Prison Architect27.11.2015, Mathias Oertel
Prison Architect

Im Test: Comic-Alcatraz für Bauherren

Wenn ein Titel auf Steam als Early-Access-Version veröffentlicht wird, ist das längst keine Besonderheit mehr. Doch vor drei Jahren, als Introversion mit einer Alpha-Version von Prison Architect (ab 11,61€ bei kaufen) auf der Publishing-Plattform auftauchte, waren die Vorabversionen noch Neuland. Zahlreiche Updates und rege Kommunikation mit der Community später ist die Aufbausimulation fertig. Wir haben uns hinter Gitter begeben und verraten im Test, wie es uns als Gefängnis-Direktor ergangen ist.

Der Beispiel-Frühstart

Die Briten von Introversion sind immer für eine Überraschung gut. Unter anderem, weil sie es in ihren bisherigen Titeln wie Darwinia oder Defcon geschafft haben, minimalistisches Artdesign mit packender Strategie zu verbinden – beide Titel konnten bei uns einen Gold-Award einheimsen. Doch dass sie mit Prison Architect quasi zu den Urvätern von „Early Access“ wurden, hätten sie sich wohl nicht träumen lassen. Und ähnlich wie Haemimont mit Victor Vran haben sie die mehr als eine Million Käufer nicht im Regen stehen lassen: Nahezu jeden Monat kam ein Update, das mit Fehlerbehebung und häufig dem Hinzufügen neuer Inhalte bzw. Feintuning klar machte, dass Introversion nicht auf der faulen Haut liegt. Zudem war die Kommunikation mit der Community, die sehr früh an das Projekt geglaubt hat, gut und intensiv. An dieser Verfahrensweise können sich andere Entwickler eine große Scheibe abschneiden.

In Prison Architect ist man für Aufbau und Pflege eines Gefängnisses verantwortlich.
Anteil an dem Erfolg dürfte auch die Thematik haben: Am PC gibt es notorischen Mangel an guter Aufbaustrategie. Und falls doch mal etwas Lohnenswertes erscheint, ist man meist mit dem Bau irgendwelcher Städte oder dem Verwalten von Handelswegen beschäftigt. Hier ist man, wie der Name mehr als dezent andeutet, damit beschäftigt, eine Strafvollzugsanstalt aufzubauen und einen laufenden Betrieb zu gewährleisten. Das Ziel: Nicht nur finanziell auf sicheren Beinen zu stehen, sondern die Gefangenen im Idealfall zu rehabilitieren und damit wieder zu verantwortungsvollen Mitgliedern der Gesellschaft zu machen. Allerdings fängt man klein an: Mit einer leeren Fläche, die man aus drei Größen wählt. Spätere Einwirkungen wie Zufallsereignisse oder die Option des Scheiterns können  komfortabel festgelegt werden.

Alcatraz, Santa Fu oder Blümchenpflücken?

Und ab diesem Moment hat man sämtliche Freiheit. Weiterreichende Funktionen wie Arbeit für die Inhaftierten, patrouillierende Wachen, Videokameras und vieles mehr muss erst freigeschaltet werden. Doch auch ohne die tieferen Spielebenen, die später wichtig für das Überleben von sowohl Gefangenen als auch Angestellten sind, hat man genug zu tun. Fundamente müssen geplant und gelegt werden. Mauern müssen aufgezogen, Zellen ausgewiesen und eingerichtet sowie administrative Bereiche wie Büros, aber auch Küchen, Essensräume, Krankenstationen und vieles mehr festgelegt werden. Die Sicherheit darf dabei nicht zu kurz kommen, außerdem muss man für eine adäquate Strom- und Wasserzufuhr sorgen. Und das alles mit einem knappen Budget. Zwar bekommt man für jeden aufgenommen Häftling von Vater Staat eine Sofortgebühr sowie eine kontinuierliche Vergütung. Doch mit mehr Inhaftierten steigen auch die Anforderungen an

Zufallsereignisse wie Revolten sorgen für zusätzliche Spannung sowie Herausforderung.
Küche, Personal, Sicherheit sowie die allgemeine Versorgung. Man muss ständig die Finanzen im Auge behalten. Man kann zwar auch Subventionen beantragen. Die sind aber wiederum an Bedingungen geknüpft, die erfüllt werden müssen – mitunter innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens.

