Der Fall John Yesterday 24.04.2012, Jan Wöbbeking
Der Fall John Yesterday

Im Test:

Endlich geht Pendulo neue Wege. Nach fünf Pärchen-Adventures haben die Spanier die Nase voll von Beziehungs-Gags und widmen sich der Anbetung Satans. Als immer mehr Obdachlose verbrannt aufgefunden werden, soll Sekten-Experte John Yesterday das Geheimnis eines dämonischen Kults enträtseln. Sein Problem: Er kann sich nicht einmal an die eigene Vergangenheit erinnern.

Berufskrankheit Amnesie

Der vom Tod seines Sohnes traumatisierte Ex-Banker Boris hält Henry in Schach - wenn er nicht gerade mit imaginären Gesprächspartnern telefoniert.
Der vom Tod seines Sohnes traumatisierte Ex-Banker Boris hält Millionär Henry White in Schach - wenn er nicht gerade mit imaginären Gesprächspartnern telefoniert.

All zu originell ist die Vorgeschichte mit dem Gedächtnisverlust natürlich nicht. Das Schöne an ihr ist aber, dass ich mich richtig unwohl in Johns Haut und in Anwesenheit seiner angeblichen Freunde fühle. Die gespielte Freundlichkeit meiner Mutter und meines Auftraggebers, mein Selbstmordversuch mit Quecksilber, all das wirkt irgendwie inszeniert und unheimlich. Unterstützt wird das mulmige Gefühl vom seltsamen Design: Ähnlich wie in The Next Big Thing laufe ich per Mausklick durch die Kulisse, welche diesmal deutlich detailärmer gezeichnet wurde.

Die dreidimensionalen Charaktere wirken so, als wäre das Design irgendwo auf halbem Weg zwischen den düsteren Kulissen und dem alten Comic-Stil von Runaway hängen geblieben. Der übertrieben bullige Cooper und ein Killer mit extrem hoher Stirn wollen nicht so recht in die Welt passen, andere Figuren dafür umso besser: Am besten gelungen ist Henry White. Der geheimnisvolle Rotschopf hat das Konzern-Imperium seines Vaters geerbt und lässt einen Teil seines Vermögens in die Obdachlosenhilfe fließen.

Rätselhafter Philantrop

Was führt der steinreiche Henry White im Schilde?
Was führt der Henry im Schilde?

Auf den ersten Blick wirkt er nicht gerade wie ein selbstloser Menschenfreund – dafür hat Pendulo ihm zu egoistische Gesichts- und Charakterzüge verpasst. In seine Rolle schlüpfe ich im Prolog; ein paar Jahre bevor John sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit macht. Zusammen mit seinem Kommilitonen Cooper sucht Henry nach Obdachlosen, um sie vor dem Serienkiller zu warnen und ihnen Unterstützung anzubieten. Praktisch ist, dass Henry sofort ans Ziel „gebeamt“ wird, wenn ich z.B. auf einen im Geröll liegenden Koffer klicke. Wie in einer Graphic Novel blenden die Entwickler damit unwichtige Elemente wie Laufanimationen aus.

Im Gegenzug wird die Gedankenwelt der Protagonisten oft in Comicform visualisiert. Als der im Auto wartende Cooper Henry zur Hilfe eilen soll, bekommt er Angst vor der Dunkelheit. Wie immer in solchen panischen Situationen erscheint ihm sein Pfadfinder-Ausbilder aus Kindheitstagen und staucht ihn nach Strich und Faden zusammen. Das traumatische Erlebnis spukt immer wieder in seiner Wahrnehmung herum. Auch die Realität wirkt nicht viel beruhigender, denn statt auf harmlose Vagabunden trifft das Duo auf einen bewaffneten und offenbar wahnsinnigen Sekten-Guru, welcher theatralische Reden vor seiner Armee aus Schaufensterpuppen hält.

Runde 2

Die Synchronsprecher wie Sascha Rothermund oder Erzähler Konstantin Graudus betonen ihre Texte geanu richtig. Die mitunter zu schnellen schnellen Lippenbewegungen passen allerdings nicht immer dazu.
Die Synchronsprecher wie Sascha Rothermund oder Erzähler Konstantin Graudus betonen ihre Texte genau richtig. Die mitunter zu schnellen Lippenbewegungen passen aber nicht immer.

Wie die Begegnung im Detail ausgeht, verrate ich nicht. Nur so viel: Henry White hat sie überlebt, denn im zweiten Kapitel treffe ich ihn wieder. Diesmal ist er mein Auftraggeber. In der Rolle von John soll ich versuchen, mein Gedächtnis wiederzuerlangen und dem satanischen „Orden des Fleisches“ auf die Schliche zu kommen. Ich untersuche z.B. das Pariser Hotelzimmer, in dem John sich angeblich umbringen wollte, treffe in einem Antiquariat auf eine junge Frau, welche offenbar ein Verhältnis mit John hatte und bereise diverse andere Länder.

Die nicht all zu schweren Puzzles beschränken sich auf kleine Areale von wenigen Bildschirmen. Ich muss die Bedeutung christlicher Symbole enträtseln, mit Alchemie-Zutaten experimentieren und geheime Botschaften dechiffrieren. Auf einem Buch über den geheimnisvollen Orden befindet sich z.B. ein Gummiband, welches nach der Bestrahlung mit einer UV-Lampe einen wirren Mix aus Buchstaben zeigt. Erst als ich das Band um einen eckigen Holzstab wickle, formen sie einen Text und geben mir einen wichtigen Hinweis.

