Im Test:
Sturmangriff im Morgengrauen
Rauchgrananten fliegen und eine dichte Wolke legt sich über das Schlachtfeld nahe des Hanto-Flusses. Mit lauten Banzai-Schreien springt mein Feuerteam aus dem Schützengraben und rennt geduckt, die Bajonette kampfbereit, auf die Stellung der Amerikaner zu. Deren schwere Maschinengewehre legen blind Sperrfeuer. Granaten explodieren und neben mir fallen meine Kameraden im Kugelhagel. Dann endlich taucht die Stellung aus dem Nebel auf und ich schalte den ersten GI mit einem gezielten Stich aus. Ein weiterer fällt nach einem Schuss aus meinem Karabiner, bevor mich ein Dritter mit einem Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole stoppen kann.
Doch es ist zu spät. Das Maschinengewehr verstummt, als der zeitgleiche Flankenangriff die amerikanischen Linien durchbricht. Und endlich hören wir auch die lang erwartete Bestätigung des Kommandanten via Voicechat: „Artillery incoming, get down everyone“. Das folgende, minutenlage Sperrfeuer schneidet den GIs den Rückzug ab und verhindert direkten Nachschub. Unsere Maschinengewehre rücken unter Deckungsfeuer in den geräumten Unterstand vor und beziehen Stellung, um den Gegenangriff abzuwehren. Dieser Kampf ist gewonnen – die Schlacht aber noch lange nicht.
Krieg unter Palmen
Nach der Ostfront von Red Orchestra 2: Heroes of Stalingrad wird so nicht nur ein neuer Schauplatz geboten, sondern es werden zwei vollständig neue Fraktionen eingeführt, so dass man dem Umfang des Hauptspiels in nichts nachsteht. Zudem wurde das Spiel grafisch aufgewertet: Zwar ist die Kulisse nach wie vor nicht ganz zeitgemäß, sortiert sich jetzt aber im Mittelfeld ein und wirkt stimmiger als zuvor. Insbesondere die authentischen Waffenmodelle können hier glänzen.
Kernstück ist auch auf den neuen Karten der Territoriums-Modus, der an Rush aus Battlefield erinnert. Nacheinander müssen aus zwei oder mehr Flaggen bestehende Basen eingenommen werden, bevor sich die Front weiter nach hinten verschiebt. So bilden sich auf den gut designten Karten dynamische Kampflinien, an denen die Schlachten hin und her wogen und spannende Gefechtssituationen entstehen.
Realismus im Mehrspieler-Kampf
Auf Knopfdruck presse ich mich an Wände oder Panzerwracks. Dann heißt es um die Ecke lugen, Ziele ausmachen, anlegen, Atem beruhigen, Entfernung schätzen, Visier justieren und feuern. Ganz recht: Visier justieren. Rising Storm spielt sich anders als gewöhnliche Mehrspieler-Shooter unserer Tage und macht dabei vieles richtig. Leider ist die aktive Deckung aber auch manchmal ein Stolperstein, da in seltenen Momenten das Herauslehnen nicht recht funktionieren will oder die Spielfigur ab und zu beim Hinüberklettern hängenbleibt.
Kleine Waffenkunde des Pazifiks
Außerdem lerne ich, anhand der guten Waffengeräusche zu unterscheiden, welche Fraktion auf welcher Flanke vorrückt. Welches Maschinengewehr rechts von mir gerade feuert oder welche Waffen der Gegner nutzt. So kann ich beim Vorrücken Gefecht-Hotspots schon ausmachen, bevor ich die Mündungsfeuer der Waffen sehe. Ich muss also entsprechend planen, um MG-Nester zu umgehen oder Scharfschützen auszuspähen.
Die Gnadenlosigkeit des Schlachtfeldes
Granaten oder Artillerie etwa zerschmettern die Körper meiner Feinde regelrecht. Oft liegen durch Kugeln nur verwundete Soldaten vor ihrem Tod noch wimmernd am Boden und die neuen Flammenwerfer verwandeln Soldaten in lebende Fackeln. Diese schreien sekundenlang, bevor sie verkohlt zu Boden fallen. Es gibt keinen klar erkennbaren moralischen Anspruch, aber das Grauen des Pazifikkrieges wird in den Mehrspieler-Gefechten sehr eindrücklich transportiert.
Kommandoketten in Infanteriegefechten
Zusätzlich gibt es pro Fraktion einen Kommandanten, der über ein Funkgerät fernab der Front Artillerieschläge und Luftaufklärung anfordern kann. Zudem koordiniert er die Feuerteams, die wiederum von ihren Kommandanten zusammengehalten werden müssen.
