Project CARS15.05.2015, Michael Krosta

Im Test: Die ultimative Rennsimulation?

Für Project Cars (ab 14,99€ bei kaufen) konnten die Sligthly Mad Studios auf die Unterstützung der Racing-Fans zählen: Nicht etwa über Kickstarter, sondern eine eigene Plattform kam das Geld für die Entwicklung der Rennsimulation per Schwarmfinanzierung zusammen. Ob sich die Investition gelohnt hat und sich neben PC-Simulationen auch Forza Motorsport oder Gran Turismo warm anziehen müssen, verrät der Test.

Klein aber gemein

Och nööö, das kann doch jetzt echt nicht wahr sein! 18 Runden lang habe ich diesen verdammten und ungewöhnlich giftigen Renault Clio mit viel Gefühl in Donington auf der Piste gehalten. Und dann das: Zwei Runden vor Schluss scheitere ich doch noch an der hypersensiblen Controller-Steuerung, das Heck bricht weg und ich drehe mich ins Kiesbett. Ganz toll, die Führung ist jetzt auf jeden Fall schon mal futsch! Bei Forza Motorsport oder manch anderem Rennspiel würde ich jetzt einfach die Rückspultaste betätigen, schnell einen neuen Versuch wagen und so frustfrei aus meinem Fahrfehler lernen. Aber das geht hier nicht. Und auch wenn ich mich teilweise schwarz ärgere, wenn ich einen Unfall baue oder ich die Bodenhaftung überschätze, bin ich doch ein bisschen froh darüber, dass mir Project Cars eine solche Option gar nicht erst anbietet. Ich fahre hier mit einer ganz anderen Anspannung – weil ich weiß, dass schon der kleinste Fehler das Aus bedeuten könnte. Trotzdem muss ich gleichzeitig ans Limit gehen, denn die Konkurrenz setzt mich je nach Stufe nicht nur gehörig unter Druck, sondern versteht es meist auch, ihre Position clever zu verteidigen. Genau das macht Rennfahren aus und Project Cars bildet die Faszination des Motorsports hervorragend ab!

Teilweise kämpfen mehr als 40 Fahrzeuge um den Sieg - das Starterfeld ist gewaltig.

Das gilt nicht nur für die aufregenden Positionsduelle auf der Strecke, bei der sich die großartige Fahrphysik allerdings erst mit einem guten Force-Feedback-Lenkrad von ihrer besten Seite zeigen kann. Denn erst dann spürt man jede Bodenwelle auf dem Asphalt, kleine Berührung mit anderen Fahrzeugen und all die anderen Kräfte, die auf das Fahrzeug einwirken. Nur das Überfahren der Randsteine wird mir immer noch etwas zu schwach eingefangen. Trotzdem werden die Lenkbewegung zu einem kleinen Kraftakt beim Versuch, all die Pferdestärken zu bändigen. Selbstverständlich kann man sich mit einer Reihe von Fahrhilfen unter die Arme greifen lassen – eine Option, die vor allem bei der Controller-Steuerung ratsam ist, denn hier die Kontrolle zu behalten, ist ungleich schwieriger als mit einem Lenkrad, obwohl eine gewaltige Menge an Feineinstellungen angeboten werden, um auch die Pad-Steuerung nach eigenen Wünschen anzupassen und die Sensibilität dadurch etwas zu verringern. Aber es wird an allen Ecken deutlich: Project Cars wurde in erster Linie für die Verwendung von Lenkrädern gemacht und auch wenn sich ein Großteil des Fuhrparks auch mit dem Controller halbwegs gut steuern lässt, ist er als Eingabegerät nur zweite Wahl. Falls alle Stricke reißen, lassen sich neben den üblichen Verdächtigen wie Traktionskontrolle, Automatik-Getriebe, ABS sowie Stabilitätsprogramm sogar Brems- und Lenkassistenten hinzuschalten, die noch aktiver ins Geschehen eingreifen und die Fahrt dadurch noch stärker vereinfachen.

Realismus pur

Die Licht- und Wettereffekte sehen mitunter atemberaubend aus.