Wer will, kann natürlich sofort den Sprung ins kalte Wasser wagen und nach dem Motto „Aus Schaden wird man klug“ die anfänglich sehr angenehme Lernkurve in Angriff nehmen. Komfortabler in die umfangreichen und gut miteinander verzahnten Mechanismen eingeführt wird man allerdings mit der über fünf Kapitel laufenden Kampagne. Untermalt von gut gezeichneten Zwischensequenzen wird man Zeuge einer teils sehr schonungslosen Geschichte. Man ist Zeuge einer Hinrichtung, muss mit ansehen, wie eine Gefängnisrevolte zahlreiche Unschuldige das Leben kostet und erfährt am eigenen Leib, dass Resozialisierung nicht vom Zaun gebrochen werden kann – vor allem, wenn die angestellten Wachen nicht mitmachen. Die Dialoge, die leider nicht vertont und auch nicht ins Deutsche übersetzt wurden, sind gut. Introversion packt ein gehöriges Maß an Gesellschaftskritik in die Texte, ohne jedoch mit dem erhobenen Zeigefinger zu wackeln – sehr schön!

Aller Anfang ist leicht

Hier ein Verwaltungskomplex mit Leichenhalle und Krankenstation, dort ein Besucherzentrum, am anderen Ende des hoffentlich eingezäunten Geländes stehen Räume für Gefangenenarbeit, Weiterbildung und Rehabilitation zur Verfügung. Man hat schnell alles Wesentliche von den eingestellten Arbeitern aufziehen lassen. Die ersten Gefangenen sind da. Die Wachen nehmen sie in Empfang und leiten sie in die Zellen. Und solange alles noch überschaubar ist, sprich: mit weniger als 50 Inhaftierten, ist die Welt noch in Ordnung - vor allem, wenn man die Zufallsereignisse und Knastgangs ausgeschaltet hat, die einem bei höherem Gefangenenaufkommen das Leben zur Hölle machen können. Später kommen noch viele Optionen hinzu, die vom Zuteilen von Räumen für Ausbildung bis hin zu Patrouillenwegen, dem Einteilen von Wachen für bestimmte Gebiete sowie Sicherheitszonen in verschiedenen Stufen reichen, die nur von bestimmten Gefangenen betreten werden dürfen. Und natürlich kann man auch unangekündigte Razzien zur Suche von versteckten Waffen sowie Drogen durchführen oder die Inhaftierten zwangsweise in ihre Zellen zurückführen - muss dann aber auch mit den Konsequenzen wie erhöhter Reizbarkeit und Gewaltbereitschaft leben. Keiner geht gerne in die natürlich auch mögliche Isolationshaft. Zwar muss man mitunter in den Menü-Symbolen suchen, bis man am Ziel ist, doch angesichts der komplexen Möglichkeiten, die einem in Prison Architect zur Verfügung stehen, ist die Navigation beinahe kinderleicht. Auch der Bau von neuen Zellen oder Trakten wird später vereinfacht: Man kann eine "Klon-Funktion" erforschen lassen, mit der sich kleine Areale 1:1 übernehmen lassen, so dass man nicht mühsam jedes Bett, jede Gittertür und jedes Klo manuell setzen muss.