Dies führt zu intensivem Teamspiel, insbesondere wenn diszipliniert über den integrierten Voicechat kommuniziert wird. Das gute Punktesystem, das Teamaktionen deutlich stärker belohnt als Abschüsse, lässt dabei auch die Spieler auf öffentlichen Servern bei vernünftiger Führung durch die Offiziere schnell zu koordiniert agierenden Kampfgruppen werden.
Panzerfreie Zone
Rising Storm ist ohne Red Orchestra 2: Heroes of Stalingrad spielbar und beinhaltet neben den neuen Fraktionen und Karten auch den vollständigen Mehrspielermodus des Hauptspiels. Auch Server mit kombinierter Kartenrotation inklusive Pazifik und Ostfront sind vorhanden. Einzig auf den missratenen und dadurch entbehrlichen Einzelspielerpart wurde verzichtet. Im Gegensatz zu Heroes of Stalingrad wurde bei Rising Storm auf den Einsatz von Fahrzeugen verzichtet. Die Schlachten beschränken sich auf reine Infanteriegefechte, auch wenn Panzerwracks und Lastwagen als Deckungsobjekte vorhanden sind. Das ist schade, da die Vehikel gerade bei der Schlacht um Iwo Jima und auf Peleliu eine wichtige Rolle gespielt haben und selbst durchgeführte Landeoperationen mit Amphibienfahrzeugen noch mehr Abwechslung in die Gefechte gebracht hätten.
Auch auf einen Einzelspielermodus wurde dieses Mal glücklicherweise verzichtet. Anstatt mich also durch Missionen mit furchtbaren Bots zu kämpfen, finde ich mich als neuer Spieler nach dem guten, aber gegenüber Heroes of Stalingrad unveränderten Tutorial direkt im Mehrspielermodus wieder. Hier sind zunächst nur Server verfügbar auf denen der „Actionmodus“ läuft, in dem Spielernamen eingeblendet werden und ich mehr Treffer aushalte. Erst durch das Erlangen eines höheren Ehre-Levels werden nach und nach die übrigen zwei Spielmodi Feuergefecht und Countdown (Territorium ohne Respawn) sowie der Realismus-Modus freigeschaltet.
Erfahrungswerte und Veteranenboni
Besonders gut gelungen ist außerdem die Balance der Fraktionen: Die Überlegenheit des amerikanischen Kriegsgerätes vom Colt 1911 über BARs, M1-Garands und Thompson M1928-Sturmgewehre, wird dem realen Vorbild gerecht. In fast jeder Waffengattung sind die GIs den kaiserlichen Soldaten technisch überlegen. Die US-Flammenwerfer sind zudem verheerende Instrumente, die ganze Häuser in kurzer Zeit säubern können. Dennoch sind die Japaner nicht unterlegen: die Banzai-Spezialfähigkeit, die effektivere Sturmangriffe ermöglicht, Granatenselbstmorde, die keine Punkte abziehen, sowie mit Bajonetten ausgerüstete Arisaka-Karabiner machen die Soldaten zu Nahkampf-Spezialisten. Diese schlagen vor allem aus dem Hinterhalt zu und können den Amerikanern so die Hölle heiß machen.
Fazit
Die taktischen, kompromisslosen und spannenden Gefechte von Rising Storm haben mich überzeugt. Realistische Komponenten wie Visierjustierung, Verbände bei Verletzungen oder Maschinengewehr-Laufwechsel sind eine erfrischende Abwechslung im Shooter-Einerlei zwischen Call of Duty und Medal of Honor. Der Kommandant, die Teamstrukturen und die Kommunikation via Voicechat wecken bei mir Erinnerungen an alte Battlefield-1942–Zeiten. Es gibt aber auch Schwächen: Die Kulisse ist trotz eines Grafikupdates nach wie vor nur Mittelmaß und auch die Spielmodi gewinnen sicher keinen Innovationspreis. Zudem wurde auf Fahrzeuge und die daraus resultierende Abwechslung verzichtet - großangelegten Landeoperationen gibt es in den 64-Spieler-Matches nicht. Dennoch lassen mich die Schlachtfeld-Atmosphäre und die intensiven Kämpfe immer wieder zum Arisaka-Karabiner greifen, um die Invasion der Langnasen abzuwehren.
Pro
Kontra
Wertung
PC
Taktische und anspruchsvolle Gefechte im Pazifikkrieg.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.