linie das Spielerlebnis der Einzelpersonen im Vordergrund stand - zumindest im Kampf von Spielern gegen Umgebung. Ich störe mich daran zwar nicht, da ich ohnehin gerne solo unterwegs bin. Aber von Zeit zu Zeit suche ich den Anschluss an Gruppen-Abenteuer. Und in diesem Bereich bietet Wildstar noch zu wenig - auch wenn ich sicher bin, dass Carbine in absehbarer Zeit mit zusätzlichen Inhalten Abhilfe schaffen wird.

Hektisch, dynamisch, effektgeladen: Die PvP-Duelle auf Nexus.
Anders sieht es natürlich beim PvP aus, den Duellen von Spielern gegen Spieler: Ab Stufe 6 darf man sich auf den ersten Schlachtfeldern austoben. Und laut Entwicklern soll es ,entsprechenden Enthusiasmus vorausgesetzt, auch problemlos möglich sein, nur über die Spieler-gegen-Spieler-Duelle die derzeitige Maximalstufe 50 zu erreichen. Immerhin gibt es reichlich Auswahl: Man darf in Arenen für Matches von 2-gegen-2 bis 5-gegen-5 die Gegner aufs Korn nehmen. Man kann sich auf Schlachtfeldern, die zwei Teams mit zehn Spielern Platz bieten, vergnügen. Wer eher eine modernisierte sowie konzentrierte Variante einschlägiger Reichskriege bevorzugt, darf mit Kriegsbasen taktische Duelle 40-gegen-40 durchführen.  Und natürlich darf man auch Duelle ausfechten. Egal, in welchem Modus man gegen menschliche Gegner antritt: Die Kampfdynamik schlägt hier alles, was Online-Rollenspiele bislang aufgeboten haben. Spiele mit photonsensitiver Epilepsie sollten der Effektschlacht, die auf dem Bildschirm der instanzierten Gebiete stattfindet, allerdings aus dem Weg gehen: Wenn Angriffe von dutzenden Spielern gleichzeitig abgefeuert werden, sorgt nicht nur die „Angriffs-Telegrafie“ für eine Lichtshow, bei der man verdammt gute Reaktionen haben muss, wenn man den Attacken entgehen möchte. Auch die eigentlichen Angriffseffekte bringen den Screen zum Glühen. Auf Dauer sind mir die PvP-Gefechte zwar zu hektisch, aber um dem PvE-Alltag von Zeit zu Zeit den Rücken zu kehren, sind die Duelle von Dominion und Verbannten immer einen Ausflug wert.

Das Umfeld passt

Auch nachts findet man auf Nexus viele schöne Flecken.
Eigentlich sollte es nicht verwundern, dass Carbine auch in vielen anderen Bereichen des Umfelds die gleiche Sorgfalt walten lässt wie bei den Mechaniken. Zwar haben sich auch zwangsläufig Bugs eingeschlichen, ein Kollege wies mich z.B. auf die unter bestimmten Umständen fehlenden "Nameplates" (inkl. Lebensenergie-Anzeige) von NPC-Figuren hin. Doch angesichts der Größe des Projektes und des letztlich bis auf die holprige Anfangsphase gelungenen ersten Monats kann man dem Team nur ein Lob aussprechen. Denn auch Lags tauchen nur vereinzelt auf - und sind mir z.B. nur im Kampf gegen die Umgebung begegnet. Die PvP-Instanzen scheinen davon unberührt zu sein. Und das mit einer Kulisse, die hinsichtlich Atmosphäre und Detailfreude ebenfalls ganz groß im Konzert der Online-Rollenspiele aufspielt. Mit dem rundum gelungenen Comic-Design orientiert man sich zwar an Blizzards World of WarCraft, doch man erkennt auch Einflüsse auch von Konsolentiteln wie der Ratchet-und-Clank-Serie. Doch viel wichtiger: Trotz aller Anleihen wirkt Nexus eigenständig, man wird auch durch die Bilder immer wieder motiviert, die nächste Bergkuppe zu überqueren oder den beschwerlichen Weg zum nächsten einzunehmenden Knotenpunkt auf sich zu nehmen.