Profis bekommen dagegen auf Wunsch das Komplettpaket: Die Hilfen lassen sich nicht nur komplett abschalten, sondern ähnlich wie in Assetto Corsa den realen Bedingungen anpassen – immerhin dürfen in manchen Rennserien auch in der Realität elektronische Fahrhilfen genutzt werden. Dazu gesellen sich weitere Realismus-Optionen wie ein vollwertiges Schadensmodell mit physikalischen Auswirkungen, Benzinverbrauch und eine Reifenabnutzung, die sich auf Wunsch sogar skalieren lässt. Schön auch, dass eine gute Reaktion beim Start endlich wieder belohnt wird, denn gerade auf den Konsolen reichte es in vielen Rennspielen zuletzt meist aus, einfach mit Vollgas darauf zu warten, dass die Ampel auf Grün schaltet und quasi mit einem Autopiloten anzufahren. Hier verschafft man sich mit einem guten Timing dagegen einen echten Vorteil, kann auf der anderen Seite mit einem zu nervösen Gaspedal aber auch einen Frühstart hinlegen – klasse! Wer noch näher an der Wirklichkeit sein will, aktiviert zusätzlich mechanische Fehler, muss dann aber jederzeit damit rechnen, ohne Fremdeinwirkung mit einem Motorschaden oder einem anderen mechanischen Defekt auszuscheiden. Das kann schon in der ersten Runde passieren oder aber auch kurz vor dem Ende eines Zwei-Stunden-Marathons. Und deshalb kann ich diese Option wirklich nur Puristen und / oder extrem Frust resistenten Fahrern empfehlen. Eine kleine Enttäuschung ist das Flaggen- und Strafsystem - nicht etwa, weil es zu pedantisch oder überkorrekt agiert, sondern weil das Gegenteil der Fall ist: Hier wird nach Lust und Laune ohne Konsequenzen abgekürzt, Flaggen scheinen kaum eine Bedeutung zu haben und man muss schon extrem viel dummes Zeug anstellen, bevor man bestraft oder gar disqualifiziert wird. Das Schadensmodell ist ebenfalls ein zweischneidiges Schwert: So schön es auch ist, dass hier endlich  wieder Teile von der Karosserie abfallen und die Boliden in Schrotthaufen verwandelt werden können, sind die Folgen zusammen mit der oft fragwürdigen Kollisionsphysik nicht immer nachvollziehbar.        

Die totale Anpassung

In einem Bereich macht Project Cars aber niemand etwas vor: den überragenden Anpassungsmöglichkeiten. Nein, ich meine hier nicht die ausgefeilten Setup-Optionen, bei denen man vom Fahrwerk über das Getriebe bis hin zur Aerodynamik, dem Reifendruck oder Motor so ziemlich alles in feinen Nuancen einstellen kann. Angesichts dieser Detailfülle, die für Laien zum Glück durch kleine Hilfstexte etwas greifbarer gemacht wird, kommen Nachwuchs-Mechaniker hier voll auf ihre Kosten. Doch während man dies bei einer selbst ernannten Simulation quasi erwarten kann, sind es vor allem die zahlreichen Anpassungsmöglichkeiten drumherum, wo Project Cars glänzt – und wo vor allem viele Konsolen-Titel versagen. Das geht schon damit los, dass ich sowohl innerhalb der umfangreichen Karriere als auch bei Einzelrennen mein Wochenende komplett selbst gestalten kann: Wenn ich es will, stürze ich mich einfach sofort in die Startaufstellung oder entscheide mich für das andere Extrem und absolviere zuerst noch beide Trainingsläufe, die Qualifikation und sogar das Warm-up. Oder vielleicht spare ich mir doch den einen oder anderen Teil? Ich habe alle Freiheiten! Dabei darf ich sogar festlegen, wie viel Zeit für die einzelnen Sessions angesetzt werden soll – und falls es mir doch zu lange dauern sollte, kann ich in der Box immer noch den Zeitraffer in mehreren Stufen einstellen.

Die Cockpits strotzen nur so vor Details.

Aber das war noch längst nicht alles: Wenn ich es will, darf ich vor jedem einzelnen Rennen (inkl. Karriere-Veranstaltungen!) alles wieder umkrempeln und dabei sogar die Gegnerstärke verändern. Selbst die Boxenstopps lassen sich im Vorfeld mit genauen Anweisungen für die Crew planen. Wie viele Liter sollen nachgetankt werden? Welche Reifen mit welchem Reifendruck werden aufgezogen? Welche Schäden sollen repariert, welche ignoriert werden, weil es zu viel Zeit kostet? Falls man sich spontan umentscheidet, bekommt man bei der Einfahrt in die Box außerdem noch die Gelegenheit, Änderungen am ursprünglichen Plan vorzunehmen und damit spontan auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. So gehört sich das! Und auch beim Festlegen der Rennbedingungen erreicht Slighly Mad ein ganz neues Niveau: Dass man Daten und Uhrzeiten für den Start manuell eingeben oder den Zeitverlauf skalieren darf, ist noch nicht so außergewöhnlich. Dass man das hervorragende Wettersystem nicht nur dynamisch gestalten oder festlegen, sondern sogar in bis zu vier Stufen skripten kann, dagegen schon. Wenn ich es so möchte, starte ich bei schönstem Sonnenschein, lasse zunehmend Wolken aufziehen und verwandele die ersten kleinen Regentröpfchen in einen Wasserfall aus dem Himmel, der zusätzlich noch mit Blitz und Donner, Sturm oder Nebel garniert wird. Was hier hinsichtlich des Wetters geboten wird, ist einfach sensationell – nicht nur visuell mit wunderschönen Lichteffekten bei Sonnenschein und fein aufgewirbelter Gischt auf nassen Pisten, sondern auch durch die spürbaren Auswirkungen auf das Grip-Niveau des Asphalts.