Bei hohem Figurenaufkommen (in etwa ab 700 Charakteren) kann es zu Performance-Problemen kommen.
Doch so ganz ohne Mikromanagement geht es auch als Gefängnisdirektor nicht. Vor allem, wenn es zu unvorhergesehen Ereignissen wie Brände, Revolten oder eine unerwartete Zahl an Neuankömmlingen kommt bzw. wenn neue Funktionen freigeschaltet werden, ist man erst mal mit viel frickeligem Klicken beschäftigt. Auch beim Festlegen des Tagesablaufs, da man hier für die drei verschiedenen Gruppen (Inhaftierte mit geringem, normalen oder hohem Gefahrenpotenzial) unterschiedliche Einteilungen vornehmen kann. In anderen Bereichen wiederum geht  mir das Mikromanagement nicht weit genug. So kann man z.B. keine Schichten einteilen, was insofern zu Problemen führen kann, da die Angestellten auch erschöpfen und müde werden. Das Ergebnis: Entweder verlassen sie ihren Posten und gehen in den zur Verfügung gestellten Aufenthaltsraum, um die Batterien aufzuladen. Oder aber sie ruhen an Ort und Stelle aus. Bei einem Arbeiter kann das auch schon mal mitten in einer Bauphase passieren.

Comic mit Character

Doch abgesehen von diesen kleineren Momenten und einer gewissen Routine, die beim x-ten Knastaufbau einsetzt, lässt mich Prison Architect nicht los. Man hat immer was zu tun. Es gibt immer etwas zu optimieren. Und die sich ständig verschiebenden Forderungen bzw. Wünsche der Gefangenen halten einen zusätzlich auf Trab. Mitunter ist es zwar unklar, wieso sie sich z.B. über das Essen beschweren, obwohl ich auf maximale Variation gestellt habe und auch die maximale Anzahl an Zutaten zulasse - obwohl dies gewaltig zu Lasten des Kontostandes geht. Doch im Großen und Ganzen sind Ursache und Wirkung sowohl bei negativen als auch positiven Erlebnissen nachvollziehbar und plausibel. Ein weiterer

Für jeden Inhaftierten gibt es eine Akte mit Biografie. Für die Angestellten sucht man diese Infos vergebens.
Faktor, der sich positiv auf die Motivation auswirkt, ist das audiovisuelle Design. Scheppernde Gittertüren, klappernde Schlüsselbunde, murmelnde Gefangene, Funkdurchsagen der Wächter: Alles sorgt für eine stimmige Sounduntermalung, die nachlässt, je weiter man herauszoomt.

Das comichafte und irgendwie an reduzierte South-Park-Figuren angelehnte Charakterdesign, das wunderbar zum klar strukturierten Blockbau der Umgebung passt, kann sich ebenfalls sehen lassen. Obwohl die Figuren nur aus wenigen stilisierten Segmenten bestehen, haben sie Charakter. Zudem lässt sich für jeden Inhaftierten eine Biografie einsehen, in der nicht nur seine bisherigen Straftaten aufgeführt sind, sondern ggf. auch ein Psychoprofil oder eine Übersicht über das Verhalten im Gefängnis gefunden werden können. Schade ist allerdings, dass diese Biografien nicht für die Angestellten zur Verfügung stehen. So wachsen einem die Knackis mehr ans Herz als die Wärter, Köche usw., die durch die fehlende Persönlichkeit austauschbar und im Fall von Revolten zu leicht ersetzbarem Kanonenfutter werden. Zudem wird ab etwa 500 bis 700 Gefängnisinsassen selbst auf Rechnern der gehobenen Mittelklasse das Geschehen deutlich gestört, es kommt zu Bildratenproblemen und die Mausklicks werden mitunter auch erst mit einer kleinen Verzögerung ausgewertet.

Die Kehrseite der Medaille

Im Ausbruchs-Modus muss man versuchen, seinen Ruf zu verbessern, um schließlich erfolgreich fliehen zu können.
Wie es ist, auf der anderen Seite des Gesetzes oder der Gitterstäbe zu stehen, zeigt der Flucht-Modus. Hier schlüpft man in die Rolle eines Inhaftierten und muss sich einen Ruf erarbeiten, um eine kleine Gang um sich zu scharen sowie Hilfsmittel zu organisieren, damit man einen Fluchtversuch unternehmen kann. Interessanterweise kann man nicht nur über das Extras-Menü diesen Modus aufrufen, sondern kann auch als Gefängnisdirektor in diese missliche Lage kommen, so z.B. wenn es zu viele Tote in einem kurzen Zeitraum gibt und man wegen Missachtung der Aufsichtspflicht verurteilt und inhaftiert wird. So kann man sein eigens gebautes Gefängnis auf Ausbruchsicherheit überprüfen. Interessanter wird es jedoch, wenn man per Zufall ein Gefängnis aus dem Steam Workshop zugeteilt bekommt, um einen Weg nach draußen zu finden.

