Berufskrankheit Amnesie
Der vom Tod seines Sohnes traumatisierte Ex-Banker Boris hält Millionär Henry White in Schach - wenn er nicht gerade mit imaginären Gesprächspartnern telefoniert.
All zu originell ist die Vorgeschichte mit dem Gedächtnisverlust natürlich nicht. Das Schöne an ihr ist aber, dass ich mich richtig unwohl in Johns Haut und in Anwesenheit seiner angeblichen Freunde fühle. Die gespielte Freundlichkeit meiner Mutter und meines Auftraggebers, mein Selbstmordversuch mit Quecksilber, all das wirkt irgendwie inszeniert und unheimlich. Unterstützt wird das mulmige Gefühl vom seltsamen Design: Ähnlich wie in The Next Big Thing laufe ich per Mausklick durch die Kulisse, welche diesmal deutlich detailärmer gezeichnet wurde.
Die dreidimensionalen Charaktere wirken so, als wäre das Design irgendwo auf halbem Weg zwischen den düsteren Kulissen und dem alten Comic-Stil von
Runaway hängen geblieben. Der übertrieben bullige Cooper und ein Killer mit extrem hoher Stirn wollen nicht so recht in die Welt passen, andere Figuren dafür umso besser: Am besten gelungen ist Henry White. Der geheimnisvolle Rotschopf hat das Konzern-Imperium seines Vaters geerbt und lässt einen Teil seines Vermögens in die Obdachlosenhilfe fließen.
Rätselhafter Philantrop
Was führt der Henry im Schilde?
Auf den ersten Blick wirkt er nicht gerade wie ein selbstloser Menschenfreund – dafür hat Pendulo ihm zu egoistische Gesichts- und Charakterzüge verpasst. In seine Rolle schlüpfe ich im Prolog; ein paar Jahre bevor John sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit macht. Zusammen mit seinem Kommilitonen Cooper sucht Henry nach Obdachlosen, um sie vor dem Serienkiller zu warnen und ihnen Unterstützung anzubieten. Praktisch ist, dass Henry sofort ans Ziel „gebeamt“ wird, wenn ich z.B. auf einen im Geröll liegenden Koffer klicke. Wie in einer Graphic Novel blenden die Entwickler damit unwichtige Elemente wie Laufanimationen aus.
Im Gegenzug wird die Gedankenwelt der Protagonisten oft in Comicform visualisiert. Als der im Auto wartende Cooper Henry zur Hilfe eilen soll, bekommt er Angst vor der Dunkelheit. Wie immer in solchen panischen Situationen erscheint ihm sein Pfadfinder-Ausbilder aus Kindheitstagen und staucht ihn nach Strich und Faden zusammen. Das traumatische Erlebnis spukt immer wieder in seiner Wahrnehmung herum. Auch die Realität wirkt nicht viel beruhigender, denn statt auf harmlose Vagabunden trifft das Duo auf einen bewaffneten und offenbar wahnsinnigen Sekten-Guru, welcher theatralische Reden vor seiner Armee aus Schaufensterpuppen hält.
Runde 2
Die Synchronsprecher wie Sascha Rothermund oder Erzähler Konstantin Graudus betonen ihre Texte genau richtig. Die mitunter zu schnellen Lippenbewegungen passen aber nicht immer.
Wie die Begegnung im Detail ausgeht, verrate ich nicht. Nur so viel: Henry White hat sie überlebt, denn im zweiten Kapitel treffe ich ihn wieder. Diesmal ist er mein Auftraggeber. In der Rolle von John soll ich versuchen, mein Gedächtnis wiederzuerlangen und dem satanischen „Orden des Fleisches“ auf die Schliche zu kommen. Ich untersuche z.B. das Pariser Hotelzimmer, in dem John sich angeblich umbringen wollte, treffe in einem Antiquariat auf eine junge Frau, welche offenbar ein Verhältnis mit John hatte und bereise diverse andere Länder.
Die nicht all zu schweren Puzzles beschränken sich auf kleine Areale von wenigen Bildschirmen. Ich muss die Bedeutung christlicher Symbole enträtseln, mit Alchemie-Zutaten experimentieren und geheime Botschaften dechiffrieren. Auf einem Buch über den geheimnisvollen Orden befindet sich z.B. ein Gummiband, welches nach der Bestrahlung mit einer UV-Lampe einen wirren Mix aus Buchstaben zeigt. Erst als ich das Band um einen eckigen Holzstab wickle, formen sie einen Text und geben mir einen wichtigen Hinweis.