Technik-Tuning

Wie gut das alles aussehen soll, entscheidet man nicht nur am PC, sondern in leicht abgespeckter Form sogar auf den Konsolen in der Grafikeinstellungen, wo sich einige Effekte auf reduzieren oder deaktivieren lassen, um die Darstellungsqualität zu verbessern. Denn gerade auf Xbox One und der PS4 wird immer wieder deutlich, dass die hauseigene Engine der Slighly Mad Studios der Hardware mehr abverlangt, als sie aufbringen kann. Wird es eng im Grafikspeicher, wird zuerst mit deutlichem Tearing nach einer Entlastung gesucht. Doch selbst das und die Reduzierung der Auflösung auf 900p bei der Xbox One können nicht verhindern, dass die Bildrate in bestimmten Situationen spürbar in die Knie geht, falls sich z.B. gerade zu viele Autos gleichzeitig auf der Strecke tummeln und zusätzlich noch die sehenswerten Licht- oder Wettereffekte weitere Ressourcen fordern. Insgesamt ist die Performance auf den Konsolen trotz dieser Einschränkungen erstaunlich gut, wenn man bedenkt, was alles auf dem Bildschirm los ist.

Riesiges Starterfeld und KI-Probleme

Der Feind des Grips: Regen und nasser Asphalt!

Vor allem unter Konsolenmaßstäben überzeugt Project Cars mit einem gewaltigen Starterfeld: Während sich bei Forza Motorsport oder Gran Turismo in der Regel maximal 16 Fahrzeuge auf den Pisten tummeln, drehen hier je nach Strecke und Klasse teilweise über 40 Wagen ihre Runden und es ist richtig was los! Aber schnell zeigen sich die Schattenseiten dieser famosen Blechlawine: Vor allem kurz nach dem Start zeigt sich oft, dass die KI angesichts dieser Massen schlichtweg überfordert ist. Spätestens wenn es auf die erste Kurve oder Schikane zugeht, verkommt das Rennen zu einem Stop-And-Go und teilweise sogar zu einem Stau, wenn die computergesteuerte Konkurrenz verzweifelt versucht, mit Hilfe der Wegfindung das Chaos zu entwirren. Aber genau das gelingt zu selten und so kommt es ständig zu einem Massenauflauf voller Rempeleien, den es in dieser Form im echten Motorsport nur in Ausnahmefällen zu sehen gibt, hier aber die Norm darstellt. Auch beim Start scheinen die anderen Fahrer noch nicht ganz wach zu sein und so gewinnt man auf den ersten paar hundert Metern überraschend viele Positionen, weil sich die Wagen vor mir offenbar alle gegenseitig behindern. Erst wenn sich das gigantische Feld nach ein paar Runden etwas auseinandergezogen hat, glänzt die KI wieder mit ihrer kämpferischen Einstellung, die in der finalen Version einen deutlich besseren Eindruck hinterlässt als noch in der Vorschau. Unnötige Rempel-Attacken treten zwar immer noch hin und wieder auf, doch meist fährt die Konkurrenz mit Köpfchen und weicht lieber aus bzw. bricht einen Angriff ab, anstatt es mit der Brechstange zu versuchen. Dadurch und aufgrund des gelungenen Verteidigungsverhaltens entstehen viele packende Positionsduelle, sobald man die richtige Gegnerstärke für sich entdeckt hat. Während auf den Konsolen diesbezüglich lediglich Zehnerschritte angeboten werden (von null bis 100), lassen sich die KI-Stufen auf dem PC mit der Maus sogar in Einerschritten festlegen.

Der ideale Durchblick

Eigentlich habe ich schon mehr als genug von den Anpassungsmöglichkeit geschwärmt. Aber da geht noch mehr, denn auch die individuelle Einstellung des Sichtfelds und das separate Verschieben des Sitzes muss ich noch lobend erwähnen, weil auch diese Punkte zumindest in Konsolen-Gefilden die absolute Ausnahme in Rennspielen darstellen, obwohl sich dieses Detail in der Praxis als so wichtig erweist. Warum? Weil jedes Auto ein bisschen anders ist. Mal kann ich je nach Modell die Außen- oder Innenspiegel problemlos sehen, ein anderes Mal nicht. Mal wird der Blick durch die Windschutzscheibe durch einen fetten Aufkleber eingeschränkt, ein anderes Mal nicht. Hier Optionen anzubieten, mein Sichtfeld auf Wunsch zu verändern, sollte eigentlich auch auf den Konsolen zum Standard werden. Das gilt auch für die Gestaltung der Bildschirmanzeigen: Diese lassen sich nicht nur ein- und ausschalten, sondern genau wie bei Assetto Corsa auch individuell auf dem Bildschirm platzieren. Ich will die Streckenkarte lieber rechts unten statt links oben sehen? Kein Problem! Und auch Freunde der Echtzeit-Telemetrie werden bedient und können live dabei zusehen, wie die Fahrphysik arbeitet.