Auf den Spuren von Robert Langdon

Öde: In seinen Flashbacks muss John seltene Blumen und andere Dinge für seinen blinden Schwertkampf-Meister beschaffen.
Öde: In seinen Flashbacks muss John eine seltene Blume und andere Dinge für seinen blinden Schwertkampf-Meister beschaffen.

Neue Ideen stecken zwar kaum in den Rätseln, sie wurden aber meist glaubwürdig in die Handlung eingebunden. Zu Beginn des Spiels muss Henry z.B. meist auf seinen Grips zurückgreifen, um etwa eine alte Getränkedose mit einem Messer zu einem Dietrich umzufunktionieren. Cooper ist dagegen der Mann fürs Grobe: Er kann ein eingestürztes Mauerstück einfach mit Muskelkraft zur Seite hieven. Ich kann übrigens nicht frei zwischen den Figuren wechseln - stattdessen spiele ich je nach Story-Verlauf einen der Charaktere. Je tiefer ich in die Geheimnisse des Ordens eintauche, desto mehr Erinnerungs-Fetzen werden aus den Tiefen von Johns Gedächtnis zu Tage gefördert. Manche drehen sie sich um Folterpraktiken mit Stromschlägen, spitzen Gegenständen oder andere sadistische Gemeinheiten. Sie tauchen nur in Form kurzer Schnipsel auf und werden bei weitem nicht so explizit dargestellt wie in Saw oder ähnlichen Horrorfilmen. Nach Meinung der USK sind sie aber offenbar verstörend genug, um dem Titel eine Freigabe ab 16 zu verpassen. Für eine angenehm unbehagliche Stimmung  sorgt auch der Soundtrack: Die unheilvollen Piano-Melodien werden in spannenden Momenten immer wieder vom metallisch quietschenden Synthesizer durchschnitten.

Schade ist, dass die aufgebaute Spannung ab und zu durch schlecht platzierte Rückblenden durchbrochen wird. Als z.B. Johns alte Freundin mit einer Pistole bedroht wird, kann ich mir nicht einfach das Katana von der Wand schnappen und aus dem Hinterhalt zuschlagen. Stattdessen versetzt sich John in einem Flashback zurück in seine Lehrzeit bei einem asiatischen Kampfkunstmeister. Statt meine bedrohte Geliebte zu retten, muss ich also erst

Klappt eine Kombination nicht, erklärt der Erzähler, warum nicht. Neben ihm gibt auch die Hilfe-Funktion nützliche Hinweise. Ein paar Dinge anklciken und schon lässt sich der nächste Tipp nutzen.
Neben dem Erzähler gibt auch die Hilfe-Funktion nützliche Hinweise. Das Freischalten ist seltsam geregelt: Einfach wahllos ein paar Dinge anklicken und schon steht der nächste Tipp zur Verfügung.
einmal durch die karge Bergwelt schlurfen und ein paar willkürliche Aufgaben für den Meister erledigen, bis der mich endlich in die Kunst des Schwertkampfes einweist. Die Episoden mit Johns altem Meister spielen zwar auch später noch eine wichtige Rolle, werden aber in den falschen Momenten eingestreut.

Fummeliges Inventar

Auch die Steuerung hätte Pendulo nicht so eigenwillig gestalten müssen. Umständlich wird es bei der Kombination zweier Gegenstände in meinem Gepäck: Wenn ich z.B. Essig in einen Topf fülle, muss ich ihn erst gerade nach oben und dann zurück nach unten auf den Topf ziehen. Auch die Hotspot-Anzeige ist umständlich: Sie funktioniert nicht per Leertaste, sondern nur per Klick aufs entsprechende Icon. Außerdem übersieht man die kurz aufleuchtenden Mini-Markierungen leicht. Nach einer Weile hatte ich mich an die kleinen Unzulänglichkeiten gewöhnt, doch warum bleiben die Entwickler nicht einfach beim etablierten Standard?

Fazit

Pendulo befindet sich auf dem richtigen Weg: Der Richtungswechsel zum Verschwörungs-Thriller hat den Spaniern gut getan. Die ungewöhnliche Vielschichtigkeit der Story hat mich überrascht: Nach und nach taucht man immer tiefer in das Rätsel um Johns Vergangenheit und die satanische Sekte ein. Einige Wendungen wirken zunächst unglaubwürdig, werden zum Schluss aber schlüssig aufgelöst. Die Rätsel sind konservativ, passen mit Dechiffrier-Einlagen und Alchemie-Puzzles aber gut in die Geschichte. Manche Flashbacks bremsen allerdings die Spannung aus: Vor allem die öden Gefälligkeiten für Johns alten Kampfkunst-Meister wirken wie ein Streckmittel für das rund sieben Stunden kurze Abenteuer. Auch technisch hinken die Entwickler der Konkurrenz hinterher: Im Vergleich zu Titeln wie The Whispered World oder auch dem hauseigenen The Next Big Thing wirken die gezeichneten Hintergründe karg. Außerdem ist die Bedienung unnötig fummelig. Beim wichtigsten Aspekt punktet das Spiel aber: John Yesterday erzählt eine ungewöhnlich komplexe Geschichte. Und deshalb wird mir das Abenteuer trotz einiger Macken noch in guter Erinnerung bleiben.

Wertung

PC

Der Verschwörungs-Thriller erzählt eine spannende Geschichte, wird aber von einigen öden Abschnitten und handwerklichen Schwächen ausgebremst.

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