Da die Möglichkeiten im Vergleich zu einem The Escapists jedoch deutlich eingeschränkt sind und man letztlich nach dem Ausbaldowern das Gefängnislayouts immer wieder die gleiche Aktionsschleife durchläuft (auch wenn man mit ein paar Kumpanen unterwegs ist), gewinnt die Flucht ihren Reiz nur durch die verschiedenen Gefängnisse, die man herunterladen kann. Und durch die zahlreichen Optionen der Gesetzeshüter, einen auszuschalten: Vom Tazer bis zum Schrotgewehr und natürlich der Polizeihundstaffel ist alles dabei. Als Ergänzung zum strategischen Aufbau ist Escape brauchbar.

Fazit

Introversion wird dem Ruf als außergewöhnlicher Indie-Entwickler mit Prison Architect wieder einmal gerecht. Nicht nur, weil die Briten erfolgreich die "Early-Access"-Lawine losgetreten haben und so zeigen, wie eine Vorabveröffentlichung in steter Kommunikation mit der Community zu einem runden Spielerlebnis reift. Sondern vielmehr, weil dieser komplexe Gefängnisaufbau mit seinem stilisierten Comicdesign richtig Spaß macht. Tiefgang und Anforderungsprofil sind variabel einstellbar – wer es nicht so stressig mag, schaltet z.B. die zufälligen Ereignisse einfach aus und konzentriert sich auf Gefangene mit niedriger Sicherheitsstufe. Doch auch dann gibt es viel zu beachten, wenn man Sicherheit und Kontostand nicht gefährden will. Zum Glück wird die Kampagne nicht nur genutzt, um eine spannende Geschichte zu erzählen, sondern auch, um als umfangreiches Tutorial auf den Sandkasten-Modus vorzubereiten. Bemerkenswert: Jeder Gefangene hat seine eigene Biografie. Schade ist allerdings, dass die Angestellten, die einem eher am Herzen liegen sollten, namenloses Kanonenfutter sind. Auch die noch nicht ausgereifte Mischung aus extremem sowie in manchen Bereichen nicht tief genug greifenden Mikromanagement stört immer wieder.  Dennoch sorgt Prison Architect für richtig gute und abwechslungsreiche Unterhaltung.

Pro

enorm hoher Wuselfaktor...
superstylisches Artdesign
glaubwürdige Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung
Steam-Workshop-Anbindung
gut erzählte Kampagne über fünf Kapitel
ordentliche Planungstools
Inhaftierte mit Persönlichkeit
"Ausbruchs-Modus", auf Wunsch auch mit Zufalls-Knast aus dem Steam Workshop
starke Gefängnis-Atmosphäre
stimmige Akustik
zufällige Ereignisse halten einen auf Trab
Wahl des Direktors mit Vor- und Nachteilen (freies Spiel)
umfangreiche Online-Hilfe aus dem Spiel heraus erreichbar

Kontra

... aber kaum zu glauben: Hardware-Probleme ab etwa 700 Figuren
kleinere Bugs, z.B. nicht funktionierende Knöpfe, nicht ausgelöste Aufgabentrigger
Angestellte sind austauschbar und "Wegwerfware"
mitunter viel Mikromanagement nötig
keine Schichten einteilbar

Wertung

PC

Komplexe, aber leicht zugängliche Aufbau-Sim im Gefängnismilieu mit Schönheitsfehlern im Mikromanagement sowie einigen kleinen Bugs.

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