Technisch liefert Project Cars vor allem auf dem PC eine "blendende" Vorstellung.

Auch wenn es schön ist, dass man in der Außenansicht mehr von den prächtig modellierten Boliden zu sehen bekommt und auch Stoßstangen, Dach- sowie Motorhauben- und versetzte Innenraum-Kameras angeboten werden: Die größte Immersion erreicht nach wie vor die fantastische Cockpitansicht mit all ihren detailliert nachgebildeten Instrumenten, die mit der gelungenen Helm-Perspektive inklusive Kopfbewegungen und Unschärfe-Effekten aber eine ernstzunehmende Konkurrenz bzw. Alternative bekommt. Dabei sieht das alles nicht nur klasse aus, denn teilweise lassen sich Elemente sogar manuell bedienen, was gerade auf Konsolen ebenfalls keine Selbstverständlichkeit ist. Neben KERS und DRS in ausgewählten Supersport- und Formel-Wagen aktiviert man hier auch auf Knopfdruck den Scheibenwischer, schaltet die Scheinwerfer aus oder verändert Einstellungen an der Bremsbalance oder den Stabilisatoren.

Krampfige Knopfbelegung und Steuerungskonfiguration

Problem dabei: Vor allem die Controller, aber auch die meisten Lenkräder bieten in der Regel gar nicht genug Knöpfe für all die Funktionen, die man ihnen theoretisch zuweisen könnte. Während man am PC noch auf die Tastatur als Ergänzung zurückgreifen kann, ist man auf den Konsolen zum Selektieren gezwungen. Das Konfigurationsmenü ist allerdings ein kleines Fiasko, weil manche Aktionen verpflichtend belegt werden müssen, andere dagegen optional sind. Es wird jedoch nirgendwo gesagt oder markiert, um welche Aktionen es sich dabei handelt. Dadurch wird die individuelle Knopfbelegung eine unnötige Fummelei, weil man die Einstellung oft nicht verlassen kann, weil einer nicht näher genannten Funktion kein Knopf zugewiesen wurde. Wer rechnet z.B. damit, dass „Wagen zurücksetzen“ so wichtig ist, dass es auf jeden Fall belegt werden muss?

Der Fuhrpark hält auch eine Auswahl an Formel-Flitzern von Lotus bereit.

Hinzu kommt, dass man die Steuerungs-Optionen innerhalb der prinzipiell sehr durchdachten Menü-Struktur generell etwas unglücklich platziert hat: Ich kann während einer laufenden Veranstaltung selbst in der Box nicht auf Controller- bzw. Lenkradeinstellungen & Co zugreifen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass ich tatsächlich jedes Mal ein Rennen erst komplett verlassen muss, bevor ich Änderungen vornehmen und diese dann ausprobieren darf – umständlicher geht es kaum! Nimmt man noch die vor allem auf den Konsolen beträchtlichen Ladezeiten hinzu, wird die Geduld bei der Suche nach der perfekten Steuerung auf eine harte Probe bestellt. Und auch wenn man sein Fanatec-Lenkrad an der PS4 betreiben will, was tatsächlich offiziell unterstützt wird, sind erst einige Tricks nötig, bevor es ordentlich erkannt wird und inklusive Force Feedback verwendet werde kann. Erst wenn man die Kupplung mit einem Knopf belegt (...das Kupplungspedal wird bei der Pedal-Kalibrierung seltsamerweise nicht registriert), wird im Spiel die Kupplung gelöst. Macht man es nicht, kann man zwar Gas geben und schalten, doch bleibt das Fahrzeug immer im Leerlauf. Umständlich auch, dass der DualShock-Controller trotzdem immer verbunden und aktiviert bleiben muss. Nutzt man die Energiesparfunktion von Controller und Konsole, erscheint trotz der Verwendung des Lenkrads irgendwann die Anzeige, dass sich die PS4 in fünf Minuten abschalten wird. So schön es auch ist, dass endlich mehr Lenkräder abseits der Thrustmaster-Modelle an der PS4 funktionieren: Die Einbindung hätte man auf jeden Fall besser lösen können und müssen. Noch schlimmer sieht es auf der Xbox One aus, wo weiterhin deutlich weniger Geräte unterstützt werden als auf PC und PS4. Man muss mal darüber nachdenken: Ich darf auf der PS4 mit dem offiziellen Forza-CSR-Wheel von Fanatec fahren, kann es an der Xbox One aber nicht nutzen. Das ist einfach nur traurig – gerade auch deshalb, weil bei Project Cars ein Lenkrad quasi Pflicht ist, wenn man das ganze Potenzial des Titels ausschöpfen möchte.