Ebenfalls schön: Der Humor, der sich in den ersten Trailern angedeutet hat, kommt immer wieder durch - sowohl im Text als auch im Ton. Die mitunter knappen Samples, die sowohl in Englisch als auch in Deutsch sehr gelungen und professionell eingesprochen wurden, machen die Sehnsucht nach Komplettvertonung allerdings nur größer. Bei der Musik lässt sich ebenfalls kaum eine Fliege im Wein finden. Meist wird man von stimmungsvoll heroischen Orchesterklängen durch die Landschaft begleitet. Ich hätte mir allerdings trotzdem mehr Dynamik und Abwechslung in diesem Bereich gewünscht - und dass ich die Kompositionen mehr vermissen würde, nachdem ich die Musik probeweise ausgeschaltet hatte.

Fazit

Die Carbine Studios haben ein beachtliches Erstlingswerk abgeliefert. Mit einer Mischung aus bekannten Elementen und frischen Ansätzen fühlt sich Wildstar zunächst sehr vertraut an. Man fühlt sich schnell wohl und kommt flugs in einen angenehmen missionsbasierten Spielfluss. Dennoch kann man nie sicher sein, was auf Nexus als nächstes an Überraschungen oder Missionen aus dem nicht nur mit Humor prall gefüllten Hut gezaubert wird. Man spürt vom kunterbunten, charmanten und jederzeit stimmigen Comic-Artdesign bis hin zur ausufernd erstellten Geschichte des Planeten die Liebe zum Detail. Man merkt, dass es Carbine nicht nur darum ging, so viel Bekanntes wie möglich einzubauen, um die maximale Spieleranzahl ins Boot zu holen. An allen Ecken und Enden fühlt man die ganzheitliche Vision von Nexus, die Carbine vorschwebte. Zwar würde ich mir wünschen, dass es mehr sperrige und in diesem Bereich ungewöhnliche Mechaniken wie die vor allem durch die Berufe einfließenden Action-Adventure-Elemente gäbe, die für kreativen Wind sorgen. Oder dass die Missionsbeschreibungen mehr wären als die WoW-typischen Wegklick-Texte. Oder dass die Tutorials etwas ausführlicher und schlichtweg besser wären. Doch angesichts der üppigen Welt, der Individiualisierung durch Fähigkeiten, der dynamischen Kämpfe, der Missionsflut und des ausufernden Immobilienaufbaus kehre ich ungeachtet der Mankos und kleinerer Bugs immer wieder gerne zurück. Vor einem Jahr hätte ich dies fast kategorisch ausgeschlossen, aber momentan halte ich mich lieber auf Nexus als in Tamriel auf.

Pro

dynamisches Kampfsystem
gelungene PvP-Optionen von Duellen bis 40-gegen-40
fantastisches, umfangreiches Domizil-System
stimmungsvolle abwechslungsreiche Comic-Kulisse mit viel Charme
gelungene Fähigkeiten-Entwicklung
Berufe als Sekundär-Klassen mit eigenen Missionen und Belohnungen
gut funktionierendes Auktionshaus
Action-Adventure-Spielelemente lockern Missionalltag auf (Geschicklichkeits-Tests, Puzzles)
größtenteils gut solo spielbar
passende Komfortfunktionen
hohe Motivation, Nexus zu erforschen und kennenzulernen
enorm umfangreiche Hintergrundgeschichte zu entdecken
facettenreiches Handwerk

Kontra

Missionsbeschreibungen als "Textwüsten"
unzureichende Tutorials
wenig initiale Optionen bei der Charaktererstellung
keine fraktionsexklusiven Klassen
Musik könnte dynamischer und abwechslungsreicher sein
wenig dezidierte Gruppen-Inhalte im PvE
Questsystem setzt hauptsächlich auf Fedex
und Kill-Missionen

Wertung

PC

Vom Geheimtipp zum Hit: Mit einer Mischung aus bewährten sowie neuen kreativen Elementen wird Wildstar schnell zu einem kunterbunten motivierenden Online-Abenteuer.

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