Keine Lobbys auf Xbox One

Aber Microsoft geht auch in anderen Bereichen Wege, die man nicht unbedingt nachvollziehen kann und die das Spielerlebnis beeinträchtigen. Während es auf den beiden anderen Plattformen für Online-Rennen einen Server-Browser mit aufgelisteten Lobbys gibt, darf Slightly Mad auf der Xbox One nur ein automatisches Matchmaking anbieten, wenn man gegen Gott und die Welt antreten möchte. Nur gut, dass alternativ auch hier die Möglichkeit besteht, private Spiele anzubieten, Freunde einzuladen und Regeln nach eigenen Wünschen anzupassen. Dazu gehören u.a. die Einschränkungen bestimmter Fahrhilfen oder Kameraeinstellungen. Genau wie bei Solofahrten lassen sich außerdem auch hier die Rennwochenenden nach eigenen Vorlieben gestalten.

In unseren Testläufen liefen die Online-Duelle meist sauber ab – nur hin und wieder kam es vor allem in einem größeren Teilnehmerfeld zu deutlich sichtbaren Lags. Trotz des rudimentären Reputationssystems, das verhängte Strafen, Disqualifikationen und nicht abgeschlossene Rennen (also die Abbrechquote) im Fahrer-Profil verewigt, wird leider auch hier geschubst, gerempelt und die Pistensau rausgelassen – sicher auch bedingt durch den Umstand, dass das Flaggen- und Strafsystem einen eher unbefriedigenden Dienst verrichtet. Und so bleibt auch hier nur der Nerven schonende Ausweg, bevorzugt nur mit Freunden und Bekannten zu spielen, die sich fair verhalten. Schön in diesem Zusammenhang, dass das man Feld optional mit KI-Piloten auffüllen kann. Nur lokale Duelle am geteilten Bildschirm sucht man vergeblich und selbst am PC fehlt eine LAN-Alternative für Mehrspieler-Rennen. Zudem muss man auf den Konsolen hinsichtlich Online-Modus etwas kleinere Brötchen backen: Während am PC bis zu 32 Leute teilnehmen dürfen, wird die maximale Anzahl auf Xbox One und PS4 halbiert. Zudem wird die grafische Qualität mit gröberen Schatten und weniger Details sichtbar reduziert. Und auch bei den Bestenlisten haben Konsoleros das Nachsehen, denn wo man am PC die Zeiten noch nach bestimmten Fahrzeugmodellen filtern kann, ist auf PS4 und

Dank des Schadensmodells kann man komplette Teile der Verkleidung verlieren.

X1 schon bei der Einteilung in Klassen Schluss. Darüber hinaus wird gerade im Vergleich mit Forza Motorsport in diesem Bereich zu wenig geboten: Zwar sieht man, ob die Zeiten mit Lenkrad, Controller oder Tastatur gefahren wurden, doch man kann weder nach Freunden filtern noch sehen, wer welche Fahrhilfen verwendet hat.                      

Einmal um die Welt  

Die Streckenauswahl kann sich sehen lassen: Es werden nicht nur zahlreiche lizenzierte Kurse in verschiedenen Varianten geboten, darunter neben vielen Bekannten wie Monza, LeMans, Laguna Seca oder der legendären Nordschleife auch eher seltene Umsetzungen wie Oschersleben, Snetterton oder Sakitto. Auch einige Straßenkurse wie eine Fahrt entlang der Pazifikküste auf dem California Highway oder der Côte d'Azur runden das gelungene Aufgebot mit zusätzlichen A-B-Strecken ab.

Helm- und Cockpitansicht fangen die Immersion am besten ein.

Etwas weniger begeistert bin ich dagegen vom Fuhrpark: Klar finden sich auch hier ein paar schicke Flitzer in der Auswahl und es werden verschiedene Klassen vom Straßenwagen über GT-Boliden bis hin zu Formel-, Stockcar- und LMP-Exemplaren abgedeckt. Selbst ein paar historische Modelle wie der Lotus 49 Cosworth oder der Mercedes 300SEL 6.8 AMG haben es in die wertvolle Garage geschafft. Und alles steht von Anfang an zur Verfügung, ganz ohne Grind-Zwang oder zeitaufwändige Freischalterei. Trotzdem vermisse ich nicht nur einige Modelle, sondern auch viele Marken: Dass Porsche von RUF ersetzt wird, kennt man mittlerweile. Aber im Aufgebot von Project Cars befindet sich darüber hinaus auch kein einziger Ferrari, kein Lamborghini, kein Nissan (sowie generell kaum japanische Hersteller) und auch VW ist nur durch ein drei Modelle der Tochter Audi indirekt vertreten. Aber das ist vielleicht mehr eine Frage des persönlichen Geschmacks: Der Umfang des Fuhrparks geht sicher in Ordnung, allerdings habe ich im Gegensatz zu einigen anderen Rennspielen hier nur vergleichsweise wenige Modelle gefunden, die ich auch wirklich gerne fahren möchte.

Die große Offenheit

Daher ist es mehr als willkommen, dass mir die Karriere alle Freiheiten lässt, wie ich mein Rennfahrer-Dasein gestalten möchte. Ich könnte klassisch ganz unten anfangen, etwa bei den wendigen Karts, die zwar etwas Eingewöhnung erfordern, aber danach jede Menge Fahrspaß versprühen und eine prima Alternative zu den stärker motorisierten Serien darstellen. Wenn ich es wollte, könnte ich mich aber auch sofort in der höchsten Klasse mit den LeMans-Prototypen oder dem F1-Pendant Formel A versuchen. Es liegt einzig und allein bei mir! Auch im weiteren Verlauf darf ich entscheiden, wie ich meine Karriere weiter forme, indem ich Vertragsangebote gegeneinander abwäge und dem zukünftigen Team meiner Wahl eine Zusage erteile. Das alles ist zwar extrem öde präsentiert und erinnert mit dem angestaubten „Tabellen-Layout“ an die Sportspiele von EA, doch die Handlungsfreiheit und abwechslungsreichen Motorsport-Klassen entschädigen zusammen mit dem gelungenen sowie individuellen Fahrgefühl der Autos für die trockene Darstellung innerhalb der Karriere und Menüs, die auch bei den Sieger-Bildschirm oder beim Setup fortgesetzt wird. Wildes Feiern auf dem Podest sucht man hier genauso vergeblich wie Boxenluder & Co, doch gibt es nach dem erfolgreichen Abschluss einer Saison und bei der Einführung immerhin kleine Videos als Belohnung zu sehen. Unterhaltsam ist zudem der „Live-Feed“, einer fiktiven Einbindung mit unterhaltsamen Kommentaren aus sozialen Netzwerken. Nützliche Community-Funktionen sind dagegen kaum vorhanden – vor allem, wenn man es mit der Palette an Möglichkeiten aus Forza Motorsport vergleicht: Eigene Setups lassen sich nicht einfach mit anderen

Ob Tag, Nacht, Regen, Nebel oder Sonne: Bei Project Cars genießt man große Freiheiten hinsichtlich der Rennbedingungen.

Fahrern teilen, es gibt keine Auto-Clubs, keine direkten Rivalen-Herausforderungen und sämtliche Lackierungen sind bereits vorgefertigt – da wäre definitiv mehr drin gewesen! Immerhin werden in regelmäßigen Abständen Community-Wettbewerbe angeboten, in denen alle unter den gleichen Bedingungen an den Start gehen. Auch mit Hintergrundinfos zu Wagen und Herstellern kocht man auf Sparflamme, kann im Fotomodus aber wenigstens schicke Aufnahmen von den Flitzern knipsen, bei denen man gleichzeitig die Gelegenheit bekommt, die prächtige Kulisse ganz in Ruhe zu genießen.   

Kleine und große Ärgernisse

So sehr Project Cars auch in vielen Bereichen überzeugt, allen voran dem starken Fahrgefühl mit Lenkrad, gibt es doch viele große und kleine Ärgernisse, die den Spielspaß mindern. So sind die Boxenstopps hinsichtlich der Inszenierung und Umsetzung eine herbe Enttäuschung: Zum einen darf ich mich nur per Autopilot zu meiner Crew chauffieren lassen anstatt selbst die Kontrolle zu behalten zu können und die Geschwindigkeitsbeschränkung selbst beachten zu müssen. Und dann steht da nur der Wagenanheber allein auf weiter Flur und von den restlichen Mechanikern ist nichts zu sehen – weder bei mir noch bei den anderen Teams. Zudem scheinen alle Fahrzeuge in der Box plötzlich zu Geistern zu werden, denn teilweise fahren sie durch Figuren und sogar andere Autos hindurch. Bei der automatischen Ausfahrt unterlaufen darüber hinaus selbst der KI-Kontrolle Fehler und sie setzen die Boliden immer wieder gegen die Boxenmauer. Was soll das?

Ärgerlich: Der Sieger musste hier keinen Pflicht-Boxenstopp einlegen.

Auch an der Kommunikation hapert es hin und wieder: Zwar ist der Boxenfunk, der auf der PS4 sogar über den Lautsprecher des Controllers ausgegeben werden kann, trotz redundanter Sprüche in manchen Situationen durchaus informativ, liegt aber stellenweise daneben oder versäumt es einfach, mich über wichtige Entwicklungen zu informieren. So bog ich z.B. in die Box ein und bekam erst viel zu spät die Ansage, dass der Platz gerade von meinem Teamkollegen blockiert wird. Warum wird mir das nicht per Funk mitgeteilt, wenn mein Kollege an die Box fährt? So ging es einmal im Schneckentempo durch die Boxengasse, ohne von meinen Mechanikern abgefertigt zu werden – ganz toll! Hinzu kommt, dass der Funkverkehr ausschließlich in englischer Sprache zur Verfügung steht - gleiches gilt für die Dame, die einzelne Modi und Menüoptionen vorstellt. Zwar werden deutsche Untertitel geboten und Texte wurden komplett übersetzt, aber eine komplette Lokalisierung wäre sicher im Bereich des Möglichen gewesen. In einer anderen Situation sorgten die Pitstops übrigens erneut für Frust: Trotz Pflichtbesuch bei der Crew wurde ein KI-Fahrer ganz offensichtlich von dieser Vorschrift ausgenommen und gewann am Ende das Rennen mit einem entsprechenden Vorsprung (siehe Beweis-Screenshot).

Aber damit nicht genug: In einem anderen Rennen wurde ich nicht nur plötzlich als Letzter geführt und bekam blaue Flaggen angezeigt, sondern auch der Rundenzähler blieb einfach hängen. Hätte ich nicht irgendwann abgebrochen, wäre das ewig so weitergegangen – übrigens durfte ich in dieser Situation sogar manuell durch die Boxengasse rasen. Das kommt zwar genauso selten vor wie die vereinzelten Abstürze, ist aber dennoch sehr ärgerlich. Den ominösen Controller-Bug, der wohl nur die Fassung für die Xbox One betreffen dürfte, habe ich selbst nicht erlebt – vermutlich deshalb, weil PS4 und PC zum einen stärker im Fokus für den Test standen und ich zum anderen meine Lenkbewegungen wohl nicht so krass ausführe, damit der Fehler zum Vorschein kommt.

Fazit

Project Cars erfüllt viele Dinge, die ich mir von Rennsimulationen wünsche: Mit den zahlreichen Optionen, angefangen bei der Steuerung über Rennbedingungen bis hin zum Wetter, darf ich mir meine Motorsport-Veranstaltungen und den Realismus-Grad so gestalten, wie ich es gerne möchte. Und das gilt nicht nur für Einzelrennen oder beim Zeitfahren, sondern auch die Struktur der Karriere erlaubt mir erstaunlich viele Freiheiten. Doch vor allem überzeugt Project Cars neben der starken Technik beim Kernelement: Die Physik wirkt authentisch und ermöglicht ein grandioses Fahrgefühl, das sich vor allem am Lenkrad mit Force Feedback voll entfaltet kann, bei der Verwendung des Controllers aufgrund der extrem sensiblen Reaktion aber schnell an Grenzen stößt. Und auch die KI ist angesichts des großen Starterfeld oft mit dem dichten Gedränge überfordert, ist im späteren Verlauf oder bei kleinerer Anzahl aber für spannende Duelle gut, die meist hart aber fair ablaufen. Auf den Online-Pisten schiebt dagegen auch das Reputationssystem oder das zu lasche Strafsystem den Crash-Piloten keinen Riegel vor – geht man mit Freunden an den Start, erlebt man dagegen überwiegend technisch saubere Duelle ohne störende Lags. Ärgerlich sind vor allem diverse Bugs, die z.T. nicht durchdachten und fade designten Menüs sowie die enttäuschende Umsetzung der Boxenstopps. Auf den Konsolen bereitet zudem die Technik in manchen Situationen Probleme, wobei die Xbox One mehr Tearing und Slowdowns betroffen ist als die PS4. Trotzdem: Forza Motorsport und Gran Turismo können noch viel von Project Cars lernen – vor allem, was das Drumherum und die Einstellungsvielfalt betrifft. Denn es ist näher am realen Motorsport dran als die meisten anderen Simulationen, die man auf den Konsolen findet. Am PC ist die Konkurrenz wesentlich zahlreicher und potenter: Ginge es nur um das reine Fahrgefühl (und das exzellente Force Feedback), würde ich Assetto Corsa immer noch den Vorrang geben, doch Project Cars bietet mir mit der gelungenen Karriere, der großen Anzahl an Fahrzeugen sowie Strecken aktuell das bessere Gesamtpaket und löst die fantastische Simulation von Kunos Simulazioni außerdem als visuell eindrucksvollstes PC-Rennspiel ab.      

Pro

überzeugende Fahrphysik
viele (optionale) Fahrhilfen
großartiges (und anpassbares) Force Feedback
fantastisches Fahrgefühl (vor allem mit Lenkrad)
umfangreiche Setup-Möglichkeiten
kämpferische, aber meist fair agierende KI-Gegner
sehr großes Starterfeld (40 Wagen)...
Flaggen- und Strafsystem...
gelungene und große Streckenauswahl
zahlreiche lizenzierte Fahrzeuge verschiedener Klassen...
(optionales) vollwertiges Schadensmodell...
(optionaler) Benzinverbrauch
(optionaler & skalierbarer) Reifenverschleiß
(skalierbarer) Tag-/Nachtwechsel sowie feste Start-Zeitpunkte
dynamisches und skriptbares Wettersystem
zahlreiche Planungsoptionen für Boxenstopps
immersive Cockpit- und Helmansicht
satte Motorenklänge
Boxenfunk enthält mitunter nützliche Hinweise
detailliert modellierte Boliden
kein Gummiband
sehr viele Einstellungsmöglichkeiten vor JEDEM Rennen (auch Karriere)
sehenswerte Licht- und Wettereffekte
anpassbares Sichtfeld
Frühstarts möglich / gute Reaktion entscheidet über Start
Kupplung und H-Schaltung werden unterstützt
offen gestaltete und umfangreiche Karriere
komplette Rennwochenenden möglich
Zeitrafferfunktion für Trainings- und Quali-Sessions
Zeitfahren mit Geisterwagen anderer Spieler möglich
(Echtzeit-)Telemetrie
regelmäßige Community-Wettbewerbe
überwiegend lagfreie, saubere Online-Rennen
private Lobbys mit zahlreichen Einstellungs-Optionen
rudimentäres Reputationssystem (online)
Bildschirmanzeigen platzierbar
Controller-Lautsprecher für Boxenfunk (PS4)
speicherbare Wiederholungen
detaillierte Bestenliste (PC)
Online-Starterfeld lässt sich mit KI-Fahrern auffüllen
unterhaltsamer „Social Feed“
netter Fotomodus

Kontra

extrem sensible Controller-Steuerung
kein Zugriff auf Steuerungs-Optionen im Pause-Menü
mitunter spürbare Einbrüche der Bildrate (Konsolen)
redundanter Boxenfunk und z.T. unpassende Ansagen
spartanische Menü
und Karriere-Präsentation
vereinzelter Boxenstopp-Bug (KI legt keinen Pflicht-Stopp ein)
...das die KI bei Kurven, in der Box und Schikanen meist bei der Wegfindung überfordert
...das insgesamt zu lasch ausfällt
keine vollständige Pitstop-Crew
...aber man vermisst einiger große Hersteller und Modelle
...aber Schäden und Kollisionsphysik nicht immer nachvollziehbar
keine lokalen Duelle am geteilten Bildschirm möglich
mangelnde Team-Kommunikation bei / vor Boxenstopps
keine eigenen (Online-)Meisterschaften oder Rennkalender möglich
Wiederholungen ruckeln mitunter recht stark
auffälliges Tearing (Konsolen)
kein Lobby-Server-Browser (Xbox One)
durchwachsene Lenkradunterstützung (Konsolen, vor allem Xbox One)
kaum Hintergrundinformationen zu Fahrzeugen, Herstellern und Strecken
lange Ladezeiten (vor allem Xbox One)
fummelige Änderung der Knopfbelegung
nur vorgefertigte Lackierungen
kaum Community-Features (Setup-Tausch, Clubs, Rivalen etc.)
wenige Filter bei Bestenliste (vor allem Konsolen)
nur automatisierte Pitstops ohne Interaktion
kleineres Online-Starterfeld (Konsolen)
(noch) keine ordentliche Einbindung der Impulse Trigger (Xbox One)
unvollständige Lokalisierung
keine LAN-Unterstützung
vereinzelte Bugs und Abstürze

Wertung

PC

Project Cars überzeugt als Rennsimulation vor allem durch sein gelungenes Gesamtpaket: Die Fahrphysik ist famos, der Umfang stimmt und die Technik ist stark. Nur KI-Probleme und die biedere Präsentation bremsen die Faszination leicht aus.

PlayStation4

Gran Turismo aufgepasst: Projekt Cars ist eine erstklassige Rennsimulation, die mit toller Fahrphysik und Optionsvielfalt überzeugt, aber unter kleinen technischen Schwächen und KI-Problemen leidet.

XboxOne

Die schwächeren Technik-PS machen sich auf der Xbox One bemerkbar. Trotzdem ist Project Cars näher am Motorsport dran als Forza & Co.

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